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Marcus Tullius Cicero

Cato maior

de senectute

lateinisch

Cato der Ältere

Über das Greisenalter

deutsch

 
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1—3: Widmung an T. Pomponius Atticus
(I  1)
O Tite, si quid ego adiuero curamve levasso,
quae nunc te coquit et versat in pectore fixa,
ecquid erit praemi?'
licet enim mihi versibus eisdem affari te Attice, quibus affatur Flamininum
'ille vir haud magna cum re, sed plenus fidei';
quamquam certo scio non ut Flamininum
'sollicitari te Tite, sic noctesque diesque,'
novi enim moderationem animi tui et aequitatem teque cognomen non solum Athenis deportasse, sed humanitatem et prudentiam intellego. et tamen te suspicor eisdem rebus, quibus me ipsum interdum gravius commoveri, quarum consolatio et maior est et in aliud tempus differenda. nunc autem mihi est visum de senectute aliquid ad te conscribere. hoc enim onere, quod mihi commune tecum est, aut iam urgentis aut certe adventantis senectutis et te et me etiam ipsum levari volo;
(1)
'Wenn ich, o Titus, dir Hilfe gewähr und lindre den Kummer,
Dessen kochende Glut dich quält, fest haftend im Herzen,
Was wird zum Lohn mir dafür?'
Ich darf dich wohl, mein Atticus, mit denselben Versen anreden, mit denen Ennius
'Jener Mann, an Habe nicht reich, doch biederen Sinnes,'
den Flamininus anredet; wiewohl ich bestimmt weiß, dass du nicht, wie Flamininus
'Tag und Nächte hindurch so sehr, mein Titus, dich kümmerst.'
Bekannt ist mir ja deine Selbstbeherrschung und dein Gleichmut; und ich weiß, dass du aus Athen nicht bloß den Beinamen mitgebracht hast, sondern auch Bildung und Einsicht. Dessen ungeachtet vermute ich, du möchtest durch die selben Ereignisse, die mich beunruhigen, bisweilen zu stark bewegt werden. Die Darstellung der hierher gehörenden Trostgründe ist jedoch zu umfassend und ich muss sie auf eine andere Gelegenheit aufsparen. Für jetzt wollte ich bloß einige Gedanken über das Greisenalter niederschreiben und dir mitteilen. Ich möchte jene Last, die wir gemeinschaftlich tragen, die Last des schon drückenden oder wenigstens herannahenden Greisenalters dir und mir selbst erleichtern;
( 2) etsi te quidem id modice ac sapienter sicut omnia et ferre et laturum esse certo scio. sed mihi, cum de senectute vellem aliquid scribere, tu occurrebas dignus eo munere, quo uterque nostrum communiter uteretur.
mihi quidem ita iucunda huius libri confectio fuit, ut non modo omnes absterserit senectutis molestias, sed effecerit mollem etiam et iucundam senectutem. numquam igitur digne satis laudari philosophia poterit, cui qui pareat omne tempus aetatis sine molestia possit degere.
so gewiss ich auch bin, dass du sie, wie alle Bürden des Lebens mit weiser Ruhe sowohl jetzt als auch in Zukunft tragen wirst. Allein indem ich die Absicht hegte, über das Greisenalter etwas zu schreiben, verfiel ich auf dich, als den würdigen Mann, dem ich ein Werk zum Geschenk widmen sollte, aus dem wir beide gemeinschaftlichen Nutzen ziehen könnten.
Mir wenigstens hat die Ausarbeitung dieser Schrift so viel Vergnügen gewährt, dass sie nicht nur alle Beschwerden meines Alters verwischte, sondern dasselbe mir auch gemächlich und angenehm machte. Niemals wird man daher die Philosophie sattsam nach Würde preisen können, da jeder, der ihren Lehren gehorcht, seine ganze Lebenszeit ohne Beschwerde hinbringen kann.
( 3) sed de ceteris et diximus multa et saepe dicemus; hunc librum ad te de senectute misimus. omnem autem sermonem tribuimus non Tithono, ut Aristo Cius (parum enim esset auctoritatis in fabula), sed M. Catoni seni, quo maiorem auctoritatem haberet oratio;
apud quem Laelium et Scipionem facimus admirantes, quod is tam facile senectutem ferat, eisque eum respondentem.
qui si eruditius videbitur disputare quam consuevit ipse in suis libris, attribuito litteris Graecis, quarum constat eum perstudiosum fuisse in senectute. sed quid opus est plura? iam enim ipsius Catonis sermo explicabit nostram omnem de senectute sententiam.
Über die anderen Gegenstände der Philosophie habe ich schon manches Wort geredet; und es wird dies auch in Zukunft noch der Fall sein. Die gegenwärtige Schrift aber, die ich dir hier übersende, handelt vom Greisenalter. Als Hauptperson in dem folgenden Gespräch stelle ich nicht, wie Ariston von Keos es getan hat, den Tithonos auf, um den Eindruck der Szene nicht zu schwächen, sondern den greisen Marcus Cato, damit meine Darstellung ein geltendes Ansehen gewinne.
Neben Cato lasse ich Laelius und Scipio auftreten, die sich über die Leichtigkeit verwundern, mit der jener das Greisenalter erträgt. Cato antwortet darauf. Sollte es dir nun vorkommen, Cato spreche hier in einem gelehrteren Ton, als er in seinen eigenen Schriften gewohnt ist, so magst du das auf die Rechnung der griechischen Gelehrsamkeit schreiben, der er sich bekannntlich in hohem Alter mit dem eifrigsten Fleiß gewidmet hat. Doch wozu noch mehr Worte? Catos Vortrag soll jetzt unsere ganze Ansicht über das Greisenalter ausführlich darstellen.
4 - 14: Allgemeiner Teil der Abhandlung
(II  4) Scipio: Saepe numero admirari soleo cum hoc C. Laelio cum ceterarum rerum tuam excellentem M. Cato perfectamque sapientiam, tum vel maxime, quod numquam tibi senectutem gravem esse senserim, quae plerisque senibus sic odiosa est, ut onus se Aetna gravius dicant sustinere.
Cato: Rem haud sane difficilem Scipio et Laeli admirari videmini. quibus enim nihil est in ipsis opis ad bene beateque vivendum, eis omnis aetas gravis est; qui autem omnia bona a se ipsi petunt, eis nihil malum potest videri, quod naturae necessitas adferat. quo in genere est in primis senectus; quam ut adipiscantur omnes optant, eandem accusant adepti; tanta est stultitiae inconstantia atque perversitas.
obrepere aiunt eam citius quam putavissent. primum quis coegit eos falsum putare? qui enim citius adulescentiae senectus quam pueritiae adulescentia obrepit?
deinde qui minus gravis esset eis senectus, si octingentesimum annum agerent quam si octogesimum? praeterita enim aetas quamvis longa cum effluxisset, nulla consolatio permulcere posset stultam senectutem.
Scipio: Oft muss ich, mein lieber Marcus Cato, mit unserem Freund Gaius Laelius hier deine ausgezeichnete und vollendete Weisheit sowohl in anderer Hinsicht als auch besonders deswegen bewundern, dass dir, soweit meine Beobachtung geht, das Greisenalter nie zur Last geworden ist; und dieses ist doch den meisten Greisen so verhasst, dass sie eine schwerere Bürde als den Aetna zu tragen vorgeben.
Cato: Ihr meine Freunde, Scipio und Laelius, wundert euch, wie mir's vorkommt, über etwas, was gar keine Schwierigkeit hat. Wer freilich in sich selbst keine Mittel zu einem sittlich guten und glücklichen Leben findet, für den ist jedes Lebensalter beschwerlich; wer aber alle Güter in sich selbst findet, dem kann nichts als ein Übel erscheinen, was das notwendige Gesetz der Natur herbeiführt. Dahin gehört vorzugsweise das Greisenalter. Jedermann wünscht es zu erreichen; und hat man es erreicht, so klagt man doch darüber. So groß ist die Unbeständigkeit und Verkehrtheit der Toren!
"Das Alter," sagen sie, "beschleicht uns schneller, als wir gedacht hätten." Allein erstens, wer nötigt sie denn zu dieser falschen Ansicht? Inwiefern soll denn das Jünglingsalter schneller von dem Greisenalter als das Knabenalter von dem Jünglingsalter beschlichen werden?
Zweitens: inwiefern sollte wohl dem Greis im achthundersten Lebensjahr das Alter minder lästig sein als im achtzigsten? Denn ein durchlebtes Menschenalter, dauerte es auch noch so lange, würde ja doch, wenn es verflossen wäre, das Greisenalter des Toren durch keinen Trost erheitern können.
( 5) quocirca si sapientiam meam admirari soletis (quae utinam digna esset opinione vestra nostroque cognomine!), in hoc sumus sapientes, quod naturam optumam ducem tamquam deum sequimur eique paremus; a qua non veri simile est, cum ceterae partes aetatis bene discriptae sint, extremum actum tamquam ab inerti poeta esse neglectum. sed tamen necesse fuit esse aliquid extremum et tamquam in arborum bacis terraeque fructibus maturitate tempestiva quasi vietum et caducum, quod ferundum est molliter sapienti. quid est enim aliud Gigantum modo bellare cum dis nisi naturae repugnare? Wenn ihr daher gewohnt seid, meine Weisheit zu bewundern - ach! wäre sie doch eurer guten Meinung und meines Beinamens würdig! - so wisset, sie besteht darin, dass ich der Natur als der besten Führerin wie einer Gottheit folge und ihrer Stimme gehorche; der Natur, von der es nicht wahrscheinlich ist, dass sie, wenn sie alle Rollen des Lebens so gut geordnet hat, den letzten desselben Aufzug wie ein ungeschickter Dichter sollte vernachlässigt haben. Es muss ja doch einen letzten Grenzpunkt geben; es musste etwas geben, was wie bei Baum- und Erdfrüchten nach gehöriger Reife gleichsam welkt und abfällt. Der Wiese muss sich dahinein mit Gelassenheit ergeben. Denn ein Kampf gegen das Naturgesetz - was wäre er anders als ein Krieg der Giganten gegen die Götter?
( 6) Laelius: Atqui Cato gratissimum nobis, ut etiam pro Scipione pollicear, feceris, si, quoniam speramus, volumus quidem certe senes fieri, multo ante a te didicerimus, quibus facillime rationibus ingravescentem aetatem ferre possimus.
Cato: Faciam vero Laeli, praesertim si utrique vestrum, ut dicis, gratum futurum est.
Laelius: Volumus sane, nisi molestum est Cato, tamquam longam aliquam viam confeceris, quam nobis quoque ingrediundum sit, istuc quo pervenisti, videre quale sit.
Laelius: Du würdest aber uns beiden, mein Cato, damit ich auch für Scipio die Versicherung gebe, etwas sehr Angenehmes erweisen, wenn du, da doch ein hohes Alter in unserer Hoffnung, wenigstens in unsern Wünschen liegt, uns frühzeitig über die Mittel belehren wolltest, durch deren Gebrauch wir die drohende Bürde des Alters am leichtesten ertragen können.
Cato: Das will ich tun, mein Laelius, zumal wenn ich euch beiden, wie du versicherst, damit etwas Angenehmes erweisen kann.
Laelius: Ja, wir wollen jetzt, wenn es dir nicht lästig ist, mein Cato, da du schon einen langen Weg zurückgelegt hast, den auch wir betreten müssen, wir wollen jetzt sehen, wie die Mittel beschaffen sind, durch die du dahin gelangt bist.
(III  7) Cato: Faciam, ut potero, Laeli. saepe enim interfui querelis aequalium meorum (pares autem vetere proverbio cum paribus facillime congregantur), quae C. Salinator, quae Sp. Albinus, homines consulares, nostri fere aequales, deplorare solebant, tum quod voluptatibus carerent, sine quibus vitam nullam putarent, tum quod spernerentur ab eis, a quibus essent coli soliti. qui mihi non id videbantur accusare, quod esset accusandum. nam si id culpa senectutis accideret, eadem mihi usu venirent reliquisque omnibus maioribus natu, quorum ego multorum cognovi senectutem sine querela, qui se et libidinum vinculis laxatos esse non moleste ferrent nec a suis despicerentur. sed omnium istius modi querelarum in moribus est culpa, non in aetate. moderati enim et nec difficiles nec inhumani senes tolerabilem senectutem agunt, inportunitas autem et inhumanitas omni aetati molesta est. Cato: Das will ich tun, mein Laelius, so gut ich's vermag. Denn oft habe ich die Klagen meiner Altersgenossen mit angehört - Gleich und Gleich gesellt sich ja gern, nach dem alten Sprichwort - ich hörte, worüber sich Gaius Salinator, worüber sich Spurius Albinus, Consulare ungefähr meines Alters, gewöhnlich beklagten: bald, dass sie die sinnlichen Freuden entbehren mussten, ohne die das Leben nach ihrer Ansicht kein Leben ist; bald dass sie der Geringschätzung derjenigen preisgegeben seien, deren Achtung sie sonst genossen hätten. Allein, diese Männer scheinen mir den wahren Klagepunkt nicht getroffen zu haben. Denn träfe die Schuld das Greisenalter, so würden ja ich und alle anderen Greise die selbe Erfahrung machen; und doch habe ich schon manche Greise kennen gelernt, die über ihr Alter keine Klage führten, die sich nicht ungern von den Fesseln der sinnlichen Lust befreit fühlten und doch von den Ihrigen nicht verachtet wurden. Nein, die Schuld von allen Klagen dieser Art liegt im Charakter des Menschen, nicht im Alter. Greise, die keine zu großen Ansprüche stellen, die nicht mürrisch, nicht unfreundlich sind, verleben ein ganz erträgliches Alter; Misslaune hingegen und Unfreundlichkeit ist bei jedem Alter widerwärtig.
( 8) Laelius: Est, ut dicis, Cato; sed fortasse dixerit quispiam tibi propter opes et copias et dignitatem tuam tolerabiliorem senectutem videri, id autem non posse multis contingere.
Cato: Est istud quidem Laeli aliquid, sed nequaquam in isto sunt omnia. ut Themistocles fertur Seriphio cuidam in iurgio respondisse, cum ille dixisset non eum sua, sed patriae gloria splendorem adsecutum: 'nec hercule', inquit, 'si ego Seriphius essem, nec tu si Atheniensis, clarus umquam fuisses.' quod eodem modo de senectute dici potest. nec enim in summa inopia levis esse senectus potest ne sapienti quidem nec insipienti etiam in summa copia non gravis.
Laelius: Du hast Recht, Cato; vielleicht könnte man aber einwenden, dir machten nur deine politische Macht, dein Reichtum und deine Würde das Greisenalter so erträglich, ein Glück, das nur wenigen zu Teil werden kann.
Cato: Es ist etwas daran; aber keineswegs beruht darauf alles. So soll z.B. Themistokles einen Seriphier, der ihm im Streit vorwarf, nicht durch seinen, sondern durch des Vaterlandes Ruhm habe er solchen Glanz erreicht, geantwortet haben: "Beim Herkules! So wenig ich als Seriphier ein vornehmer Mann geworden wäre, ebenso wenig würdest du als Athener jemals ein berühmter Mann geworden sein." Dies lässt sich ebenfalls auf das Greisenalter anwenden. Denn bei der größten Dürftigkeit muss das Alter selbst einem Weisen ebenso schwer zu ertragen sein, als es bei dem größten Überfluss einem Unweisen beschwerlich fallen muss.
( 9) aptissima omnino sunt, Scipio et Laeli, arma senectutis artes exercitationesque virtutum, quae in omni aetate cultae, cum diu multumque vixeris, mirificos efferunt fructus, non solum quia numquam deserunt ne extremo quidem tempore aetatis (quamquam id quidem maximum est), verum etiam quia conscientia bene actae vitae multorumque bene factorum recordatio iucundissima est. Die tüchtigsten Waffen des Alters, mein Scipio und Laelius, sind überhaupt die Wissenschaften und die praktische Übung in der Tugend. Diese Übungen tragen, in jedem Alter gepflegt, wenn man viel und lange gelebt hat, herrliche Früchte, und zwar nicht nur aus dem Grund, dass sie uns nie, selbst nicht in der letzten Zeit des Lebens verlassen - und dies ist schon ein sehr großer Gewinn - sondern auch deswegen, weil das Bewusstsein eines schon vollbrachten Lebens durch die Erinnerung an viele Handlungen höchst erfreulich ist.
(IV  10) ego Q. Maximum, eum, qui Tarentum recepit, senem adulescens ita dilexi ut aequalem; erat enim in illo viro comitate condita gravitas nec senectus mores mutaverat; quamquam eum colere coepi non admodum grandem natu, sed tamen iam aetate provectum. anno enim post consul primum fuerat, quam ego natus sum, cumque eo quartum consule adulescentulus miles ad Capuam profectus sum quintoque anno post ad Tarentum quaestor, deinde quadriennio post factus sum praetor, quem magistratum gessi consulibus Tuditano et Cethego, cum quidem ille admodum senex suasor legis Cinciae de donis et muneribus fuit.
hic et bella gerebat ut adulescens, cum plane grandis esset, et Hannibalem iuveniliter exultantem patientia sua molliebat; de quo praeclare familiaris noster Ennius:
'Oenus homo nobis cunctando restituit rem.
noenum rumores ponebat ante salutem.
ergo postque magisque viri nunc gloria claret.'
In meiner Jugend hegte ich zu Quintus Fabius Maximus, einem alten Mann, dem selben der Tarent wieder eroberte, eine so große Liebe wie zu einem Altersgenossen. Denn dieser Mann besaß Ernst mit Freundlichkeit gewürzt, und das Greisenalter hatte seinen Charakter nicht verändert. Freilich war er noch nicht so hoch betagt, als ich ihn damals wertschätzen lernte, aber doch schon an Jahren weit vorgerückt. Denn in das Jahr nach meiner Geburt fällt sein erstes Konsulat; und unter seinem vierten Konsulat - ich war noch ein ganz junger Soldat - war es, als ich mit ihm vor Capua, und fünf Jahre später vor Tarent zog. Vier Jahre nachher wurde ich Quästor, ein Amt, das ich unter dem Konsulat des Tuditanus und Cethegus bekleidete, als er, schon ein Greis, das Cincische Gesetz wegen der Geschenke und Bestechungen empfahl.
Er führte auch Kriege wie ein Jüngling, obgleich er schon hochbejahrt war, und brach Hannibals jugendlichen Trotz durch seine beharrliche Geduld. Vortrefflich äußert sich über ihn unser Freund Ennius:
'Ein Mann ist es, der uns den Staat durch Zaudern gerettet;
Denn nicht eitles Gerede war teurer ihm als das Gemeinwohl.
Darum strahlet je länger, je schöner die Ehre des Helden.'
( 11) Tarentum vero, qua vigilantia, quo consilio recepit! cum quidem me audiente Salinatori, qui amisso oppido fugerat in arcem, glorianti atque ita dicenti: 'mea opera Q. Fabi Tarentum recepisti': 'certe', inquit ridens, 'nam nisi tu amisisses, numquam recepissem.'
nec vero in armis praestantior quam in toga; qui consul iterum Sp. Carvilio collega quiescente C. Flaminio tribuno plebis, quoad potuit, restitit agrum Picentem et Gallicum viritim contra senatus auctoritatem dividenti; augurque cum esset, dicere ausus est optumis auspiciis ea geri, quae pro rei publicae salute gererentur; quae contra rem publicam ferrentur, contra auspicia ferri.
Durch welche Wachsamkeit und mit welcher Klugheit eroberte er Tarent zurück! Salinator, der nach Verlust der Stadt in die Burg geflohen war, rühmte sich in meiner Gegenwart und sagte: "Mir hast du, Quintus Fabius, die Wiedereinnahme von Tarent zu verdanken." Lächelnd erwiderte Fabius: "Ganz gewiss; denn hättest du es nicht verloren, so hätte ich es nicht wieder einnehmen können."
Als Staatsmann war er ebenso groß wie als Soldat. Denn unter seinem zweiten Konsulat, als der Volkstribun Gaius Flaminius das picenische und gallische Gebiet gegen den Willen des Senats unter das Volk Mann für Mann verteilen wollte, ohne dass sein Amtsgenosse, Spurius Carvilius, sich dagegen rührte, widersetzte er sich, so lange er konnte. Ja obgleich er Augur war, erlaubte er sich doch die Äußerung: "Alles, was zum Wohl des Staates geschieht, geschieht unter den besten Auspizien (Vorzeichen); was man aber zum Nachteil des Staates vorschlägt, ist den Auspizien entgegen."
