De rerum natura4. Buch - deutsch |
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Unwegsame Gefilde der Pieriden durchwandr' ich,
Die kein Fuß noch betrat; zu noch unberühreten Quellen Will ich mich wenden und schöpfen und neue Blumen mir pflücken, Meinem Haupte daraus den herrlichen Kranz zu bereiten, |
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Womit keinem zuvor die Muse die Schläfe umkränzt
hat. Denn ich belehre vorerst von erhabenen Dingen und suche Aus dem verstricketen Netz der Religionen die Seele Loszuwinden, und dann verbreit' ich noch über das Dunkle Lichten Gesang, mit dem Reiz der Musen alles besprengend; |
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Denn auch dies entbehrt nicht jeglichen Grundes,
wie mir scheinet. Nämlich wie heilende Ärzte, wann Kindern sie widrigen Wermut Wagen zu reichen, zuvor den Rand des Bechers bestreichen Mit dem gelblichen Safte des süßen Honigs, damit sie Täuschen den unvorsichtigen Sinn und die Lippe des Kindes, |
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Die indessen verschluckt den Trank des bitteren
Wermuts, Und durch solches Benehmen getäuscht und doch nicht betrogen, Sondern vielmehr erquickt, Gesundheit und Leben empfänget. Also nunmehr auch ich; da den meisten widrig und herb scheint Diese Lehre, die nicht hinlänglich von ihnen erforscht ist, |
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Und vor derselben der Pöbel zurückbebt, wollt'
ich die Gründe Im süßredenden Liede der Pieriden dir dartun Und mit dem Honigseime der Musen sie gleichsam besprengen, Ob es auf diese Weise vielleicht mir möge gelingen, Fest dir zu halten den Geist in meinem Liede, bis ganz du |
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Schauest der Dinge Natur und fühlest von diesem
den Nutzen. Aber nachdem ich gelehrt, wie die Stoffe der Dinge beschaffen, Wie sie, verschieden an Form und Gestalt, durch ewigen Antrieb Frei umschwärmen im Leeren, auf welcherlei Weise die Dinge Alle können aus ihnen geschaffen werden, nachdem ich |
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Weiter erklärt der Seele Natur, woraus sie bestehe Und mit dem Körper vereint in lebenden Kräften sich äuß're, Und wie von ihm sie getrennt, in die Uranfänge zurückkehrt: Muss ich dir zeigen nunmehr, was noch in genauer Beziehung Mit dem vorherigen steht, dass wirklich dergleichen es gebe, |
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Von uns benannt die Bilder der Dinge, die gleichsam
die Häutchen Abgestreifet vom obersten Rand der Flächen der Körper Allenthalben in Lüftern umher sich treiben und schwärmen: Ebendieselben auch sind's, die oft im Wachen, in Träumen Uns erscheinen und schrecken, indem wir Gestalten vor uns seh'n |
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Seltsamer Art und Bilder der längst verblichenen
Menschen, Die vom ermatteten Schlaf zuweilen mit grausendem Schrecken Uns erwecken: dass nicht du wähnest, es könnten die Seelen Aus dem Orkus entflohn, noch unter Lebendigen flattern Hier als Schatten, auch nicht, dass irgend nur etwa ein Teil noch |
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Könne zurücke bleiben von uns, nach unserem Tode, Wenn sich schon aufgelöst mit dem Körper der Seele Natur hat, Und nun jedes zurück in die Urelemente gekehrt ist. Demnach sag' ich, es senden die Oberflächen der Körper Dünne Figuren von sich, die Ebenbilder der Dinge; |
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Häutchen möcht' ich sie nennen, und gleichsam
die Hülsen von diesen, Denn sie gleichen an Form und Gestalt dem nämlichen Körper, Dem entflossen umher sie die freien Lüfte durchschwärmen. Und diese lässt sich auch leicht mit schwachem Verstande begreifen. Sehen von Dingen wir nicht, die wir augenscheinlich erkennen, |
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Körper sich sondern, die teils sich aufgelöset
zerstreuen, Wie aus dem Holze der Rauch, aus dem Feuer die dünstende Wärme, Teils auch dichter verwebt und näher zusammengedrängt sind. Wie, wenn die holde Zikade das rundliche Röckchen im Sommer Abwirft oder das Kalb von dem Körper steifet die Häute |
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Bei der Geburt; auch noch, wenn an Dornen die
schlüpfrige Schlange Lässet ihr Kleid, dass den flatternden Raub an Sträuchern wir sehen. Zeigt die Erfahrung uns dies, so müssen auch dünnere Bilder Senden die Dinge von sich, vom äußersten Rande derselben; Denn auch der mindeste Grund ist nicht vorhanden zu glauben, |
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Jene lösten sich leichter als diese, die feiner
gewebt sind. Insbesondere noch, da winzige Teilchen in Menge Liegen am äußersten Rand der Körper, in voriger Ordnung Hingeworfen zu werden, sich Form und Gestalt zu erhalten. Schneller auch können Sie das, weil minder sie Hindernis finden; |
