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Marcus Tullius Cicero

De oratore

LIBER III - deutsch

 

 
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Übersetzung nach: R.Kühner
 
[I] Indem ich es unternehme, mein lieber Bruder Quintus, das Gespräch, das Crassus nach des Antonius Vortrag gehalten hatte; mitzuteilen und in diesem dritten Buch aufzuzeichnen, erneuert eine recht herbe Erinnerung in meinem Innern eine alte Trauer und schmerzliche Verstimmung. Denn jener der Unsterblichkeit würdige Geist, jene echt menschliche Bildung, jene Tugend des Lucius Crassus erlosch durch einen plötzlichen Tod, kaum zehn Tage nach dem Tag, den dieses und das vorige Buch umfasst.
Als er nämlich am letzten Tag der Theaterspiele nach Rom zurückgekehrt war, hatte er eine heftige Gemütserschütterung über die Rede, die, wie er hörte, Philippus in einer Volksversammlung gehalten hatte, in der er bekanntlich die Äußerung tat, nach einer anderen Ratsversammlung müsse er sich umsehen, mit dem jetzigen Senat könne er für die Wohlfahrt des Staates nichts ausrichten. Am dreizehnten September des Morgens begab er sich auf Ladung des Drusus in die Curie, wo sich der Senat zahlreich einfand. Hier trug Drusus viele Beschwerden gegen Philippus vor, und insonderheit stattete er dem Senat Bericht über die harten Schmähungen ab, mit denen der Konsul diesen Stand in der Volksversammlung angegriffen hatte.
Bei dieser Gelegenheit redete Crassus, wie ich oft die einsichtsvollsten Männer einmütig habe behaupten hören, unvergleichlich schön. Denn obwohl ihm, sooft er einige Sorgfalt auf seine Reden verwendete, fast immer das Glück zuteil wurde, dass man von ihm rühmte, er habe nie besser geredet, so urteilten doch damals alle einhellig so, Crassus habe zu jeder Zeit alle anderen Redner, an diesem Tag aber sich selbst übertroffen. Er beklagte nämlich das Missgeschick und die verwaiste Lage des Senates, da diesem Stand von dem Konsul, der demselben gleichsam ein guter Vater oder treuer Vormund sein sollte, wie von einem verruchten Räuber die angeerbte Würde entrissen werde; und wahrlich man dürfe sich nicht wundern, wenn er, der durch seine Ratschläge den Staat zugrunde gerichtet habe, nun auch die Ratschläge des Senates dem Staat entziehen wolle.
Als. er durch diese Worte den Philippus, einen leidenschaftlichen, beredten und besonders zum Widerstand entschlossenen Mann gleichsam in Flammen gesetzt hatte, konnte dieser sich nicht länger halten, sondern entbrannte von heftigem Zorn und gedachte durch Auspfändung den Crassus zur Ordnung zu verweisen. Aber gerade bei dieser Veranlassung sagte Crassus vieles in begeisterter Rede, wie man rühmend erzählt, indem er erklärte, den könne er nicht als einen Konsul anerkennen, der ihn nicht als Senator anerkenne. "Du, der du das ganze Ansehen des gesamten Standes einem Pfand gleichgeachtet und vor den Augen des römischen Volkes vernichtet hast, du meinst, ich könne durch diese Pfänder eingeschüchtert werden? Nicht sie musst du vernichten, wenn du den Lucius Crassus zur Ordnung verweisen willst; nein, diese Zunge musst du mir ausschneiden; ja, wenn du diese herausgerissen hast, so wird mein Freiheitsgefühl auch noch mit dem bloßen Atem deiner Willkür widerstreben."
[II] Es ist bekannt, dass er damals sehr vieles mit der äußersten Anstrengung seines Gemütes, seines Geistes und seiner Körperkräfte redete und in den schönsten und nachdrücklichsten Worten auf den Beschluss antrug, den auch der zahlreich versammelte Senat genehmigte, ‘um dem römischen Volk Genüge zu leisten, habe es der Senat dem Gemeinwesen weder an seinem Rat noch an redlichem Willen fehlen lassen', und dass er gleichfalls, wie aus den zur Beglaubigung vorgesetzten Namen zu ersehen ist, bei der Aufzeichnung des Beschlusses gegenwärtig war.
Das war der Schwanengesang des unvergleichlichen Mannes, und gleichsam hoffend, ihn noch zu vernehmen, gingen wir nach seinem Tod in die Curie, um die Stätte selbst zu betrachten, wo er zuletzt gestanden hatte. Denn schon während der Rede – so hörten wir – empfand er Seitenstechen, das von einem starken Schweiß begleitet wurde; hierauf trat Frostschauer ein. So kehrte er mit Fieber nach Hause zurück, und sieben Tage darauf starb er am Seitenstechen.
O wie trügerisch ist der Menschen Hoffnung, wie hinfällig ihr Glück, wie eitel unsere Bestrebungen, die oft mitten auf der Bahn zerschellen und zusammenstürzen oder während des Laufes selbst von den Fluten verschlungen werden, ehe sie den Hafen erblicken können. Denn solange des Crassus Leben von den Mühen der Amtsbewerbung in Anspruch genommen war, stand er zwar durch seine außerordentlichen Dienstleistungen und durch die Vorzüge seines Geistes in großem Ansehen; aber weniger erfreute er sich des Genusses seiner hohen Stellung im Staat und der Würde, die er sich durch Verdienste um das Gemeinwesen erworben hatte. Das erste Jahr aber, das ihm nach Verwaltung der Ehrenämter unter allgemeiner Billigung den Zugang zu dem höchsten Ansehen eröffnete, vereitelte durch den Tod alle seine Hoffnungen und alle seine Lebenspläne.
Jammervoll war dies für die Seinigen, herb für das Vaterland, schmerzlich für alle Gutgesinnten; aber gleichwohl sind nachher solche Missgeschicke über den Staat gekommen, dass ich glauben muss, die unsterblichen Götter haben dem Lucius Crassus das Leben nicht entrissen, sondern den Tod geschenkt. Nicht sah er Italien vom Krieg entbrannt, nicht den Senat von glühendem Hass verfolgt, nicht die Häupter des Staates eines verruchten Frevels angeschuldigt, nicht die Trauer der Tochter, nicht die Verbannung des Eidams, nicht die schmähliche Flucht des Gaius Marius nicht jene allergrausamsten Mordgreuel nach dessen Rückkehr, nicht endlich den Staat in jeder Hinsicht entehrt, in dessen höchster Blüte er selbst alle an Ruhm weit überragt hatte.
[III] Und da ich einmal in meiner Betrachtung die Gewalt und den Wechsel des Schicksals berührt habe, so soll mein Vortrag nicht zu weit abschweifen, sondern sich etwa gerade auf die Männer beschränken, die an der Unterredung, die ich mitzuteilen unternommen habe, teilgenommen haben. Denn wer möchte nicht mit Recht jenen Tod des Lucius Crassus, der von so vielen und so oft beweint worden ist, glücklich preisen, wenn er sich das Lebensende gerade derer, die sich damals mit jenem zum letzten Mal unterredet haben, vergegenwärtigt? Wir wissen ja, wie Quintus Catulus, ein in jeder Beziehung ausgezeichneter Mann, obwohl er nicht um Erhaltung seiner glücklichen Verhältnisse, sondern nur um Abwendung der Verbannung und Flucht bat, gezwungen wurde, sich das Leben zu nehmen.