( 12) multa in eo viro praeclara cognovi; sed nihil admirabilius, quam quo modo ille mortem filii tulit, clari viri et consularis. est in manibus laudatio, quam cum legimus, quem philosophum non contemnimus? nec vero ille in luce modo atque in oculis civium magnus, sed intus domique praestantior. qui sermo, quae praecepta, quanta notitia antiquitatis, scientia iuris augurii! multae etiam, ut in homine Romano, litterae; omnia memoria tenebat, non domestica solum, sed etiam externa bella. cuius sermone ita tum cupide fruebar, quasi iam divinarem id, quod evenit, illo extincto fore, unde discerem, neminem. Viele vortreffliche Züge sind mir noch aus eigener Erfahrung von diesem Mann bekannt; keiner aber ist bewunderungswürdiger als die Art, in der er den Tod seines Sohnes, eines angesehenen Mannes und Konsulars, ertrug. Die Lobrede auf ihn ist noch in unseren Händen; und welcher Philosoph erscheint nicht, sooft wir sie lesen, gering neben ihm? Und nicht nur im Glanz des öffentlichen Lebens und in den Augen seiner Mitbürger war er ein großer Mann, nein, noch vortrefflicher im inneren Kreis seiner Familie. Seien Unterhaltung: wie ausgezeichnet! wie trefflich sein Rat! Wie umfassend seine Kenntnis des Altertums! Wie große seine Wissenschaft im Augurenrecht! Auch viele gelehrte Kenntnisse besaß er, wie man sie nämlich von seinem Alter erwarten konnte. Sein Gedächtnis umfasst alle nicht nur einheimische sondern auch auswärtige Kriege. Seine Unterhaltung benutzte ich damals mit so viel Interesse, als ob ich schon geahnt hätte - was auch die Folge bestätigte - dass ich nach seinem Tod niemand mehr finden sollte, von dem ich so viel lernen könnte.
(V  13) quorsum igitur haec tam multa de Maximo? quia profecto videtis nefas esse dictu miseram fuisse talem senectutem. nec tamen omnes possunt esse Scipiones aut Maximi, ut urbium expugnationes, ut pedestres navalesque pugnas, ut bella a se gesta, ut triumphos recordentur. est etiam quiete et pure atque eleganter actae aetatis placida ac lenis senectus, qualem accepimus Platonis, qui uno et octogesimo anno scribens est mortuus, qualem Isocratis, qui eum librum, qui Panathenaicus inscribitur, quarto et nonagesimo anno scripsisse se dicit vixitque quinquennium postea; cuius magister Leontinus Gorgias centum et septem complevit annos neque umquam in suo studio atque opere cessavit. qui, cum ex eo quaereretur cur tam diu vellet esse in vita: 'nihil habeo', inquit, 'quod accusem senectutem.' praeclarum responsum et docto homine dignum. Wozu nun so viele Worte über Maximus? Wahrhaftig nur deshalb, weil ihr so einseht, dass es ein Frevel wäre, ein solches Alter unglücklich zu nennen. Freilich kann es nicht lauter Männer wie Scipio und Fabius geben die sich an Städteeroberungen, an Land- und Seeschlachten, an Kriege, die sie geführt haben, und an Triumphe erinnern können. Es kann aber auch auf ein in Ruhe, in schuldloser Reinheit und feiner Sitte geführtes Leben ein sanftes und ruhiges Alter folgen. Ein solches genoss, laut der Geschichte, Platon, der im einundachtzigsten Lebensjahr am Schreibtisch starb. So genoss es Isokrates, der seine Schrift mit dem Titel "Panathenaikos" nach eigener Versicherung in seinem vierundneunzigsten Lebensjahr schrieb und dann noch fünf Jahre lebte. Auch sein Lehrer Gorgias aus Leontinoi lebte volle hundertsieben Jahre, ohne je in seinem wissenschaftlichen Fleiß und in seiner Arbeitsamkeit nachzulassen. Als man ihn fragte, warum er so lange am Leben Gefallen finde, antwortete er: "Ich habe keinen Grund, mich über das Alter zu beschweren." Eine vortreffliche Antwort, eines gebildeten Mannes würdig!
( 14) sua enim vitia insipientes et suam culpam in senectutem conferunt; quod non faciebat is cuius modo mentionem feci, Ennius:
'Sicuti fortis equus spatio, qui saepe supremo
vicit Olympia, nunc senio confectus quiescit.'
equi fortis et victoris senectuti comparat suam. quem quidem probe meminisse potestis; anno enim undevicensimo post eius mortem hi consules T. Flamininus et M'. Acilius facti sunt, ille autem Caepione et Philippo iterum consulibus mortuus est, cum ego quinque et sexaginta annos natus legem Voconiam magna voce et bonis lateribus suasissem. annos septuaginta natus (tot enim vixit Ennius) ita ferebat duo, quae maxima putantur, onera, paupertatem et senectutem, ut eis paene delectari videretur.
Seine eigenen Fehler sind es, seine eigene Schuld, die der Tor dem Greisenalter aufbürdet. Nicht so der Mann, den ich eben erst erwänt habe, Ennius, der sagt:
'Wie ein mutiges Ross am Ziel der olympischen Rennbahn
Oft als Sieger gekrönt, jetzt aber vom Alter entkräftet.'
Er vergleicht hier mit dem Alter eines mutigen und siegreichen Pferdes sein eigenes Greisenalter. Ihr könnt euch seiner wohl noch erinnern; denn seit seinem Tod bis zur Wahl der gegenwärtigen Konsuln Titus Flamininus und Manius Acilius Balbus sind neunzehn Jahre verflossen. Er starb unter dem Konsulat des Caepio und unter dem zweiten Konsulat des Philippus, gerade damals, als ich in einem Alter von fünfundschszig Jahren den Voconischen Gesetzesvorschlag mit lauter Stimme und starker Brust empfahl. Ine einem Alter von siebzig Jahren - denn so alt wurde Ennius - ertrug er die zwei der gewöhnlichen Meinung nach drückendsten Lasten des Lebens, die Armut und das Alter, mit solchem Gleichmut, dass er sogar ein Wohlgefallen daran zu haben schien.
15: Übergang zur Abhandlung im besonderen. Partitio.
( 15) Etenim cum conplector animo, quattuor reperio causas, cur senectus misera videatur, unam, quod avocet a rebus gerendis, alteram, quod corpus faciat infirmius, tertiam, quod privet fere omnibus voluptatibus, quartam, quod haud procul absit a morte. earum, si placet, causarum, quanta quamque sit iusta una quaeque, videamus. Das Nachdenken führt mich auf vier Gründe, aus denen man das Alter für unglücklich hält:
erstens, weil es uns von der Tätigkeit abziehe;
zweitens, weil es den Körper entkräfte;
drittens, weil es uns fast aller Freuden beraube;
viertens, weil es nicht weit mehr vom Tod entfernt sei.
Wie gewichtig und wie gerecht jederdieser Gründe sei, wollen wir nun, wenn es gefällig ist, untersuchen.
Kap. VI—XX. Abhandlung im besonderen.
Kap. VI—VIII. Widerlegung des ersten Anklagepunktes.
(VI) A rebus gerendis senectus abstrahit. quibus? an iis, quae iuventute geruntur et viribus? nullaene igitur res sunt seniles, quae vel infirmis corporibus animo tamen administrentur? nihil ergo agebat Q. Maximus, nihil L. Paulus, pater tuus, socer optimi viri filii mei? ceteri senes, Fabricii Curii Coruncanii, cum rem publicam consilio et auctoritate defendebant, nihil agebant? "Von der Tätigkeit zeiht das Alter uns ab?" Von welcher denn? Von derjenigen etwa, die jugendliche Kraft erfordert? Demnach gäbe es für das Greisenalter keine Geschäfte, die auch bei schwachem Körper doch mit dem Geist verrichtet werden könnten? Quintus Maximus war also untätig? Untätig Lucius Paulus, dein Vater, Scipio, und der Schwiegervater des besten Mannes, meines Sohnes? Ferner andere Greise, ein Fabricius, ein Curius, ein Coruncanius, waren sie untätig, wenn sie den Staat durch ihren Rat und ihr Gewicht zu erhalten suchten?
( 16) ad Appi Claudi senectutem accedebat etiam, ut caecus esset; tamen is, cum sententia senatus inclinaret ad pacem cum Pyrrho foedusque faciendum, non dubitavit dicere illa, quae versibus persecutus est Ennius:
'Quo vobis mentes, rectae quae stare solebant
antehac, dementes sese flexere viai?'
ceteraque gravissime; notum enim vobis carmen est; et tamen ipsius Appi extat oratio. atque haec ille egit septimo decimo anno post alterum consulatum, cum inter duos consulatus anni decem interfuissent censorque ante superiorem consulatum fuisset; ex quo intellegitur Pyrrhi bello grandem sane fuisse; et tamen sic a patribus accepimus.
Bei dem Greis Appius Claudius kommt noch der Umstand in Betracht, dass er blind war; und doch war dieser Mann es, der einmal, als der Senat geneigt war, für den Abschluss eines Friedens und Bündnisses mit Pyrrhus zu stimmen, ohne Bedenken die Worte sprach, die Ennius in Versen auf folgende Weise ausgedrückt hat:
'Euer Gemüt, das sonst aufrecht und gerade zu stehen
Pflegte, wohin hat jetzt es sinnlos zum Fall sich gewendet?'
Und wie er sich noch weiter in den nachdrücklichsten Worten vernehmen lässt. Es ist euch ja das Gedicht bekannt; obgleich auch die Rede des Appius selbst noch vorhanden ist. Und eine solche Tätigkeit bewies dieser Mann siebzehn Jahre nach seinem Konsulat, nachdem zwischen dem ersten und zweiten zehn Jahre verstrichen, und er selbst vor seinem ersten Konsulat schon Censor gewesen war. Hieraus ersieht man, dass er im Krieg mit Pyrrhus hoch bejahrt war; und dennoch können unsere Väter solches von ihm erzählen.
( 17) nihil igitur adferunt, qui in re gerunda versari senectutem negant, similesque sunt, ut si qui gubernatorem in navigando nihil agere dicant, cum alii malos scandant, alii per foros cursent, alii sentinam exhauriant, ille autem clavum tenens quietus sedeat in puppi, non faciat ea, quae iuvenes, at vero multo maiora et meliora faciat. non viribus aut velocitate aut celeritate corporum res magnae geruntur, sed consilio auctoritate sententia; quibus non modo non orbari, sed etiam augeri senectus solet. Es ist also ein nichtiger Vorwurf, den man dem Alter macht, wenn man ihm die Tüchtigkeit abspricht; und es ist gerade, wie wenn man sagen wollte, ein Steuermann sei bei der Schifffahrt untätig; während andere auf den Mast klettern oder in den Schiffsgängen hin- und herlaufen oder das Bodenwasser ausschöpfen, halte er nur das Steuerruder und sitze ganz ruhig auf dem Hinterteil des Schiffes. Freilich arbeitet er nicht wie die jungen Männer, aber doch ist, was er tut, weit wichtiger und nützlicher. Denn nicht immer ist es die körperliche Stärke oder Schnelligkeit und Behändigkeit, die große Dinge ausführt, sondern die Klugheit, das persönliche Ansehen, das Gewicht der Stimme - Eigenschaften, die man im Alter nicht nur nicht verliert, sondern sogar in zunehmendem Maße gewinnt.
( 18) nisi forte ego vobis, qui et miles et tribunus et legatus et consul versatus sum in vario genere bellorum, cessare nunc videor, cum bella non gero; at senatui quae sint gerenda, praescribo et quo modo, Karthagini cum male iam diu cogitanti bellum multo ante denuntio; de qua vereri non ante desinam, quam illam excisam esse cognovero. Ich müsste denn selbst auch in euren Augen jetzt die Hände in den Schoß gelegt haben, weil ich keine Kriege mehr führe und doch als gemeiner Soldat, als Kriegsoberst und Legat, als Konsul so mancherlei Kriege mitgemacht habe. Doch ich schreibe dem Senat vor, was für Kriege und wie sie geführt werden sollen. Karthago aber, das schon lange auf Unheil sinnt, kündige ih den Krieg lange vorher schon an; und ich werde nicht aufhören, seinetwegen in Besorgnis zu leben, als bis ich erfahre habe, dass es zerstört ist.
( 19) quam palmam utinam di inmortales Scipio tibi reservent, ut avi reliquias persequare! cuius a morte tertius hic et tricesimus annus est, sed memoriam illius viri omnes excipient anni consequentes. anno ante me censorem mortuus est, novem annis post meum consulatum, cum consul iterum me consule creatus esset. num igitur, si ad centesimum annum vixisset, senectutis eum suae paeniteret? nec enim excursione nec saltu nec eminus hastis aut comminus gladiis uteretur, sed consilio ratione sententia. quae nisi essent in senibus, non summum consilium maiores nostri appellassent senatum. Möchten doch dir, lieber Scipio, die unsterblichen Götter diese Siegespalme vorbehalten haben, um das zu vollenden, was dein Großvater noch unvollendet zurückgelassen hat! Seit seinem Tod sind bereits dreiunddreißig Jahre verflossen, aber sein Andenken wird sich auf alle kommenden Jahre vererben; er starb ein Jahr vor meinem Censorenamt und neun Jahre nach meinem Konsulat, nachdem er unter meinem Konsulat zum zweitenmal Konsul geworden war. Hätte er nun hundert Jahre gelebt, wäre er wohl mit seinem Alter unzufrieden geworden? Mit Laufen, mit Springen, mit dem Lanzenwurf für die Ferne , mit dem Schwert für den Kampf in der Nähe würde er sich freilich nicht befassen, sondern Gebrauch machen von seinem klugen Rat, von seiner vernünftigen Überlegung, von seinem Urteil. Diese Vorzüge kommen dem Greis zu; sonst würden unsere Vorfahren ihr oberstes Ratskollegium nicht Senat (d.h. eine Versammlung der Alten) genannt haben.
( 20) apud Lacedaemonios quidem ii, qui amplissimum magistratum gerunt, ut sunt sic etiam nominantur senes. quodsi legere aut audire voletis externa, maximas res publicas ab adulescentibus labefactatas, a senibus sustentatas et restitutas
reperietis.
'Cedo, quí vestram rem públicam tantam ámisistis
tám cito?'
sic enim percontantibus in Naevi poetae
Ludo respondentur et alia et hoc in primis:
'provéniebant orátores noví, stulti adulescéntuli.'
temeritas est videlicet florentis aetatis, prudentia senescentis.
Bei den Lakedaimoniern wenigstens werden die Männer, die das höchste Staatsamt bekleiden, Greise (γέροντες) genannt, was sie auch wirklich sind. Wollt ihr die Geschichte des Auslandes lesen oder hören, so werdet ihr auf Beispiele kommen, wo die größten Staaten von jungen Menschen erschüttert, von alten Männern hingegen aufrecht erhalten und wieder hergestellt wurden.
'Sagt an, wie habt ihr euern Staat, so mächtig einst, so schnell verloren?'
Mit dieser Frage tritt jemand in einem Schauspiel des Naevius auf. Es wird darauf unter anderem besonders Folgendes geantwortet:
'Neulinge drängten sich zum Staate, junge Toren'
Unbesonnenheit zeichnet nämlich das blühende Jugendalter aus, Klugheit das Greisenalter.
(VII  21) At memoria minuitur. credo, nisi eam exerceas, aut etiam si sis natura tardior. Themistocles omnium civium perceperat nomina; num igitur censetis eum, cum aetate processisset, qui Aristides esset, Lysimachum salutare solitum? equidem non modo eos novi, qui sunt, sed eorum patres etiam et avos nec sepulcra legens vereor, quod aiunt, ne memoriam perdam; his enim ipsis legendis in memoriam redeo mortuorum. nec vero quemquam senem audivi oblitum quo loco thesaurum obruisset; omnia, quae curant meminerunt, vadimonia constituta, qui sibi, cui ipsi debeant. "Aber das Gedächtnis nimmt ab." Ich glaube es wohl, wenn man es nicht übt, und wenn man von Natur langsamen Geistes ist. Themistokles hatte sich die Namen aller seiner Mitbürger gemerkt. Glaubt ihr nun, dass er in seinem späteren Alter den Aristeides unter dem Namen Lysimachos begrüßte? So kenne auch ich nicht bloß die jetzt lebenden Personen, sondern auch ihre Väter und Großväter habe ich gekannt. Auch fürchte ich nicht durch das Lesen ihrer Grabschriften, wie man gewöhnlcih behauptet, mein Gedächtnis zu verlieren. Denn eben das Lesen dieser Inschriften erinnert mich wieder an die Verstorbenen. Auch habe ich nie gehört, dass ein Greis den Ort vergessen hätte, an dem er einen Schatz vergraben hatte. Die Greise denken immer an das, was ihrer Sorge obliegt, an den Termin, an dem sie sich als Bürgen vor Gericht zu stellen haben, an ihre Schuldner und Gläubiger.
( 22) quid? iuris consulti, quid? pontifices, quid? augures, quid? philosophi senes quam multa meminerunt! manent ingenia senibus, modo permaneat studium et industria, neque ea solum in claris et honoratis viris, sed in vita etiam privata et quieta. Sophocles ad summam senectutem tragoedias fecit; quod propter studium cum rem neglegere familiarem videretur, a filiis in iudicium vocatus est, ut, quem ad modum nostro more male rem gerentibus patribus bonis interdici solet, sic illum quasi desipientem a re familiari removerent iudices. tum senex dicitur eam fabulam, quam in manibus habebat et proxime scripserat, Oedipum Coloneum, recitasse iudicibus quaesisseque, num illud carmen desipientis videretur. quo recitato sententiis iudicum est liberatus. Und wie nun Rechtsgelehrte, Oberpriester, Auguren, alte Philosophen? Welch ein reiches Gedächtnis haben sie! Die Geisteskräfte bleiben dem Greisenalter, wenn sch nur das Studium und die Tätigkeit fort erhält; und zwar ist dies nicht bloß der Fall bei berühmten und in Ehrenämtern stehenden Männern, sondern auch im stillen und ruhigen Privatleben. Sophokles hat bis in sein höchstes Alter Tragödien gedichtet. Weil er nun aber, wie es den Anschein hatte, wegen dieser seiner Lieblingsbeschäftigung sein Hauswesen vernachlässigte, wurde er von seinen eigenen Söhnen in der Absicht vor Gericht gezogen, dass ihn die Richter als einen Blödsinnigen von der Verwaltung seines Vermögens ausschließen möchten; so wie denn auch nach unseren Gesetzen (lex de prodigis) jedem Vater, der schlecht wirtschaftet, die Verwaltung seiner Güter untersagt zu werden pflegt. Hier soll nun der Greis das Trauerspiel, das er gerade in der Hand und kurz vorher geschrieben hatte, den Richtern vorgelesen und gefragt haben, ob sie glaubten, dass ein solches Gedicht das Produkt eines Blödsinnigen sei. Die Folge war, dass er durch den Richterspruch freigesprochen wurde.
( 23) num igitur hunc, num Homerum Hesiodum Simonidem Stesichorum, num, quos ante dixi, Isocraten Gorgian, num philosophorum principes, Pythagoram Democritum, num Platonem, num Xenocraten, num postea Zenonem Cleanthem aut eum, quem vos etiam vidistis Romae, Diogenem Stoicum, coegit in suis studiis obmutescere senectus? an in omnibus his studiorum agitatio vitae aequalis fuit? age ut ista divina studia omittamus, possum nominare ex agro Sabino rusticos Romanos vicinos et familiares meos; Hat nun wohl das Greisenalter diesen Mann, hat es einen Homer, einen Hesiod, einen Simonides, einen Stesichoros, hat es den oben genannten Isokrates, Gorgias, hat es die ersten Philosophen, einen Protagoras, Demokritos, einen Platon, einen Xenokrates, hat es die später Lebenden, Zenon oder Kleanthes oder den Stoiker Diogenes, den auch ihr noch in Rom kanntet, genötigt, in ihren Studien zu verstummen? Kam nicht bei allen die wissenschaftliche Tätigkeit der Dauer ihres Lebens gleich? Doch um alle diese höheren Studien nicht weiter zu erwähnen, ich kann einige benachbarte römische Landsleute aus dem sabinischen Gebiet namhaft machen, die meine Freunde sind;
( 24) quibus absentibus numquam fere ulla in agro maiora opera fiunt, non serendis, non percipiendis, non condendis fructibus. quamquam in aliis minus hoc mirum est; nemo enim est tam senex, qui se annum non putet posse vivere; sed idem in eis elaborant, quae sciunt nihil ad se omnino pertinere:
'serit arbores, quae alteri saeculo prosint',
ut ait Statius noster in Synephebis.
in deren Abwesenheit wird nicht leicht eine bedeutendere Landarbeit vorgenommen, sei es nun, dass die Saat bestellt, oder das Getreide geerntet und in dem Speicher geborgen werden soll. Doch dürfen wir uns in Rücksicht auf diese Dinge weniger verwundern. Denn niemand ist so alt, dass er nicht noch ein Jahr zu leben gedächte; allein eben jene Leute bemühen sich auch noch um solche Dinge, die ihnen, wie sie wohl wissen, durchaus keinen Genuss mehr gewähren.
'Er pflanzt Bäume an, die erst der Nachwelt nützen,'
sagt unser Caecilius Statius in seinen Synepheben (Jugendfreunden).