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Sie, die gering an Zahl, und gestellt zunächst
an den Rand sind. Manches sehen wir ja, das hinschießt, oder auch aufsteigt, Nicht, wie wir sagten zuvor, aus dem Innern selbst und dem Ganzen, Sondern vom äußersten Saum, und selbst von der Farbe der Dinge. Häufig bemerkt man das an den gelblichen, rötlichen, blauen, |
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Teppichen, welche gespannt hoch über das weite
Theater Wogend schweben, allda verbreitet an Masten und Balken. Denn der Versammlung unteren Raum, den herrlichen Schauplatz, Sitze der Väter und Mütter, der Götter erhabene Bilder, Tünchen sie an, sie zwingend in ihrem Gefärbe zu schwanken. |
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Und sind enger umher des Theaters Wände verschlossen, Dann lacht fröhlicher noch vom erschossenen Reize der Umfang, Wenn genauer zusammengefasst der Schimmer des Tags ist. Lassen die Tücher demnach von der obersten Fläche die Schminke Fahren, wie sollte dann nicht ein zartes Gebilde der Dinge |
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Jedes entlassen, da beides auf ähnliche Weise
vom Rand schießt? Demnach gibt es gewiss ganz sichere Spuren der Formen, Welche schwärmen umher, vom dünnsten Faden gesponnen, Einzeln jedoch und getrennt sind solche dem Auge nicht sichtbar. Rauch und Dampf und Geruch und ähnliche Dinge von diesen, |
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Wallen in Menge zerteilt hervor aus den Dingen,
und darum, Weil, in dem Inneren erzeugt, indem aus der Tiefe sie dringen, Sie die Krümme des Weges zerreißt, es mangelt der Ausgang, Wo sie geraden Wegs und unzertrennet entflössen. Wirft hingegen ein Häutchen sich ab vom Rande der Färbung, |
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Findet sich nichts, was zerreißen es könnt, es
liegt an der Fläche Und an dem obersten Saum, wo es ungehindert davon eilt. Ferner, Gebilde, die wir in dem Spiegel sehen, im Wasser, Oder auch überhaupt auf jeder glänzenden Fläche, Müssen, dieweil sie selbst den Dingen so gleich an Gestalt sind, |
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Auch aus Bildern bestehn, die von solchen Dingen
sich lösen. Nämlich der mindeste Grund ist nicht vorhanden zu glauben, Jene sichtbaren Körper, die mehreren Dingen entweichen, Löseten leichter sich hat, als die, die feiner gewebt sind. Und so gibt es demnach Abdrücke der Formen, die zart sind, |
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Und verschiedene von jenen, die zwar nicht einzeln
man sehn kann, Immer und häufig jedoch von der klaren Fläche des Spiegels Abgetrieben, erblickt sie, gereizt von ihnen das Auge. Auch kein anderer Grund ist da, woraus sich erklärte, Wie sie doch jeder Figur so ähnlich sich könnten erhalten. |
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Auf, und vernimm nunmehr, wie zart von Beschaffenheit
müsse Sein des Bildes Natur, um so mehr, da die Stoffe so weit sind Unseren Sinnen entfernt, so viel noch kleiner als alles, Was mit dem Sinne des Auges wir nur zu erfassen vermögen. Und, damit ich dir noch darstelle, wie fein die Natur sei |
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Aller anfänglichen Stoffe, vernimm mit wenigem
dieses. Erstlich finden sich Tierchen, so klein in ihrer Natur schon, Dass der gedritte Teil von ihnen nicht kennbar dem Aug' ist. Nun von diesen wie groß mag jeglicher innerer Teil sein? Welch ein Pünktchen das Herz? die Augen? die übrigen Glieder? |
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Endlich die Stoffe sogar, aus welchen die Seele
bestehet? Kannst du was Feineres dir, was winziger wäre, dir denken? Kräuter von scharfem Geruch, als Schafkraut, widriger Wermut, Stabwurz, Tausengülden, die herb und strenger Natur sind; Wann du von ihnen eins auch noch so gelinde berührest, |
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Wirst du sogleich es gewahr, dass viele Gebilde
derselben Schwärmen, auf mancherlei Art, nicht fähig, das Auge zu reizen. [Aber wer könnte berechnen, mit Worten auch nur es bezeichnen, Welch ein geringer Teil annoch von diesem das Bild sei?] Halte die Bilder jedoch, die los von den Dingen sich treiben, |
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Nicht für die einzigen nur; auch andere Arten
noch gibt es, Die sich erzeugen von selbst, und in diesen Himmel sich bilden, Den wir den Luftkreis nennen: wie solche zuweilen wir sehen Durch die Wolken entstehn, die sich hoch auftürmen im Luftraum, Und das heitre Gesicht der Welt mit Dunkel entstellen. |
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Diese erheben sich nun, auf mancherlei Weise
gebildet, Ändern sich unaufhörlich, zerfließen in neue Gestalten Und auf mancherlei Art verwandeln sie Formen und Umriss, Fächelnd die Luft durch ihre Bewegung: wir sehen sie oftmals Schweben als Riesengestalten und weit hinziehen den Schatten; |