Des Marcus Antonius Haupt ferner, durch das so vieler Bürger Häupter erhalten worden waren, wurde gerade auf der Rednerbühne, wo er als Konsul den Staat so standhaft verfochten und die er als Censor von seiner Feldherrnbeute geschmückt hatte, öffentlich aufgesteckt. Nicht weit von diesem lag des Gaius Iulius Haupt, der durch den Frevel eines etrurischen Gastfreundes verraten worden war, zugleich mit dem Haupt seines Bruders Lucius Iulius. So kann man sagen, dass Crassus mit dem Staat zugleich gelebt hat und mit ihm zugleich verschieden ist. Denn nicht sah er seinen Verwandten, den hochherzigen Publius Crassus, durch eigene Hand getötet, auch nicht die Bildsäule der Vesta mit dem Blut seines Amtsgenossen, des Oberpriesters, bespritzt. Ja, bei seiner vaterlandsliebenden Gesinnung würde ihn selbst der abscheuliche Tod seines ärgsten Feindes, des Gaius Carbo, an eben dem selben Tag mit tiefer Betrübnis erfüllt haben.
Nicht sah er die entsetzlichen und kläglichen Missgeschicke der beiden jungen Männer, die sich einst seiner Leitung gewidmet hatten. Gaius Cotta nämlich, den er in der Blüte der Jahre zurückgelassen hatte, wurde wenige Tage nach dem Tod des Crassus durch den Hass des Volkes aus dem Tribunat, um das er sich bewarb, verdrängt und nicht viele Monate nach jener Zeit aus dem Staat verstoßen. Sulpicius aber, der in dieselbe Flamme des Hasses geraten wäre, ließ in seinem Tribunat die Männer, mit denen er als Privatmann in der vertrautesten Verbindung gelebt hatte, aller ihrer Würden berauben; aber er, der dem höchsten Ruhm der Beredsamkeit entgegenblühte, verlor durch das Schwert sein Leben und büßte seine Verwegenheit nicht ohne großen Nachteil für den Staat.
Du aber, Crassus – so urteile ich, wenn ich die Blüte deines Lebens und die gelegene Zeit deines Todes betrachte –, du bist nach göttlichem Ratschluss in die Welt eingetreten und aus ihr geschieden. Denn bei deiner Tugend und Standhaftigkeit wärst du gewiss durch das grausame Schwert des Bürgerkriegs gefallen, oder wenn dich das Geschick vor einem so greulichen Tod bewahrt hätte, so würde es dich doch gezwungen haben, Zuschauer bei den Leichenbegängnissen des Vaterlandes zu sein, und nicht allein die Gewaltherrschaft der Schlechtgesinnten, sondern wegen des dabei vergossenen Bürgerblutes selbst der Sieg der Gutgesinnten würde dich mit tiefer Trauer erfüllt haben.
[IV] Was mich betrifft, mein Bruder Quintus, so pflege ich oft, wenn ich die Schicksale der zuvor genannten Männer und die Leiden, die ich selbst aus unaussprechlich großer Liebe zum Staat erduldet und empfunden habe, überdenke, den Rat als gegründet und weise anzusehen, durch den du mich mit Hinweisung auf so viele, so große und so jähe Unfälle der berühmtesten und vortrefflichsten Männer immer von aller Teilnahme an Kämpfen und Streitigkeiten des Staates abzuziehen suchtest.
Doch da dies nicht mehr in meiner Gewalt steht und meine sehr großen Mühen durch den großen Ruhm, mit dem sie vergolten sind, gemildert werden, so will ich mich den Trostmitteln, die nicht nur nach Stillung der Widerwärtigkeiten angenehm, sondern auch während ihrer Dauer heilsam für uns sein können, zuwenden und die noch rückständige und beinahe letzte Rede des Lucius Crassus der Nachwelt überliefern und ihm den, wenn auch keineswegs der Größe seines Geistes entsprechenden, so doch wegen meiner Liebe zu ihm verdienten und schuldigen Dank abstatten.
Ein jeder von uns macht sich ja, wenn er die wunderbar schönen Schriften Platons liest, die fast alle den Sokrates darstellen, so meisterhaft sie auch abgefasst sind, doch eine höhere Vorstellung von dem Mann, mit dem sie sich beschäftigen. So fordere ich gleichfalls, zwar nicht von dir, der du meine Schriften immer auf das vorteilhafteste beurteilst, wohl aber von den anderen Lesern, die diese Bücher in die Hand nehmen werden, dass sie sich von Lucius Crassus eine höhere Vorstellung machen, als ich ihn darzustellen vermag.
Denn da ich der Unterredung selbst nicht beiwohnte und Gaius Cotta mir nur die Hauptsätze und Grundgedanken ihrer Vorträge mitteilte, so habe ich versucht, die Ausdrucksweise, wie ich sie bei beiden Rednern kennengelernt hatte, in ihren Gesprächen in den Hauptzügen nachzubilden. Sollte indes einer nach einem herrschenden Vorurteil der Ansicht sein, Antonius sei magerer oder Crassus voller gewesen, als ich beide eingeführt habe, so muss er zu denen gehören, die jene entweder nicht gehört haben oder nicht beurteilen können. Denn nicht nur zeichneten sich beide, wie ich vorher dargelegt habe, an Fleiß, Geist und Gelehrsamkeit vor allen aus, sondern jeder war auch in seiner Art vollkommen, dergestalt, dass der Schmuck der Rede weder bei Antonius fehlte noch bei Crassus in zu vollem Maß da war.
[V] Als sie nun vor Mittag auseinandergegangen waren und ein wenig ausruhten, machte Cotta, wie er mir erzählte, unter anderem besonders die Bemerkung, dass Crassus die ganze Mittagszeit in dem schärfsten und tiefsten Nachdenken zugebracht habe. Da er seine Miene, wenn er reden sollte, und den Blick seiner Augen beim Nachdenken genau kannte und oft bei den wichtigsten Verhandlungen gesehen hatte, so ging er, während die anderen ruhten, absichtlich in das Zimmer, wo Crassus sich auf einem Ruhebett niedergelassen hatte, und da er ihn in tiefes Nachdenken versunken bemerkte, zog er sich sogleich zurück, und in dieser Stille gingen etwa zwei Stunden hin. Darauf, als sich der Tag schon zum Nachmittag neigte, kamen alle zu Crassus, und Iulius nahm das Wort: "Wie steht's, lieber Crassus? Beginnen wir unsere Sitzung? Doch wir kommen nur, um dich daran zu erinnern, nicht, um es von dir zudringlich zu verlangen."
Hierauf erwiderte Crassus: "Haltet ihr mich für so rücksichtslos, dass ich euch einen Liebesdienst, zumal einen solchen, länger schuldig bleiben könnte?" "Was wählen wir nun für einen Platz?" sagte jener. "Beliebt es dir etwa in der Mitte des Lustgehölzes? Denn da ist es am schattigsten und kühlsten." "Ganz recht", erwiderte Crassus, "denn daselbst befindet sich ein Sitz, der, sich ganz für unsere Unterredung eignet." Da auch die anderen damit zufrieden waren, begab man sich in das Lustgehölz und ließ sich hier nieder in gespannter Erwartung dessen, was man hören werde.