( 25) nec vero dubitat agricola, quamvis sit senex, quaerenti, cui serat, respondere: 'dis inmortalibus, qui me non accipere modo haec a maioribus voluerunt, sed etiam posteris prodere.'

(VIII) et melius Caecilius de sene alteri saeculo prospiciente quam illud idem:

'Edepól senectus, sí nil quicquam aliúd viti
adpórtes tecum, cum ádvenis, unum íd sat est,
quod díu vivendo múlta, quae non vólt, videt.'
et multa fortasse, quae volt! atque in ea, quae non volt, saepe etiam adulescentia incurrit. Illud vero idem Caecilius vitiosius:
'Tum equidem ín senecta hoc députo misérrimum,
sentíre ea aetate éumpse esse odiosum álteri.'
iucundum potius quam odiosum.

Ja, jeder Landmann darf, wenn er auch noch so alt ist, auf die Frage, für wen er pflanze, ohne Bedenken antworten: "Für die unsterblichen Götter, deren Wille es war, dass ich diese Güter nicht nur von den Vorfahren ererben, sondern sie auch meinen Nachkommen überliefern sollte.

Treffender war die obige Bemerkung des Caecilius (Statius) über den Greis, der fürs nächste Jahrhundert sorgen will, als folgende Äußerung des selben Dichters:
'Fürwahr und brächtest du, o Greisenalter,
Sonst kein Gebrechen mit, wenn du dich nahst:
So wäre eines schon genug, dass langes Leben
Gar vieles uns erleben lässt, was man nicht wünscht.'
Aber vielleicht auch vieles, was man wünscht; muss ja doch auch das jüngere Alter auf manche unangenehme Erfahrung stoßen. Noch unrichtiger ist aber folgende Äußerung des selben Caecilius (Statius):
'Dann halt ich das im Alter für das Traurigste,
Zu fühlen, dass man andern lästig ist..'
Im Gegneteil mehr angenehm als lästig!
( 26) ut enim adulescentibus bona indole praeditis sapientes senes delectantur leviorque fit senectus eorum, qui a iuventute coluntur et diliguntur, sic adulescentes senum praeceptis gaudent, quibus ad virtutum studia ducuntur; nec minus intellego me vobis quam mihi vos esse iucundos. sed videtis, ut senectus non modo languida atque iners non sit, verum etiam sit operosa et semper agens aliquid et moliens, tale scilicet, quale cuiusque studium in superiore vita fuit. quid? qui etiam addiscunt aliquid? ut et Solonem versibus gloriantem videmus, qui se cotidie aliquid addiscentem dicit senem fieri, et ego feci, qui litteras Graecas senex didici; quas quidem sic avide arripui, quasi diuturnam sitim explere cupiens, ut ea ipsa mihi nota essent, quibus me nunc exemplis uti videtis. quod cum fecisse Socratem in fidibus audirem, vellem equidem etiam illud (discebant enim fidibus antiqui), sed in litteris certe elaboravi. Denn so wie verständige Greise an jungen Männern mit guten Anlagen ihre Freude finden und ihr Alter dadurch erleichtert fühlen, wenn sie von der Jugend geehrt und geliebt werden, so lassen sich jüngere Leute gern von den Alten belehren, wodurch sie zum Tugendfleiß angeleitet werden. Wenigstens bemerke ich, dass ihr ebenso viel Gefallen an mir findet, wie ich an euch. Doch ihr seht, wie das Alter nicht nur nicht träge und arbeitsscheu, sondern sogar sehr geschäftig, tätig und unternehmend ist, je nachdem der Gegenstand beschaffen ist, dem man in früheren Jahren seinen Fleiß widmete. Ja die Greise bereichern sich sogar mit neuen Kenntnissen. So rühmte sich z.B., wie wir wissen, Solon in Versen, während er altere, lerne er täglich mehr. Ebenso war es bei mir. Noch in meinem Alter studierte ich die griechische Literatur, und diese ergriff mich mit solcher Gier, wie wenn ich einen langwierigen Durst stillen wollte. Dorther wurde mir das bekannt, was ich euch beispielsweise jetzt anführe. So hörte ich, Sokrates habe erst im Alter das Saitenspiel gelernt; ich wünschte, dies wäre auch bei mir der Fall gewesen. Denn die Alten lernten das Saitenspiel. Indessen habe ich doch wenigstens wissenschaftliche Kenntnisse mir mit allem Fleiß zu erwerben gesucht.
Kap. IX—XI: Widerlegung des zweiten Anklagepunktes.
(IX  27) Nec nunc quidem vires desidero adulescentis (is enim erat locus alter de vitiis senectutis), non plus quam adulescens tauri aut elephanti desiderabam. quod est, eo decet uti et, quicquid agas, agere pro viribus. quae enim vox potest esse contemptior quam Milonis Crotoniatae? qui cum iam senex esset athletasque se exercentes in curriculo videret, aspexisse lacertos suos dicitur inlacrimansque dixisse: 'at hi quidem mortui iam sunt.' non vero tam isti, quam tu ipse nugator! neque enim ex te umquam es nobilitatus, sed ex lateribus et lacertis tuis. nihil Sex. Aelius tale, nihil multis annis ante Ti. Coruncanius, nihil modo P. Crassus, a quibus iura civibus praescribebantur; quorum usque ad extremum spiritum est provecta prudentia. Auch mein jetziges Alter lässt mich (dies war der zweite Punkt, den man dem Alter zur Last legte) die jugendlichen Kräfte ebenso wenig vermissen, wie ich in meinen jungen Jahren die Stärke eines Stiers oder eines Elefanten vermisste. Was du hast, das sollst du nützen, und was du tust, das tu nach Kräften! Gibt es wohl etwas Verächtlicheres als die Äußerung des Milon von Kroton? Dieser soll als ein schon bejahrter Greis, als er die Wettkämpfer sich auf der Rennbahn üben sah, beim Anblick seiner Arme unter Tränen gesagt haben: "Ach! Diese sind ja schon abgestorben! Mitnichten! Weniger diese als du selbst, erbärmlicher Mensch! Denn nie hat dich dein eigenes Verdienst berühmt gemacht, sondern nur deine Hüfte und Arme. Fern war von solchen Äußerungen ein Sextus Aelius, ein Tiberius Coruncanius, der viele Jahre früher lebte, und der vor kurzem noch lebende Publius Crassus, lauter Männer, die ihren Mitbürgern Gesetze vorschrieben und bis zum letzten Atemzug ihre Wissenschaft erweiterten.
( 28) orator metuo ne languescat senectute; est enim munus eius non ingenii solum, sed laterum etiam et virium. omnino canorum illud in voce splendescit etiam nescio quo pacto in senectute, quod equidem adhuc non amisi, et videtis annos; sed tamen est decorus senis sermo quietus et remissus facitque persaepe ipsa sibi audientiam diserti senis cocta et mitis oratio. quam si ipse exequi nequeas, possis tamen Scipioni praecipere et Laelio. quid enim est iucundius senectute stipata studiis iuventutis? Nur der Redner, befürchte ich, möchte im Alter ermatten. Sein Beruf erfordert nicht allein Geisteskraft, sondern auch eine gute Brust und körperliche Stärke. Im ganzen tritt aber doch im Alter jene Helltönigkeit der Stimme auf eine mir unerklärliche Weise glänzend hervor; ich wenigstens habe es noch nicht verloren, und ihr kennt meine Jahre. Aber auch abgesehen davon ist gleichwohl die ruhige und gelassene Rede des Greises voll Würde, und oft schon hat der zierliche und sanfte Vortrag eines beredten Greises sich ein geneigtes Gehör verschafft. Und ist man auch nicht mehr imstande, dies zu leisten, so kann man doch einem Scipio und Laelius Unterricht in dieser Kunst erteilen.
( 29) an ne tales quidem vires senectuti relinquemus, ut adulescentes doceat, instituat, ad omne officii munus instruat? quo quidem opere quid potest esse praeclarius? mihi vero et Cn. et P. Scipiones et avi tui duo L. Aemilius et P. Africanus comitatu nobilium iuvenum fortunati videbantur nec ulli bonarum artium magistri non beati putandi, quamvis consenuerint vires atque defecerint. etsi ipsa ista defectio virium adulescentiae vitiis efficitur saepius quam senectutis; libidinosa enim et intemperans adulescentia effetum corpus tradit senectuti. Was ist wohl wonniger, als einen Greis zu sehen, umgeben von einem Kreis lernbegieriger Jünglinge! Oder wollen wir dem Alter nicht einmal so viel Kraft einräumen, Jünglinge zu belehren, zu unterweisen und zu jeder Berufspflicht anzuleiten? Und welches Geschäft kann rühmlicher sein? Ich jedenfalls schätzte den Gnaeus und Publius Scipio und deine beiden Großväter, den Lucius Aemilius und Publius Africanus glücklich im Geleit edler Jünglinge; und überhaupt ist jeder Lehrer der edleren Künste für glücklich zu achten, wenngleich das Alter seine Kräfte abgezehrt und geschwächt hat; wiewohl jene Abnahme der Kräfte selbst noch öfter eine Folge der Jugendsünden als der Gebrechen des Alters ist. Denn eine wollüstige und ausschweifende Jugend bringt einen ausgemergelten Körper ins Alter herüber.
( 30) Cyrus quidem apud Xenophontem eo sermone, quem moriens habuit, cum admodum senex esset, negat se umquam sensisse senectutem suam imbecilliorem factam, quam adulescentia fuisset. ego L. Metellum memini puer, qui cum quadriennio post alterum consulatum pontifex maximus factus esset, viginti et duos annos ei sacerdotio praefuit, ita bonis esse viribus extremo tempore aetatis, ut adulescentiam non requireret. nihil necesse est mihi de me ipso dicere, quamquam est id quidem senile aetatique nostrae conceditur. Kyros wenigstens erklärt in jener Rede bei Xenophon, die er als ein schon sehr bejahrter Greis auf dem Sterbebett hielt, er habe sich in seinem Greisenalter nie schwächer gefühlt, als er in seiner Jugend gewesen sei. Ich erinnere mich noch aus meinen Knabenjahren an Lucius Metellus, der vier Jahre nach seinem zweiten Konsulat Oberpriester geworden war und zweiundzwanzig Jahre diesem Priesteramt vorstand. Dieser Mann war in der letzten Zeit seines Lebens noch so gut bei Kräften, dass er sich nicht nach seiner Jugend zurücksehnte. Ich habe es nicht nötig, mich auf mich selbst hier zu berufen, wiewohl dies dem Greis eigen ist und unseren Jahren zugute gehalten wird.
(X  31) videtisne, ut apud Homerum saepissime Nestor de virtutibus suis praedicet? iam enim tertiam aetatem hominum videbat nec erat ei verendum ne vera praedicans de se nimis videretur aut insolens aut loquax. etenim, ut ait Homerus, 'ex eius lingua melle dulcior fluebat oratio', quam ad suavitatem nullis egebat corporis viribus. et tamen dux ille Graeciae nusquam optat, ut Aiacis similes habeat decem, sed ut Nestoris; quod si sibi acciderit, non dubitat, quin brevi sit Troia peritura. Ihr wisst, wie oft Nestor bei Homer sich seiner Vorzüge rühmt. Er hatte schon das dritte Menschenalter erlebt und musste nicht befürchten, wenn er wahre Vorzüge von sich rühmte, für unbescheiden oder geschwätzig gehalten zu werden. Denn es floss ihm, wie Homer sagt (Hom.Il.1,249), die Rede süßer als Honig vom Munde; und zu dieser Lieblichkeit bedurfte es keiner körperlichen Kraft. Gleichwohl wünschte der Anführer Griechenlands (Agamemnon) nirgends zehn Helden wie Aias, wohl aber wie Nestor zu haben. Im letzteren Fall zweifelt er nicht, dass Troia in kurzem untergehen werde.
( 32) sed redeo ad me. quartum ago annum et octogesimum; vellem equidem idem possem gloriari, quod Cyrus, sed tamen hoc queo dicere, non me quidem iis esse viribus, quibus aut miles bello Punico aut quaestor eodem bello aut consul in Hispania fuerim aut quadriennio post, cum tribunus militaris depugnavi apud Thermopylas M'. Glabrione consule, sed tamen, ut vos videtis, non plane me enervavit, non adflixit senectus, non curia vires meas desiderat, non rostra, non amici, non clientes, non hospites. nec enim umquam sum adsensus veteri illi laudatoque proverbio, quod monet 'mature fieri senem, si diu velis senex esse.' ego vero me minus diu senem esse mallem, quam esse senem, ante quam essem. itaque nemo adhuc convenire me voluit, cui fuerim occupatus. Doch ich komme wieder auf mich zurück. Ich stehe jetzt in meinem vierundachtzigsten Lebensjahr und ich wünsche, ein Gleiches wie Kyros von mir rühmen zu können. Zwar kann ich von mir nicht sagen, dass ich noch die selben Kräfte habe, die ich als Soldat und Quästor im Punischen Krieg oder als Konsul in Spanien oder vier Jahre nachher noch hatte, als ich als Kriegsoberst unter dem Κonsul Manius Acilius Glabrio bei Thermopylai mutig kämpfte; doch darf ich versichern, dass mich das Greisenalter, wie ihr seht, nicht ganz entkräftet und gebeugt hat. Die Kurie, die Rednerbühne vermissen meine Kräfte ebenso wenig wie meine Freunde, Schutzgenossen und Gastfreunde. Nie stimmte ich in jenes alte und gepriesene Sprichwort ein, das lehrt, man müsse frühzeitig alte werden, wenn man lange alt bleiben wolle. Ich für meinen Teil möchte lieber nicht so lange alt sein, als es vor der Zeit werden. Denn noch niemand hat sich an mich gewendet, für den ich zu sehr beschäftigt gewesen wäre.
( 33) at minus habeo virium quam vestrum utervis. ne vos quidem T. Ponti centurionis vires habetis; num idcirco est ille praestantior? moderatio modo virium adsit et tantum, quantum potest quisque nitatur; ne ille non magno desiderio tenebitur virium.
Olympiae per stadium ingressus esse Milo dicitur, cum humeris sustineret bovem. utrum igitur has corporis an Pythagorae tibi malis vires ingenii dari? denique isto bono utare, dum adsit, cum absit, ne requiras, nisi forte adulescentes pueritiam, paulum aetate progressi adulescentiam debent requirere.
cursus est certus aetatis et una via naturae eaque simplex suaque cuique parti aetatis tempestivitas est data, ut et infirmitas puerorum et ferocitas iuvenum et gravitas iam constantis aetatis et senectutis maturitas naturale quiddam habeat, quod suo tempore percipi debeat.
"Aber ich habe doch nicht so viele Kräfte, wie einer von euch beiden." Nicht einmal ihr habt die Kräfte des Hauptmanns Titus Pontius. Ist dieser darum vorzüglicher als ihr? Nein, wenn auch die Natur nur mäßige Körperkräfte verliehen haben sollte und man sich nur so viel anstrengt, wie man vermag, wird man dann keine große Sehnsucht nach mehr Kräften fühlen.
In Olympia soll Milon mit einem lebendigen Stier auf den Schultern durch die Rennbahn gelaufen sein. Sollte man sich deswegen lieber Milons Körperstärke als des Pythagoras Geisteskraft wünschen? Kurz, gebrauche jene Gabe der Natur, so lange du sie hast; hast du sie nicht mehr, so sollst du sie auch nicht vermissen; es wäre denn, dass Jünglinge ihr Knabenalter , die im Alter ein wenig Vorgerückten aber das Jünglingsalter sich zurückwünschen müssten.
Das Lebensalter hat seine bestimmte Laufbahn, und der Weg der Natur ist nur einer, und zwar ein einfacher. Einem jeden Abschnitt des Lebens ist seine eigene zeitliche Bestimmung gesetzt; die Schwäche des Knaben, die wildtrotzende Kraft des Jünglings, der Ernst des schon gesetzten Alters und die Reife des höheren Alters ist etwas Naturgemäßes, was zu seiner Zeit benutzt werden muss.
( 34) audire te arbitror Scipio, hospes tuus avitus Masinissa quae faciat hodie nonaginta natus annos; cum ingressus iter pedibus sit, in equum omnino non ascendere, cum autem equo, ex equo non descendere, nullo imbri, nullo frigore adduci, ut capite operto sit, summam esse in eo siccitatem corporis, itaque omnia exequi regis officia et munera. potest igitur exercitatio et temperantia etiam in senectute conservare aliquid pristini roboris.
(XI) Non sunt in senectute vires. ne postulantur quidem vires a senectute. ergo et legibus et institutis vacat aetas nostra muneribus iis, quae non possunt sine viribus sustineri. itaque non modo, quod non possumus, sed ne quantum possumus quidem cogimur.
Du wirst doch wohl, mein Scipio, schon gehört haben, wie es deines Großvaters Gastfreund Masinissa noch heute in seinem neunzigsten Jahr zu halten pflegt. Wenn er den Weg zu Fuß antritt (so hört man), besteigt er nie ein Pferd; wenn zu Pferd, so steigt er nie ab; kein Platzregen, keine Kälte kann ihn bewegen, sein Haupt zu bedecken; er hat einen außerordentlich trockenen Körper; daher kann er alle Berufsgeschäfte eines Königs verrichten. So vermag also Übung und Enthaltsamkeit selbst im Alter etwas von der vorigen Stärke erhalten.
"Das Alter soll keine Kräfte haben." Man verlangt aber auch keine Kräfte vom Alter. Deshalb ist das Alter nach Gesetz und Herkommen von denjenigen Geschäften frei, deren Übernahme notwendig Kräfte voraussetzt. Man zwingt uns nicht zu dem, was wir nicht zu tun vermögen, ja nicht einmal so viel zu tun, wie unsere Kräfte vermögen.
( 35) at multi ita sunt inbecilli senes, ut nullum officii aut omnino vitae munus exsequi possint. at id quidem non proprium senectutis vitium est, sed commune valetudinis. quam fuit inbecillus P. Africani filius is, qui te adoptavit, quam tenui aut nulla potius valetudine! quod ni ita fuisset, alterum illud extitisset lumen civitatis; ad paternam enim magnitudinem animi doctrina uberior accesserat. quid mirum igitur in senibus, si infirmi sint aliquando, cum id ne adulescentes quidem effugere possint? resistendum Laeli et Scipio senectuti est eiusque vitia diligentia compensanda sunt; pugnandum tamquam contra morbum sic contra senectutem, "Aber es gibt doch viele Greise, die so schwächlich sind, dass sie kein Geschäft des Berufs oder überhaupt des Lebens mehr zu verrichten im Stande sind." Allein, dies ist ein Fehler der dem Greisenalter nicht eigentümlich zukommt; er liegt gewöhnlich in den Gesundheitsumständen. Wie schwächlich war z.B. jener Sohn des Publius Africanus, der dich an Kindesstatt angenommen! Wie zart, ja wie vernichtet war seine Gesundheit! Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätten wir in ihm ein zweites Licht des Staates gesehen. Denn zu der Geistesgröße seines Vaters hatte sich bei ihm ein größerer Reichtum wissenschaftlicher Bildung gesellt. Wie kann es daher als eine auffallende Erscheinung gelten, wenn Greise hie und da schwächlich sind, da selbst Jünglinge diesem Übel nicht entgehen können? Widerstand muss man dem Alter entgegensetzen, mein Laelius und Scipio, und durch Sorgfältige Pflege der Gesundheit versuchen, seine Gebrechen wettzumachen. Kämpfen muss man gegen das Alter wie gegen eine Krankhheit.
