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Publius Vergilius Maro

Aeneis

2. Buch - deutsch

Die Ich-Erzählung vom Fall Troias (Iliupersis)

 
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1


Still schwieg alles umher mit gespannt aufmerkendem Antlitz,
Als von erhabenem Pfühl so anhob Vater Aineias:
"Königin, ach, du heißt mich unsäglichen Schmerz zu erneuern,
Wie die troianische Macht und tief zu beklagende Herrschaft
5



Fiel, von den Griechen gestürzt; was selbst ich Entsetzliches ansah
Und mit trug zu bedeutendem Teil. Wer, der es erzählte,
Doloper selbst, Myrmidon und Krieger des harten Odysseus,
Hielte die Tränen zurück? Und schon sinkt feucht von dem Himmel
Jählings die Nacht, und es laden zum Schlaf die erbleichenden Sterne.
Doch, ist so groß das Gelüst, mein Trauergeschick zu vernehmen
Und in der Kürze den Schluss zu hören von Ilions Nöten,
Wenn gleich schaudernd der Geist zurückbebt vor der Erinnrung,
Will ich beginnen. - Gelähmt im Kampf, vom Glücke verstoßen,
Bau'n die argivischen Fürsten, da so viel Jahre verronnen,
Jetzo mit Pallas' göttlicher Kunst ein Ross, wie ein Bergjoch
Ragend, und zimmern die Rippen umher aus geschnittenen Tannen,
Als ein Weihegeschenk für die Rückkehr - wie das Gerücht geht.
Heimlich verschließen sie drauf die erlesensten Heldengestalten
Hier in dem dunkeln Versteck und füllen den Bauch und die tiefen
Höhlungen ganz und gar mit Scharen bewaffneter Streiter.
Tenedos liegt vor dem Blick, durch den Ruf kennt jeder das Eiland,
Reich vordem an Besitz, als Priamos' Herrschaft noch blühte,
Jetzt ein verlassener Strand, ein tückischer Port für die Kiele.
Dorthin stoßen sie ab, sich am öden Gestade zu bergen.
Doch wir wähnen, sie seien davon nach Mykene gesegelt,
Und ganz Teukrien sagt sich los von der langen Betrübnis.
Jegliches Tor fliegt auf; man wandelt vergnügt, um der Dorer
Lager zu schaun, den verödeten Strand, die verlassenen Plätze.
Hier war der Doloper Stand; hier lag Achilles, der wilde;
Hier war die Flotte gereiht; hier pflegte der Kampf zu entbrennen.
Mancher erstaunt ob des schlimmen Geschenks der keuschen Minerva
Und der gewaltigen Masse des Pferds. Thymoites als erster
Mahnt, in die Stadt es zu ziehn und aufzustellen im Burgraum -
Ob aus List, ob Troias Geschick schon also es fügte.
Kapys jedoch, und wer noch sonst bei besseren Sinnen,
Raten, der Danaer Trug und verdächtige Gab' in des Meeres
Grund zu versenken - wo nicht, sie mit flammender Glut zu verbrennen
Oder, den Bauch anbohrend, das hohle Versteck zu erforschen.
In zwiespältige Meinung zerteilt sich die schwankende Menge.
Da vor allen voraus, von großem Gefolge begleitet,
Sieht von der Höhe der Burg man erhitzt Laokoon eilen.
Fern schon ruft er: "Was treibt für ein Wahnsinn euch, ihr betörten
Bürger? Ihr wähnet den Feind entflohn? Glaubt, ohne Betrug sei
Irgend ein griechisch Geschenk? So schlecht kennt ihr den Odysseus?
Nein, es verschließt dies Holz entweder verborgne Achiver,
Oder das Werk ist erbaut zum Verderb für unsere Mauern,
Dass in die Häuser es schau und die Feste von oben bedrohe,
Oder es birgt sonst Trug. Traut nicht, ihr Teukrer, dem Rosse!
Was es auch sei, ich fürchte die Danaer, selbst wenn sie schenken.“
Sprach's und bohrte mit kräftigem Stoß die gewaltige Lanze
Zwischen die Rippen des Tiers und in des gerundeten Leibes
Fugen hinein, dass zitternd sie stand, des erschütterten Bauches
Höhlung erscholl und dumpf mit Geseufz nachhallte die Wölbung.
Und wenn nicht Göttergeschick und der eigne Verstand uns betörte,
Trieb er uns an, mit dem Schwert der Argiver Versteck zu zerhauen,
Troia stünde noch jetzt und Priamos' ragende Feste.
Siehe, da wird - die Hand' auf den Rücken gebunden - ein Jüngling
Von dardanischen Hirten mit lautem Geschrei vor des Landes
König geschleppt. Er hatte, von keinem gekannt, in den Weg sich
Ihnen von selber gestellt, absichtlich, dass er den Griechen
Troia eröffne, entschlossenen Muts, zu beidem gerüstet:
Ränke zu spinnen - wo nicht, zu erliegen dem sicheren Tode.
Allseits strömt schaulustig der Schwarm der troianischen Jugend
Um den Gefangenen her, wetteifernd, den Mann zu verhöhnen.
Und nun höre der Danaer Trug, und von einem Verbrechen
Schließ auf alle.
Denn wie im Kreis vor aller Gesicht er betroffen und wehrlos
Dastand, wie mit dem Blick er der Phrygier Reihen durchschweifte,
Rief er: "Oh, welches Gefild gibt mir und welches Gewässer
Zuflucht jetzt? Was bleibt mir Unglückseligem übrig,
Der bei den Danaern nicht Platz findet und den die ergrimmten
Dardanosenkel nun auch mit blutiger Strafe bedrohen?“
Jeglich Gemüt ist gewandt durch die Klag', und jeglicher Angriff
Stockt; wir heißen ihn reden, aus welchem Geblüt er entstammt sei,
Was er uns bring und worauf er selbst als Gefangner vertraue.
[Endlich lässt er die Furcht, und äußert sich folgendermaßen:]
Alles denn will ich, o König, was immer es sei, dir in Wahrheit
Künden. Ich leugne zuvörderst es nicht: vom argolischen Volke
Bin ich entstammt. Wenn das Glück auch elend den Sinon gemacht hat,
Soll ihn das Böse jedoch nicht unwahr und lügnerisch machen.
Ist durch Gerücht dir vielleicht des Belosspross Palamedes
Namen und weithin strahlender Ruhm zu Ohren gekommen,
Welchen erlognen Verrats die Pelasger bezichtigt und schuldlos,
Weil er vom Krieg abriet, auf ein schändliches Zeugnis zum Tode
Hatten geführt; den jetzt, da des Lichts er beraubt, sie betrauern -:
Ihm, der durch Bande des Bluts mir nah, zum Begleiter entsandte
Mich im Beginne des Kampfs hierher mein dürftiger Vater.
Als in der Herrschaft sicher er stand und geehrt in der Fürsten
Rat, ward mir auch etwas von Ruhm zuteil und von Würde.
Aber nachdem durch den Neid des berückenden Schwätzers Odysseus -
Was ich erzähl', ist bekannt - er der Lebenden Lande verlassen,
Schleppt ich geknickt mein Dasein hin in Dunkel und Trübsal,
Über des Freundes Geschick, der schuldlos endete, grollend.
Töricht schwieg ich auch nicht und schwor, wenn das Schicksal es wollte,
Dass ich als Sieger dereinst noch sähe das heimische Argos,
Würd' ich ihn rächen. Den bittersten Hass erweckten die Worte.
Dies war des Unheils erster Beginn. Nun schreckte Odysseus
Stets mit erneuter Beschuldigung mich; zweideutige Reden
Streut er ins Volk, und der Schuld sich bewusst, sucht selbst er nach Waffen.