Jetzt begann Crassus also: "Meine Hochachtung gegen euch und eure Freundschaft, sowie die Gefälligkeit des Antonius benehmen mir, sosehr ich auch dazu berechtigt wäre, alle Freiheit der Weigerung. Doch hat dieser bei der Verteilung unserer Vorträge, indem er für sich den Stoff auswählte, den der Redner behandeln muss, mir aber die Entwickelung der Art und Weise übriglieb, wie der Stoff geschmückt werden müsse, Dinge voneinander geschieden, die sich nicht trennen lassen. Denn da jede Rede aus Sachen und Worten besteht, so können weder die Worte eine Grundlage haben, wenn man ihnen die Sachen entzieht, noch die Sachen Licht, wenn man die Worte davon absondert.
Und nach meiner Ansicht wenigstens haben die Alten eine weit erhabenere Vorstellung von der Sache gehabt und darum auch viel weiter gesehen, als was die Schärfe unseres Geistes erschauen kann, wenn sie behaupteten, alles, was über und unter uns ist, bilde ein Ganzes und werde durch eine Kraft und eine Zusammenwirkung der Natur zusammengehalten. Denn es gibt keine Gattung der Dinge, die, losgerissen von den übrigen, für sich bestehen oder deren die übrigen entbehren könnten, wenn sie in ihrer Kraft und ewigen Dauer verbleiben sollen.
[VI] Doch sollte diese Ansicht zu erhaben erscheinen, als dass sie der gewöhnliche Mensch mit seinen Sinnen und Gedanken erfassen könnte, so ist doch auch jener Ausspruch Platons wahr und dir, Catulus, gewiss nicht unbekannt, dass das ganze Gebiet aller Wissenschaften der höheren und edlen Menschenbildung durch ein gemeinsames Band zusammengehalten werde. Denn hat man das Wesen der Vernunftbetrachtung durchschaut, durch die man die Ursachen und Zwecke der Dinge erkennt, so findet man unter allen Wissenschaften eine wunderbare Übereinstimmung und gleichsam einen Einklang.
Doch erscheint auch dieses noch zu hoch, als dass wir niedrigen Erdenkinder unseren Blick dazu emporheben können, so müssen wir doch wenigstens den Beruf, den wir gewählt haben, und die Kunst, zu der wir uns bekennen und die wir üben, kennen und verstehen. Es gibt nämlich, wie ich am gestrigen Tag bemerkte und Antonius heute Vormittag an verschiedenen Stellen andeutete, nur eine Beredsamkeit, auf welche Gebiete und Bereiche des Vortrags sie auch immer angewendet werden mag.
Denn mag sie nun von der Natur des Himmels oder der Erde, von dem göttlichen oder menschlichen Wesen, mag sie vor Gericht oder im Senat oder vor dem Volk reden, mag sie die Menschen antreiben oder belehren oder abschrecken oder aufregen oder umlenken oder anfeuern oder besänftigen, mag sie zu wenigen oder zu vielen, unter Fremden oder mit Angehörigen oder mit sich selbst reden, so zerteilt sie sich zwar in verschiedene einzelne Bäche, entspringt aber nicht aus verschiedenen Quellen, und wohin sie auch schreiten mag, immer erscheint sie in Begleitung des nämlichen Rüstzeuges und Schmuckes.
Weil wir nun von Vorurteilen nicht nur der großen Menge eingenommen sind, sondern auch der Halbgebildeten, die, was sie als ein Ganzes nicht umfassen können, in kleine Teile auseinandergerissen und zerstückelt leichter behandeln und die von den Gedanken die Worte, gleichsam wie von der Seele den Leib, trennen, obwohl ohne den Untergang von beidem weder das eine noch das andere geschehen kann, so will ich in meinem Vortrag nicht mehr auf mich nehmen, als mir auferlegt wird. Nur will ich das kurz andeuten, dass weder der Schmuck der Worte sich finden lasse ohne erzeugte und deutlich ausgedrückte Gedanken noch irgendein Gedanke lichtvoll sein könne ohne das Licht der Worte.
Doch bevor ich die Mittel zu berühren versuche, durch die nach meiner Meinung der Rede Schmuck und Glanz verliehen werden kann, will ich kurz meine Ansicht über die Beredsamkeit im allgemeinen darlegen.
[VII] Es gibt nichts in der Natur, wie es mir scheint, das nicht in seiner Gattung mehrere untereinander verschiedene Dinge umfasste, die jedoch eines gleichen Lobes wertgeachtet werden. So zum Beispiel vernehmen wir vieles mit den Ohren, was uns zwar nur durch die Töne ergötzt, aber doch oft so mannigfaltig ist, dass uns das, was wir zuletzt hören, immer als das Angenehmste erscheint. Auch durch die Augen genießen wir fast zahllose Vergnügungen, die uns alle fesseln, obwohl sie nur auf einen Sinn, aber auf verschiedene Weise, einen angenehmen Eindruck machen. Und ebenso werden die übrigen Sinne durch verschiedene angenehme Empfindungen ergötzt, so dass es schwerfallen sollte, zu entscheiden, welche die angenehmste se
Aber was von den Dingen in der Natur gilt, das lässt sich auch auf die Künste übertragen. Es gibt nur eine Bildhauerkunst, in der Myron, Polykleitos und Lysippos ausgezeichnet waren; alle diese waren einander unähnlich, aber gleichwohl möchte man keinen anders wünschen, als er war. Es gibt nur eine Kunst der Malerei und nur ein geregeltes Verfahren in derselben, und doch sind Zeuxis, Aglaophon und Apelles einander sehr unähnlich, aber von keinem derselben dürfte man sagen, dass ihm irgend etwas in seiner Kunst fehle. Und wenn wir uns über diese Erscheinung in diesen gleichsam stummen Künsten wundern müssen – und doch verhält es sich in Wirklichkeit so –, um wie viel bewunderungswürdiger ist sie in der Rede und Sprache? Denn obwohl sich diese mit den nämlichen Gedanken und Worten beschäftigt, so gestattet sie doch die größten Verschiedenheiten. Aber deshalb verdienen einige Redner nicht Tadel, sondern diejenigen, welche man einstimmig für lobenswert erklärt, werden auch bei der Verschiedenheit ihrer Schreibart gelobt.
Und dies kann man zuerst bei den Dichtern sehen, welche mit den Rednern die nächste Verwandtschaft haben. Denn wie unähnlich sind einander Ennius, Pacuvius und Accius und bei den Griechen Aischylos, Sophokles und Euripides, wiewohl allen ungeachtet der Verschiedenheit ihrer Schreibart beinahe ein gleiches Lob erteilt wird.
Jetzt richtet euren Blick auf die Männer, deren Geschicklichkeit der Gegenstand unserer Untersuchung ist, und betrachtet, was für ein Unterschied zwischen den Neigungen und Naturanlagen der Redner stattfindet. Lieblichkeit hatte Isokrates, Feinheit Lysias, Scharfsinn Hypereides, Wohllaut Aischines, Kraft Demosthenes. Wer von ihnen ist nicht vortrefflich? Und doch, wer von ihnen ist einem anderen als sich selbst ähnlich? Würde hatte Africanus, Sanftheit Laelius, Heftigkeit Galba, etwas Fließendes und Wohltönendes Carbo. Wer von diesen war nicht der Erste seiner Zeit? Und doch war jeder nur in seiner Art Erster.