( 36) habenda ratio valetudinis, utendum exercitationibus modicis, tantum cibi et potionis adhibendum, ut reficiantur vires, non opprimantur. nec vero corpori solum subveniendum est, sed menti atque animo multo magis; nam haec quoque, nisi tamquam lumini oleum instilles, extinguuntur senectute. et corpora quidem exercitationum defatigatione ingravescunt, animi autem se exercendo levantur. nam quos ait Caecilius 'comicos stultos senes', hos significat credulos obliviosos dissolutos, quae vitia sunt non senectutis, sed inertis ignavae somniculosae senectutis. ut petulantia, ut lubido magis est adulescentium quam senum nec tamen omnium adulescentium, sed non proborum, sic ista senilis stultitia, quae deliratio appellari solet, senum levium est, non omnium. Man muss eine geregelte Sorgfalt seiner Gesundheit widmen; mäßig müssen die Leibesübungen sein; nur so viel Speise und Trank darf man zu sich nehmen, dass die Kräfte dadurch ersetzt, nicht aber unterdrückt werden. Man darf aber auch nicht bloß dem Körper allein zu Hilfe kommen, sondern weit mehr noch dem Geist und der Seele. Denn auch die Geisteskräfte erlöschen im Alter, wenn man nicht, wie bei einer Lampe, Öl zugießt. Der Körper ermattet durch Anstrengung; die geistige Tätigkeit hingegen wird durch Übung erleichtert. Denn unter jenen Greisen, die Caecilius in der Komödie als närrische Alte aufführt, versteht er leichtgläubige, vergessliche und unordentliche Menschen, Fehler, die nicht dem Greisenalter überhaupt, sondern nur dem untätigen, trägen und schläfrigen Greisenalter zukommen. So wie Ungezogenheit, so wie Leidenschaftlichkeit mehr bei jungen als bei alten Leuten, aber auch in diesem Fall nicht bei allen jungen Leuten, sondern bloß bei schlechten sich findet, ebenso ist auch die Albernheit des Alters, die man gewöhnlich Wahnwitz nennt, nicht allen, sondern nur leichtsinnigen Greisen zu eigen.
( 37) quattuor robustos filios, quinque filias, tantam domum, tantas clientelas Appius regebat et caecus et senex; intentum enim animum tamquam arcum habebat nec languescens succumbebat senectuti; tenebat non modo auctoritatem, sed etiam imperium in suos, metuebant servi, verebantur liberi, carum omnes habebant; vigebat in illa domo mos patrius disciplina. Vier kräftige Söhne, fünf Töchter, ein so großes Haus, eine so zahlreiche Schutzgenossenschaft regierte Appius als ein alter und noch dazu blinder Mann. Seine Geisteskraft war stets wie ein Bogen gespannt, ohne ermattend dem Greisenalter zu erliegen. Er behauptete nicht bloß sein Ansehen, sondern auch die Herrschaft über die Seinigen. Ihn fürchteten seine Sklaven, ehrten seine Kinder; alle hatten ihn lieb; und in seinem Haus blühte noch der Geist alter väterlicher Zucht und Sitte.
( 38) ita enim senectus honesta est, si se ipsa defendit, si ius suum retinet, si nemini emancipata est, si usque ad ultimum spiritum dominatur in suos. ut enim adulescentem, in quo est senile aliquid, sic senem, in quo est aliquid adulescentis, probo; quod qui sequitur corpore senex esse poterit, animo numquam erit. Septimus mihi liber Originum est in manibus, omnia antiquitatis monumenta colligo, causarum inlustrium, quascumque defendi, nunc cum maxime conficio orationes, ius augurium pontificium civile tracto, multum etiam Graecis litteris utor Pythagoreorumque more exercendae memoriae gratia, quid quoque die dixerim audierim egerim, commemoro vesperi. haec sunt exercitationes ingenii, haec curricula mentis, in his desudans atque elaborans corporis vires non magno opere desidero. adsum amicis, venio in senatum frequens ultroque adfero res multum et diu cogitatas easque tueor animi, non corporis viribus. quae si exequi nequirem, tamen me lectulus meus oblectaret ea ipsa cogitantem, quae iam agere non possem; sed ut possim, facit acta vita. semper enim in his studiis laboribusque viventi non intellegitur quando obrepat senectus. ita sensim sine sensu aetas senescit nec subito frangitur, sed diuturnitate extinguitur. Denn das Greisenalter hat nur unter der Bedingung Achtung, wenn es sich selbst schützt, wenn es sein Recht behauptet, wenn es sich niemandes Gewalt überlassen hat, wenn es bis zum letzten Lebenshauch die Gewalt über die Seinigen behauptet. So wie ich den Jüngling lobe, der schon etwas Greisenhaftes an sich trägt, so lobe ich auch den Greis, bei dem sich noch Spuren des jugendlichen Lebens zeigen. Wer dies zu erreichen sucht, der kann wohl dem Körper nach ein Greis werden, dem Geiste nach wird er es nie sein. Ich habe jetzt das siebte Buch meiner Urgeschichte unter den Händen; alle Denkwürdigkeiten des Altertums sammle ich; über alle Rechtshändel, in denen ich je den Anwalt gemacht habe, schreibe ich jetzt aufs sorgfältigste die Reden nieder. Ich bearbeite das Recht der Auguren, der Oberpriester und das bürgerliche Recht; auch beschäftige ich mich viel mit griechischer Literatur, und nach der Weise der Pythagoreer wiederhole ich jeden Abend, um mein Gedächtnis zu üben, was ich den Tag über gesprochen, gehört und getan habe. Das sind Übungen des Verstandes, das ist die Bahn, die der Geist durchläuft. Indem ich diesen Beschäftigungen Schweiß und Mühe opfere, vermisse ich nicht sonderlich die körperlichen Kräfte. Ich diene meinen Freunden vor Gericht als Beistand; ich komme fleißig in den Senat; ich trage unaufgefordert Gegenstände vor, die ich sorgfältig und lange überdacht habe, und meine Geisteskraft, nicht meine Körperkraft verteidigt dann meine Ansichten. Und wenn ich auch Geschäfte dieser Art nicht mehr verrichten könnte, so würde mich doch auf meinem Ruhebett schon der Gedanke an das ergötzen, was ich jetzt nicht mehr zu tun imstande wäre; dass ich es aber jetzt noch tun kann, verdanke ich meinem früheren Leben. Denn wer in solchen Beschäftigungen und Arbeiten fortlebt, bemerkt es gar nicht, wenn das Alter ihn beschleicht. So wird das Lebensalter allmählich und unbewusst zum Greisenalter und es wird nicht auf einmal gewaltsam abgebrochen, sondern es erlischt mit der Länge der Zeit.
(XII  39) Sequitur tertia vituperatio senectutis, quod eam carere dicunt voluptatibus. o praeclarum munus aetatis, siquidem id aufert a nobis, quod est in adulescentia vitiosissimum! accipite enim optimi adulescentes veterem orationem Archytae Tarentini, magni in primis et praeclari viri, quae mihi tradita est, cum essem adulescens Tarenti cum Q. Maximo. nullam capitaliorem pestem quam voluptatem corporis hominibus dicebat a natura datam, cuius voluptatis avidae libidines temere et effrenate ad potiundum incitarentur. Nun folgt der dritte Vorwurf gegen das hohe Alter, "dass es nämlich der sinnlichen Vergnügungen entbehren müsse." O edles Geschenk des Greisenalters, wenn es uns das nimmt, was ein großes Gebrechen der Jugend ist! So vernehmt denn, ihr trefflichen jungen Männer, die alte Rede des Tarentiners Archytas, eines vorzüglich großen und ausgezeichneten Mannes. Ich gebe sie so, wie sie mir erzählt wurde, als ich in meinen jüngeren Jahren mit Quintus Fabius Maximus in Tarent war: "Nichts von allem," sagte er, "was die Natur dem Menschen verliehen hat, kann zu einem tödlicheren Verderben ausarten als die Sinnlichkeit: ihre gierigen Triebe reizen blindlings und zügellos zum Genuss.
( 40) hinc patriae proditiones, hinc rerum publicarum eversiones, hinc cum hostibus clandestina colloquia nasci, nullum denique scelus, nullum malum facinus esse, ad quod suscipiendum non lubido voluptatis inpelleret, stupra vero et adulteria et omne tale flagitium nullis excitari aliis inlecebris nisi voluptatis; cumque homini sive natura sive quis deus nihil mente praestabilius dedisset, huic divino muneri ac dono nihil tam esse inimicum quam voluptatem; Aus dieser Quelle entstehen Hochverrat, Staatsumwälzungen, heimliche Besprechungen mit dem Feind; kurz, es gibt kein Verbrechen, keine Übeltat, zu der die sinnlichen Begierden nicht die Antriebe darböten. Unzucht, Ehebruch und alle dergleichen Verbrechen entstehen durch keinen anderen Reiz als den der Sinnlichkeit. Während die Natur oder eine Gottheit dem Menschen nichts Edleres verliehen hat als die Vernunft, gibt es keinen größeren Feind dieses göttlichen Gnadengeschenks als die Sinnlichkeit.
( 41) nec enim lubidine dominante temperantiae locum esse neque omnino in voluptatis regno virtutem posse consistere. quod quo magis intellegi posset, fingere animo iubebat tanta incitatum aliquem voluptate corporis, quanta percipi posset maxima; nemini censebat fore dubium, quin tam diu, dum ita gauderet, nihil agitare mente, nihil ratione nihil cogitatione consequi posset. quocirca nihil esse tam detestabile tamque pestiferum quam voluptatem, siquidem ea, cum maior esset atque longior, omne animi lumen extingueret.
haec cum C. Pontio Samnite, patre eius, a quo Caudino proelio Sp. Postumius T. Veturius consules superati sunt, locutum Archytam Nearchus Tarentinus hospes noster, qui in amicitia populi Romani permanserat, se a maioribus natu accepisse dicebat, cum quidem ei sermoni interfuisset Plato Atheniensis, quem Tarentum venisse L. Camillo Ap. Claudio consulibus reperio.
Wo diese vorherrscht, da hört die Mäßigung auf, und im Reiche der Sinnlichkeit kann die Tugend überhaupt nicht bestehen. Um aber dies noch besser einsehen zu können, stelle man sich einen Menschen vor, der von der denkbar höchsten Macht der Sinnlichkeit gereizt wird. Es wird niemand, glaube ich, daran zweifeln, dass er im Taumel dieses Genusses nichts mit Verstand überlegen, nichts mit Vernunft, nichts mit Nachdenken auffassen kann. Deswegen gibt es nichts so Verabscheuungswürdiges, nichts so Verderbliches als die Sinnlichkeit, da sie, wenn sie in zu hohem Grade und zu lange befriedigt wird, das Licht des Geistes ganz zum Erlöschen bringt."
Dies ist der Inhalt des Gesprächs, welches Archytas mit dem Samniten Gaius Pontius (Herennius), dem Vater jenes Mannes, von dem die Konsuln Spurius Postumius und Titus Veturius in der Schlacht bei Caudium besiegt wurden, führte. So erzählte es mir mein Gastfreund Nearchos aus Tarent, ein treuer Anhänger des römischen Volkes; er will es von älteren Personen so gehört haben. Auch Platon aus Athen soll bei dieser Unterredung zugegen gewesen sein, der, wie ich gefunden habe, unter dem Konsulat des Lucius Camillus und Appius Claudius nach Tarent gekommen war.
( 42) quorsus hoc? ut intellegeretis, si voluptatem aspernari ratione et sapientia non possemus, magnam habendam esse senectuti gratiam, quae efficeret, ut id non luberet, quod non oporteret. impedit enim consilium voluptas, rationi inimica est, mentis, ut ita dicam, praestringit oculos nec habet ullum cum virtute commercium. invitus feci, ut fortissimi viri T. Flaminini fratrem L. Flamininum e senatu eicerem septem annis post quam consul fuisset, sed notandam putavi libidinem. ille enim cum esset consul in Gallia, exoratus in convivio a scorto est, ut securi feriret aliquem eorum, qui in vinculis essent damnati rei capitalis. hic Tito fratre suo censore, qui proximus ante me fuerat, elapsus est; mihi vero et Flacco neutiquam probari potuit tam flagitiosa et tam perdita lubido, quae cum probro privato coniungeret imperii dedecus. Doch wozu führe ich dies an? Ich will euch bloß begreiflich machen, dass wir, wenn wir nicht mit Hilfe unserer Vernunft und Weisheit den Reiz der Sinnenlust zurückweisen könnten, dem Greisenalter dankbar sein müssten, weil wir ihm es zu danken hätten, dass uns nicht nach dem gelüstet, was sich nicht gehört. Denn die Sinnlichkeit steht em Verstand im Weg; sie ist eine Feindin der Vernunft und sie verblendet sozusagen die Augen unseres Geistes. Sie steht in gar keinem Verkehr mit der Tugend. So ungern ich es tat, musste ich doch Lucius Flamininus, den Bruder des sehr tapferen Titus Flamininus, sieben Jahre nach seinem Konsulat aus dem Senat stoßen; denn meiner Überzeugung nach verdiente die Ausschweifung eine Rüge. Als Konsul ließ er sich nämlich in Gallien bei einem Gastmahl von einer Dirne erbitten, einen von denen, die wegen peinlicher Vergehen verurteilt in Ketten lagen, zu enthaupten. Er entschlüpfte damals zwar unter dem Censorat seines Bruders Titus, der unmittelbar vor mir dieses Amt bekleidete, der Strafe; ich aber und Flaccus konnten eine so lasterhafte und verruchte Ausschweifung durchaus nicht gutheißen, da sie neben der persönlichen Beschimpfung noch die Entehrung des Amtes zur Folge hatte.
(XIII  43) saepe audivi e maioribus natu, qui se porro pueros e senibus audisse dicebant, mirari solitum C. Fabricium, quod, cum apud regem Pyrrhum legatus esset, audisset e Thessalo Cinea esse quendam Athenis, qui se sapientem profiteretur, eumque dicere omnia, quae faceremus, ad voluptatem esse referenda. quod ex eo audientes M'. Curium et Ti. Coruncanium optare solitos, ut id Samnitibus ipsique Pyrrho persuaderetur, quod facilius vinci possent, cum se voluptatibus dedissent. vixerat M'. Curius cum P. Decio, qui quinquennio ante eum consulem se pro re publica quarto consulatu devoverat; norat eundem Fabricius, norat Coruncanius; qui cum ex sua vita tum ex eius, quem dico, Deci facto iudicabant esse profecto aliquid natura pulchrum atque praeclarum, quod sua sponte peteretur quodque spreta et contempta voluptate optumus quisque sequeretur. Oft schon habe ich von älteren Personen gehört, und diese versicherten, es wieder in ihrer Jugend von alten Leuten gehört zu haben, Gaius Fabricius habe es befremdet, als er auf seinem Gesandtschaftsposten bei König Pyrrhus aus dem Mund des Thessaliers Kineas habe vernehmen müssen, es gebe in Athen einen Mann (Epikur), der sich für einen Philosophen ausgebe und dabei behaupte, alle Handlungen des Menschen müssten dass sinnliche Vergnügen zum Zweck haben. Als nun Manius Curius und Tiberius Coruncanius diesen Grundsatz aus dem Mund des Kineas vernahmen, sollen beide den Wunsch gehegt haben, dass man die Samniten und den Pyrrhus selbst davon überzeugen möchte, um sie um so leichter besiegen zu können, sobald sie sich der Sinnlichkeit hingegeben hätten. Manius Curius war ein Zeitgenosse des Publius Decius, der sich fünf Jahre vor dessen Konsulat, als er selbst sein viertes Konsulat bekleidete, zum Wohl des Staates dem Tod geweiht hatte. Es kannte ihn auch Fabricius, es kannte ihn Coruncanius. Und diese Männer gewannen teils aus den Erfahrungen ihres eigenen Lebens, teils aus der Tat des eben genannten Publius Decius die Ansicht, es gebe gewiss an und für sich etwas Schönes und Edles, das um seiner selbst willen gesucht werde und das gerade die edelsten Menschen unter Zurücksetzung und Geringschätzung der Sinnlichkeit zu erreichen suchten.
( 44) quorsus igitur tam multa de voluptate? quia non modo vituperatio nulla, sed etiam summa laus senectutis est, quod ea voluptates nullas magnopere desiderat. caret epulis extructisque mensis et frequentibus poculis, caret ergo etiam vinulentia et cruditate et insomniis. sed si aliquid dandum est voluptati, quoniam eius blanditiis non facile obsistimus (divine enim Plato 'escam malorum' appellat voluptatem, quod ea videlicet homines capiantur ut pisces), quamquam inmoderatis epulis caret senectus, modicis tamen conviviis delectari potest. C. Duellium M. f., qui Poenos classe primus vicerat, redeuntem a cena senem saepe videbam puer; delectabatur cereo funali et tibicine, quae sibi nullo exemplo privatus sumpserat; tantum licentiae dabat gloria. Wozu nun so viele Worte über das sinnliche Vergnügen? Um zu beweisen, dass es nicht nur kein Vorwurf, sondern sogar das größte Lobe für das Alter ist, wenn es kein sonderliches Verlangen nach irgend einem sinnlichen Vergnügen hegt.
"Aber es entbehrt doch der Schmausereien, der reichlich besetzten Tafeln und des wiederholt gefüllten Bechers." Nun, so entbehrt es auch der Trunkenheit, der Unverdaulichkeit und schweren Träume. Allein, wenn man auch der Sinnlichkeit etwas einräumen will, weil wir doch ihren Reizungen nicht leicht widerstehen können (denn überaus schön nennt Platon [Tim.69d] die Sinnlichkeit eine Lockspeise zum Bösen, weil die Menschen sich durch sie fangen lassen wie die Fische durch die Angel) - so kann sich doch das Alter, wenn ihm auch übermäßige Schmausereien versagt sind, doch bei mäßigen Mahlzeiten erfreuen. Oft sah ich als Knabe den Gaius Duellius, des Marcus Sohn, der das erste Seetreffen gegen die Punier gewann, in seinem Greisenalter vom Abendessen heimgehen. Er hatte dabei seine Freude am hellen Fackelschein und am Flötenspiel, eine Begleitung, die er sich als Privatmann ohne ein Vorbild herausgenommen hatte. So viel Freiheit gewährte ihm sein Ruhm.