Wirklich ruht' er auch nicht, als bis mit Hilfe des Kalchas -
Doch was erneur' ich umsonst so widriger Dinge Gedächtnis,
Oder was halt ich mich auf? Wenn jeder Achiver euch gleich gilt
Und euch der Name genügt, so bestraft mich ohne zu säumen!
Das ist dem Ithaker lieb, das lohnen euch reich die Atriden.“
Nun erst fasst uns heiße Begier, nach den Gründen zu fragen,
Da wir pelasgische List und Frevel wie diese nicht ahnen.
Zitternd verfolgt er sein Wort und spricht mit verstellter Bewegung:
"Oftmals sannen die Danaer schon auf Flucht, um von Troia
Fortzuziehn und, erschöpft vom beständigen Kampf, zu enteilen.
Hätten sie doch es getan! Doch oftmals, schon auf dem Wege,
Hemmte des Meers wild tobender Schwall und schreckte der Süd sie.
Und nun gar, da das Ross, aus Ahornbalken gezimmert,
Hier sich erhob, da brauste Gewölk ringsum in dem Aither.
Angstvoll senden Eurypylos wir, vom Orakel des Phoibos
Rat zu erholen. Der bringt vom Tempel den schrecklichen Ausspruch:
"Blut hat die Wind' euch versöhnt; es fiel vom Beile die Jungfrau,
Danaer, als ihr zuerst ausschifftet zum ilischen Strande:
Suchet die Rückkehr auch durch Blut; ein argolischcs Leben
Werde geopfert.“ Sobald dies Wort zu den Ohren des Volks kam,
Fasset Entsetzen die Brust, und eisiger Schauder durchrieselt
Tief das Gebein: Wen weihn wir dem Tod? Wen fordert Apollon?
Siehe, der Ithaker zieht mit gewaltigem Lärmen den Seher
Kalchas mitten ins Volk; was die Stimme der Götter bedeute,
Fragt er in dringender Hast. Schon deutete mancher des Frevlers
Grausame List auf mich und ahnete schweigend, was komme.
Jener verhält zehn Tage sich still und weigert versteckt sich,
Kund zu geben den Mann durch sein Wort und dem Tode zu weihen.
Kaum durch des Ithakers lautes Geschrei zuletzt noch gezwungen,
Fährt er (so war es beredet) heraus und bestimmt dem Altar - mich,
Beifall zollen ihm alle; was für sich selber ein jeder
Fürchtete, wenden sie jetzt zum Verderb für den einen Verdammten.
Schon brach an der entsetzliche Tag; schon schickt man das Opfer
Für mich an, das gesalzene Korn und die Bind' um die Schläfe.
Da, ich gesteh's, zersprengt ich die Band' und entriss ich dem Tod mich,
Und im schlammigen Sumpf, im Schilfrohr, hielt ich die Nacht durch
Still mich versteckt, bis, segelten sie, sie völlig entsegelt.
Hin ist die Hoffnung nun, jemals zu erblicken die Heimat
Oder die Kinder, die holden, und ihn, den geliebten Erzeuger,
Die durch jene vielleicht ob meines Entfliehens noch Strafe
Dulden und, was ich verbrach, durch den Tod elendiglich büßen.
Drum bei der himmlischen Schar, bei den Göttern, den Zeugen der Wahrheit,
Fleh ich, und - wenn ein Rest davon bei den Sterblichen übrig -
Auch bei der Treue, die nimmer entweiht, o erbarme so großer
Leiden, erbarme dich mein, des Geist zu Schmähliches duldet.“
Solch ein Jammer erweicht uns das Herz und rettet sein Leben.
Priamos selber befiehlt, Handschellen und drückende Fesseln
Gleich zu lösen dem Mann, und spricht mit freundlichen Worten:
"Wer du auch seist, vergiss hinfort der verlorenen Griechen.
Jetzt bist der unsrige du; jetzt gib mir getreuliche Auskunft:
Wozu erstellt' und auf wessen Geheiß das gewaltige Ross man?
Was ist der Zweck? Ein Weihegeschenk? ein kriegrisches Rüstzeug?'
Sprach's, und jener, geübt in Trug und pelasgischen Ränken,
Hob zu den Sternen empor die der Fesseln entledigten Hände:
"Euch, unsterbliche Feuer, die straflos keiner beleidigt,
Ruf ich zu Zeugen und euch, ruchlose Altäre und Schwerter,
Die mich bedroht; Stirnbinden, die einst ich als Opfer getragen.
Jetzo darf das geheiligte Recht der Achaier ich lösen,
Darf ich hassen das Volk, darf alles, was jene verbergen,
Bringen ans Licht. Mich halten nicht mehr die Gesetze der Heimat,
Bleibst du, Troia, nur treu der Verheißung und hältst du, erhalten,
Auch dein Wort, wenn durch wahren Bericht ich es reichlich vergelte.
Jedes Vertraun auf den Krieg und jegliche Hoffnung der Griechen
Gründete stets auf die Hilfe der Pallas sich. Aber da gottlos
Tydeus' Sohn und Odysseus, des Frevels Erfinder, es wagten,
Pallas' Schicksalsbild aus geheiligtem Tempel zu reißen,
Da sie die Wächter der obersten Burg hinstreckten, gewaltsam
Fassten das heilige Bild und mit noch blutigen Händen
Frevelnd des göttlichen Weibs jungfräulichen Schleier berührten,
Seitdem schwankt' und sank rückflutend der Danaer Hoffnung,
Brach zusammen die Kraft und ward feindselig die Göttin.
Pallas verkündete dies durch unzweideutige Wunder.
Kaum dass im Lager das Bild man aufstellt, schießen in Strahlen
Zuckende Flammen empor; es trieft ein salziger Schweiß ihr
Über die Glieder; sie selbst springt dreimal - seltsam zu sagen -
Auf von dem Boden, den Schild in der Hand und die bebende Lanze.
Kalchas gebietet, sofort sich aufs Meer zur Flucht zu begeben,
Da nie Pergamons Burg den Argivergeschossen erläge,
Brächten von Argos sie nicht mit erneuerten Zeichen die Gottheit
Welche zur See sie nun mit gebogenen Kielen entführen.
Deshalb segeln von dannen sie jetzt zur mykenischen Heimat,
Dass mit der Götter Geleit sie sich waffnen und über die Flut dann
Plötzlich kehren zurück. So deutet uns Kalchas das Zeichen.
Für das Palladium nun und für die beleidigte Gottheit
Haben das Bildnis hier sie erhöht, dass es sühne den Frevel.
Aber aus Eichengebälk des Baus unermesslichen Umfang
Aufzutürmen zum Himmelsgewölb, hat Kalchas geboten,
Dass durch die Tore man nicht in die Stadt es zu bringen vermöchte
Und dass die Troer es nicht wie das frühere Heiligtum schütze.
Denn wenn euere Hand das Geschenk Minervas verletzte,
Werde das größte Verderben - o dass auf ihn selber die Götter
Kehrten die Deutung! - des Priamos Reich und die Phryger ereilen.
Doch wenn mit eigener Hand ihr in euere Stadt es hinaufzögt,
Werde sich Asien selbst in gewaltigem Kampfe den Mauern
Pelops' nahn. Dies Schicksal harre dereinst unsrer Enkel.“
Also durch Lug und Arglist schafft meineidig sich Sinon
Glauben bei uns und berückt durch List und erzwungene Tränen
Sie, die weder Achill noch der Tydeussohn Diomedes
Noch zehn Jahre besiegt noch die Tausende wimmelnder Kiele.
Etwas Größres jedoch - und um vieles entsetzlicher - zeigt jetzt
Uns Unglücklichen sich und verwirrt die erschrockenen Herzen.