[VIII] Doch wozu soll ich Beispiele aus alten Zeiten zusammensuchen, da es mir gestattet ist, sie in der Gegenwart und unter den Lebenden zu finden? Was hat je unsere Ohren angenehmer berühren können als die Rede unseres Catulus? Sie ist so rein, dass er beinahe allein echt lateinisch zu reden scheint; sie ist gewichtvoll, doch so, dass sie mit der ausgezeichnetsten Würde alle Leutseligkeit und heitere Laune verbindet. Kurz, wenn ich ihn höre, so pflege ich zu urteilen, dass durch jeden Zusatz oder Veränderung oder Weglassung sein Vortrag nur verschlechtert und verdorben werden könne.
Wie? Unser Caesar, hat er nicht eine neue Behandlung der Rede angewandt und eine, ich möchte sagen, ganz absonderliche Art der Beredsamkeit eingeführt? Wer hat je außer ihm tragische Gegenstände fast komisch, traurige scherzhaft, ernste heiter, gerichtliche mit einer beinahe schauspielmäßigen Anmut behandelt, und zwar so geschickt, dass weder der Scherz durch die Größe der Gegenstände aufgehoben noch der Ernst durch den Witz vermindert wurde?
Siehe, hier sind ja zwei junge Männer gegenwärtig, die fast von gleichem Alter sind, Sulpicius und Cotta. Wie unähnlich sind sie einander, und doch, wie vortrefflich ist jeder in seiner Art! Der eine ist gefeilt und fein, seinen Gegenstand mit den eigentümlichen und geeigneten Worten entwickelnd. Er bleibt immer bei der Sache, und sobald er durch seinen ausgezeichneten Scharfsinn erkannt hat, was er dem Richter beweisen muss, richtet er mit Übergehung der anderen Beweisgründe hierauf allein seine Gedanken und Worte. Sulpicius aber redet mit dem stärksten Feuer, mit der volltönendsten und lautesten Stimme, mit der größten Anstrengung des Körpers und dem würdevollsten Anstand in seinen Bewegungen, zugleich auch mit einem solchen Nachdruck und Reichtum der Worte, dass er ganz vorzüglich zur Beredsamkeit von der Natur ausgerüstet zu sein scheint.
[IX] Ich kehre jetzt zu uns selbst zurück; denn wir haben uns immer in der Lage befunden, dass die Menschen uns in ihren Gesprächen miteinander verglichen und wie in einem Wettstreit über uns zu Gericht saßen, und doch, kann es wohl zwischen Rednern eine größere Unähnlichkeit geben als zwischen mir und Antonius? Er ist ein so vortrefflicher Redner, dass sich keiner mit ihm messen kann; ich aber, obwohl ich mir selbst nicht genüge, werde doch gerade mit ihm in der Vergleichung zusammengestellt. Ihr kennt ja die dem Antonius eigentümliche Redeweise. Sie ist kräftig, feurig, leidenschaftlich im Vortrag, sich verwahrend, sich nach allen Seiten der Sache hin verschanzend, durchdringend, scharfsinnig, den Kern der Sache erfassend, bei einem jeden Gegenstand verweilend, mit Anstand sich zurückziehend, hitzig verfolgend, in Schrecken setzend, flehend, ausgezeichnet durch die größte Mannigfaltigkeit der Rede, nie unsere Ohren langweilend.
Ich hingegen, wenn ich wirklich in der Beredsamkeit etwas leiste – ihr meint ja, ich hätte einige Geltung als Redner – weiche doch gewiss von seiner Redeweise sehr ab. Worin der Unterschied bestehe, kommt mir nicht zu, zu sagen, deshalb, weil jeder sich am wenigsten kennt und am schwierigsten über sich selbst urteilt; aber gleichwohl lässt sich der Unterschied erkennen teils aus meinen mäßigen Bewegungen, teils daraus, dass ich auf der Stelle, die ich beim Beginn der Rede betrete, gewöhnlich bis zum Schluss derselben stehenzubleiben pflege, teils endlich daraus, dass mir die Wahl der Worte weit mehr Mühe und Sorge macht, weil ich besorge, mein Vortrag möchte, wenn er sich in zu abgenutzten Ausdrücken bewegte, der Erwartung und Stille der Versammlung nicht würdig erscheinen.
Wenn nun bei uns, die wir hier gegenwärtig sind, so große Verschiedenheiten, so bestimmte Eigenschaften eines jeden hervortreten und wenn bei dieser Mannigfaltigkeit der Unterschied zwischen dem Besseren und Schlechteren gewöhnlich mehr auf der Fähigkeit des Redners als auf der Redegattung beruht und alles Beifall findet, das in seiner Art vollkommen ist – was meint ihr, wenn wir sämtliche Redner aller Orte und Zeiten umfassen wollten? Würden sich nicht beinahe ebenso viele Arten der Beredsamkeit finden wie Redner? Diese meine Erörterung könnte vielleicht den Einwurf hervorrufen: Wenn es, um mich so auszudrücken, fast unzählige Gebilde und Gestalten der Rede gibt, die der äußeren Erscheinung nach verschieden, dem inneren Wesen nach aber lobenswürdig sind, so kann man unmöglich diese so voneinander abweichenden Dinge durch die nämlichen Regeln und durch eine und dieselbe Unterweisung lehren.
Doch dies verhält sich nicht so; nur müssen diejenigen, welche andere bilden und unterrichten, auf das sorgfältigste beachten, wohin einen jeden seine natürliche Anlage vorzugsweise zu führen scheint. Denn wir sehen, dass aus der nämlichen Schule der größten Künstler und Lehrmeister, eines jeden in seiner Art, Schüler hervorgegangen sind, die einander unähnlich und doch lobenswürdig waren, da sich der Unterricht des Lehrers den natürlichen Anlagen eines jeden anbequemte.
Ein recht auffallendes Beispiel hiervon gibt, um die anderen Wissenschaften zu übergehen, Isokrates, ein ausgezeichneter Lehrer, welcher sagte, bei Ephoros wende er Sporen an, bei Theopompos hingegen Zügel. Den letzteren nämlich, der sich gern in kühnen Ausdrücken erging, hielt er zurück; den ersteren, der unschlüssig und zurückhaltend war, feuerte er an. Doch machte er sie nicht einander ähnlich, sondern dem einen bildete er nur etwas an, dem anderen feilte er etwas ab, und so bildete er bei beiden das aus, was die Natur eines jeden zuließ.
[X] Diese Bemerkungen musste ich vorausschicken, damit, wenn nicht alles, was ich vortrage, eurer Neigung zusagt und der Art der Beredsamkeit, der ein jeder von euch seinen Beifall schenkt, angemessen ist, ihr wisst, dass ich nur die Art der Beredsamkeit darlege, die ich selbst für die beste befunden habe. Zu dem also, was Antonius entwickelt hat, muss ein gewisser äußerer Vortrag und eine gewisse Darstellung in Worten hinzutreten. Welche Darstellungsweise ist nun wohl besser – über den Vortrag werde ich später reden –, als wenn wir echt lateinisch, deutlich, geschmückt und dem Gegenstand der Verhandlung angemessen und entsprechend reden?
Über die beiden zuerst genannten Punkte, die Reinheit und Deutlichkeit der Rede, werden, glaub' ich, keine Regeln von mir erwartet. Wir versuchen ja nicht, den reden zu lehren, der noch nicht zu sprechen versteht, noch dürfen wir hoffen, dass der, welcher nicht richtig lateinisch sprechen kann, geschmückt reden werde, oder gar, dass der, welcher nicht verständlich redet, imstande sei, durch seine Rede Bewunderung zu erregen. Lassen wir also dieses unberührt; es kann ja leicht erlernt werden und ist für den Gebrauch unentbehrlich. Denn das eine wird den Knaben im ersten Sprachunterricht gelehrt; das andere wird zu dem Zweck angewendet, damit man verstehe, was einer sagt; dieses ist nun zwar, wie wir wissen, notwendig, aber es ist das Allergeringste. Die Sprachrichtigkeit wird zwar in ihrem ganzen Umfang durch die Sprachkunde ausgebildet, aber gefördert wird sie durch das Lesen der Redner und Dichter.
