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Recht und Gerechtigkeit nach Kallikles

Platon, Gorgias 482c - 492c

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Das Naturrecht des Stärkeren (1)

Die Historizität eines Sophisten Kallikles ist umstritten. Er tritt im Grunde nur in Platons Gorgias in Erscheinung. Er vertritt dort das Naturrecht des Stärkeren; d.h.: Das Recht ist eine Erfindung der Schwachen, um den Starken so wenigstens die Gleichstellung abzutrotzen. Gerechtigkeit meint dann die Verpflichtung auf die Gesetzesnormen. Dies bedeutet, dass staatliches Recht naturwidrig ist, denn die animalische Natur beruht auf πλεονεξία. Diese animalische Natur wird von klein auf durch Inkulturation ebenso gebändigt, wie man auch wilde Tiere domestiziert. Der wahrhafte Mann aber (mit Nietzsche der "Übermensch" oder die "Blonde Bestie") lässt sich nicht die Zähne ziehen. Er fügt sich nur zum Schein in die konventionelle "Sklavenmoral" ein, um um so ungestörter zu herrschen. 
Die vollständige Beseitigung der Rechtsordnung scheint also durchaus nicht das Ziel des Kallikles zu sein: eher der physisch starke Politiker, der es versteht, innerhalb der konventionellen Ordnung seinen persönlichen Eigennutz zu mehren. Frei nach Adam Smith könnte ja gerade darin auch die Steigerung des Gemeinwohl liegen.  