Priester Neptuns durch das Los, ist eben Laokoon tätig,
Einen gewaltigen Stier am Festaltare zu schlachten.
Siehe, da wälzt von Tenedos sich durch die ruhige Tiefe
- Schaudernd erzähl ich's - ein Paar von Schlangen in furchtbaren Kreisen,
Über der Meerflut Rücken vereint hersteuernd zur Küste.
Hoch durch die Brandung erhebt sich die Brust, und die blutigen Mähnen
Ragen empor aus den Wogen, dahinter dann schleppt sich der andre
Teil durch das Meer, unermesslich den Leib in Windungen schlingend.
Rauschen ertönt aus der schäumenden Flut; schon sind sie am Lande,
Und mit brennenden Augen, von Blut und Feuer durchschossen,
Recken aus zischendem Schlund sie die leckenden, zitternden Zungen.
Bleich bei der Schau zerstäuben wir rings. Sie, sicheren Schwunges,
Greifen Laokoon an; und die schmächtigen Leiber der beiden
Söhnlein umringelt zuerst das Gewürm mit verschlungenem Knoten,
Und mit grimmigem Biss zernagt es die Glieder der Armen.
Drauf, da er selbst zum Beistand eilt mit erhobener Waffe,
Fassen sie ihn und schnüren ihn ein mit furchtbaren Schlingen.
Zweimal umwickeln den Leib, zweimal umringeln den Hals sie
Ihm mit dem Schuppengewind, und es bäumt sich ihr Nacken und Haupt hoch.
Jener bemüht sich der Knoten Gewirr mit den Händen zu trennen;
Geifer und schwärzliches Gift umströmt ihm die heiligen Binden;
Grässlich ertönt sein Jammergeschrei empor zu den Sternen,
Gleich dem Gebrülle des Stiers, wenn verwundet er von dem Altar flieht
Und von dem Nacken das Beil, das schwankend geführte, sich schüttelt.
Aber das Zwillingsgewürm schlüpft flüchtig hinauf zu des Tempels
Höhn, zu der grimmen Tritonia Burg, wo unter der Göttin
Füßen es still sich verbirgt und unter dem Rande des Schildes.
Jeglicher Busen erbebt; es durchdringt ein nimmer gekannter
Schrecken das Volk. Man sagt, Laokoon habe den Frevel,
Wie er verdienet, gebüßt, da das heilige Holz mit dem Spieß er
Schädigte, da er den Leib mit frevelnder Lanze durchbohrte.
Laut heischt alles, das Bild zum Sitze der Göttin zu führen
Und sie um Gnade zu flehn.
Wir durchbrechen den Wall und öffnen die Mauern der Feste;
Alles begibt sich ans Werk, setzt unter die Füße der Räder
Rollenden Schwung und umwindet den Hals mit hanfenen Banden.
Klimmend erhebt zu den Mauern das schicksalschwere Gebäu sich,
Schwanger mit Waffen. Es tönt ringsum von Knaben und Mädchen
Heilger Gesang, und sie freun sich, das Tau mit der Hand zu berühren.
Schon rückt drohend es an und rollt in die Mitte der Feste.
Oh, mein heimisches Land, o Ilion, Götterbehausung,
Kriegrische Mauern der Dardaner ihr, viermal an der Schwelle
Stockt' es im Tor, viermal scholl klirrend der Bauch von den Waffen.
Doch wir beharren dabei; sinnlos vom Wahne geblendet,
Bringen zur heiligen Burg wir das unglückselige Gräuel.
Auch Kassandra öffnet den Mund zur Verkündung der Zukunft,
Aber - so wollt es ein Gott - nie schenkten ihr Glauben die Teukrer.
Ja wir kränzen, wir Elende, noch, für die es der letzte
Tag war, rings durch die Stadt mit festlichem Laube die Tempel.
Schon auf den Ozean senkt bei gewendetem Himmel die Nacht sich;
Mit weit wallendem Schatten umhüllt sie den Pol und die Erde
Und der Achaier Betrug; weithin zerstreut durch die Feste
Schweigen die Teukrer, der Schlaf umfängt die ermatteten Glieder.
Schon mit gerüsteten Schiffen verließ die argivische Heerschaar
Tenedos, und durch die freundliche Stille des schweigenden Mondes
Glitt zum bekannten Gestade sie hin. Da flammt von des Königs
Schiff das Signal; und geschützt durch das grausame Götterverhängnis,
Lockert den fichtnen Verschluss jetzt Sinon und lässt die versperrten
Danaer frei aus der Haft. Es gibt das geöffnete Ross sie
Wieder der Luft, und froh entsteigen dem eichnen Gewölbe
Sthenelos und Thessander, der Fürst, und der grause Odysseus;
Athamas gleitet hinab und Thoas am schwebenden Seile,
Peleus' Spross, Neoptolemos, auch, doch vor allen Machaon
Und Menelaos und er, des Betrugs Werkmeister, Epeios.
Gleich angreifend die Stadt, die in Wein und Schlummer begraben,
Morden die Wachen sie, ziehn durch die offenen Tore die Freunde
Alle heran und vereinigen sich mit den harrenden Scharen.
Grade die Zeit war's, wo der bekümmerten Sterblichen erste
Ruhe beginnt und durch Göttergeschenk am lieblichsten nahet:
Siehe, da schien mir im Schlaf vor den Blick in tiefster Betrübnis
Hektor zu treten; es floss von strömenden Tränen sein Antlitz,
Wie einst, da - am Gespann er geschleift - von blutigem Staube
Schwarz dalag, von Riemen durchbohrt die geschwollenen Füße.
Weh, wie erschien er mir jetzt, wie gänzlich verändert von jenem
Hektor, welcher geschmückt mit Achills Trophäen zurückkam,
Der in der phrygischen Schar auf die Danaerschiffe den Brand schwang -
Mit schmutzstarrendem Bart, mit blutdurchronnenen Haaren,
Mit den Wunden bedeckt, die er zahllos, rings um der Heimat
Mauern verfolgt, empfing. Mir war's, als redete weinend
Selber den Helden ich an und spräche bekümmert die Worte;
O Dardanias Licht, o sicherste Hoffnung der Teukrer,
Was doch hielt dich so lange zurück? Von wannen, o Hektor,
Kommst du, Erwarteter, uns? Wie sehn wir erschöpft nach so vielen
Leichen der Deinen, nach all den Nöten der Stadt und des Volkes
Jetzt dich wieder? Und welch ein Grund hat dein heiteres Antlitz
Dir so schmählich entstellt? Weshalb erblick ich die Wunden?
Nichts antwortet' er drauf, und taub für mein eiteles Fragen
Redete, schwer aus innerster Brust aufseufzend, er also:
"Flieh, o Göttingeborner, entreiß dich schleunig den Flammen!
Schon ist der Feind in der Stadt; es stürzt vom Gipfel das hohe
Troia. Genug ist geschehn für die Heimat und Priamos; könnte
Pergamon retten ein Arm, so war es durch diesen gerettet.
Troia empfiehlt dir sein heiliges Gut und seine Penaten.
Nimm zu Begleitern sie deines Geschicks und suche nach großen
Mauern für sie. Spät wirst du sie baun, wenn das Meer du durchirrt hast.“
Sprach's, und mit eigener Hand aus dem innersten Heiligtum trug er
Vestas Binden, die Mächtige selbst und das ewige Feuer.
Hier und dort wogt schon durch die Mauern verworrener Jammer.
Heller und heller bereits, wiewohl abseits und von Bäumen
Rings umschattet das Haus des Vaters Anchises zurücktrat,
Rückt das Getöse heran und das grausige Klirren der Waffen.
Jäh auf fahr ich vom Schlaf; zu des Dachs hochoberstem Giebel
Klimm ich in Hast hinauf und stehe mit lauschendem Ohre.