Denn jene Alten, die ihre Rede noch nicht auszuschmücken verstanden, haben sich fast alle sehr sprachrichtig ausgedrückt, und wer sich an ihre Rede gewöhnt hat, der muss unwillkürlich rein lateinisch reden. Jedoch darf man sich der Worte, die unser jetziger Sprachgebrauch nicht mehr anwendet, nur zuweilen zum Schmuck bedienen, und zwar sparsam, wie ich zeigen werde; von den gebräuchlichen kann der, welcher sich fleißig und viel mit den alten Schriften beschäftigt hat, die auserlesensten anwenden.
[XI] Und um sprachrein zu reden, müssen wir nicht allein darauf sehen, dass wir nur solche Worte vorbringen, welche niemand mit Recht tadeln kann, und an ihnen hinsichtlich der Kasusendungen, der Zeitformen und der Geschlechts- und Zahlform den richtigen Gebrauch beobachten, um nicht etwas Verwirrtes und Widersinniges oder Verkehrtes zu sagen, sondern wir müssen auch selbst die Zunge, den Atem und den Ton der Stimme regeln.
Ich mag nicht, dass man die Laute gar zu geziert ausdrücke; ich mag nicht, dass man sie zu nachlässig verschlucke; ich mag nicht, dass man die Worte mit einem zu feinen Hauch, aber auch nicht, dass man sie mit vollen Backen ausspreche und gleichsam aus tiefer Brust aufkeuche. Denn von der Stimme erwähne ich noch nicht das, was zum äußeren Vortrag gehört, sondern nur das, was mit der Sprache in Verbindung steht. Es gibt nämlich gewisse Fehler, die jeder gern vermeiden mag: eine weiche oder weibische oder allen Wohlklang verletzende und misstönende Stimme.
Es gibt aber auch einen Fehler, den manche absichtlich sich anzueignen suchen. Eine bäurische und grobe Aussprache gefällt einigen, damit ihre Sprache, wenn sie so klingt, um so mehr das Altertümliche festzuhalten scheine. So scheint mir dein Freund, lieber Catulus, Lucius Cotta, an Schwerfälligkeit der Zunge und an einem groben Ton der Stimme Gefallen zu finden, und er meint, seine Worte würden altertümlicher erscheinen, wenn sie recht bäurisch klängen. Mir hingegen gefällt dein Ton und jene Lieblichkeit, ich meine nicht die der Worte, wiewohl sie die Hauptsache ist – doch diese eignen wir uns an durch die Kunst, erlernen wir durch die Sprachwissenschaft, befestigen wir durch die Übung im Lesen und Schreiben –, sondern ich meine die Lieblichkeit, die aus dem Mund hervorgeht, welche, wie bei den Griechen den Attikern, so in der lateinischen Sprache unserer Stadt vorzugsweise eigen ist.
Zu Athen ist die gelehrte Bildung schon lange für die Athener selbst untergegangen; nur der Wohnsitz ist in dieser Stadt für die Wissenschaft geblieben, deren die Bürger entbehren, die Fremden hingegen, eingenommen durch den Namen und das Ansehen der Stadt, genießen; gleichwohl wird die gelehrtesten Asiaten jeder beliebige ungelehrte Athener nicht in den Worten, wohl aber in dem Ton der Stimme und nicht so sehr an Güte als vielmehr an Lieblichkeit der Sprache leicht übertreffen. Die Unsrigen beschäftigen sich weniger mit den Wissenschaften als die Latiner, und doch findet sich unter unseren Stadtbürgern, welche – du kennst sie ja – nur eine sehr geringe wissenschaftliche Bildung besitzen, niemand, der es nicht dem gelehrtesten aller Togaten, dem Quintus Valerius Soranus, an Sanftheit der Stimme und an Abrundung und Wohllaut der Aussprache selbst leicht zuvortäte.
[XII] Da es nun eine bestimmte, den geborenen Römern und der Stadt Rom eigentümliche Aussprache gibt, in der sich nichts Anstößiges, nichts Missfälliges, nichts Tadelnswertes findet, nichts, was einen fremdartigen Klang oder Anstrich hätte, so wollen wir uns diese aneignen und nicht bloß die bäurische Rauheit, sondern auch das Auffallende einer ausländischen Aussprache zu vermeiden lernen.
Wenn ich meine Schwiegermutter Laelia höre – die Frauen bewahren ja die altertümliche Aussprache leichter in ihrer unverfälschten Reinheit, weil sie nicht viele sprechen hören und daher immer das festhalten, was sie zuerst gelernt haben –, wenn ich also die Laelia höre, so ist es mir nicht anders, als wenn ich den Plautus oder Naevius hörte. Schon der Ton ihrer Stimme ist so richtig und einfach, dass man sieht, sie ist von aller Prunksucht und Nachahmung frei; woraus ich schließe, dass so ihr Vater, so ihre Vorfahren gesprochen haben: nicht rauh, wie der oben genannte, nicht plump, nicht bäurisch, nicht klaffend, sondern mit wohlgerundetem Mund, ebenmäßig und sanft.
Unser Cotta also, dessen breite Aussprache du, mein Sulpicius, bisweilen nachahmst, indem du den Laut i aufhebst und dafür ein sehr volles e aussprichst, scheint mir nicht die alten Redner, sondern die Schnitter nachzuahmen." Als Sulpicius selbst hierbei lächelte, sagte Crassus: "Ja, so will ich mit euch verfahren: ihr habt mich zum Reden genötigt; nun gut, so sollt ihr auch etwas von euren Fehlern hören." "Ei, möchtest du doch das tun!" erwiderte jener. "Das wünschen wir ja gerade, und wenn du dieses tust, so werden wir, wie ich glaube, gleich hier noch am heutigen Tag viele Fehler ablegen."
"Aber freilich kann ich dich, Sulpicius", fuhr Crassus fort, "nicht ohne meine eigene Gefahr tadeln, weil ja Antonius erklärt hat, er finde dich mir sehr ähnlich." "Ja, tadle mich nur", erwiderte dieser, "denn jener hat zugleich auch die Lehre gegeben, wir möchten nur das Vorzüglichste an anderen nachahmen. Daher befürchte ich, dass ich von dir nichts nachgeahmt habe als das Stampfen mit dem Fuß und einige wenige Ausdrücke und im glücklichsten Fall die eine oder andere Bewegung." "Also", sagte Crassus, "was du von mir hast, will ich nicht tadeln, sonst möchte ich mich selbst lächerlich machen; doch was du von mir hast, ist weit mehr und viel Wichtigeres, als was du anführst. Was aber entweder ganz dein Eigentum ist oder was du anderen nachgebildet hast, darüber will ich dir, wenn vielleicht eine Gelegenheit dazu Veranlassung geben sollte, meine Bemerkungen mitteilen.
XIII. 48. Wir wollen nun die Regeln über die Sprachrichtigkeit übergehen, welche im Knabenunterricht gelehrt, durch die gründliche Kenntnis der wissenschaftlichen Sprachlehre oder durch die häusliche Unterhaltung und die tägliche Übung im Reden ausgebildet und durch die Lesung der alten Redner und Dichter befestigt werden. Auch bei dem zweiten Punkt wollen wir uns nicht lange aufhalten und nicht weitläufig erörtern, durch welche Mittel man verständlich reden könne.