( 45) sed quid ego alios? ad me ipsum iam revertar. primum habui semper sodales. sodalitates autem me quaestore constitutae sunt sacris Idaeis Magnae Matris acceptis. epulabar igitur cum sodalibus omnino modice, sed erat quidam fervor aetatis; qua progrediente omnia fiunt in dies mitiora. neque enim ipsorum conviviorum delectationem voluptatibus corporis magis quam coetu amicorum et sermonibus metiebar. bene enim maiores accubitionem epularem amicorum, quia vitae coniunctionem haberet, convivium nominaverunt melius quam Graeci, qui hoc idem tum compotationem tum concenationem vocant, ut, quod in eo genere minimum est, id maxime probare videantur. Doch was spreche ich von anderen? Ich will auf mich selbst zurückkommen. Anfänglich hatte ich immer Gesellschafter bei mir. Die heiligen Opferschmausbrüderschaften wurden unter meiner Quästur eingeführt, als der idäische Gottesdienst der Großen Mutter (Kybele) auch bei uns Aufnahme gefunden hatte. Da speiste ich denn mit meinen Tischgesellschaften ganz mäßig; aber ich hatte dabei noch ein gewisses Jugendfeuer, und mit den Fortschritten des Alters wird ja alles täglich sanfter. Denn mein Maßstab war hier nicht der sinnliche Genuss, sondern vielmehr der Umgang und die Unterhaltung mit meinen Freunden. Treffend nannten nun unsere Vorfahren das Tischgelage von Freunden, weil es eine Lebensvereinigung darbiete, ein Zusammenleben; passender als die Griechen, die den selben Begriff teils mit einem Zusammentrinken, teils mit einem Zusammenspeisen bezeichnen, so dass sie gerade auf das minder Wichtige der Sache den höchsten Wert zu legen scheinen.
(XIV  46) ego vero propter sermonis delectationem tempestivis quoque conviviis delector nec cum aequalibus solum, qui pauci admodum restant, sed cum vestra etiam aetate atque vobiscum habeoque senectuti magnam gratiam, quae mihi sermonis aviditatem auxit, potionis et cibi sustulit. quodsi quem etiam ista delectant (ne omnino bellum indixisse videar voluptati cuius est fortasse quidam naturalis modus), non intellego ne in istis quidem ipsis voluptatibus carere sensu senectutem. me vero et magisteria delectant a maioribus instituta et is sermo, qui more maiorum a summo adhibetur in poculo, et pocula sicut in Symposio Xenophontis est, minuta atque rorantia et refrigeratio aestate et vicissim aut sol aut ignis hibernus; quae quidem etiam in Sabinis persequi soleo conviviumque vicinorum cotidie compleo, quod ad multam noctem, quam maxime possumus, vario sermone producimus. Ja, meine Liebe zur Unterhaltung lässt mich noch jetzt an Schmausereien Vergnügen finden, und zwar nicht bloß mit meinen Amtsgenossen, von denen nur sehr wenige noch am Leben sind, sondern auch mit eurem Alter und besonders mit euch selbst ; und ich bin dem Greisenalter großen Dank schuldig, dass es bei mir, während die Begierde nach Unterhaltung zunahm, die Begierde nach Speise und Trank beinahe ganz aufgehoben hat. Doch wenn auch Leute daran Vergnügen finden (ich will nämlich nicht das Ansehen haben, als hätte ich überhaupt der Sinnlichkeit, zu der vielleicht in uns ein natürlicher Trieb liegt, den Krieg angekündigt), so sehe ich nicht ein, wie man dem Greisenalter die Empfindung für Freuden der Sinnlichkeit ganz absprechen könne. Mich wenigstens freut es, wenn man nach Art unserer Urväter Trinkkönige wählt, wenn man einen Spruch anführt, der nach der Sitte der Vorfahren beim Gelage von dem ausgeht, der den obersten Platz einnimmt; auch ergötzen mich die kleinen schäumenden Trinkbecher, wie sie in Xenophons Gastmahl (2,26) heißen, und die Abkühlungen im Sommer und dann wieder der Sonnenschein oder das Kaminfeuer im Winter. So pflege ich es dann auf meinem sabinischen Landgut zu halten; und dort besetze ich täglich eine Tafel mit eingeladenen Nachbarn, wo wir unter wechselnden Gesprächen das Mahl bis tief in die Nach verlängern.
( 47) at non est voluptatum tanta quasi titillatio in senibus. credo sed ne desideratur quidem; nihil autem est molestum, quod non desideres.
bene Sophocles, cum ex eo quidam iam adfecto aetate quaereret utereturne rebus veneriis: 'di meliora!' inquit; 'libenter vero istinc sicut ab domino agresti ac furioso profugi.' cupidis enim rerum talium odiosum fortasse et molestum est carere, satiatis vero et expletis iucundius est carere quam frui. quamquam non caret is, qui non desiderat; ergo hoc non desiderare dico esse iucundius.
"Aber es mögen doch die Greise keinen so starken Kitzel der Sinnlichkeit mehr in sich tragen." Ich glaube es wohl; sie haben aber auch kein Verlangen danach; und das Entbehren einer Sache, die man nicht vermisst, ist nicht lästig.
Treffend ist des Sophokles Antwort, als ihn jemand schon im geschwächten Zustand des Alters fragte, ob er noch sinnliche Liebe pflege: "Davor wollen mich die Götter bewahren;" sagte er, "gern bin ich aus der Sklaverei eines so rauhen und tyrannischen Herren entflohen!" Freilich Menschen, die nach solchen Dingen lüstern sind, ist vielleicht die Entbehrung lästig und verhasst; solchen aber, die schon gesättigt und befriedigt sind, ist die Entbehrung angenehmer als der Genuss. Eigentlich aber entbehrt derjenige nichts, der nichts vermisst. Demnach erkläre ich das Nichtvermissen solcher Freuden für angenehmer als ihren Genuss.
( 48) quodsi istis ipsis voluptatibus bona aetas fruitur libentius, primum parvulis fruitur rebus, ut diximus, deinde iis, quibus senectus etiamsi non abunde potitur, non omnino caret.
ut Turpione Ambivio magis delectatur, qui in prima cavea spectat, delectatur tamen etiam, qui in ultima, sic adulescentia voluptates propter intuens magis fortasse laetatur, sed delectatur etiam senectus procul eas spectans tantum, quantum sat est.
Doch wenn man auch in den guten Jahren diese Freuden lieber genießt, so genießt man erstens, wie gesagt, nur Freuden von keinem sonderlichen Wert; zweitens nur solche, die das Alter, wenn es sie auch nicht im Übermaß genießt, doch nicht ganz entbehrt.
So wie das Spiel des Turpio Ambivius den Zuschauern in der vorderen Loge mehr Vergnügen macht, die auf der hinteren aber doch auch ihr Vergnügen dabei haben, ebenso genießt die Jugend, die die Vergnügungen in der Nähe beschaut, vielleicht mehr Freude, während doch auch das Alter, obwohl es sie aus weiter Ferne betrachtet, sie noch zur Genüge genießbar findet.
( 49) at illa quanti sunt, animum tamquam emeritis stipendiis libidinis ambitionis contentionis inimicitiarum cupiditatum omnium secum esse secumque, ut dicitur, vivere! si vero habet aliquod tamquam pabulum studii atque doctrinae, nihil est otiosa senectute iucundius.
mori videbamus in studio dimetiendi paene caeli atque terrae C. Galum familiarem patris tui Scipio; quotiens illum lux noctu aliquid describere ingressum, quotiens nox oppressit, cum mane coepisset! quam delectabat eum defectiones solis et lunae multo ante nobis praedicere!
Aber wie unschätzbar ist es, dass die Seele, nachdem sie gleichsam die Dienstjahre der Sinnenlust, des Ehrgeizes, der Nebenbuhlerei, der Feindschaften, kurz aller Leidenschaften überstanden hat, nunmehr sich selbst angehört, und, wie man sagt, sich selber lebt! Und gewährt ihr vollends Fleiß und Gelehrsamkeit hinlänglich Nahrung, so ist nichts angenehmer als ein geschäftefreies Alter.
Fast bis zu seinem Tod sahen wir den Gaius Galus, einen Bekannten deines Vaters, Scipio, mit der Ausmessung des Himmels und der Erde beschäftigt. Wie oft überraschte ihn das Tageslicht, wenn er etwas zu zeichnen angefangen hatte, wie oft die Nacht, wenn er morgens damit begonnen hatte! Welche Freude machte es ihm, die Sonnen- und Mondfinsternisse uns lange vorhersagen zu können!
( 50) quid in levioribus studiis, sed tamen acutis? quam gaudebat bello suo Punico Naevius! quam Truculento Plautus, quam Pseudolo! vidi etiam senem Livium; qui cum sex annis ante, quam ego natus sum, fabulam docuisset Centone Tuditanoque consulibus, usque ad adulescentiam meam processit aetate. quid de P. Licini Crassi et pontificii et civilis iuris studio loquar aut de huius P. Scipionis, qui his paucis diebus pontifex maximus factus est? atque eos omnes, quos commemoravi his studiis flagrantes senes vidimus; M. vero Cethegum, quem recte 'Suadae medullam' dixit Ennius, quanto studio exerceri in dicendo videbamus etiam senem! quae sunt igitur epularum aut ludorum aut scortorum voluptates cum his voluptatibus comparandae? atque haec quidem studia doctrinae; quae quidem prudentibus et bene institutis pariter cum aetate crescunt, ut honestum illud Solonis sit, quod ait versiculo quodam, ut ante dixi, senescere se multa in dies addiscentem, qua voluptate animi nulla certe potest esse maior. Das selbe trifft auf geringfügigere, aber doch auch Scharfsinn erfordernde Beschäftigungen zu. Wie sehr freute sich Naevius über seinen Punischen Krieg, wie sehr Plautus über seinen Truculentus (Eisenfresser), wie sehr über seinen Pseudolus (Bramarbas)! Ich kannte auch noch den alten Livius, der sechs Jahre vor meiner Geburt unter dem Konsulat des Cento und Tuditanus das Schauspiel aufbrachte und noch bis in mein Jünglingsalter fortlebte. Was soll ich von den Studien des Publius Licinius Crassus im Priesterrecht und im bürgerlichen Recht sagen, oder des Publius (Nasica), der erst vor wenigen Tagen Oberpriester wurde. Wir haben ja doch alle diese Männer, die ich angeführt habe, mit glühendem Eifer diese Beschäftigung treiben sehen. Endlich Marcus Cethegus, den Ennius mit Recht das Mark der Überredung nennt: mit welchem Eifer sahen wir ihn noch in hohem Alter sich in der Redekunst üben! Welche Freuden des Schmausens, der Spiele oder der Buhlerei sind nun wohl mit solchen Freuden zu vergleichen? Und dies sind wissenschaftliche Beschäftigungen, die bei gebildeten und unterrichteten Männern mit den Jahren zunehmen. Daher ist auch der Ausspruch Solons lobenswert, den er, wie oben bemerkt, in einem Vers getan hat: er altere und lerne dabei täglich gar vieles noch. Gewiss das schönste Vergnügen des Geistes, das es geben kann.
(XV  51) Venio nunc ad voluptates agricolarum, quibus ego incredibiliter delector; quae nec ulla impediuntur senectute et mihi ad sapientis vitam proxime videntur accedere. habent enim rationem cum terra, quae numquam recusat imperium nec umquam sine usura reddit, quod accepit, sed alias minore plerumque maiore cum faenore. quamquam me quidem non fructus modo, sed etiam ipsius terrae vis ac natura delectat.
quae cum gremio mollito ac subacto sparsum semen excepit, primum id occaecatum cohibet, ex quo occatio quae hoc efficit nominata est, dein tepefactum vapore et compressu suo diffundit et elicit herbescentem ex eo viriditatem, quae nixa fibris stirpium sensim adulescit culmoque erecta geniculato vaginis iam quasi pubescens includitur; ex quibus cum emersit, fundit frugem spici ordine structam et contra avium minorum morsus munitur vallo aristarum.
Ich komme jetzt auf die Freuden des Landlebens, die einen außerordentlichen Reiz für mich haben, die im Alter kein Hindernis finden und, meiner Meinugn nach, und mit dem Lebensgenuss des Weisen die größte Verwandschaft haben. Denn die Landleute stehen in rechnung mit der Erde, die niemals sich weigert zu gehorchen, und nie ohne Zinsen zurückgibt, was sie empfangen hat: zuweilen freilich mit kleinerem, doch meistens mit großem Zins, obwohl mich nicht nur die Früchte, sondern auch die Betrachtung der Erde selbst und der Kräfte ihres Bodens ergötzt.
Wenn die Erde in ihren erweichten und aufgelockerten Schoß den ausgestreuten Samen aufgenommen hat, so hält sie ihn anfänglich in der Dunkelheit verschlossen, - occaecatum, - wovon die occatio oder Verdunkelung, das heißt : Eineggung, die dies bewirkt, ihren Namen erhalten hat. Wenn sie ihn sodann durch ihre Dünste und Bähung erwärmt hat, spaltet sie ihn und lockt das zu Gras aufschießende Grün heraus, das auf die Wurzelfasern gestützt allmählich heranwächst, sich an einem knotigen Halm emporrichtet, jetzt gleichsam zur Männlichkeit reift und sich in Schoßbälge einschließt. Sobald die Pflanze aus diesen hervorgebrochen ist, schießt die regelmäßig gebaute Frucht der jungen Ähre hervor, die durch einen Spitzenwall gegen die Bisse der kleinen Vögel geschützt ist.
( 52) quid ego vitium ortus, satus, incrementa commemorem? satiari delectatione non possum, ut meae senectutis requiem oblectamentumque noscatis. omitto enim vim ipsam omnium, quae generantur e terra; quae ex fici tantulo grano aut ex acini vinaceo aut ex ceterarum frugum aut stirpium minutissimis seminibus tantos truncos ramosque procreet. malleoli, plantae, sarmenta, viviradices propagines, nonne ea efficiunt, ut quemvis cum admiratione delectent?
vitis quidem, quae natura caduca est et, nisi fulta est, fertur ad terram, eadem, ut se erigat, claviculis suis quasi manibus, quicquid est nacta, complectitur; quam serpentem multiplici lapsu et erratico ferro amputans coercet ars agricolarum, ne silvescat sarmentis et in omnes partes nimia fundatur.
Was soll ich die Anpflanzung, die Entstehung und das Wachstum der Weinstöcke erwähnen? Ich kann mich an dem lieblichen Schauspiel nicht satt sehen. Ich bemerke dies, damit ihr die Ruhe und die ergötzende Erholung meines Greisenalters genau kennen lernt. Ich übergehe die eigentliche Triebkraft aller Erdgewächse. Die Erde erzeugt aus einem so kleinen Feigen- oder Weinbeerkern oder aus den kleinsten Samenkörnern der übrigen Früchte und Gewächse so große Stämme und Äste. Die Hammerschnittlinge, die Setzlinge, die Ableger, die Wurzelschösslinge, die Ableger, machen sie nicht auf jeden den Eindruck der Bewunderung und Freude?
Der Weinstock, der von Natur hinfällig ist und ohne Stütze zur Erde sinkt, der Weinstock umfasst, um sich aufrecht zu halten, mit seinen Gäbelchen wie mit Händen alles, was er findet. Da er durch vielfach verschlungene Windungen schweifend umherkriecht, schränkt ihn die Kunst der Landleute ein, indem sie ihn mit der Hippe beschneidet, damit er nicht durch Schösslinge verholze und nicht nach allen Seiten umherwuchere.
( 53) itaque ineunte vere in iis, quae relicta sunt, existit tamquam ad articulos sarmentorum ea, quae gemma dicitur, a qua oriens uva se ostendit, quae et suco terrae et calore solis augescens primo est peracerba gustatu, dein maturata dulcescit vestitaque pampinis nec modico tepore caret et nimios solis defendit ardores. qua quid potest esse cum fructu laetius tum aspectu pulchrius?
cuius quidem non utilitas me solum, ut ante dixi, sed etiam cultura et natura ipsa delectat, adminiculorum ordines capitum iugatio, religatio et propagatio vitium sarmentorum ea, quam dixi, aliorum amputatio, aliorum inmissio. quid ego irrigationes, quid fossiones agri repastinationesque proferam, quibus fit multo terra fecundior?
Mit dem Anfang des Frühlings kommt daher aus dem übrig gelassenen Holz, sozusagen an den Gelenken der Reißer, das so genannte Auge hervor, woraus die Traube entsteht und sich entwickelt, die durch die Sonnenwärme wächst und anfänglich von sehr herbem Geschmack ist, später aber, wenn sie gereift ist, einen sehr süßen Geschmack bekommt. Sie ist in Weinlaub gehüllt, hat somit eine mäßige Wärme und schützt sich gegen die allzu große Sonnenhitze. Wie süß ist dann ihre Frucht für den Geschmack, wie reizend für das Auge!
Nicht allein die Nützlichkeit des Weinstocks, sondern auch sein Bau und seine Beschaffenheit macht mir Freude, die Reihen der Stützen, das Anbinden und Verpflanzen der Stöcke, und teils die oben genannte Beschneidung der Ableger, teils ihre Einsenkung. Wozu soll ich das Bewässern, wozu das Umgraben und das Umhacken des Feldes, wodurch die Erde viel fruchtbarer wird, zur Sprache bringen?
( 54) quid de utilitate loquar stercorandi? dixi in eo libro, quem de rebus rusticis scripsi; de qua doctus Hesiodus ne verbum quidem fecit, cum de cultura agri scriberet. at Homerus, qui multis, ut mihi videtur, ante saeculis fuit, Laertam lenientem desiderium, quod capiebat e filio, colentem agrum et eum stercorantem facit. nec vero segetibus solum et pratis et vineis et arbustis res rusticae laetae sunt, sed hortis etiam et pomariis tum pecudum pastu apium examinibus florum omnium varietate. nec consitiones modo delectant, sed etiam insitiones, quibus nihil invenit agri cultura sollertius. Was soll ich vom Nutzen des Düngens sagen? Darüber habe ich mich schon in meiner Schrift über die Landwirtschaft erklärt. Der kenntnisreiche Hesiod hat kein Wort davon gesagt, obgleich er über den Landbau schrieb. Homer dagegen, der nach meiner Meinung mehrere Jahrhunderte früher lebte, lässt den Laertes sich die Sehnsucht nach seinem Sohn (Odysseus) dadurch lindern, dass er seinen Acker bebaut und dünkt. Allein nicht bloß die Saatfelder und die Wiesen und die Weinberge und die Baumpflanzungen sind es, die der Landwirtschaft einen angenehmen Reiz geben, sondern auch die Küchengärten, die Obstgärten; sodann auch die Viehweiden, die Bienenkörbe, der bunte Blumenreichtum. Endlich macht nicht bloß das Besäen Freude, sondern auch das Einpfropfen, die sinnreichste Erfindung der Landwirtschaft.