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Oft auch sehen wir Berge, den Bergen entrissenen
Felsen, Bald der Sonne voran, bald hinter derselbigen wandeln, Ungeheuer auch schleppten sich nach in anderen Wolken. Hören nun, wie sich die selben so leicht und flüchtig bewegen, Unaufhörlich entfließend und stets abgleitend den Körpern. |
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Immer ein äußerstes quillt empor in Fülle von
Dingen, Welches sie von sich schießen, und trifft es auf andere Körper, Dann dringt solches hindurch, am meisten durch Stoffe der Kleider: Trifft es jedoch auf rauheren Stoff der Steine, des Holzes, Wird es zerrissen und gibt ein Bild zurück von den selben: |
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Stellet sich etwas jedoch, das dicht und glatt
ist, entgegen, Und vorzüglich der Spiegel, so trägt dergleichen sich nicht zu, Denn durchdringen kann es ihn nicht, wie das Kleid, auch zerrissen Wird es nicht, da zuvor schon selbst die Glätt des beschützt hat. Daher fließen in Menge zurück die Bilder des Spiegels, |
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Und so schnell du ein Ding hinstellst, in welcher
Minute, Was für ein Ding es auch sei, obgleich erscheinet das Bild dir. Dieses beweist, dass stets den obersten Flächen der Körper Bilder entfließend von dünnem Geweb und leise Gestalten. Und so bewegen im kleinsten Moment sich Bilder in Menge, |
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Dass man mit Recht benennen sie mag die schnellsten
Geburten. Und wie die Sonne von sich ausschießt zahlreiche Strahlen In der kürzesten Frist, stets alles damit zu erfüllen, Müssen auf ähnliche Art die leichten Gebilde der Dinge Schnell abfliegen und sich in dem Augenblicke verbreiten, |
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Viel, auf mancherlei Art nach jeglicher Seite
gerichtet: Denn, wie immer auch nur den Spiegel wir drehen und wenden, Spricht ihn derselben Form, in derselben Farb' uns die Sach' an. Ferner, so rein auch zuvor des Himmels lichte Gestalt war, Ist urplötzlich er doch entstellt und trübe von allen |
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Seiten, so dass du glaubest, die Nächte des Acheron
alle Seien heraufgestiegen, zu füllen des Himmels Gewölbe. Solch ein Schreckengesicht zusammengedrängter Gewitter Hängt von oben herab in scheußlicher Finsternis nieder. Welch ein geringer Teil annoch von diesem das Bild sei, |
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Wer kann solches berechnen, mit Worten auch nur
es bezeichnen? Auf, und mit welcher Schnelligkeit nun sich treiben die Bilder, Wie sie mit eilender Rege begabte durchschwimmen die Lüfte, Sich in dem kleinsten Moment zu den fernsten Weiten begeben, Wo nur jegliches hin nach seinem verschiedenen Wink strebt, |
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Will ich in wenigen zwar, doch lieblichen Versen
dir zeigen. Wenige Töne des Schwans sind besser, als jenes Gekreische, Welches die Kraniche dort verbreiten in Wolken des Auster. Erstlich sieht man oft sehr leichte Dinge von äußerst Kleinem Bestand, begabt mit eilender schneller Bewegung. |
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Unter diese gehöret das Licht und die Wärme der
Sonne, Denn sie beide bestehn aus den feinsten Arten der Stoffe. Gleichsam geschlagen und vom nachfolgenden Schlage getrieben, Säumen sie nicht, durch die Räume der Luft aufs schnellste zu dringen; Augenblicklich ersetzt ein Licht das andere wieder, |
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Blitze stacheln den Blitz in ununterbrochener
Folge, Und es müssen daher auf die nämliche Weise die Bilder In unmerklicher Zeit unermessliche Weiten ereilen: Nicht nur weil aus der Ferne schon her das zarte Gefolge Immer von hinten sie treibt und vorwärts drängt und sie fortstößt, |
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Sondern auch, weil sie so leicht und dünn von
Gewebe beschaffen, Dass sie durch jegliches Ding ohn' alle Bemühung zu dringen, Gleichsam die Zwischenräume der Luft zu durchströmen vermögen. Mögen die Körperchen nun, die im inneren Wesen erzeugt sind, Und sich entbinden von da, wie Licht und Wärme der Sonne, |
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Mögen diese sich schon im Momente der Zeit durch
die weiten Räume des Himmels ergießen und ihn und das Meer und die Erde Überströmen; so schnell, so leicht beweglich im Fluge, Sollten die Bilder dann nicht von der äußersten Fläche der Körper Abgeschnellet, die nichts auf ihrem Wege zurückhält, |
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Sollten sie ihn nicht weit schneller die weitesten Räume durchlaufen? | |
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