Offenbar dadurch, dass wir sprachrichtig reden, Worte anwenden, die gebräuchlich sind und das genau bezeichnen, was wir andeuten und erklären wollen, zweideutige Ausdrücke oder Reden vermeiden, nicht zu lange Perioden bilden, sinnbildliche Darstellungen nicht sehr ausdehnen, die Gedanken nicht zerreißen, die Zeiten nicht umkehren, die Personen nicht verwechseln, die Ordnung nicht verwirren. Kurz, die ganze Sache ist so leicht, dass es mir oft sehr wunderbar dünkt, wenn man schwerer versteht, was der Anwalt sagen will, als wenn der selbst, der den Anwalt anstellt, über seine Angelegenheit redete.
Denn diejenigen, welche uns ihre Streitsachen übertragen, belehren uns gemeinhin über dieselben so deutlich, dass man es nicht besser wünschen kann. Sobald aber Fufius oder euer Altersgenosse Pomponius dieselben Gegenstände zu verhandeln anfangen, so verstehe ich weit weniger, was sie sagen, wenn ich nicht sehr aufmerke; so ungeordnet, so verworren ist ihr Vortrag, dass man nicht weiß, was das Erste, was das Zweite ist, und so groß die Ungewöhnlichkeit und das Gewirr ihrer Worte, dass die Rede, welche Licht über die Sachen verbreiten soll, sie in Dunkelheit und Finsternis einhüllt, und zwar dergestalt, dass sie in ihrem Vortrag mit ihrem Wortschwall gewissermaßen gegen sich selbst zu streiten scheinen.
Doch ich hoffe, dass euch Älteren wenigstens diese Dinge zur Genüge lästig und abgeschmackt erscheinen; ich will daher, wenn es euch beliebt, zu den übrigen Gegenständen fortgehen, die noch um ein Bedeutenderes widriger sind."
[XIV] "Ei freilich", sagte Antonius, "du siehst ja, wie wir ganz andere Dinge treiben, wie ungern wir dir zuhören, wir, die wir – ich schließe von mir auf andere – uns bewegen lassen, alles andere beiseite zu setzen, um dir nachzugehen, um dir zuzuhören; so zierlich verstehst du dich über Rauhes, so reichhaltig über Mageres, neu über Allbekanntes auszudrücken."
"Kein Wunder, Antonius", erwiderte er, "denn die beiden Abschnitte über die Richtigkeit der Sprache und die Deutlichkeit des Vortrags, die ich eben durchlief oder vielmehr beinahe überging, waren leicht; die übrigen hingegen sind umfassend, verwickelt, mannigfaltig, gewichtig; auf ihnen beruht die ganze Bewunderung des Geistes, der ganze Ruhm der Beredsamkeit. Nie hat jemand einen Redner bewundert, weil er sprachrichtig redete; ist dies nicht der Fall, so verlacht man ihn und hält ihn gar nicht für einen Redner, ja kaum für einen Menschen. Niemand hat den gepriesen, der so deutlich redete, dass die Anwesenden seinen Vortrag verstehen konnten; wohl aber verachtete man den, der dies nicht leisten konnte.
Vor wem also werden die Menschen mit einem ehrfurchtsvollen Schauer erfüllt? Wen schauen sie während seines Vortrages mit Staunen an? Wem rufen sie lauten Beifall zu? Wer erscheint ihnen, um mich so auszudrücken, wie ein Gott unter den Menschen? Wer deutlich, wer klar, wer mit Fülle, wer lichtvoll sowohl hinsichtlich der Sachen als auch der Gedanken redet und in der Rede selbst ein gewisses Ebenmaß und versartiges Silbenmaß beobachtet, und das ist das, was ich unter einem schönen Vortrag verstehe. Wer aber zugleich den Ton der Rede so zu stimmen weiß, wie es die Würde der Sachen und der Personen erheischt, der besitzt die lobenswerte Eigenschaft eines angemessenen und passenden Vortrags."
Einen solchen Redner, erklärte Antonius, habe er bis jetzt noch nicht gesehen, und nur einem solchen, behauptete er, dürfe man den Namen eines Redners beilegen. "Verlacht und verachtet also auf meine Verantwortung alle die, welche durch die Regeln der heutigen sogenannten Redekünstler die ganze Bedeutung des Redners erfasst zu haben meinen und doch nicht begreifen konnten, welche Person sie vorstellen oder welchen Beruf sie haben. Denn in der Tat, der Redner muss alle Verhältnisse und Beziehungen des menschlichen Lebens, weil dieses das Gebiet seiner Tätigkeit ist und als der Stoff seiner Reden vorliegt, untersucht, gehört, gelesen, besprochen, behandelt und bearbeitet haben. Denn die Beredsamkeit ist eine von den höchsten Tugenden.
Obwohl alle Tugenden unter sich gleich und ähnlich sind, so ist doch nach der äußeren Erscheinung die eine schöner und mehr in die Augen fallend als die andere. Von solcher Art ist die Geschicklichkeit des Redners, welche im Besitz gründlicher Sachkenntnis die Gedanken und Ratschläge des Geistes so in Worten darzulegen weiß, dass sie die Zuschauer nach jeder Seite, wohin sie sich neigen mag, hintreiben kann. Je größer aber diese Geschicklichkeit ist, um so mehr muss sie mit Rechtschaffenheit und der höchsten Klugheit verbunden werden. Denn wollten wir die, die dieser Tugenden entbehren, die Beredsamkeit lehren, so würden wir sie nicht zu Rednern bilden, sondern Rasenden Waffen in die Hand geben.
[XV] Diese Kunst des Denkens und Vortragens und diese Geschicklichkeit der Rede, sage ich, nannten die alten Griechen Weisheit. Aus ihr gingen Männer hervor, wie Lykurgos, Pittakos, Solon, und in ähnlicher Weise bei uns ein Coruncanius, ein Fabricius, ein Cato, ein Scipio, die vielleicht nicht so gelehrt waren, aber von gleichem Seelendrang und gleicher Gesinnung belebt. Andere aber, wie Pythagoras, Demokritos, Anaxagoras, besaßen zwar dieselbe Klugheit; aber nach einem verschiedenen Lebensplan Ruhe und Muße suchend, entsagten sie der Staatsverwaltung und widmeten sich mit ganzer Seele der Erforschung der Wahrheit. Diese Lebensweise zog aber wegen der Gemütsruhe, die sie gewährt, und wegen der Süßigkeit der Wissenschaft selbst, welche alle anderen Annehmlichkeiten der Menschen übertrifft, mehr Männer an, als den Staaten zuträglich war.
Als nun die hervorragendsten Köpfe sich dieser Neigung hingaben und über ihre Zeit frei und unbehindert verfügen konnten, veranlasste der Überfluss an Muße die Fruchtbarkeit ihres Geistes diese gelehrten Männer, weit mehr als nötig war zu betreiben, zu untersuchen und zu erforschen. Denn die alte Gelehrsamkeit wenigstens erscheint zugleich als Lehrer der sittlichen Handlung und der Wohlredenheit, und für die Kunst des Lebens und des Redens gab es nicht besondere Lehrer, sondern es waren die nämlichen, wie jener Phoinix bei Homer, welcher sagt, er sei vom Vater Peleus dem jungen Achilleus für den Krieg zum Begleiter gegeben, um ihn tüchtig zu bilden im Reden und Handeln.