(XVI  55) possum persequi permulta oblectamenta rerum rusticarum, sed ea ipsa, quae dixi, sentio fuisse longiora. ignoscetis autem; nam et studio rusticarum rerum provectus sum et senectus est natura loquacior, ne ab omnibus eam vitiis videar vindicare. ergo in hac vita M'. Curius, cum de Samnitibus de Sabinis de Pyrrho triumphavisset, consumpsit extremum tempus aetatis. cuius quidem ego villam contemplans (abest enim non longe a me) admirari satis non possum vel hominis ipsius continentiam vel temporum disciplinam. Curio ad focum sedenti magnum auri pondus Samnites cum attulissent, repudiati sunt; non enim aurum habere praeclarum sibi videri dixit, sed eis, qui haberent aurum, imperare. poteratne tantus animus efficere non iucundam senectutem? Ich könnte noch manche Annehmlichkeiten anführen, die das Landleben gewährt: aber schon das Gesagte ist, wie ich sehe, zu viel und zu lang. Ich rechne aber auf eure Nachsicht; denn teils aus Eifer für das Landleben habe ich mich zu weit verloren, teils ist das Alter, damit es ja nicht scheine, als wollte ich es von allen Fehlern freisprechen, von Natur etwas geschwätzig. In dieser Lebensweise brachte Manius Curius, nachdem er über die Samniten, Sabiner und über Pyrrhus triumphiert hatte, die letzten Tage seines Lebens zu. Sooft ich sein Landhaus betrachte - denn es liegt nicht weit von dem meinigen - kann ich mich nicht genug teils über die Enthaltsamkeit dieses Mannes, teils über die Sittenzucht jener Zeiten wundern. Als die Samniten dem Curius, als er eben am Herd saß, eine große Summe Goldes brachten, wies er sie mit den Worten ab, es komme ihm nicht rühmlich vor, Gold zu besitzen, sondern über die zu herrschen, die es besäßen. Konnte wohl ein so großer Geist das Greisenalter nicht angenehm machen?
( 56) sed venio ad agricolas, ne a me ipso recedam. in agris erant tum senatores id est senes, siquidem aranti L. Quinctio Cincinnato nuntiatum est eum dictatorem esse factum; cuius dictatoris iussu magister equitum C. Servilius Ahala Sp. Maelium regnum adpetentem occupatum interemit. a villa in senatum arcessebatur et Curius et ceteri senes, ex quo, qui eos arcessebant, viatores nominati sunt. num igitur horum senectus miserabilis fuit, qui se agri cultione oblectabant? mea quidem sententia haud scio an nulla beatior possit esse, neque solum officio, quod hominum generi universo cultura agrorum est salutaris, sed et delectatione, qua dixi, et saturitate copiaque rerum omnium, quae ad victum hominum, ad cultum etiam deorum pertinent, ut, quoniam haec quidam desiderant, in gratiam iam cum voluptate redeamus. semper enim boni assiduique domini referta cella vinaria, olearia, etiam penaria est villaque tota locuples est, abundat porco haedo agno gallina lacte caseo melle. iam hortum ipsi agricolae succidiam alteram appellant. conditiora facit haec supervacaneis etiam operis aucupium atque venatio. Doch ich komme auf die Landleute, um mir selbst nicht untreu zu werden. Auf dem Land lebten damals die Senatoren (Alträte), ich meine unsere "Alten" der Vorzeit. So wurde z.B. dem Lucius Quinctius Cincinnatus am Pflug gemeldet, er sei Dictator geworden; und auf dieses Dictators Geheiß tötete Gaius Servilius Ahala, der Befehlshaber der Reiterei, den nach der Königsherrschaft strebenden Spurius Maelius, indem er ihn vor der Ausführung seines Planes überraschte. Von ihren Landhäusern wurden auch Curius und die übrigen Senatoren in den Senat (Altrat) geholt, wovon die, die sie abholen mussten, "Landboten" genannt wurden. War also wohl das Greisenalter dieser Männer bedauernswert, die im Landbau ihre Freude hatten? Wenigstens meiner Meinung nach dürfte kein Leben glücklicher sein, nicht nur wegen seiner Verdienstlichkeit, insofern der Landbau für das ganze Menschengeschlecht heilsam ist, sondern auch wegen des reichlichen und sättigenden Überflusses an allen Dingen, die zur Nahrung der Menschen und zum Dienst der Götter gehören; und so söhnen wir uns, weil dies doch manche wünschen, wieder mit der Sinnlichkeit aus. Immer ist der Wein- und Ölkeller eines fleißigen und guten Herrn gefüllt und sein Landhaus mit allem reichlich versorgt. Es hat Überfluss an Schweinen, Ziegen, Lämmern Hühnern, an Milch, Käse und Honig. Ferner nennt der Landmann seinen Garten seine zweite Speckseite. Sodann werden diese Vergnügungen noch mehr durch Vogelsang und Jagd in Feierstunden gewürzt.
( 57) quid de pratorum viriditate aut arborum ordinibus aut vinearum olivetorumve specie plura dicam? brevi praecidam: agro bene culto nihil potest esse nec usu uberius nec specie ornatius; ad quem fruendum non modo non retardat, verum etiam invitat atque adlectat senectus. ubi enim potest illa aetas aut calescere vel apricatione melius vel igni aut vicissim umbris aquisve refrigerari salubrius? Was soll ich von dem Grün der Wiesen oder von den Baumgängen (Alleen) oder von der Schönheit der Wein- und Ölgärten sagen? Ich will mich kurz fassen. Es kann nichts Ergiebigeres, es kann keinen schöneren Anblick geben als ein gut angebautes Ackerfeld, für dessen Genuss das Greisenalter nicht nur kein Hindernis, sondern sogar ein lockendes Reizmittel ist. Denn wo kann dieses Alter sich teils im Sonnenschein, teils am Herdfeuer besser erwärmen oder sich dagegen im Schatten oder im Bad gesünder abkühlen als auf dem Land?
( 58) sibi habeant igitur arma, sibi equos, sibi hastas, sibi clavam et pilam, sibi venationes atque cursus, nobis senibus ex lusionibus multis talos relinquant et tesseras, id ipsum utrum lubebit, quoniam sine iis beata esse senectus potest. Für sich mögen sie (die jungen Leute) denn ihre Waffenübungen, für sich ihre Pferde, für sich die Keule, für sich das Ballspiel, für sich ihre Schwimmübungen und ihr Wettrennen behalten, wenn sie uns Alten nur das Knöchel- und Würfelspiel noch übrig lassen, und zwar nur eines von beiden, gleich welches sie wollen, weil ja doch ohne jene Spiele das Greisenalter glücklich sein kann.
(XVII  59) multas ad res perutiles Xenophontis libri sunt; quos legite quaeso studiose, ut facitis. quam copiose ab eo agri cultura laudatur in eo libro, qui est de tuenda re familiari, qui Oeconomicus inscribitur! atque ut intellegatis nihil ei tam regale videri quam studium agri colendi, Socrates in eo libro colloquitur cum Critobulo Cyrum minorem Persarum regem praestantem ingenio atque imperii gloria, cum Lysander Lacedaemonius vir summae virtutis venisset ad eum Sardis eique dona a sociis adtulisset, et ceteris in rebus comem erga Lysandrum atque humanum fuisse et ei quendam consaeptum agrum diligenter consitum ostendisse. cum autem admiraretur Lysander et proceritates arborum et derectos in quincuncem ordines et humum subactam atque puram et suavitatem odorum, qui adflarentur e floribus, tum eum dixisse mirari se non modo diligentiam, sed etiam sollertiam eius, a quo essent illa dimensa atque discripta; et Cyrum respondisse: 'atqui ego ista sum omnia dimensus; mei sunt ordines, mea discriptio, multae etiam istarum arborum mea manu sunt satae.' tum Lysandrum intuentem purpuram eius et nitorem corporis ornatumque Persicum multo auro multisque gemmis dixisse: 'rite vero te Cyre beatum ferunt, quoniam virtuti tuae fortuna coniuncta est.' Xenophons Schriften sind zu manchen Dingen sehr nützlich. Lest sie ja doch fleißig, wie ihr ja ohnehin tut. Wie ausführlich wird von ihm der Landbau in dem Buch gepriesen, das von der Führung des Haushalts handelt und den Titel Oikonomikos führt! Zum Beweis, dass ihm nichts eines Königs so würdig erscheint wie die Beschäftigung des Landbaus, lässt er den Sokrates folgende Anekdote dem Kritobulos mitteilen: Der jüngere Kyros, der König von Persien, habe sich, als der Lakedaimonier Lysandros, ein Mann von den trefflichsten Eigenschaften, zu ihm nach Sardeis kam und ihm Geschenke von seinen Bundesgenossen brachte, gegen Lysandros überhupt sehr herablassend und freundlich erwiesen und ihm einen sorgfältig einen eingehegten und sorgfältig besäten Landstrich gezeigt. Lysandros bewunderte den hohen und schlanken Wuchs der Bäume und die in fünffacher Schicht gereihten Alleen, den tüchtig bearbeiteten und gereinigten Boden und den lieblichen Blumenduft ; er äußerte, er wundere sich nicht bloß über den geschmackvollen Fleiß, sondern auch über die Geschicklichkeit des Mannes, der alles dies ausgemessen und eingeteilt habe. Kyros gab ihm zur Antwort: "Ich selbst habe alles dies ausgemessen; mein Werk sind die Ordnungen (Reihen), mein Werk die Einteilung. Von meiner Hand sind auch viele dieser Bäume hier angepflanzt worden." Jetzt betrachtete Lysandros das Purpurkleid des Kyros, den Glanz seines Körpers und seinen von Gold und Edelsteinen prangenden Perserschmuck; und hier entfiel ihm die Äußerung: "Ja, mit Recht preist man dich glücklich, Kyros, da sich mit deiner Tugend auch das Glück gepaart hat."
( 60) hac igitur fortuna frui licet senibus nec aetas impedit, quo minus et ceterarum rerum et in primis agri colendi studia teneamus usque ad ultimum tempus senectutis. M. quidem Valerium Corvinum accepimus ad centesimum annum perduxisse, cum esset acta iam aetate in agris eosque coleret; cuius inter primum et sextum consulatum sex et quadraginta anni interfuerunt. ita, quantum spatium aetatis maiores ad senectutis initium esse voluerunt, tantus illi cursus honorum fuit; atque huius extrema aetas hoc beatior quam media, quod auctoritatis habebat plus, laboris minus; Ein solches Glück können also auch Greise genießen; und das Alter ist kein Hindernis, die Liebe für so manche Gegenstände, besonders aber die Liebe zum Landbau bis zur Grenze des Lebens zu unterhalten. Diese Liebe für den Landbau behielt Marcus Valerius Corvus bis zum hundertsten Lebensjahr. Seine Jugend war schon lange vorüber, als er auf dem Land lebte und es bebaute. Zwischen seinem ersten und sechsten Konsulat verstrichen sechsundvierzig Jahre. So groß also nach den Bestimmungen unserer Vorfahren der Zeitraum des Menschenalters bis zum Anfang des Greisenalters ist, so groß war bei ihm die Laufbahn der Ehrenstellen; und sein höchstes Alter war um so glücklicher als sein mittleres, weil er dort mehr galt und weniger zu tun hatte.
( 61) apex est autem senectutis auctoritas. quanta fuit in L. Caecilio Metello, quanta in A. Atilio Calatino! in quem illud elogium: 'hunc unum plurimae consentiunt gentes populi primarium fuisse virum.' notum est id totum carmen incisum in sepulcro. iure igitur gravis, cuius de laudibus omnium esset fama consentiens. quem virum nuper P. Crassum pontificem maximum, quem postea M. Lepidum eodem sacerdotio praeditum vidimus! quid de Paulo aut Africano loquar aut, ut iam ante, de Maximo? quorum non in sententia solum, sed etiam in nutu residebat auctoritas. habet senectus honorata praesertim tantam auctoritatem, ut ea pluris sit quam omnes adulescentiae voluptates. Die Krone des Greisenalters aber ist das Ansehen. Wie groß war das Ansehen des Lucius Caecilius Metellus! Wie groß das Ansehen des Atilius Calatinus, auf den sich jener einzigartige Lobspruch bezieht: "Die meisten Völker stimmen darin überein, dass er der erste Mann des Volkes war." Bekannt ist die poetische Inschrift auf seinem Grab. Mit Recht gilt also der Mann als ehrwürdig, über dessen Lob nur eine Stimme herrschte. Welchen Mann sahen wir an Lucius Crassus, der erst kürzlich Oberpriester war, späterhin an Marcus Lepidus, der mit dem selben Amt bekleidet war! Was soll ich von (Lucius) Paulus oder von (Scipio) Africanus sagen oder von dem bereits erwähnten (Fabius) Maximus? Männer deren Abstammung nicht nur sondern auch deren Wink schon Ansehen und Gewicht hatte. Das hohe Alter genießt, besonders wenn es Ehrenstellen bekleidet hat, ein Ansehen, das von höherem Wert ist als alle sinnlichen Genüsse der Jugend.
(XVIII  62) sed in omni oratione mementote eam me senectutem laudare, quae fundamentis adulescentiae constituta sit. ex quo efficitur id, quod ego magno quondam cum assensu omnium dixi, miseram esse senectutem, quae se oratione defenderet. non cani nec rugae repente auctoritatem arripere possunt, sed honeste acta superior aetas fructus capit auctoritatis extremos. Aber vergesst ja nicht, dass ich, sooft ich auf diesen Gegenstand zu sprechen komme, nur ein solches Greisenalter rühme, zu dem eine löblich verlebte Jugend den Grund gelegt hat. Dadurch bewährt sich der Ausspruch, den ich schon einmal unter allgemeinem Beifall getan habe, dass dasjenige Greisenalter beklagenswert sei, das es nötig habe, sich mit Worten zu verteidigen. Nicht graue Haare, nicht Runzeln können auf einmal das Ansehen an sich reißen. Nein! Ein tugendhaft durchlebtes früheres Alter genießt die letzten Früchte des Ansehens.
( 63) haec enim ipsa sunt honorabilia, quae videntur levia atque communia, salutari adpeti decedi adsurgi deduci reduci consuli; quae et apud nos et in aliis civitatibus, ut quaeque optime morata est, ita diligentissime observantur. Lysandrum Lacedaemonium cuius modo feci mentionem, dicere aiunt solitum Lacedaemonem esse honestissimum domicilium senectutis; nusquam enim tantum tribuitur aetati, nusquam est senectus honoratior. quin etiam memoriae proditum est, cum Athenis ludis quidam in theatrum grandis natu venisset, magno consessu locum nusquam ei datum a suis civibus; cum autem ad Lacedaemonios accessisset, qui legati cum essent, certo in loco consederant, consurrexisse omnes illi dicuntur et senem sessum recepisse. Gerade solche Dinge, die unbedeutend und gewöhnlich scheinen, sind ehrenvoll für den Greis, z.B. dass man ihm Besuche abstattet, dass man seinen Umgang sucht, dass man ihm aus dem Weg geht, dass man vor ihm aufsteht, dass man ihn von und nach Hause begleitet, dass man ihn um Rat fragt: lauter Auszeichnungen, die man bei uns und auch in anderen Staaten um so sorgfältiger wahrnimmt, je gesitteter sie sind. Der Lakedaimonier, den ich kurz zuvor erwähnt habe, soll öfter gesagt haben, Lakedaimon sei der ehrenvollste Wohnsitz für das Greisenalter. Und wirklich erweist man nirgends dem hohen Alter so viel Achtung, nirgends ist es mehr geehrt. Ja, es findet sich sogar folgende geschichtliche Überlieferung: In Athen wurde bei den (panathenäischen) Spielen einem alten Mann, der in das Schauspiel gekommen war, in der vollen Versammlung nirgends von seinen Mitbürgern ein Platz eingeräumt. Als er aber zu den Lakedaimoniern hintrat, die als Gesandte auf einem besonderen Platz saßen, erhoben sich alle und räumten ihm einen Sitz ein.
( 64) quibus cum a cuncto consessu plausus esset multiplex datus, dixisse ex iis quendam Athenienses scire, quae recta essent, sed facere nolle.
multa in vestro collegio praeclara, sed hoc de, quo agimus, in primis, quod, ut quisque aetate antecedit, ita sententiae principatum tenet, neque solum honore antecedentibus, sed iis etiam, qui cum imperio sunt, maiores natu augures anteponuntur. quae sunt igitur voluptates corporis cum auctoritatis praemiis comparandae? quibus qui splendide usi sunt, ii mihi videntur fabulam aetatis peregisse nec tamquam inexercitati histriones in extremo actu corruisse.
Vielfach war der Beifall, der ihnen von der gesamten Versammlung zugeklatscht wurde, wobei jedoch einer äußerte: "Die Athener wissen zwar wohl, was recht ist, sie selbst aber wollen es nicht tun."
Unser Kollegium (der Auguren) hat überhaupt vortreffliche Anordnungen. Wir meinen hier aber besonders diejenige, die darin besteht, dass der Ältere immer seine Stimme zuerst abgeben darf und dass die älteren Auguren nicht allein den höheren Staatsdienern, sondern auch den höchsten regierenden Obrigkeiten im Rang vorangehen. Welche sinnlichen Vergnügungen sind nun wohl mit den Belohnungen des Ansehens zu vergleichen? Wer diese Belohnungen auf eine glänzende Weise genossen hat, der scheint mir die Rolle seines Lebens glücklich ausgespielt zu haben und nicht gleich ungeübten Schauspielern im letzten Akt durchgefallen zu sein. -