Wie wenn bei wachsendem Süd in die Feldfrucht stürzet die Flamme,
Oder der reißende Bach mit den Fluten des Berges die Äcker
Deckt und die lachende Saat hinstreckt und die Arbeit der Stiere,
Jählings den Wald fortreißt; es vernimmt von des ragenden Felsens
Scheitel der Hirt das Getös und staunt, unkundig des Grundes -
Da lag klar der Beweis; es zeigte sich offen der Griechen
Arglist. Denn schon stürzt des Deiphobos stattliches Haus ein,
Von Hephaistos besiegt. Ukalegon selber, der nächste
Nachbar, brennt; weit leuchtet der Sund Sigeions vom Feuer.
Und nun hebt sich der Männer Geschrei und der Klang der Posaunen.
Außer mir, greif ich zur Wehr; doch ein Plan zum Kampf ist unmöglich.
Aber ein Häuflein zusammenzuziehn und die Burg mit den Freunden
Rasch zu besetzen, entbrennt mein Geist; ein rasender Zorn reißt
Fort mein Gemüt, und schön dünkt mich's, in Waffen zu sterben.
Siehe, da schleppt ja Panthus, dem Schwert der Achiver entronnen,
Panthus, des Othrys Sohn, der Priester der Burg und des Phoibos,
Heilig Gerät in der Hand, die besiegten Penaten, den kleinen
Enkel dazu und eilt sinnlos in Hast zu der Schwelle:
"Wo ist der Hauptkampf, Panthus? Wo haben die Unsern ihr Bollwerk?“
Kaum dass ich frag, als er seufzend versetzt: "Da ist er, der letzte
Tag für das Dardanerland und sein unabwendbares Ende.
Wir sind Troer gewesen, ein Ilion war, und es war weit
Strahlend der Teukrier Ruhm. Der grausame Zeus hat nach Argos
Alles gewandt; in der brennenden Stadt sind die Danaer Herren.
Krieger entstürmen dem Ross, das hoch inmitten der Mauern
Ragt, und Sinon erregt hohnvoll als Sieger Verwirrung
Rings durch den Brand, und es ziehn durch die doppelt geöffneten Tore
Alle die Tausende, die von der großen Mykenai gekommen.
Andere setzen mit feindlichem Schwert in den Engen der Wege
Lauernd sich fest; es starret der Stahl mit funkelnder Spitze
Blank zum Morde bereit; kaum stellen zuerst an den Toren
Noch sich die Wachen zur Wehr und halten im blinden Gefecht stand.“
Also des Othrys Sohn. Sein Wort und die Stimme der Götter
Treibt mich in Waffen und Kampf, wohin mich die grause Erinys
Ruft und das dumpfe Getös und der Schrei, der zum Aither hinaufdringt.
Ripheus gibt als Gefährte sich mir und der treffliche Kämpfer Epytos,
die ich im Mondschein traf; dann schließen an unsre
Seite sich Dymas und Hypanis an und der Jüngling Koroibos,
Mygdons Sohn. Nach Troia war in den selbigen Tagen
Erst er gekommen, von rasender Liebe entbrannt für Kassandra,
Um als Eidam dem Priamos noch und den Phrygern zu helfen.
O Unseliger, der auf das warnende Wort der verzückten
Braut nicht gehört!
Als in geschlossenem Zug ich sie kühn fortstreben zum Kampf sah,
Ruf ich noch: "Jünglinge, ach, umsonst mutflammende Herzen,
Wenn in Ernst die Begier euch treibt, dem zum Letzten Entschlossnen
Nachzufolgen. Ihr seht, wohin das Geschick sich gewandt hat.
Von den Altären entflohn, aus den heiligen Schreinen die Götter,
Welche dem Reiche Bestehen verliehn; der brennenden Stadt nur
Eilt ihr zur Hilfe. So lasst in die Waffen uns stürzen und sterben l
Auf kein Heil zu vertraun ist das einzige Heil für Besiegte.“
Wilder entflammte der Jünglinge Mut; wie im düsteren Nebel
Wölfe zum Raub ausziehn, die der grausame Stachel des Hungers
Blindlings treibt in das Feld - es harret daheim die verlassne
Brut mit lechzendem Schlund -, so ziehn durch Geschosse, durch Feinde
Wir in den sicheren Tod, da recht durch die Mitte der Stadt wir
Wählen den Weg; es umwallt uns die Nacht mit finsterem Schatten.
Oh, wer kann das Gemetzel der Nacht und die Menge der Leichen
Schildern? Wer hat für die Not und Qual hinreichende Tränen?
Ja, jetzt stürzet die Stadt, die manch Jahrhundert geherrscht hat!
Rings in den Straßen und Häusern umher, auf der Götter geweihten
Schwellen zerstreut sieht hilflos man die Gefallenen liegen.
Und nicht büßen die Teukrer allein mit dem Blut: den Besiegten
Kehrt zuweilen der Mut zurück in die zagenden Herzen,
Dass auch der siegende Danaer fällt. Rings grausiger Jammer,
Rings Entsetzen und ringsum Tod in tausend Gestalten!
Aber zuerst von den Griechen, umdrängt von vielen Gefährten,
Zeigt sich Androgeos uns; er wähnt verbündete Scharen
In uns zu sehn und ruft uns zu mit freundlichen Worten:
,Eilet ihr Mannen! Was zaudert ihr doch in säumiger Trägheit?
Während mit Plündrung und Raub in dem brennenden Pergamon andre
Hausen, seid ihr erst jetzt von den ragenden Schiffen gekommen?“
Sprach's, und sogleich, da ihm nicht gar zuverlässige Antwort
Wurde, bemerkt' er, er sei in die Mitte der Feinde geraten.
Und er entsetzte sich, prallte zurück und brach mit dem Wort ab.
Wie wer mit kräftigem Schritt im Dornengestrüpp die verborgne
Schlange gequetscht und von Schrecken durchbebt nun flieht vor dem Untier,
Das voll Zorn sich erhebt und den Nacken, den schillernden, aufbläht :
Also erschüttert entfloh Androgeos auch bei dem Anblick.
Doch wir dringen hinein und dicht umwogt von den Waffen
Strecken wir sie, die, des Orts unkundig, von Grausen gelähmt sind,
Nieder in Haufen. Das Glück war hold beim ersten der Werke.
Jubelnd ob solchen Erfolgs ruft mutigen Sinnes Koroibos:
"O ihr Gefährten, den Weg zum Heil, den zuerst das Geschick uns
Zeigt und auf dem es sich günstig erweist, den lasst uns verfolgen!
Lasst uns vertauschen die Schild' und uns mit der Danaer Zeichen
Schmücken. Ob List, ob Mut - wer fragt danach bei dem Feinde!
Waffen verleihn sie uns selbst.“ So er, und den mähnenumwallten
Helm des Androgeos setzt er sich auf, er bewehrt mit des Schildes
Zierlichem Schmuck sich und schnallt das argivische Schwert um die Hüften.
Ripheus folgt ihm und Dymas; es folgten die Jünglinge alle
Jubelnd, und jeder bewehrt mit dem eben erbeuteten Raub sich.
Unter die Griechen gemischt, doch nicht in unserer Götter
Schutz, durchziehn wir die Nacht; es entspinnt im Dunkel sich mancher
Kampf, manch Danaer wird von uns zum Orkus entsendet.
Andere fliehn zu den Schiffen und wenden zum schützenden Ufer
Eilig den Schritt; ein Teil in schnödem Entsetzen erklettert
Wieder das riesige Ross und des Bauches bekannte Verstecke.
Wehe! dass nie doch der Mensch ungnädigen Göttern vertraue!
