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- Der Existenzbegriff gründet im "existentiellen
Erleben". Der traditionelle Begriff der "essentia"
gibt das Was-sSein, das wesensmäßige So-Sein eines
Seienden an. "Existentia" bedeutet dagegen das bloße
Da-Sein eines Seienden. Die Existenzphilosophie verändert
den Begriff der Existenz in doppelter Hinsicht:
- im Umfang: Einschränkung auf menschliche Existenz,
- inhaltlich: Menschliches Dasein, insofern es aus existentiellem
Erleben erwächst.
- Kirkegaards Begriff des "existierenden" Denkers
ist zunächst ein Kampfbegriff gegen den "abstrakten"
oder "systematischen" Denker der idealistischen
Philosophie (Hegel). Das Denken des "existierenden"
("subjektiven") Denkers ist kein theoretischer Selbstzweck,
sondern steht im Dienste seiner Existenz.
- Ausgangsstellung der Existenzphilosophie ist also:
- die Unzulänglichkeit des Denkens vor den Widersprüchen
der Wirklichkeit und
- die Rückbeziehung des Denkens auf die Aufgaben
, die aus dem Dasein des Denkenden selber erwachsen.
Dabei ist das Denken in einschneidendem Sinn unzulänglich:
Das "Paradox" menschlichen Lebens bezeichnet die
hoffnungslose Unauflösbarkeit der Widersprüche,
vor denen das Denken zum Scheitern verurteilt ist, und von
denen es doch nicht ablassen kann, weil sie gerade mit den
entscheidenden Fragen seines Daseins verbunden sind.
- "Existenz" im Sinnde des Existentialismus hat
mit dem Begriff der äußeren (sozialen) Existenz
nichts zu tun. Vielmehr meint "Existenz" ein letztes
unbedingtes Zentrum des Menschen, an dem er "unendlich
interessiert" sei (christlich: Sorge um das Seelenheil).
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- Der letzte, innerste Kern, der mit dem Begriff der Existenz
bezeichnet wird, liegt jenseits alles inhaltlich Angebbaren.
Er wird spürbar, wenn der Mensch in geeigneten Augenblicken
erfährt, dass alles, was in der natürlichen Lebenserfahrung
zum Leben gehört, worüber man verfügt und was
man irgendwie "hat" (selbst kulturelle Werte, geistige
und sellische Anlagen, sittliche Tugenden u.ä.), verloren
gehen kann, ohne dass dieser letzte innerste Kern darunter
Schaden litte. Existenz besitzt nicht (wie das Leben) größere
oder geringere Fülle, sie kann nur ganz gewonnen oder
als ganze verloren gehen. Sie endet mit dem Tod.
- Wie die "negative Theologie" lehrt, dass jedes
nur erkennbare Prädikat von Gott notwendig falsch sei,
weil es als bestimmtes Prädikat seine Unendlichkeit verendlichen
würde, lehrt auch die Existenzphilosophie, dass das,
was im Menschen Existenz ist, nur dadurch deutlich werde,
dass alle möglichen inhaltlichen Bestimmungen als unangemessen
wieder zurückgenommen werden. Nur das in diesem "negativen"
Verfahren Ausgesparte sei Existenz. Trozdem darf die existentielle
Erfahrung weder mit Irrationalismus noch mit Mystik (statt
Einswerden mit Gott oder Kosmos: Entfremdung und Zurückgeworfenwerden
auf das isaolierte Ich) verwechselt werden.
- Existentialismus ist auch kein Nihilismus etwa in Analogie
zur asiatischen Religiosität, die im Erlebnis des Nichts
Erlösung sucht (vgl. Schopenhauer). Das existenzphilosophische
Nichts bildet aber den unheimlichen Hintergrund (statt Erlösung)
und führt zu höchster Anspannung (nicht zu Schau
und reiner Passivität).
- Unanumo deutet den "Don Quijote" des Cervantes
in eigenwilliger Weise um als den heroischen Menschen, der
zum letzten, unbedingten Einsatz bereit ist und darum auf
der Ebene der bürgerlichen Geborgenheit und Lebensklugheit
als Narr und Phantast erscheint.
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- Bei der Unmöglichkeit jeder inhaltlicher Festlegung
dessen, was Existenz ist, muss man entweder auf jede begriffliche
Fassung verzichten (Jaspers) oder neuartige begriffliche Mittel
entwickeln (Heidegger). Nach Heidegger zeichnet sich der Mensch
in seinem inneren Kern dadurch aus, dass er seinem Wesen nach,
das heißt in seiner essentia, Existenz sei (während
sonst die essentia und existentia scharf getrennte Seinsmomente
sind.
- Die erste und allgemeinste Bestimmung menschlichen Daseins
ist die Fähigkeit, sich zu sich selbst zu verhalten.
Wie in der Ebene des natürlichen Lebens mit dem Selbst
immer zugleich schon eine Welt, so wird jetzt in der existentiellen
Ebene mit der Existenz zugleich auch die Transzendenz erfahren.