( 65) At sunt morosi et anxii et iracundi et difficiles senes. si quaerimus, etiam avari; sed haec morum vitia sunt, non senectutis. ac morositas tamen et ea vitia, quae dixi, habent aliquid excusationis non illius quidem iustae, sed quae probari posse videatur; contemni se putant, despici inludi; praeterea in fragili corpore odiosa omnis offensio est. quae tamen omnia dulciora fiunt et moribus bonis et artibus idque cum in vita tum in scaena intellegi potest ex iis fratribus, qui in Adelphis sunt. quanta in altero diritas, in altero comitas! sic se res habet: ut enim non omne vinum, sic non omnis natura vetustate coacescit. severitatem in senectute probo, sed eam sicut alia modicam, acerbitatem nullo modo. Aber das Alter ist mürrisch, ängstlich, jähzornig, ungefällig und, wenn wir weiterforschen, habsüchtig." Allein, dies sind Fehler des Charakters, nicht des Greisenalters. Übrigens hat doch das mürrische Wesen neben den anderen genannten Fehlern eine Entschuldigung für sich, freilich keine ganz befriedigende, gleichwohl eine solche, die nicht ganz verwerflich ist. Greise glauben, man schätze sie gering, man sehe auf sie herab, man verspotte sie. Zudem ist bei einem gebrechlichen Körper alles Anstößige empfindlich. Doch alle diese Fehler können durch gute Sitten und wissenschaftliche Bildung gemildert werden; und dies bemerkte man teils im wirklichen Leben, teils auf der Bühne an jenen "Brüdern", die (bei Terenz) in den Adelphen vorkommen. Wie rauh ist der eine, wie sanft der andere. So verhält sich auch die Sache. Denn so, wie nicht jeder Wein mit dem Alter sauer wird, so wird auch nicht bei jedem Menschen das Alter sauer. Den Ernst lobe ich am Greisenalter, aber wie alles andere, in gehörigem Maß; unfreundliches Wesen hingegen auf keine Weise.
( 66) avaritia vero senilis quid sibi velit, non intellego; potest enim quicquam esse absurdius quam, quo viae minus restet, eo plus viatici quaerere?
(XIX) Quarta restat causa, quae maxime angere atque sollicitam habere nostram aetatem videtur, adpropinquatio mortis, quae certe a senectute non potest esse longe. o miserum senem, qui mortem contemnendam esse in tam longa aetate non viderit! quae aut plane neglegenda est, si omnino extinguit animum, aut etiam optanda, si aliquo eum deducit, ubi sit futurus aeternus; atqui tertium certe nihil inveniri potest;
Was jedoch der Geiz im Greisenalter bezwecken soll, begreife ich nicht. Denn kann wohl etwas ungereimter sein, als um so mehr Reisegeld zu suchen, je näher das Ziel der Wanderschaft des Lebens ist?
Noch ist der vierte Grund übrig, der unser Alter am meisten in Bekümmernis und Angst hält, die Annäherung des Todes, der wohl vom Greisenalter nicht weit entfernt sein kann. O wie beklagenswert ist der Greis, der in einem so langen Leben nicht einsehen gelernt hat, dass man den Tod nicht zu achten hat. Entweder haben wir den Tod mit Gleichgültigkeit zu betrachten, wenn er das Leben der Seele ganz auslöscht; oder er ist sogar wünschenswert, wenn er sie zu einem ewigen Leben führt. Ein dritter Fall lässt sich doch wohl nicht finden.
( 67) quid igitur timeam, si aut non miser post mortem aut beatus etiam futurus sum? quamquam quis est tam stultus, quamvis sit adulescens, cui sit exploratum se ad vesperum esse victurum? quin etiam aetas illa multo plures quam nostra casus mortis habet; facilius in morbos incidunt adulescentes, gravius aegrotant, tristius curantur. itaque pauci veniunt ad senectutem; quod ni ita accideret, melius et prudentius viveretur. mens enim et ratio et consilium in senibus est; qui si nulli fuissent, nullae omnino civitates fuissent.
sed redeo ad mortem inpendentem. quod est istius crimen senectutis, cum id ei videatis cum adulescentia esse commune?
Was soll ich also fürchten, wenn ich nach dem Tod entweder nicht unglücklich oder sogar noch glückselig sein werde? Und doch - wer ist so töricht, mit Gewissheit sich zu überreden, dass er, wenn auch noch so jung, bis zum Abend leben werde? Ja, dieses Jugendalter ist noch mehr Todesgefahren ausgesetzt als das Greisenalter. Junge Leute erkranken leichter, sie liegen gefährlicher danieder. Ihre Behandlung ist mit verdrießlicherer Mühe verbunden. Daher kommt es, dass nur wenige ein hohes Alter erreichen; wäre dies nicht der Fall, so würde man sein Leben besser und vernünftiger einrichten. Verstand, Einsicht und kluger Rat sind bei den Greisen; und hätte es keine Greise gegeben, so gäbe es auch keine staatlichen Gemeinschaften.
Doch ich komme auf den bevorstehenden Tod zurück. Wie kann man daraus, dass der Tod dem Alter droht, diesem einen Vorwurf machen? Denn dieser träfe, wie ihr seht, auch das Jugendalter!
( 68) sensi ego in optimo filio, tu in expectatis ad amplissimam dignitatem fratribus, Scipio, mortem omni aetati esse communem. at sperat adulescens diu esse se victurum, quod sperare idem senex non potest. insipienter sperat. quid enim stultius quam incerta pro certis habere, falsa pro veris? at senex ne quod speret quidem habet. at est eo meliore condicione quam adulescens, cum id, quod ille sperat, hic consecutus est; ille vult diu vivere, hic diu vixit. Ich habe an meinem trefflichen Sohn, du, Scipio, an deinen Brüdern, die zu der Erwartung, die höchsten Ehrenstellen einzunehmen, schon berechtigten, die Erfahrung gemacht, dass der Tod jedem Lebensalter gemeinsam ist. "Der Jüngling hat aber doch die Hoffnung auf ein langes Leben, die dem Greis nicht zu Teil werden kann." Seine Hoffnung wäre unvernünftig; denn es gibt keine größere Torheit, als wenn man das Ungewisse für gewiss, das Falsche für wahr hält. "Der Greis hat in diesem Fall gar keinen Grund zur Hoffnung." Aber er ist um so viel besser daran als der Jüngling, , weil er das, was dieser noch hofft, schon erreicht hat. Der Jüngling wünscht, lange zu leben, der Greis hat schon lange gelebt.
( 69) quamquam o di boni! quid est in hominis natura diu? da enim supremum tempus, expectemus Tartessiorum regis aetatem (fuit enim, ut scriptum video, Arganthonius quidam Gadibus, qui octoginta regnavit annos, centum viginti vixit) - sed mihi ne diuturnum quidem quicquam videtur, in quo est aliquid extremum. cum enim id advenit, tum illud, quod praeteriit, effluxit; tantum remanet, quod virtute et recte factis consecutus sis; horae quidem cedunt et dies et menses et anni nec praeteritum tempus umquam revertitur nec quid sequatur, sciri potest; quod cuique temporis ad vivendum datur, eo debet esse contentus. Indes, ihr guten Götter, was heißt denn lange im menschlichen Leben? Denn man setze auch das äußerste Lebensziel; lasst uns selbst das Alter des Königs von Tartessus in Rechnung stellen: es war nämlich, wie ich geschrieben finde, zu Gades ein gewisser Arganthonius, der achtzig Jahre regierte und hundertundzwanzig Jahre lebte. Aber mir kommt nichts lange vor, was irgend ein bestimmtes Ziel hat. Denn wenn das Ziel da ist, ist das Vergangene schon verflossen. Nur das bleibt als Gewinn übrig, was man sich durch Tugend und edle Handlungen erworben hat. Stunden, Tage, Monate, Jahre schwinden dahin, und die Vergangenheit kehrt nie wieder; und was folgen wird, kann man nicht wissen; und jeder muss sich mit dem Zeitteil begnügen, der ihm zum Leben vergönnt ist.
(XX  70) neque enim histrioni, ut placeat, peragenda fabula est, modo in quocumque fuerit actu, probetur, neque sapientibus usque ad 'Plaudite' veniendum est.
breve enim tempus aetatis satis longum est ad bene honesteque vivendum; sin processerit longius, non magis dolendum est, quam agricolae dolent praeterita verni temporis suavitate aestatem autumnumque venisse. ver enim tamquam adulescentiam significat ostenditque fructus futuros, reliqua autem tempora demetendis fructibus et percipiendis accommodata sunt.
Denn so wenig ein Schauspieler, um zu gefallen, ein ganzes Stück durchzuspielen braucht, wenn er nur, in welchem Akt er auch auftritt, sich Beifall erwirbt, ebenso wenig braucht ein Weiser auszuleben, um das verdiente Lob zu ernten.
Eine kurze Lebenszeit ist lang genug, um sittlich gut zu leben. Wenn man aber einen längeren Lebensweg zurückgelegt haben sollte, so hat man dies ebenso wenig zu bedauern, wie es der Landmann bedauert, wenn die liebliche Frühlingszeit vergangen ist und nun der Sommer ud Herbst kommt. Der Frühling ist gleichsam ein Bild der Jugend und weist uns auf die zu erwartenden Früchte; die übrigen Jahreszeiten sind zum Einsammeln und Genuss der Früchte geeignet.
( 71) fructus autem senectutis est, ut saepe dixi, ante partorum bonorum memoria et copia. omnia autem, quae secundum naturam fiunt, sunt habenda in bonis. quid est autem tam secundum naturam quam senibus emori? quod idem contingit adulescentibus adversante et repugnante natura.
itaque adulescentes mihi mori sic videntur, ut cum aquae multitudine flammae vis opprimitur, senes autem sic, ut cum sua sponte nulla adhibita vi consumptus ignis extinguitur; et quasi poma ex arboribus, cruda si sunt, vix evelluntur, si matura et cocta, decidunt, sic vitam adulescentibus vis aufert, senibus maturitas; quae quidem mihi tam iucunda est, ut, quo propius ad mortem accedam, quasi terram videre videar aliquandoque in portum ex longa navigatione esse venturus.
Die Frucht des Greisenalters aber besteht, wie ich schon oft bemerkt habe, in der Erinnerung und im reichen Besitz früher erworbener Güter. Als ein Gut muss man aber alles betrachten, was naturgemäß erfolgt. Was ist aber dem Lauf der Natur angemessener als die Erfahrung, dass Griese absterben? Dies widerfährt ja doch auch jungen Leuten, selbst gegen den Widerstand der sich sträubenden Natur.
Der Tod junger Leute kommt mir gerade vor, wie wenn die Wut der Flamme mit einem Schwall von Wasser gedämpft wird; der Tod alter Leute aber, wie ein Feuer, das sich von selbst, ohne Anwendung äußerer Gewalt, verzehrt und erlischt. So wie ferner das Obst, wenn es noch unreif ist, nur mit Gewalt von den Bäumen abgerissen wird, wenn es aber zeitig und durch die Sonne gereift ist, abfällt, ebenso nimmt jungen Leuten die Gewalt, alten die Reife das Leben. Und diese Zeit der Reife ist mir so angenehm, dass ich, je näher ich dem Tod rücke, gleichsam Land zu sehen glaube, wo ich nach langer Fahrt endlich einmal in den Hafen einlaufen kann.
( 72) senectutis autem nullus est certus terminus recteque in ea vivitur, quoad munus officii exsequi et tueri possis et tamen mortem contemnere; ex quo fit, ut animosior etiam senectus sit quam adulescentia et fortior. hoc illud est, quod Pisistrato tyranno a Solone responsum est, cum illi quaerenti, qua tandem re fretus sibi tam audaciter obsisteret, respondisse dicitur: 'senectute.' sed vivendi est finis optumus, cum integra mente certisque sensibus opus ipsa suum eadem quae coagmentavit, natura dissolvit. ut navem, ut aedificium idem destruit facillime qui construxit, sic hominem eadem optume quae conglutinavit natura dissolvit. iam omnis conglutinatio recens aegre, inveterata facile divellitur. ita fit, ut illud breve vitae reliquum nec avide adpetendum senibus nec sine causa deserundum sit; Jedes Lebensalter hat seine bestimmte Grenze, nur das Greisenalter nicht; und man lebt in ihm so lange glücklich, als man seine berufsmäßige Tätigkeit noch üben und behaupten kann, ohne dabei Furcht vor dem Tod zu haben. Daher kommt es, dass das Greisenalter mehr Herz und Mut hat als die Jugend. Dies ist der Sinn der Antwort Solons, die er dem Tyrannen Peisistratos gab. Als dieser ihn fragte, worauf er denn bei dem kühnen Widerstand, den er ihm leiste, sein Vertrauen und seine Hoffnung setze, gab er zur Antwort: "auf das Alter." - Das ist das bete Lebensende, wenn bei ungeschwächten Geisteskräften und gesunden Sinnen die selbe Natur ihr Werk auflöst, die es zusammengefügt hat. Denn so wie der Baumeister das Schiff oder das Haus, das er gebaut hat, am leichtesten wieder niederreißen kann, so kann auch die Natur den Menschen, den sie zusammengesetzt, am besten wieder auflösen. Nun aber lässt sich alles, was frisch zusammengefügt ist, mit Mühe, was schon alt ist, leicht trennen. Daraus folgt, dass die Greise nicht nötig haben, sich nach einem kurzen Lebensrest gierig zu sehnen oder ihn ohne Ursache aufzugeben.
( 73) vetatque Pythagoras iniussu imperatoris, id est dei, de praesidio et statione vitae decedere. Solonis quidem sapientis elogium est, quo se negat velle suam mortem dolore amicorum et lamentis vacare. volt credo se esse carum suis; sed haud scio an melius Ennius:
'Nemo me dacrumis decoret neque funera fletu
faxit.'
non censet lugendam esse mortem, quam inmortalitas
consequatur.
Pythagoras verbietet, ohne Geheiß des Oberfeldherrn, d.h. ohne Geheiß der Gottheit, den Posten und die Wache des Lebens zu verlassen. Es gibt eine Grabschrift von dem weisen Solon, worin er sagt, er wünsche nicht, dass sein Tod unter seinen Freunden keine Tränen und Schmerzen verursache. Er wollte, glaube ich, den Seinen wert und teuer sein. Aber vielleicht hat Ennius sich besser ausgedrückt:
'Niemand soll mich mit Tränen beehren, noch folgen der Leiche
Weinend!'
Er ist demnach der Meinung, man dürfe über den Tod nicht trauern, weil auf ihn die Unsterblichkeit folge.
( 74) iam sensus moriendi aliquis esse potest, isque ad exiguum tempus, praesertim seni, post mortem quidem sensus aut optandus aut nullus est. sed hoc meditatum ab adulescentia debet esse mortem ut neglegamus, sine qua meditatione tranquillo esse animo nemo potest. moriendum enim certe est et incertum an hoc ipso die. mortem igitur omnibus horis inpendentem timens qui poterit animo consistere? Sollte ferner (und dies ist wohl möglich) ein Bewusstsein im Sterben stattfinden, so ist es doch nur von kurzer Dauer, zumal bei den Greisen. Nach dem Tod ist das Bewusstsein entweder etwas Wünschenswertes oder hört es ganz auf. Allein dazu müssen wir uns von Jugend auf durch Nachdenken vorbereiten, dass wir den Tod mit einer solchen Gleichgültigkeit betrachten lernen. Ohne diese Vorbereitung kann niemand ruhigen Gemütes sein. Der Tod ist einmal uns allen gewiss; ungewiss ist dabei bloß, ob heute noch. Wenn man sich vor diesem Tod, der jede Stunde bevorsteht, fürchtet, wie kann man da eine feste Gemütsruhe behaupten?
( 75) de qua non ita longa disputatione opus esse videtur, cum recorder non L. Brutum, qui in liberanda patria est interfectus, non duos Decios, qui ad voluntariam mortem cursum equorum incitaverunt, non M. Atilium, qui ad supplicium est profectus, ut fidem hosti datam conservaret, non duos Scipiones, qui iter Poenis vel corporibus suis obstruere voluerunt, non avum tuum L. Paulum, qui morte luit collegae in Cannensi ignominia temeritatem, non M. Marcellum cuius interitum ne crudelissimus quidem hostis honore sepulturae carere passus est, sed legiones nostras, quod scripsi in Originibus, in eum locum saepe profectas alacri animo et erecto unde se redituras numquam arbitrarentur. quod igitur adulescentes et ii quidem non solum indocti, sed etiam rustici contemnunt, id docti senes extimescent? Es wird hier keiner langen Erörterung bedürfen, insofern ich mich nur erinnern muss, nicht ab einen Lucius Brutus, der im Kampf für die Freiheit seines Vaterlandes sein Leben verlor; nicht an die beiden Decier, die, um eines freiwilligen Todes zu sterben, ihre Pferde zu raschem Lauf spornten; nicht an Marcus Atilius, der seiner Hinrichtung entgegen ging, um sein dem Feind gegebenes Wort zu halten; nicht an die beiden Scipionen, die den Puniern den Weg mit ihren eigenen Leibern versperrten; nicht an deinen Großvater Lucius Paulus, der die Verwegenheit seines Amtsgenossen bei der schimpflichen Niederlage von Cannae mit dem eigenen Leben büßte; nicht an Marcus Marcellus, dem nicht einmal der grausamste Feind nach seinem Tod die Ehre des Begräbnisses verweigern konnte; sondern daran, dass sogar unsere Legionen, was ich in meiner Urgeschichte beschrieben habe, oft mit freudigem und mutigem Herzen an den Ort gegangen sind, von wo sie an keine Rückkehr mehr dachten. Über was sich nun junge Leute, und noch dazu nicht bloß ungebildete, sondern auch rohe Landleute hinwegsetzen können, davor sollten gebildete Greise sich fürchten?
( 76) omnino, ut mihi quidem videtur, studiorum omnium satietas vitae facit satietatem. sunt pueritiae studia certa; num igitur ea desiderant adulescentes? sunt ineuntis adulescentiae; num ea constans iam requirit aetas, quae media dicitur? sunt etiam eius aetatis; ne ea quidem quaeruntur in senectute; sunt extrema quaedam studia senectutis; ergo, ut superiorum aetatum studia occidunt, sic occidunt etiam senectutis; quod cum evenit, satietas vitae tempus maturum mortis adfert. Überhaupt bewirkt auch die meistens in allen Lieblingsneigungen eintretende Sättigung, dass man des Lebens satt wird. Die Kindheit hat ihre Lieblingsneigungen. Sehnt sich nun nach diesen auch noch der Jüngling? Auch der Jüngling hat seine eigenen. Verlangt nach diesen auch das gesetzte Alter, das man das mittlere nennt? Auch dieses Alter hat die seinigen; der Greis fragt nicht einmal danach. Und zuletzt hat auch das Greisenalter seine Lieblingsneigungen. Wie also die Lieblingsneigungen der früheren Perioden aufhören, so hören auch die des Greisenalters auf. Tritt das letztere ein, so führt die Sättigung des Lebens den reifen Augenblick des Todes herbei.