Sieh, da schleift man am flatternden Haar Kassandra, die keusche
Tochter des Priamos, her aus Minervas innerstem Tempel.
Wie sie die brennenden Augen umsonst empor zu dem Himmel
Wendet - die Augen: der zärtliche Arm ist von Banden gefesselt -
Konnte den Anblick nicht Koroibos im rasenden Herzen
Tragen und warf sich, des Todes gewiss, in die Mitte des Zuges.
Sämtlich folgen wir ihm, in die starrenden Schwerter uns stürzend.
Und hier prasselt zuerst von dem ragenden Giebel des Tempels
Auf uns der Unsern Geschoss; es erhebt sich ein klägliches Morden,
Da die Gestalt sie der Waffen beirrt und der griechische Helmbusch.
Bei dem Gestöhn und erzürnt ob der wieder entrissenen Jungfrau,
Sammeln die Danaer sich ringsher anstürmend; der kühnste,
Aias, beide Atriden, der Doloper sämtliche Heerschar;
Gleichwie, wenn ein Orkan losbricht, sich die kämpfenden Winde
Packen, der West und der Süd und er, der die Rosse des Aufgangs
Tummelt, der Ost: Es kracht durch den Wald, und es tobt mit dem Dreizack
Nereus schäumend und fegt vom untersten Grunde das Meer auf.
Sie auch, die wir vielleicht in finsterer Nacht durch die Schatten
Jagten mit unserer List und rings in die Straßen versprengten,
Zeigen sich uns; sie erkennen zuerst der Schild' und der Waffen
Trügrischen Schein und erspähen des Munds fremdartige Klänge.
Gleich stürzt über uns her sich die Schar. Von Peneleos' Rechten
Wird Koroibos zuerst am Altare der kriegrischen Göttin
Niedergehauen; auch Ripheus fällt, der Gerechteste aller
Teukrer und der zumeist im Volk sich der Billigkeit annahm.
Anders der Götter Beschluss! Es sinken durchbohrt von den Freunden
Dymas und Hypanis hin. Auch dich, o Panthus, beschützte
Eifrige Frömmigkeit nicht vor dem Fall noch die Binde Apollons.
Ilions Asche und euch, ihr verheerenden Flammen der Heimat,
Ruf ich zu Zeugen, dass keine Gefahr, kein feindlich Geschoss ich
Mied bei euerem Fall und, hätt' es das Schicksal gestattet,
Wohl ich durch Danaerhand zu fallen verdiente. Man trennt uns.
Iphitos bleibt bei mir und Pelias; jener durch Alter
Schon schwerfällig, der andre gelähmt durch das Schwert des Odysseus.
Gleich auch werden durch Lärm wir zu Priamos' Sitze gerufen,
Und hier sehn wir den riesigsten Kampf, als wäre woanders
Gar kein Krieg, als gäb' in der Stadt es kein anderes Morden,
So unzähmbar ist Mars, so stürzen der Danaer Scharen
Sich auf das Haus in des Schilddachs Schutz, um die Schwelle sich lagernd.
Mit Sturmleitern besetzt ist die Wand, ganz nahe den Pfosten
Dringt man die Stufen hinauf; der Schild in der Linken beschützt sie
Gegen Geschoss', da die Rechte bereits an den Zinnen sich klammert.
Aber die Dardaner selbst zertrümmern die Türm' und der Dächer
Firsten. Mit diesem Geschoss, da das Ende vor Augen sie sehen,
Rüsten zur Wehr sie sich noch am äußersten Rande des Todes,
Wälzen das goldne Gebälk, den erhabenen Schmuck aus der Ahnherrn
Zeiten, herab. Ein Teil mit gezogenen Schwertern besetzet

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Unten das Tor und bewacht in geschlossenem Zuge den Eingang.
Da wächst neu uns der Mut, die Behausung des Königs zu schützen,
Hilfe zu leihen der Schar und die Kraft der Besiegten zu mehren.
Hinter mir lass ich die heimliche Tür, die Schwell' und den Durchgang,
Welcher des Priamos Häuser verband; ich lasse die Pfosten
Hinter mir schon, durch die Andromache öfters, die arme,
Während das Reich noch bestand, zu den Eltern des Manns sich verfügte
Ohne Gefolg und zum Ahn den kleinen Astyanax mitnahm.
Hoch zu des Dachstuhls First aufklimm ich, von wannen die armen
Teukrer umsonst mit der Hand ihr Geschoss in die Tiefe verschleudern.
Jählings starret ein Turm, der vom obersten Dache des Hauses
Ragt zu den Sternen empor, von wo ganz Troia zu sehn war
Samt dem Achaiergezelt und den Schiffen des Danaervolkes.
An ihn machten wir uns mit den Eisen, wo klaffende Fugen
Zeigte der oberste Stock, und hoben ihn so aus der hohen
Lage gewaltsam heraus. Wir stoßen ihn an, und er gleitet
Plötzlich hinab mit krachendem Sturz auf der Danaer Scharen
Weit umher. Doch anderes Volk rückt nach, und die Felsen
Rasten nicht mehr noch sonstiges Wurfwerk.
Grad an der Schwelle des Tors, vor der Eingangshalle des Schlosses,
Brüstet sich Pyrrhos im ehernen Glanz hell funkelnder Waffen:
So wie die Natter, genährt von giftigen Kräutern, ans Licht kommt,
Welche des Winters, im frostigen Grund sich blähend, versteckt lag,
Jetzt, wenn die Haut sie gestreift, im erneuerten Glanze der Jugend
Hoch aufrichtet die Brust und mit schlüpfrigem Leibe sich ringelnd
Gegen die Sonne sich bäumt mit dreifach züngelndem Schlunde.
Auch Automedon stürmt, Achills Rosslenker und Schildknapp,
Periphas, riesigen Leibs, und von Skyros sämtliche Jugend
Stürmen nun gegen das Haus und werfen den Brand auf den Giebel.
Unter den ersten ergreift er selber die Axt, und die feste

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Schwelle zerhaut er und zerrt aus der Angel die ehernen Pfosten.
Und schon hat er den Balken gehöhlt und durchbrochen den harten
Eichstamm, und weit gähnt durch die Wand ein gewaltiges Fenster.
Tief hin sieht man das Haus und die stattlichen Gänge der Halle,
Priamos' Hausaltar, von der Vorzeit Herrschern geweihet,
Und der Bewaffneten Schar, die dicht sich drängt an die Schwelle.
Aber das innere Haus wird von wüstem Gejammer und Stöhnen
Wirr durchtobt; tief dröhnt aus des innersten Hofes Bedachung
Weibergeheul; es dringt das Geschrei zu den goldenen Sternen.
Dann durchirren das mächtige Haus die geängstigten Mütter,
Halten die Pfosten umarmt und bedecken mit Küssen sie. Pyrrhos
Dringt heran mit der Kraft, die vom Vater er erbte; die Riegel
Halten, die Wachen ihn nicht; schon wankt das Portal von des Widders
Häufigem Stoß, aus der Angel gesprengt hinstürzen die Pfosten.
Kraft schafft Bahn. Es bricht sich den Weg der Achaier und mordet,
Die ihm zunächst, dringt ein - und der Raum füllt rings sich mit Kriegern.
Also stürzt nicht der schäumende Strom, wenn den Damm er zerbrechend
Austrat und mit des Strudels Gewalt durch die schützenden Deiche
Siegreich drang, mit wütendem Schwall in die Flur, aus den Ställen
Weit durch das Feld fortreißend das Vieh. Neoptolemos sah ich
Rasen mit Mord; ich sah an der Schwelle die beiden Atriden,
Hekabe sah ich, einhundert der Schnuren und Priamos, blutend
An dem Altar die selbstgeweiheten Feuer entweihen.