Aber so wie Menschen, welche an anhaltende und tägliche Arbeit gewöhnt sind, wenn sie durch das Wetter von ihrem Tagewerk abgehalten werden, zum Ball- oder Knöchel- oder Würfelspiel greifen oder sich selbst auch in der Muße einen neuen Zeitvertreib aussinnen, so machten es auf ähnliche Weise auch jene Männer, wenn sie sich von der Beschäftigung mit den Staatsgeschäften durch die Zeitverhältnisse ausgeschlossen sahen oder sich aus freier Wahl der Muße ergaben. Einige von ihnen wandten sich ganz der Dichtkunst zu, andere der Geometrie, andere der Musik, andere schufen sich auch, wie die Dialektiker, eine neue Beschäftigung und Unterhaltung, und so brachten sie ihre ganze Lebenszeit in den Künsten zu, die zu dem Zweck erfunden sind, den Geist der Jugend zu der höheren Menschenbildung und zu einem tugendhaften Leben anzuleiten.
[XVI] Aber so wie es manche gab, und zwar nicht wenige, die im Staat durch die zwiefache Weisheit des Handelns und Redens, die sich nicht von einander trennen lässt, hervorglänzten, wie Themistokles, Perikles, Theramenes, oder die zwar selbst nicht an Staatsgeschäften teilnahmen, aber doch Lehrer der Staatsweisheit waren, wie Gorgias, Thrasymachos, Isokrates, so fanden sich dagegen auch Männer, die, obwohl mit Gelehrsamkeit und Geistesgaben reichlich ausgestattet, doch aus Grundsatz sich des Staatswesens und der öffentlichen Geschäfte enthielten und diese Redeübungen verspotteten und verachteten.
Unter diesen war Sokrates die Hauptperson, er, der nach dem Zeugnis aller Gelehrten und dem Urteil von ganz Griechenland an Einsicht, Scharfsinn, Geschmack und Feinheit sowie auch an Beredsamkeit, Vielseitigkeit und Fülle, er mochte nun bei einer Untersuchung eine Seite verteidigen, welche er wollte, leicht alle übertraf. Dieser hat denen, die die Gegenstände, über die wir jetzt reden, bearbeiteten, behandelten und lehrten und die, weil die gesamte Kenntnis der edelsten Wissenschaften und die Beschäftigung mit denselben Philosophie genannt wurde, nur den einen Namen Philosophen führten, diesen gemeinsamen Namen entrissen und die in der Wirklichkeit zusammenhängenden Wissenschaften, weise zu denken und schön zu reden, in seinen Untersuchungen getrennt: der Mann, dessen Geist und mannigfaltige Gespräche Platon in seinen Schriften verewigt hat, da Sokrates selbst nichts Schriftliches hinterlassen hatte.
Hieraus entsprang, um mich so auszudrücken, die Trennung der Zunge und des Herzens, die wahrlich ungereimt, schädlich und tadelnswert ist und bewirkt hat, dass andere uns die Weisheit, andere das Reden lehrten. Da nämlich sehr viele Philosophen gerade von Sokrates ausgegangen waren, indem aus seinen mannigfaltigen, verschiedenen und nach allen Seiten hin sich verbreitenden Gesprächen der eine dieses, der andere jenes aufgegriffen hatte, so wurden untereinander abweichende, verschiedene und unähnliche Schulen erzeugt, obwohl sie alle sich Sokratiker genannt wissen wollten und es zu sein glaubten.
[XVII] Zuerst gingen von Platon selbst Aristoteles und Xenokrates aus, von denen der erstere den Namen der Peripatetiker, der letztere den der Akademie begründete; alsdann von Antisthenes, der die Ausdauer und Abhärtung in den Gesprächen des Sokrates vorzüglich liebgewonnen hatte; zuerst die Kyniker, dann die Stoiker; hierauf entsprang von Aristippos, den mehr die Vorträge über die Sinnenlust angezogen hatten, die Kyrenaiische Philosophie. Dieser und seine Schüler verteidigten die Sinnenlust unumwunden, während diejenigen, welche jetzt alles nach dem sinnlichen Vergnügen bestimmen, zwar mit mehr Zurückhaltung verfahren, aber einerseits der sittlichen Würde, die sie nicht verschmähen, kein Genüge leisten, andererseits die Sinnenlust, die sie hochschätzen wollen, nicht zu rechtfertigen wissen. Auch gab es noch andere Schulen der Philosophen, die sich fast alle für Sokratiker erklärten, Eretriker, Herillier, Megariker, Pyrrhoneer; aber sie sind schon längst durch die nachdrücklichen Angriffe der zuvor genannten bekämpft und erloschen.
Von den Schulen aber, die noch fortbestehen, eignet sich die Philosophie, die die Sinnenlust in Schutz nimmt, wenn sie auch manchem wahr erscheinen mag, doch durchaus nicht für den Mann, den wir suchen, der Leiter des öffentlichen Rates, Führer in der Verwaltung des Staates, Stimmführer und erster Redner im Senat, vor dem Volk und bei öffentlichen Verhandlungen sein soll. Doch soll dieser Philosophie durchaus keine Kränkung von uns zugefügt werden; sie soll ja nicht von dem Ort verdrängt werden, den sie zu betreten wünscht; nein, sie mag in ihren Lustgärten ruhen, wo sie will, wo sie auch, weich und üppig gelagert, uns von der Rednerbühne, von den Gerichten, von der Curie zu sich einlädt, vielleicht aus weisen Gründen, zumal bei der gegenwärtigen Lage des Staates.
Jedoch untersuche ich jetzt nicht, welche Philosophie die wahrste sei, sondern welche sich am meisten für den Redner eignet. Darum wollen wir die Anhänger dieser Schule ohne Kränkung gehen lassen – es sind ja gute, ehrliche Leute und, weil sie sich's einbilden, auch glückselig – und ihnen nur die Vermahnung geben, ihre Behauptung, wenn sie auch vollkommen wahr ist, der Weise dürfe an der Staatsverwaltung keinen Teil nehmen, doch als ein tiefes Geheimnis für sich zu behalten. Denn sollten sie uns und alle Gutgesinnten davon überzeugen, so dürften sie selbst nicht länger der Ruhe genießen – können, auf die ihr höchstes Verlangen gerichtet ist.
[XVIII] Die Stoiker aber missbillige ich keineswegs; aber doch lasse ich auch sie gehen und fürchte ihren Zorn nicht, weil sie gar nicht zürnen können; indes weiß ich es ihnen Dank, dass sie allein unter allen die Beredsamkeit für eine Tugend und Weisheit erklärt haben. Aber jedenfalls haben sie, was sich mit dem Redner, den wir bilden wollen, durchaus nicht verträgt: erstens, dass sie alle, die nicht weise sind, für Sklaven, Räuber, Feinde, Unsinnige erklären und gleichwohl niemanden als weise anerkennen wollen. Es wäre aber sehr ungereimt, wenn man eine Volksversammlung oder den Senat oder irgendeinen Verein von Menschen dem anvertrauen wollte, nach dessen Ansicht keiner der Anwesenden vernünftig, keiner ein Bürger, keiner frei sein kann.