(XXI  77) non enim video, cur, quid ipse sentiam de morte, non audeam vobis dicere, quod eo cernere mihi melius videor, quo ab ea propius absum. ego vestros patres tu Scipio tuque C. Laeli, viros clarissimos mihique amicissimos vivere arbitror et eam quidem vitam, quae est sola vita nominanda. nam dum sumus inclusi in his compagibus corporis, munere quodam necessitatis et gravi opere perfungimur; est enim animus caelestis ex altissimo domicilio depressus et quasi demersus in terram, locum divinae naturae aeternitatique contrarium. sed credo deos inmortales sparsisse animos in corpora humana, ut essent, qui terras tuerentur quique caelestium ordinem contemplantes imitarentur eum vitae modo atque constantia. nec me solum ratio ac disputatio impulit, ut ita crederem, sed nobilitas etiam summorum philosophorum et auctoritas. Ich sehe nicht ein, warum ich es nicht wagen soll, euch meine Gedanken über den Tod mitzuteilen. Denn ich glaube, hier um so weiter zu sehen, je näher ich dem Tod bin. Ich bin überzeugt, mein Publius Scipio und du Gaius Laelius, dass eure Väter, einst die angesehensten Männer und meine vertrautesten Freunde, leben, und zwar ein solches Leben, das allein den Namen "Leben" verdient. Denn solange wir in das Gefüge des Körpers eingeschlossen sind, haben wir im Dienst des Verhängnisses einen schweren Beruf zu erfüllen. Die himmlische Seele ist nämlich aus ihrem erhabenen Wohnsitz herabgestoßen und gleichsam auf die Erde gesenkt worden, an einen Ort, der sich mit ihrem göttlichen und ewigen Wesen gar nicht verträgt. Allein die unsterblichen Götter haben, glaube ich, die unsterblichen Seelen deswegen in menschliche Leiber verpflanzt, damit es Wesen gäbe, welche die Welt (nach allen ihren Teilen) betrachteten und mit dem Blick auf die Ordnung der Himmelskörper diese selbst auch durch regelmäßige Gleichförmigkeit des Lebens nachahmten. Zu dieser Überzeugung hat mich nicht bloß eigene Forschung und Untersuchung geführt, sondern auch der berühmte Namen und das Ansehen der größten Philosophen.
( 78) audiebam Pythagoram Pythagoreosque incolas paene nostros, qui essent Italici philosophi quondam nominati, numquam dubitasse, quin ex universa mente divina delibatos animos haberemus. demonstrabantur mihi praeterea, quae Socrates supremo vitae die de inmortalitate animorum disseruisset, is qui esset omnium sapientissimus oraculo Apollinis iudicatus. quid multa? sic persuasi mihi, sic sentio, cum tanta celeritas animorum sit, tanta memoria praeteritorum futurorumque prudentia, tot artes, tantae scientiae, tot inventa, non posse eam naturam, quae res eas contineat, esse mortalem, cumque semper agitetur animus nec principium motus habeat, quia se ipse moveat, ne finem quidem habiturum esse motus, quia numquam se ipse sit relicturus, et cum simplex animi esset natura neque haberet in se quicquam admixtum dispar sui atque dissimile, non posse eum dividi; quod si non posset, non posse interire; magnoque esse argumento homines scire pleraque ante, quam nati sint, quod iam pueri, cum artes difficiles discant, ita celeriter res innumerabiles arripiant, ut eas non tum primum accipere videantur, sed reminisci et recordari. haec Platonis fere. Ich hörte, dass Pythagoras und die Pythagoreer, die beinahe unsere Landsleute waren, nie daran zweifelten, dass unsere Seelen Teile der allgemeinen Weltseele seien. Es wurde mir überdies erzählt, was Sokrates am letzten Tag seines Lebens von der Unsterblichkeit der Seele gesprochen habe, - er, den Apollons Orakelspruch für den Weisesten aller Sterblichen erklärt hatte. Kurz, meine Überzeugung geht wie meine Ansicht dahin: Da der Seele eine so rasche Tätigkeit, eine so lebhafte Erinnerung an die Vergangenheit und ein so heller Blick in die Zukunft zukommt; da so viele und so schwer zu erlernende Wissenschaften , so viele Erfindungen ihr Eigentum sind, kann sie als ein so umfassendes Wesen nicht sterblich sein. Da ferner die Seele in steter Bewegung ist und die Grundursache ihrer Bewegung bloß in sich selbst hat, wird diese Bewegung auch nicht aufhören, weil sie sich selbst nie verlassen kann. Und da das Wesen der Seele einfach ist und nichts Ungleichartiges und Unähnliches ihr beigemischt ist, ist sie auch nicht teilbar; und ist sie das nicht, so ist sie auch nicht der Vernichtung unterworfen. - Als ein starker Beweis, dass die Menschen das meiste schon wussten, ehe sie geboren waren, mag das gelten, dass Kinder, wenn sie schwere Künste erlernen, unzählige Gegenstände so schnell ergreifen, dass sie diese nicht erst jetzt aufzufassen, sondern sich bloß erneut an sie zu erinnern scheinen. So in etwa Platon.
(XXII  79) apud Xenophontem autem moriens Cyrus maior haec dicit: 'nolite arbitrari o mihi carissimi filii, me cum a vobis discessero, nusquam aut nullum fore. nec enim dum eram vobiscum, animum meum videbatis, sed eum esse in hoc corpore ex iis rebus, quas gerebam, intellegebatis. eundem igitur esse creditote, etiamsi nullum videbitis. Bei Xenophon spricht der ältere Kyros auf dem Sterbebett folgende Worte: "Glaubt ja nicht, meine teuersten Söhne, dass ich, wenn ich mich von euch getrennt habe, nirgends mehr sei oder dass mein Dasein ganz aufhören werde. Ihr habt meine Seele ja auch nicht gesehen, solange sie noch bei euch war; nur aus den Handlungen, die ich verrichtete, habe ihr auf ihr Dasein in diesem Körperr geschlossen. Glaubt daher, dass sie noch als eben die selbe fortdauere, wenn ihr sie auch nicht mehr seht.
( 80) Nec vero clarorum virorum post mortem honores permanerent, si nihil eorum ipsorum animi efficerent, quo diutius memoriam sui teneremus. mihi quidem numquam persuaderi potuit animos, dum in corporibus essent mortalibus, vivere, cum excessissent ex iis, emori, nec vero tunc animum esse insipientem, cum ex insipienti corpore evasisset, sed cum omni admixtione corporis liberatus purus et integer esse coepisset, tum esse sapientem. atque etiam cum hominis natura morte dissolvitur, ceterarum rerum perspicuum est quo quaeque discedat; abeunt enim illuc omnia unde orta sunt, animus autem solus nec cum adest nec cum discessit, apparet. Auch würden solche Ehrenbezeugungen berühmten Männern nach ihrem Tod nicht weiterhin zu Teil werden, wenn ihre Seelen nichts bewirkten, was ihr Andenken länger bei uns erhielte. Ich jedenfalls konnte mich nie davon überzeugen, dass die Seele, nur solange sie im menschlichen Körper wohnt, lebe, wenn sie ihn aber verlassen hat, absterbe. Ebenso wenig davon, dass die Seele die Vernunft verliere, wenn sie aus dem vernunftlosen Körper geschieden ist. Vielmehr glaubte ich, dass die Seele dann erst weise wird, wenn sie von allen Beimischungen des Körpers frei, rein und lauter zu sein anfängt. Wenn sich ferner die Natur des Menschen im Tod auflöst, so sieht man doch, wohin alle sonstigen Teile kommen: dorthin nämlich, woraus sie hervorgingen. Nur allein die Seele sieht man nicht, weder solange sie im Körper einwohnt, noch wenn sie aus ihm scheidet.
( 81) iam vero videtis nihil esse morti tam simile quam somnum. atqui dormientium animi maxime declarant divinitatem suam; multa enim, cum remissi et liberi sunt, futura prospiciunt. ex quo intellegitur, quales futuri sint, cum se plane corporis vinculis relaxaverint. quare, si haec ita sunt, sic me colitote' inquit 'ut deum; sin una est interiturus animus cum corpore, vos tamen deos verentes, qui hanc omnem pulchritudinem tuentur et regunt, memoriam nostri pie inviolateque servabitis.' Cyrus quidem haec moriens; nos si placet nostra videamus. Endlich wisst ihr doch, dass nichts dem Tod so ähnlich ist wie der Schlaf. Nun aber beurkundet die Seele vorzüglich im Schlaf ihre göttliche Abkunft; denn sie wirft, wenn sie abgespannt und frei ist, Blicke in die Zukunft. Daraus kann man auf den Zustand schließen, in dem sie sich befindet, sobald sie die Bande des Körpers gänzlich abgestreift hat. - Wenn dem nun wirklich so ist, so verehrt mich hinfort wie eine Gottheit; muss aber die Seele zugleich mit dem Körper vergehen, so werdet ihr doch aus Ehrfurcht gegen die Götter, die dieses schöne Weltall erhalten und regieren, mein Andenken in frommer Liebe und unverbrüchlicher Treue bewahren." So sprach der sterbende Kyros. Wir wollen jetzt, wenn es euch beliebt, meine Ansichten ins Auge fassen.
(XXIII  82) nemo umquam mihi Scipio persuadebit aut patrem tuum Paulum aut duos avos Paulum et Africanum aut Africani patrem aut patruum aut multos praestantes viros, quos enumerare non est necesse, tanta esse conatos, quae ad posteritatis memoriam pertinerent, nisi animo cernerent posteritatem ad se posse pertinere. an censes, ut de me ipse aliquid more senum glorier, me tantos labores diurnos nocturnosque domi militiaeque suscepturum fuisse, si isdem finibus gloriam meam, quibus vitam essem terminaturus? nonne melius multo fuisset otiosam aetatem et quietam sine ullo aut labore aut contentione traducere? sed nescio quo modo animus erigens se posteritatem ita semper prospiciebat, quasi, cum excessisset e vita, tum denique victurus esset. quod quidem ni ita se haberet, ut animi inmortales essent, haud optimi cuiusque animus maxime ad inmortalitatem et gloriam niteretur. Niemand wird mich, mein Scipio, überzeugen können, dass dein Vater Paulus oder deine beiden Großväter Paulus und Africanus oder der Vater und Onkel des Africanus oder endlich so viele vortreffliche Männer, die ich nicht aufzuzählen brauche, so Großes gewagt hätten, um ihr Andenken auf die Nachwelt fortzupflanzen, wenn sie nicht im Geist vorausgesehen hätten, dass die Nachwelt mit ihnen in Verbindung steht. Oder glaubst du - um auch von meiner Person nach Art der Greise etwas zu rühmen - ich hätte so viele Beschwerden bei Tag und bei Nacht im Krieg und im Frieden auf mich genommen, wenn ich bereit gewesen wäre, meinen Ruhm auf die selben Grenzen zu beschränken wie mein Leben? Wäre es in diesem Fall nicht viel besser gewesen, mein Leben in Geschäftslosigkeit und Ruhe ohne Arbeit und Anstrengung hinzubringen? Aber meine Seele strebte auf eine mir unerklärliche Weise aufwärts und warf ihre Blicke stets so auf die Nachwelt, als ob sie dann erst leben würde, wenn sie das Leben verlassen hätte. Wenn nun die Seelen nicht wirklich unsterblich wären, würde nicht des Menschen Seele, je edler er ist, desto mehr nach Unsterblichkeit des Ruhmes emporstreben.
( 83) quid? quod sapientissimus quisque aequissimo animo moritur, stultissimus iniquissimo, nonne vobis videtur is animus, qui plus cernat et longius, videre se ad meliora proficisci, ille autem cui obtusior sit acies, non videre? equidem efferor studio patres vestros, quos colui et dilexi, videndi neque vero eos solos convenire aveo, quos ipse cognovi, sed illos etiam, de quibus audivi et legi et ipse conscripsi. quo quidem me proficiscentem haud sane quis facile retraxerit nec tamquam Peliam recoxerit. et si qui deus mihi largiatur, ut ex hac aetate repuerascam et in cunis vagiam, valde recusem nec vero velim quasi decurso spatio ad carceres a calce revocari. Ja, je weiser der Mensch ist, eine desto größere Ruhe beweist er im Sterben, je törichter, eine desto größere Unruhe. Ist dies nicht ein Beweis, dass diejenige Seele, die mehr und weiter sieht, auch sehen muss, dass sie in einen besseren Zustand übergeht, was der Kurzsichtige nicht sieht? Ich wenigstens fühle mich hingerissen von Verlangen, eure Väter, die ich schätzte und liebte, einst zu sehen; und ich wünsche, nicht bloß in die Gesellschaft derer zu kommen, die ich selbst kannte, sondern auch derer, von denen ich gehört, gelesen und selbst auch geschrieben habe. Von der Wanderung dahin würde man mich nicht so leicht abhalten, noch mich, wie Pelias, durch Kochen wieder verjüngen. Und wollte mir ein Gott die Gnade erweisen und mich aus diesem Alter wieder in die Kindheit umkehren und in der Wiege wimmern lassen, so würde ich mich gar sehr weigern. Es läge ja nicht in meinem Wunsch, nach vollendeter Laufbahn vom Ziel wieder an die Schranken zurückgeführt zu werden.
( 84) quid habet enim vita commodi?
quid non potius laboris? sed habeat sane, habet certe tamen aut satietatem aut modum. non lubet enim mihi deplorare vitam, quod multi et ii docti saepe fecerunt, neque me vixisse paenitet, quoniam ita vixi, ut non frustra me natum existumem, et ex vita ita discedo tamquam ex hospitio, non tamquam domo. commorandi enim natura devorsorium nobis, non habitandi dedit. o praeclarum diem, cum in illud divinum animorum concilium coetumque proficiscar cumque ex hac turba et conluvione discedam! proficiscar enim non ad eos solum viros, de quibus ante dixi, verum etiam ad Catonem meum, quo nemo vir melior natus est, nemo pietate praestantior; cuius a me corpus est crematum, quod contra decuit ab illo meum, animus vero non me deserens, sed respectans in ea profecto loca discessit, quo mihi ipse cernebat esse veniendum., quem ego meum casum fortiter ferre visus sum, non quo aequo animo ferrem, sed me ipse consolabar existumans non longinquum inter nos digressum et discessum fore.
Welche Annehmlichkeiten hat denn das Leben? Sind es nicht vielmehr Mühseligkeiten? Aber mag es auch Annehmlichkeiten haben, so hat es doch auch seine Sättigung, sein Maß und Ziel. Ich mag das Leben zwar nicht bejammern, wie es schon viele und noch dazu gelehrte Männer getan haben; auch ist es mir nicht leid, gelebt zu haben; denn ich habe so gelebt, dass ich glaube, nicht umsonst geboren worden zu sein; und ich scheide aus dem Leben wie aus einem Gasthaus, nicht wie aus einem eigentlichen Wohnhaus. Denn nach der Bestimmung der Natur sollen wir hier unten nur eine Zeitlang einkehren, nicht aber eine bleibende Wohnstätte haben. - O du herrlicher Tag, an dem ich aus diesem Gewühl und Schlamm der Welt scheiden und in jene göttliche Versammlung und Gesellschaft der Geiser übergehen werde! Denn ich komme dann nicht allein zu den Männern, von denen ich oben gesprochen habe, sondern auch zu meinem Cato, dem edelsten Menschen, dem zärtlichsten Sohn, zu ihm, dessen Leichnam ich verbrannte; ein Dienst, den freilich er dem meinigen hätte erweisen sollen. Doch sein Geist, nicht entweichend, sondern sich öfter nach mir umsehend ist gewiss in jene Gefilde gewandert, wohin, wie er wohl voraussah, auch ich kommen werde. Wenn ich den Unfall seines Todes standhaft zu ertragen schien, so geschah dies nicht so ganz mit eigentlicher Gelassenheit, sondern ich tröstete mich mit dem Glauben, dass diese Trennung und Scheidung nicht von langer Dauer sein werde.
( 85) his mihi rebus Scipio (id enim te cum Laelio admirari solere dixisti) levis est senectus nec solum non molesta, sed etiam iucunda. quodsi in hoc erro, qui animos hominum inmortales esse credam, libenter erro nec mihi hunc errorem, quo delector, dum vivo, extorqueri volo; sin mortuus, ut quidam minuti philosophi censent, nihil sentiam, non vereor ne hunc errorem meum philosophi mortui irrideant. quodsi non sumus inmortales futuri, tamen extingui homini suo tempore optabile est. nam habet natura, ut aliarum omnium rerum, sic vivendi modum. senectus autem aetatis est peractio tamquam fabulae, cuius defatigationem fugere debemus praesertim adiuncta satietate.
Haec habui de senectute, quae dicerem; ad quam utinam perveniatis, ut ea, quae ex me audistis, re experti probare possitis!
Durch solche Vorstellungen, mein Scipio, - denn dies war es ja, worüber du dich mit Laelius zu wundern pflegtest - wird mir mein Alter leicht, und nicht nur nicht beschwerlich, sondern sogar angenehm. Wenn ich auch in meinem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele irre, so irre ich gern, und ich mag mir diesen Irrtum, an dem ich Vergnügen empfinde, nicht gewaltsam entreißen lassen. Wenn nach dem Tod, wie einige unbedeutende Philosophen glauben, mein Bewusstsein aufhört, so habe ich doch nicht zu befürchten, dass die Philosophen nach ihrem Tod diesen meinen Irrtum spöttisch belächeln. Sind wir aber auch nicht unsterblichen Wesens, so ist es für den Menschen doch wünschenswert, dass sein Leben zu seiner Zeit aufhöre. Denn die Natur hat, wie allem, so auch dem Leben sein Ziel gesetzt. Das Alter aber führt das Leben wie ein Schauspiel zum Schluss. Wir müssen es zu vermeiden suchen, dass dieses Spiel nicht ermüde, besonders wenn wir satt sind.
Dies sind meine Gedanken über das Greisenalter, die ich dir mitteilen konnte. Möchtet ihr doch dieses Alter erreichen, damit ihr das, was ihr aus meinem Mund vernommen habt, durch eigene Erfahrung bestätigen könnt.
   
   
 
 

 

Sententiae excerptae:
Lat. zu "senectude" und "Alter"
Literatur:
zu "Cic.Sen" und "Greisenalter"
702
Cicero, M.T. / Kühner, R.
Cato oder von dem Greisenalter an Titus Pomponius Atticus.
Berlin, Langenscheidtsche Verlagsbuchhandlung,o.J. (ca. 1908)
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zvab

632
Schröder, R.A.
Marcus Tullius Cicero: Cato der Ältere über das Greisenalter
in: Büchner: Cicero, WBG 1971 (WdF 27)
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zvab



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