(482c) ΚΑΛΛΙΚΛΗΣ. ῏Ω Σώκρατες, δοκεῖς νεανιεύεσθαι ἐν τοῖς λόγοις ὡς ἀληθῶς δημηγόρος ὤν· καὶ νῦν ταῦτα δημηγορεῖς ταὐτὸν παθόντος Πώλου πάθος, ὅπερ Γοργίου κατηγόρει πρὸς σὲ παθεῖν. ἔφη γάρ που Γοργίαν ἐρωτώμενον ὑπὸ σοῦ, ἐὰν ἀφίκηται παρ' αὐτὸν μὴ ἐπιστάμενος τὰ δίκαια ὁ τὴν ῥητορικὴν βουλόμενος μαθεῖν, (d) εἰ διδάξοι αὐτὸν ὁ Γοργίας, αἰσχυνθῆναι αὐτὸν καὶ φάναι διδάξειν διὰ τὸ ἔθος τῶν ἀνθρώπων, ὅτι ἀγανακτοῖεν ἂν εἴ τις μὴ φαίη - διὰ δὴ ταύτην τὴν ὁμολογίαν ἀναγκασθῆναι ἐναντία αὐτὸν αὑτῷ εἰπεῖν, σὲ δὲ αὐτὸ τοῦτο ἀγαπᾶν - καί σου καταγελᾶν, ὥς γέ μοι δοκεῖν ὀρθῶς, τότε· (482c) KALLIKLES: Sokrates, du scheinst mir jungenhaft übermütig zu reden, wie ein echter Volksredner; und wenn du jetzt so daherredest, ergeht es Polos genau so, wie er es dem Gorgias vorwarf. Du hattest nämlich Gorgias gefragt, (d) ob er, wenn einer zu ihm komme und Rhetorik studieren wolle, ohne zu wissen, was Gerechtigkeit sei, sie ihn lehren könne, Gorgias aber schämte sich und bejahte es aus Rücksicht auf die Moral der Leute, weil sie nämlich Anstoß nehmen, wenn es einer verneint. Durch dieses Zugeständnis musste er sich notgedrungen eben darin zu deiner Zufriedenheit in Widersprüche verwickeln, und hat dich, wie mir scheint, zu Recht damals verlacht. 
νεανιεύομαι - bin Jüngling, verhalte mich wie ein Jüngling, bin übermütig | δημηγόρος, ον - vor dem Volk redend, Volksredner | ταὐτὸν πάθος πάσχω τινός - erleide dasselbe wie...; es ergeht mir ebenso wie... (fig.etymol.) | Γοργίαν ἐρωτώμενον ... αἰσχυνθῆναι ( αὐτὸν: pleonastisch) - AcI zu: ἔφη γάρ | εἰ διδάξοι  sc. <τὰ δίκαια> - Indir. Frage zu ἐρωτώμενον | φάναι - bejahen, "ja" sagen (Ggt.: μὴ φάναι) | διὰ τὸ ἔθος - begründet, warum er "ja" sagte | ἐναντία αὑτῷ εἰπεῖν - in sich Widersprüchliches sagen, sich in Widersprüche verwickeln | 
νῦν δὲ πάλιν αὐτὸς ταὐτὸν τοῦτο ἔπαθεν. καὶ ἔγωγε κατ' αὐτὸ τοῦτο οὐκ ἄγαμαι Πῶλον, ὅτι σοι συνεχώρησεν τὸ ἀδικεῖν αἴσχιον εἶναι τοῦ ἀδικεῖσθαι· (d) ἐκ ταύτης γὰρ αὖ τῆς ὁμολογίας αὐτὸς ὑπὸ σοῦ συμποδισθεὶς ἐν τοῖς λόγοις ἐπεστομίσθη, αἰσχυνθεὶς ἃ ἐνόει εἰπεῖν. σὺ γὰρ τῷ ὄντι, ὦ Σώκρατες, εἰς τοιαῦτα ἄγεις φορτικὰ καὶ δημηγορικά, φάσκων τὴν ἀλήθειαν διώκειν, ἃ φύσει μὲν οὐκ ἔστιν καλά, νόμῳ δέ. Jetzt aber erging es ihm selbst ganz genau so; ich jedenfalls beneide Polos eben darin nicht, dass er dir zugestanden hat, dass Unrechttun verwerflicher sei als Unrechtleiden. (e) Denn aus diesem Zugeständnis wirst du ihm im Gespräch einen Strick drehen und ihm den Mund stopfen, weil er sich schämte, das zu sagen, was er dachte. Denn du sagst zwar, du verfolgtest die Wahrheit, nötigst aber in Wahrheit, sich mit gefälligen Äußerungen über das zu belasten, was der Natur nach nicht richtig ist, doch nach dem Gesetz. 
συμποδίζω - binde die Füße zusammen, fessele | ἐπιστομίζω - stopfe das Maul, bringe zum Schweigen | ἄγεις sc. <τοὐς λόγους> - du bringst die Sprache auf etw. | φορτικός, ής, όν - lästig, belastend | φύσει... νόμῳ - der Natur nach... dem Gesetz (der Konvention) nach [wichtigste Antithese der Sophistik, um die bestehenden Verhältnisse und die traditionelle Moral (τὰ νομικά, δημηγορικά) kritisch zu hinterfragen. Vgl. Thrasymachos (Bild), Antiphon  VS 87 B 44A