Die bei Heidegger immanente Bezogenheit des Selbst auf das
eigene Sein bezeichnet er als "Sorge".
- Das Sein der Existenz "ist" Bezogenheit und nichts
außerdem. Existenz ist ihrem Wesen nach kein in sich
selbst ruhendes Sein, sondern weist auch bei Heidegger im
"Überstieg" der Transzendenz über sich
sich selbst hinaus auf ein anderes. Der Mensch hat diesen
Bezug als eine über das Dasein hinausliegende Aufgabe
zu leisten.
- "Dasein" bedeutet ebenfalls ausschließlich
menschliches Dasein, bezeichnet aber nicht auszeichnend wie
der Begriff der "Existenz" den Gipfel seiner erfüllten
Möglichkeiten. Der Begriff "Dasein" steht werturteilsfrei
neutral. Die Existenz stellt das Ziel dar, das zu verwirklichen
dem Dasein als seine eigene Möglichkeit aufgegeben ist.
- Somit liegt ein extremer Dualismus in der Menschenauffassung
vor. Er kann nicht schrittweise überbrückt werden,
nur durch ausdrückliche Abkehr vom Zustand der Uneigentlichkeit.
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- Mit der Existenz ist notwendig schon immer eine Welt gesetzt,
und ohne diese kann Existenz gar nicht begriffen werden. "Welt"
umfasst dabei das Ganze der dem Menschen vorgegebenen Bedingungen,
die der äußeren Welt und die des eigenen Lebens.
- Die Wirklichkeit hat einen fremden, widerspenstigen und
"paradoxen" Charakter, an dem alles Denken hoffnungslos
abprallt.
- Niemand hat dieses Gefühl äußerster Fremdheit
überwältigender und zugleich verzweifelter ausgesprochen
als Rilke.
- Welt schränkt menschliches Dasein wesensmäßig
ein. Das In-der-Welt-sein bestimmt sich erst näher auf
dem Boden der Endlichkeit als der schmerzlichsten Erfahrung
von der Wesensgrenze allen menschlichen Wollens und Könnens.
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- Menschliches Dasein steht schon immer im lebendigen Zusammensein
mit anderen Menschen.
- Mitsein mit anderen als Form der Verfallenheit. Erst in
ausdrücklicher Abkehr davon vollzieht sich der Durchbruch
zur Eigentlichkeit.
- Das "Man" bestimmt Heidegger in den drei Begriffen
des Geredes, der Neugier und der Zweideutigkeit. Eigentlichkeit
als der Vorgang des Sich-Abstoßens von der zuständlichen
Uneigentlichkeit der Verlorenheit an Welt.
- Das menschliche Dasein hat die Neigung, an die Welt zu verfallen
und damit seine eigentliche Existenz preiszugeben. . Welt
nur sinnentleerter Hintergrund eigentlicher Existenz.
- Die Einsamkeit, in der sich Existenz verwirklicht,
ist nicht Verschlossenheit und Abglöstheit von den Mitmenschen,
sondern fordert das Wagnis rückhaltloser Offenheit.
- Existentielle Gemeinschaft ist nur vom einzelnen einsamen
Menschen zum anderen einsamen Menschen möglich und kann
(im Gegensatz zur naturhaften oder gewohnheitsmäßigen
Gemeinschaft) nur bestehen, soweit sie, wie die Existenz selbst,
in jedem Augenblick neu errungen wird.
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- Welt ist nicht nur beengender Hintergrund des Daseins, sondern
zugleich die immer schon ganz bestimmte Konstellation der
Umstände, die ganz bestimmte Welt, in die dieses Dasein
sich gestellt findet und die durch ihre Bedrängnis Aktivität
und Antwort verlangt.
- Der Mensch ist wesensmäßig einer Situation verhaftet,
die ihn unentrinnbar als etwas Fremdes und Feindliches bedrängt.
Dazu gehören auch seine innere Verfassung und Grundbefindlichkeit
("Stimmungen"). Die Grundsituation ändert sich
beständig, die leidvolle Situationsverhaftetheit bleibt
unaufhebbar.
- Einzelne Situationen lassen sich durch kluge Vorkehrungen
meistern, andere allgemeine Tatbestände stehen als grundsätzlich
unüberwindbare Schranken entgegen ("Grenzsituationen").
Die Begrenzung liegt dabei nicht in der Unzulänglichkeit
der äußeren Ordnung (gegen die man sich die Utopie
einer besseren Welt ausdenken könnte), sondern bestimmt
das innerste Wesen des Menschen (Verlorenheit, Geworfenheit,
Verfallenheit an die Welt, Endlichkeit). An der Grenzsituation
vollzieht sich die Verwirklichung eigentlicher Existenz.
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Sententiae excerptae: Lat. zu "Existentialismus" Literatur: zu "Existentialismus"3
Abbagnano, N.
Philosophie des menschlichen Konflikts. Einführung in den Existentialismus
Hamburg 1957
4273
Schwan, Alexander
Humanismus und Christentum
in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, TBd.19, (Herder) Freiburg, Basel, Wien, 1981
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