Fünfzig Ehegemächer - wie reichliche Hoffnung auf Enkel! -
Stolz mit phrygischem Gold und Spolien prunkende Pfosten
Stürzten dahin; der Achaier besetzt, was das Feuer in Stich lässt.
Doch du wünschtest vielleicht auch Priamos' Los zu erfahren.
Als er den Fall der eroberten Stadt, des eigenen Hauses
Schwellen zertrümmert, den Feind inmitten der innersten Burg sah,
Legte der Greis sich die Wehr, der er längst entwöhnt, um die Schultern,
Bebend vor Alter, umgürtete sich - nutzlos - mit dem Eisen
Und stürzt todesbereit in den dichtesten Haufen der Feinde.
Mitten im Raume der Burg frei unter der Wölbung des Aithers
Stand ein hoher Altar; uralt daneben ein Lorbeer
Lehnte sich über den Herd und umschattete rings die Penaten.
Hier saß Hekabe jetzt mit den Töchtern, umsonst die Altäre,
Gleichwie flüchtige Tauben, gescheucht vom finstern Gewitter,
Dicht umringend und fest umklammernd die Göttergebilde.
Doch wie den Priamos selbst sie erblickt in den Waffen der Jugend,
Rief sie: "O unglückselger Gemahl, welch grauser Gedanke
Hieß dich ergreifen die Wehr? Wohin, Unseliger, eilst du?
Solcherlei Hilfe begehrt und solche Verteidiger diese
Zeit nicht mehr, und wäre mein Hektor selber zugegen.
Hierher tritt. Entweder beschützt uns alle der Altar,
Oder du stirbst mit uns.“ Und sie zog, wie das Wort sie gesprochen,
Zu sich den Greis und ließ ihn an heiliger Stätte sich setzen.
Siehe, da flieht Polites, der Söhne des Priamos einer,
Pyrrhos' mördrischer Hand entronnen durch Warfen und Feinde,
Blutend die Säulen entlang und durchschweift die geräumige Halle.
Pyrrhos verfolgt ihn erhitzt und droht mit dem feindlichen Mordstahl,
Und schon packt er beinah mit der Hand und trifft mit dem Speer ihn.
Wie er zuletzt vor der Eltern Gesicht und Augen entronnen,
Stürzt er zusammen und haucht mit strömendem Blute den Geist aus.
Hier hält Priamos sich, wiewohl schon selber im Sterben,
Länger nicht mehr und ruft, nicht schonend des Zorns und der Stimme:
"Für so schändliche Tat, für die Frechheit mögen die Götter -
Gibt es im Himmel ein Herz, das um dergleichen sich kümmert -
Würdigen Dank dir verleihen und Lohn nach deinem Verdienste
Zahlen, der hier du den Tod mir des Sohns vor Augen gestellet,
Der du des Vaters Gesicht durch die Leiche verhöhnt und befleckt hast!
Nicht tat jener Achill, des Sohn du dich lügnerisch nennest,
Gegen den Priamos so: im Feind auch ehrt' er das Zutraun,
Ehrt' er errötend des Flehenden Recht; die verblutete Leiche
Hektors gab zur Bestattung er mir und entließ in mein Reich mich.“
Also der Greis und entsandte den Speer, unkriegrisch und machtlos,
Ohne Erfolg, da, sofort abgleitend vom dröhnenden Erze,
Er umsonst von des Schilds hochragendem Buckel herabhing.
Pyrrhos darauf: "So geh als Bote denn hin und vermelde
Dies dem Peliden, vergiss ihm nicht von meinen verruchten
Taten genau zu erzählen und wie sein Pyrrhos entartet.
Doch jetzt stirb!“ Und zog noch den Bebenden, der in des Sohnes
Reichlich vergossenem Blut ausglitt, hin zu den Altären,
Flocht um die Linke sein Haar, mit der Rechten erhob er das blanke
Schwert und stieß es dem Greis tief bis ans Heft in die Seite.
Also endete Priamos' Los. So verhängte den Ausgang
Ihm das Geschick, dass er Pergamons Sturz und das brennende Troia
Säh', einst stolzer Gebieter von so viel Völkern und Ländern
Asiens. Jetzo liegt er, ein riesiger Rumpf, am Gestade,
Fern von den Schultern das Haupt; es nennt kein Name die Leiche.
Da umstarrte zuerst mich entsetzliches Grausen; erschreckt fuhr
Jäh ich empor; es erschien mir das Bild des geliebten Erzeugers,
Als ich den König, an Alter ihm gleich, von der grausamen Wunde
Sah aushauchen den Geist; mir erschien die verlassne Kreusa
Und das geplünderte Haus und das Schicksal des kleinen Iulus.
Um mich schau ich, zu sehn, wie viel mir Gefährten geblieben.
Aber sie hatten, erschöpft, mich sämtlich verlassen, den müden
Leib auf die Erde gestürzt, wo nicht in den Flammen begraben.
Und so war ich allein denn übrig, als nahe der Schwelle
Vestas an heimlichem Platz ich Tyndareos' Tochter gewahre,
Die dort still sich verbarg. Licht bot mir die flackernde Lohe,
Da durch der Trümmer Gewirr ich rings hinwende die Augen.
Sie, die feindlichen Hass ob Pergamons Fall von den Teukrern,
Strafen der Danaer fürchtet', den Zorn des verlassenen Gatten,
Hatte - des Heimatlands und Troias gemeinsamer Daimon -
Hier sich versteckt und saß, die Abscheuliche, bei den Altären.
Glühend entbrennt mein Geist. Zorn mahnt mich, Rache zu nehmen
Für mein fallendes Land und grausam das Weib zu bestrafen.
Ha! soll diese Mykenai schaun und das heimische Sparta
Heil und gesund? Im errungnen Triumph als Königin hinziehn?
Wieder ihr väterlich Haus, den Gemahl und die Kinder begrüßen,
Stolz in der ilischen Frauen Geleit und der phrygischen Diener?
Da durch den Mordstahl Priamos fiel, da Troia in Brand sank?
Da der dardanische Strand so oft im Blute geschwommen?
Nein, so nicht! Denn obgleich niemandem ein Weib zu bestrafen
Ehrenden Nachruhm bringt noch Lob entspringt aus dem Siege,
Wird man beloben mich doch, wenn ich Frevel gedämpft und verdiente
Strafen verhängt, und es wird mich freun, wenn mit rächender Flamme
Ich das Gemüt mir gelabt und der Meinigen Asche gesättigt.
Also dacht ich und fuhr dahin mit rasenden Sinnen,
Als vor dem Blick - so klar wie nie sie mein Auge gesehen -
Mir die erhabene Mutter erschien. Im heitersten Schimmer
Glänzte sie hell durch die Nacht als Göttin an Maß und Gestaltung,
Wie sie den Himmelsbewohnern sich zeigt. Sie hielt mit der Rechten
Sanft mich ergreifend zurück und sprach mit rosigem Munde:
"Sohn, wie reizt dich der Schmerz zu so unbändigem Zürnen?
Rasest du? Oder ist ganz der Gedank an mich dir entwichen?
Willst du lieber nicht sehn, wo dein von Alter erschöpfter
Vater Anchises weilt? ob dein Weib Kreusa noch lebe
Oder Askanios, dein Sohn? die allsamt von den Scharen der Griechen
Ringsher werden umschwärmt und, wenn mein Sorgen nicht wachte,
Wären vom Feuer entrafft und gewürgt vom feindlichen Schwerte.
Nicht die Gestalt, die du hasst, des Spartaners Tyndareos' Tochter,
Paris nicht, den jeder verklagt: nein, grausame Götter,
Götter zerstörten das Reich und schleuderten Troia vom Gipfel.