ὡς τὰ πολλὰ δὲ ταῦτα ἐναντί' ἀλλήλοις ἐστίν, ἥ τε φύσις καὶ ὁ νόμος· ἐὰν οὖν τις αἰσχύνηται καὶ μὴ τολμᾷ λέγειν ἅπερ νοεῖ, ἀναγκάζεται ἐναντία λέγειν. (483a) ὃ δὴ καὶ σὺ τοῦτο τὸ σοφὸν κατανενοηκὼς κακουργεῖς ἐν τοῖς λόγοις, ἐὰν μέν τις κατὰ νόμον λέγῃ, κατὰ φύσιν ὑπερωτῶν, ἐὰν δὲ τὰ τῆς φύσεως, τὰ τοῦ νόμου. ὥσπερ αὐτίκα ἐν τούτοις, τῷ ἀδικεῖν τε καὶ τῷ ἀδικεῖσθαι, Πώλου τὸ κατὰ νόμον αἴσχιον λέγοντος, σὺ τὸν λόγον ἐδιώκαθες κατὰ φύσιν. Denn in der Regel sind Natur und Gesetz einander entgegengesetzt. Wenn nun einer aus Scham nicht sagt, was er denkt, verstrickt er sich notgedrungen in Widersprüche. (483a) Diesen Kunstgriff hast auch du erkannt und missbrauchst ihn in den Gesprächen, indem du, wenn sich einer gesetzgemäß äußert, unter der Hand nach der Natur fragst, wenn aber naturgemäß, nach dem Gesetz. So hast du auch in dieser Frage, dem Unrechttun und Unrechtleiden, die nach dem Gesetz gegebene Antwort des Polos gleich nach der Natur weiterverfolgt. 
φύσει μὲν γὰρ πᾶν αἴσχιόν ἐστιν ὅπερ καὶ κάκιον, τὸ ἀδικεῖσθαι, νόμῳ δὲ τὸ ἀδικεῖν. (b) οὐδὲ γὰρ ἀνδρὸς τοῦτό γ' ἐστὶν τὸ πάθημα, τὸ ἀδικεῖσθαι, ἀλλ' ἀνδραπόδου τινὸς, ᾧ κρεῖττόν ἐστιν τεθνάναι ἢ ζῆν, ὅστις ἀδικούμενος καὶ προπηλακιζόμενος μὴ οἷός τέ ἐστιν αὐτὸς αὑτῷ βοηθεῖν μηδὲ ἄλλῳ, οὗ ἂν κήδηται. ἀλλ' οἶμαι οἱ τιθέμενοι τοὺς νόμους οἱ ἀσθενεῖς ἄνθρωποί εἰσιν καὶ οἱ πολλοί. πρὸς αὑτοὺς οὖν καὶ τὸ αὑτοῖς συμφέρον τούς τε νόμους τίθενται καὶ τοὺς ἐπαίνους ἐπαινοῦσιν καὶ τοὺς ψόγους ψέγουσιν· (c) ἐκφοβοῦντες τοὺς ἐρρωμενεστέρους τῶν ἀνθρώπων καὶ δυνατοὺς ὄντας πλέον ἔχειν, ἵνα μὴ αὐτῶν πλέον ἔχωσιν, λέγουσιν ὡς αἰσχρὸν καὶ ἄδικον τὸ πλεονεκτεῖν, καὶ τοῦτό ἐστιν τὸ ἀδικεῖν, τὸ πλέον τῶν ἄλλων ζητεῖν ἔχειν· ἀγαπῶσι γὰρ οἶμαι αὐτοὶ ἂν τὸ ἴσον ἔχωσιν φαυλότεροι ὄντες.     Denn nach der Natur ist jedenfalls verwerflicher, was auch nachteiliger ist, das Unrechtleiden, nach dem Gesetz das Unrechttun. (b) Denn Unrechtleiden passt nicht zu einem Mann, sondern zu einem Sklaven, der besser tot als lebendig wäre, der, wenn man ihn misshandelt und bespuckt, sich weder selber helfen kann noch sonst einem, für den er Sorge trägt. Nein, ich glaube, Gesetzgeber sind die Masse der Schwächlinge. Auf ihre Person und ihren Nutzen also schneiden sie die Gesetze zu und verteilen Lob und Tadel (c) Sie wollen die Starken, die einen Vorrang einnehmen können, einschüchtern, damit sie vor ihnen keinen Vorrang haben. Sie behaupten, ein Vorrang sei verwerflich und ungerecht und  in eben dem Versuch, sich vor den anderen einen Vorrang zu verschaffen, bestehe Unrechttun, Denn sie selbst sind, glaube ich, als Unterlegene zufrieden, wenn sie gleichgestellt sind.
ἐπεί - im HS: denn, indes | τὰ πολλά - meistens, in der Regel | ἥ τε φύσις καὶ ὁ νόμος- Appos. zu ταῦτα | ὑπερωτάω - frage unversehens | διωκάθω = διώκω |

 

Interpretationsvorschläge:
  1. Hat Kallikles darin Recht, dass Sokrates (im philosophischen Diskurs) den Standpunkt der Volksmoral vertritt? Wie verhält sich dazu seine Verurteilung wegen Asebie? 
  2. Wird Sokrates die von Kallikles vorgetragene antithetische Gegenüberstellung von  φύσις und νόμος akzeptieren können? In welchem Sinn wird er andernfalls argumentieren müssen?
  3. Mit welchen dem Text entnommenen Thesen könnte man im einzelnen das Rechtsverständnis des Kallikles skizzieren? 
  4. Recherchieren Sie in der neueren Philosophie die Begriffe "Herrenmoral" ("Sklavenmoral"), "Wille zur Macht"! 
Sententiae excerptae:
Griech. zu "Platon" und "Gorgias"
Literatur:
zu "Platon" und "Gorgias"
2650
Platon / Rufener
Die Werke des Aufstiegs. Apologie, Kriton, Gorgias, Menon. Neu übertr. von Rudolf Rufener
Zürich: Artemis-Verl. 1948


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