Sieh! - denn alles Gewölk, das dir vor die Augen gezogen
Blendet den sterblichen Blick und feucht ringsher dich umdunkelt,
Zieh ich jetzo hinweg; du fürchte der Mutter Befehle
Nimmer und weigre dich nicht, dem, was sie verlangt, zu gehorchen -
Hier, wo das Trümmergewirr, wo Stein vom Steine gerissen,
Wo Staubwolken du siehst, durchmischt mit wogendem Rauche,
Schüttelt die Mauern Neptun; er hebt Grundfesten mit mächtgem
Dreizack aus und entwurzelt aus unterster Tiefe das ganze
Troia; das skaiische Tor hat vor allen der Göttinnen grimmste,
Iuno, besetzt und ruft die verbündete Schar von den Schiffen,
Rasend, bewehrt mit dem Stahl.
Und schon thront auf der Höhe der Burg die tritonische Pallas:
Sieh dich nur um, sie strahlt im Gewölk mit der grimmigen Gorgo.
Ja und der Vater, er selbst leiht Mut und Kräfte den Griechen,
Selber erregt er die Götter, das Dardanervolk zu bekämpfen.
Mach auf die Flucht dich eilig, mein Sohn, und ende die Mühen.
Fern bin nirgend ich dir; ich bringe dich heil zu des Vaters
Schwelle.“ Sie sprach's und hüllte sich dicht in nächtliche Schatten,
Und manch grauses Gesicht und das riesige Bild der den Troern
Feindlichen Götter erscheint.
Doch nun schien mir Ilion ganz in die Flammen zu sinken,
Schien mir aus unterstem Grunde verkehrt die neptunische Troia:
Wie wenn im hohen Gebirg oftmals Landleute die alte
Esche mit Stahl anhaun um die Wette und schmetternden Äxten,
Sie zu entwurzeln bemüht: sie wankt und drohet beständig,
Zittern durchbebt ihr Haar, und sie nickt mit erschüttertem Wipfel,
Bis allmählich besiegt von Wunden zuletzt sie noch einmal
Ächzt und, vom Fels ausreißend, in krachendem Sturz sich herabwälzt.
Jetzo steig ich hinab, und geführt von der Gottheit entgeh ich
Flammen und Feinden; die Glut macht Raum; es weicht das Geschoss mir.
Als ich mein väterlich Haus nun erreicht und des alten Gebäudes
Schwelle betrat, da erklärt mein Vater, den hoch ins Gebirge
Gleich ich zu führen gewünscht und den vor allen ich suchte,
Jetzt, da Troia zerstört, nicht länger am Leben zu bleiben
Noch aus der Heimat zu ziehn. "Ihr“, sagt er, "denen das Alter
Noch nicht versehrte das Blut und die ihr in rüstiger Kraft steht,
Macht ihr euch auf die Flucht.
Wollten die Himmlischen mir ein längeres Leben bestimmen,
Hätten sie hier mir erhalten den Sitz. Schon mehr als genug ist's,
Einmal im Leben die Stadt verwüstet zu sehn und erobert.
So, o so lasst liegen den Leib und grüßt mich und gehet.
Find ich durch eigene Hand nicht den Tod, so erbarmt sich ein Feind wohl,
Der mir die Rüstung nimmt. Gar leicht entbehr ich des Grabes.
Längst schon schlepp ich, den Göttern verhasst, unbrauchbar des Lebens
Jahre, seitdem der Unsterblichen Fürst und Vater der Menschen
Mich mit dem Blitz anblies und mit himmlischer Lohe versengte.“
Also sprach er, beharrte dabei und blieb unerbittlich.
Wir dagegen, mein Weib Kreusa, Askanios, das ganze
Haus, wir flehn mit Tränen ihn an, nicht in das Verderben
Mit sich alles zu ziehn und des Schicksals Drang noch zu steigern.
Doch er weigert sich, bleibt, wo er saß, und beharrt bei dem Vorsatz.
Wieder ergreif ich die Wehr und wünsche verzweifelt zu sterben.
Denn was blieb für ein Rat und welches Geschick mir noch übrig?
"Meintest du, Vater, im Ernst, ich könnte dich selber verlassend
Fortziehn? Kam solch kränkendes Wort aus dem Munde des Vaters?
Wenn es den Göttern gefällt, dass nichts von der herrlichen Stadt bleibt,
Und steht fest dein Entschluss, dich selbst und die Deinen in Troias
Sturz zu begraben, wohlan: das Tor für den Tod ist geöffnet!
Gleich wird Pyrrhos sich nahn, bluttriefend von Priamos' Morde,
Der vor dem Vater den Sohn, am Altar hinschlachtet' den Vater.
Hast du, göttliche Mutter, mich deshalb Schwertern und Flammen
Sicher entführt, dass den Feind in den heiligsten Räumen des Hauses,
Dass ich den Vater, Askanios, Kreusa sähe, den einen
Niedergewürgt in des anderen Blut? Bringt Waffen, ihr Männer,
Waffen! Es ruft die Besiegten der Tag; sein Licht ist das letzte.
Gebt mich den Griechen zurück. Lasst mich den erneuerten Kampf sehn.
Alle doch gehen wir heut in den Tod nicht, ohn' uns zu rächen.“
Wiederum gürt ich den Stahl mir an. In die Riemen des Schildes
Schob ich die Linke bereits und begab mich schon aus dem Hause,
Sieh, da umschlang auf der Schwelle mein Weib mir die Füße; sie hing sich
An mich und streckte hinauf zum Vater den kleinen Iulus:
"Wenn in den Tod du gehst, nimm uns in jedes Geschick mit;
Doch wenn du Hoffnung noch aus Erfahrung setzt in die Waffen,
Schütze zuerst dies Haus. Was harret des kleinen Iulus,
Deines Erzeugers und mein, die vormals Gattin du nanntest?“
Also sprach sie, und Schluchzen erscholl durch die ganze Behausung,
Als sich ein Wunder begibt urplötzlich und seltsam zu melden.
Denn vor der trauernden Eltern Gesicht und unter den Händen
Schien ein schwebender Strahl von Iulus' oberstem Scheitel
Licht zu ergießen, und sanft umzüngelt ein Flämmchen und schadlos
Anzurühren das Haar und zieht sich rings um die Schläfe.
Schrecken durchbebt uns; wir eilen, den Brand aus den Haaren zu schütteln
Und mit dem Wasser des Quells die heiligen Flammen zu löschen.
Doch froh hob zu den Sternen den Blick jetzt Vater Anchises,
Streckte gen Himmel die Arm' und rief mit erhobener Stimme:
"O allmächtiger Zeus, wenn irgend Gebete dich rühren,
Sieh nur diesmal uns an, und gib, wenn wir es verdienen,
Vater, ein Zeichen uns jetzt und bestätige diese Verheißung!“
Kaum noch sprach es der Greis, da plötzlich mit krachendem Schlage
Donnert es links von uns, und ein Stern, vom Himmel entgleitend,
Schießt mit flammendem Schweif, von Glanz umstrahlt, durch die Nacht hin.
Deutlich sehn wir ihm nach, wie über dem Giebel des Daches
Er fortzieht und noch hell sich birgt im idäischen Walde,
Immer bezeichnend die Bahn. In lang sich streckendem Gleise
Leuchtet ein Streif ihm nach, und ringsum dampft es von Schwefel.
Da ist mein Vater besiegt; er erhebt sich, tritt in das Freie,
Ruft zu den Göttern empor und betet den heiligen Stern an:
Jetzt, jetzt gilt kein Verzug! Hier bin ich; führt mich, ich folge.
Götter der Väter, erhaltet das Haus, erhaltet den Enkel!
Dies ist ein Zeichen von euch; noch sorgt ihr schützend für Troia.
Ja, jetzt weich ich, mein Sohn, und verweigre dir nicht die Begleitung.“
Sprach's, und es nahte sich deutlicher schon durch die Mauern und hörbar
Jetzo das Feuer; der Brand wälzt näher und näher die Hitze.
"Auf denn, teuerster Vater, und lass auf den Rücken dich nehmen,
Sieh, ich biete die Schultern dir dar; es drückt mich die Last nicht.
Wie das Geschick auch fällt, uns treffe vereint und gemeinsam
Beide Gefahr und Heil. Es soll zur Seite der kleine
Knabe Iulus mir gehn und fern uns folgen die Gattin.
Diener, und ihr prägt euch in den Sinn ein, was ich euch sage:
Gleich vor der Stadt ist ein Erdaufwurf und ein alter verlassner
Tempel der Ceres; dabei steht eine Zypresse, seit langen
Jahren mit heiliger Scheu von den Vätern verehrt und erhalten.
Lasst zu selbigem Platz von verschiedenen Seiten uns kommen.
Nimm du das heilge Gerät und die ahnherrlichen Penaten,
Vater, da mir, noch frisch vom Mord und schrecklichem Kampfe,
Sie zu berühren nicht ziemt, bis den Leib im lebendigen Strome
Ich mir genetzt.“
Also ich, und bedecke gebückt mir den Hals und die breiten
Schultern mit einem Gewand und dem Felle des gelblichen Löwen;
Und so nehm ich die Last auf mich; da der kleine Iulus
Sich an die Rechte mir hängt und mit kürzeren Schritten mir nachfolgt.
Hinter uns geht mein Weib. Wir ziehen dahin durch das Dunkel,
Und mich, den schon längst kein Hagel von Pfeilen erschreckte
Noch in feindlichem Zug anrückende Danaerscharen,
Schreckt ein Luftzug jetzt, ich fahre bei jedem Geräusch auf,
Stets in Spannung, besorgt für die Last und für den Begleiter.
Und schon nähert ich mich dem Tor, ich wähnte den Weg schon
Sicher durchschritten, als plötzlich ins Ohr ein wirres Getöse
Eilender Schritte mir drang, und der Vater, die Schatten durchspähend,
Laut ausrief: "O fliehe, mein Sohn; Sohn, fliehe, sie nahen.
Blitzendes Erz dort seh ich und flammender Schilde Gefunkel.“
Hier nun war's, wo ein feindlicher Gott den verworrenen Sinn mir
Ganz durch Bestürzung entriss. Denn während ich schleunigen Laufes
Auf Abwegen dem Kreis der bekannteren Straßen enteilte,
Wehe, da war mein Weib Kreusa verschwunden; ob kläglich
Mir durch den Tod entrafft, ob verirrt, ob erschöpft sie sich setzte,
Bleibt mir ein Rätsel, auch sah ich sie nie seitdem mit den Augen.
Jetzt auch dacht ich nicht eher an sie, noch suchte mein Blick sie,
Eh wir zum Hügel gelangt und zum heiligen Sitze der alten
Ceres. Hier erst sammle die Schar ich, und siehe, da fehlet
Sie mir allein, ist Mann und Sohn und Begleitern entgangen.
Oh, ich Tor, wen klagt ich nicht an von Göttern und Menschen?
Was schien grausamer mir als dies in Troias Zerstörung?
Vater Anchises, Askanios, die teukrischen Götter empfehl ich
Meinen Gefährten und lass in der Schlucht sie des Tals sich verbergen.
Selbst dann geh ich zur Stadt mit blitzenden Waffen gegürtet.
Jedes Geschick zu erneun, ganz Troia zurück zu durchziehen
War mein Entschluss und wieder mein Haupt den Gefahren zu bieten.
Erst zu den Mauern der Stadt und der dunkelen Schwelle des Tores
Geh ich zurück auf dem Weg, den ich kam, und achtsam verfolg ich
Jegliche Spur durch die Nacht mit ringsum schweifendem Auge.
Grausen ist rings; es entsetzt sich der Geist sogar vor der Stille.
Dann zu dem Haus, ob sie dort - dorthin sie gewendet die Schritte,
Eil ich; die Danaer hatten's gestürmt und erfüllten die Räume.
Und schon wälzt der gefräßige Brand vor dem Wind sich zum höchsten
Giebel; es flattert die Lohe, die Glut rast hoch in die Lüfte.
Weiter dann geh ich zu Priamos' Sitz und der Burg. In den öden
Hallen, in Iunos Asyl verwahrten, zu Wächtern erlesen,
Phoinix bereits und der grimme Odysseus gesammelte Beute.
Hierher wurde der troische Schatz, den aus brennenden Tempeln
Rings man geraubt, zusammengeschleppt, Altäre der Götter,
Nebst Mischkrügen aus lauterem Gold und erbeuteten Decken.
Rings stehn Knaben umher und bebende Mütter in langen
Zügen gereiht.
Ja, ich wagte sogar durch die Nacht zu erheben die Stimme,
Füllte die Straßen mit Lärm und rief voll Jammer: "Kreusa!“
Ach umsonst und wieder umsonst mit erneuertem Schalle.
Da in den Häusern der Stadt ich endlos rasend sie suche,
Schien mir das unglückselige Bild und der Schatten Kreusas
Selbst vor Augen zu stehn in übernatürlicher Größe.
Staunen ergreift mich; es sträubt sich mein Haar; es stockt mir die Stimme.
Drauf sprach so sie mich an und beschwichtigte meine Betrübnis:
"Was doch nützt es, dass so du dem tobenden Schmerze dich hingibst,
Holder Gemahl? Es geschieht dies alles nicht ohne der Götter
Waltende Macht. Dir verwehrt das Geschick, als Gefährtin Kreusa
Fortzuführen, und er, der Beherrscher des hohen Olympos.
Lange der Heimat beraubt, sollst weit du furchen die Meerflut,
Bis zum hesperischen Land du gelangst, wo der lydische Thybris
Mit sanft flutendem Strom durch üppige Fluren sich windet.
Dort harrt frohes Geschick, ein Reich und die Erbin des Reiches
Dein als Gattin, verbanne den Harm um die teure Kreusa.
Kein stolz prangendes Schloss bei Dolopern und Myrmidonen
Werd ich schaun noch dienen als Magd bei den graiischen Müttern,
Dardanos' Enkelin ich und des Venussohnes Gemahlin:
Nein, es fesselt mich hier die erhabene Mutter der Götter.
Leb denn wohl und bleib stets hold dem gemeinsamen Sohne.“
Als sie geendet und ich in Tränen noch vieles zu sagen
Trachtete, floh sie dahin und verschwamm in die flüchtigen Lüfte.
Dreimal versucht ich ihr noch mit den Armen den Hals zu umschlingen,
Dreimal griff ich umsonst nach dem Bild, das den Händen entschlüpfte -
Ähnlich dem Hauche der Luft, dem geflügelten Träume vergleichbar.
Also verging die Nacht, bis zurück zu den Freunden ich kehrte.
Hier nun sah mit Verwunderung ich von neuen Begleitern
Eine gewaltige Schar zusammengeströmt und zum Auszug
- Jünglinge, Männer und Mütter - vereint, ein kläglicher Haufen.
Ringsher kamen sie an, mit Mut und Habe gerüstet,
Über das Meer zu ziehn, wohin ich immer sie führte.
Schon stieg Lucifer auf von des Ida ragenden Jochen,
Dass er verkünde den Tag; schon hielten die Griechen der Tore
Schwellen besetzt, und dahin war jegliche Hoffnung auf Hilfe.
Und ich ging - auf den Schultern den Vater - hinweg zum Gebirge."
 
 
  Übersetzung nach W.Hertzberg bearbeitet von E.Gottwein
 

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