Hierzu kommt zweitens, dass sie sich einer Ausdrucksweise bedienen, die vielleicht fein und gewiss scharfsinnig ist, aber für einen Redner zu mager, ungewöhnlich, den Ohren der großen Menge nicht zusagend, dunkel, kraftlos, nüchtern und überhaupt von der Art, dass sie beim Volk ganz unbrauchbar sein würde. Denn über die Güter und Übel haben die Stoiker eine andere Ansicht als die übrigen Bürger oder vielmehr Völker; in einer anderen Bedeutung nehmen sie die Begriffe von Ehre und Schande, Belohnung und Strafe. Ob mit Recht oder Unrecht, gehört nicht zu unserer jetzigen Untersuchung; aber wollten wir ihre Lehren annehmen, so würden wir nie etwas mit unserer Rede ausrichten können.
Übrig sind noch die Peripatetiker und Akademiker; der Name der Akademiker jedoch gehört zwei Lehrgebäuden an. Denn Speusippos, Platons Schwestersohn und Xenokrates, Platons Schüler, sowie Polemon und Krantor, Schüler des Xenokrates, weichen in ihren Lehrsätzen durchaus nicht sehr von Aristoteles ab, der zu gleicher Zeit Platons Schüler gewesen war; an der Fülle und Mannigfaltigkeit ihres Vortrags waren sie vielleicht einander ungleich. Arkesilaos, ein Schüler des Polemon, griff zuerst aus Platons mannigfaltigen Schriften und sokratischen Gesprächen vorzüglich den Gedanken auf, dass sowohl die sinnlichen als auch die geistigen Wahrnehmungen aller Gewissheit entbehrten, und in einem höchst anmutigen Vortrag soll er alle Urteile des Geistes und der Sinne verworfen und zuerst die Lehrart eingeführt haben, die jedoch echt sokratisch war, nicht seine eigene Ansicht darzulegen, sondern wider die Ansicht, die ein anderer aufgestellt hatte, zu streiten.
Von hier ging die neuere Akademie hervor, in der ein Mann von unvergleichlicher Raschheit des Geistes und Fülle der Beredsamkeit auftrat, Karneades. Viele seiner Zuhörer habe ich zu Athen kennengelernt; als die sichersten Gewährsmänner aber für mein Urteil über ihn kann ich meinen Schwiegervater Scaevola anführen, der als Jüngling ihn zu Rom hörte, und meinen berühmten Freund, Quintus Metellus, des Lucius Sohn, der mir erzählte, er habe als Jüngling jenen als schon hochbejahrten Greis viele Tage lang zu Athen gehört.
[XIX] So wie nun von dem Apenninischen Gebirge die Flüsse, so haben sich von diesem gemeinsamen Berggipfel der Weisheit die Wissenschaften in verschiedene Arme geteilt, indem die Philosophen gleichsam in das obere Ionische, Griechische und hafenreiche Meer hinabflossen, die Redner hingegen in unser unteres Tuskisches, barbarisches, klippenvolles und unwirtliches Meer hinabstürzten, in dem auch Odysseus selbst umhergeirrt war.
Wollt ihr also mit einer solchen Beredsamkeit und einem solchen Redner zufrieden sein, welcher weiß, dass man eine gemachte Beschuldigung ableugne oder, ist dies nicht möglich, zeigen müsse, dass die Handlung des Angeschuldigten entweder mit Recht oder durch eines anderen Schuld oder Unrecht oder dem Gesetz gemäß oder nicht gegen das Gesetz oder aus Unwissenheit oder notgedrungen geschehen sei oder dass sie nicht mit dem Namen belegt werden dürfe, den man ihr beilege, oder dass die Klage nicht nach Pflicht und Befugnis angestellt werde, und haltet ihr es für hinlänglich, das zu erlernen, was jene Schriftsteller der Kunst lehren, was jedoch Antonius weit geschmackvoller und reichhaltiger entwickelt hat, als es von jenen vorgetragen wird, wollt ihr, sage ich, hiermit zufrieden sein, wie auch mit dem, was ich euch auf euer Verlangen vortragen soll, so treibt ihr den Redner aus einem unermesslich großen Feld in eine wahrlich recht enge Laufbahn.
Wollt ihr aber dem Perikles oder dem Demosthenes, der uns wegen seiner vielen Schriften vertrauter ist, folgen und habt ihr jenes Musterbild des vollkommenen Redners in seinem herrlichen Glanz und seiner vorzüglichen Schönheit liebgewonnen, so müsst ihr euch des Karneades oder des Aristoteles dialektische Gewandtheit anzueignen suchen.
Denn, wie ich zuvor bemerkte, jene Alten bis auf Sokrates verbanden die gesamte Kenntnis und Wissenschaft aller Dinge, welche sich auf die Sitten der Menschen, auf das Leben, auf die Tugend, auf den Staat beziehen, mit der Redekunst. Später aber, nachdem, wie ich auseinandergesetzt habe, von Sokrates, sowie auch von allen Sokratikern der Reihe nach die Redner von den Philosophen gesondert waren, verachteten die Philosophen die Beredsamkeit, so wie die Redner die Philosophie und beide berührten durchaus nicht des anderen Gebiet außer in dem, was sie wechselseitig voneinander entlehnten, während sie aus einer gemeinsamen Quelle schöpfen könnten, wenn sie in ihrer früheren Gemeinschaft hätten verbleiben wollen.
Aber so wie die alten Oberpriester wegen der Menge der Opfer für die Besorgung der Opfermahle drei Oberpriester gewählt haben, obwohl sie selbst von Numa zu dem Zweck eingesetzt waren, das Opfermahl bei den Spielen zu besorgen, so haben auch die Sokratiker von sich und dem gemeinsamen Namen der Philosophie die Sachwalter geschieden, während die Alten die Kunst der Rede und die des Denkens in eine wunderbare Gemeinschaft miteinander gesetzt hatten.
[XX] Da sich die Sache so verhält, muss ich eine kleine Bitte für mich an euch richten und euch ersuchen, das, was ich sagen werde, nicht auf mich selbst zu beziehen, sondern auf den Redner. Denn wiewohl mein Vater mich in meiner Jugend mit der größten Sorgfalt hat erziehen lassen und ich auch einige Naturanlage, wie ich mir bewusst bin, die aber von euch wohl zu hoch angeschlagen werden mag, auf den Markt mitbrachte, so kann ich doch nicht behaupten, das, was ich jetzt umfasse, in dem Umfang erlernt zu haben, wie ich es in meinem Vortrag verlangen werde. Denn ungemein früh übernahm ich die Führung öffentlicher Verhandlungen, und einundzwanzig Jahre alt, klagte ich einen höchst angesehenen und beredten Mann gerichtlich an. Meine Schule war das Forum, meine Lehrmeister die Erfahrung, die Gesetze und Einrichtungen des römischen Volkes und die Sitte der Vorfahren.
Sosehr mich auch nach den Wissenschaften, von denen ich rede, dürstete, so habe ich doch nur wenig davon gekostet, als ich Quästor in Asien war, wo ich in einem Mann etwa von meinen Jahren, einem Akademiker, einen Lehrer der Beredsamkeit fand, jenen Metrodoros, dessen Gedächtnis Antonius erwähnte, und dann auf meiner Rückreise von Asien in Athen, wo ich mich länger aufgehalten haben würde, wenn ich nicht den Athenern gezürnt hätte, dass sie die Mysterien nicht wiederholen wollten, zu denen ich um zwei Tage zu spät gekommen war. Wenn ich also so viele Kenntnisse und einen solchen Reichtum der Gelehrsamkeit in meinem Vortrag verlange, so spricht das nicht für mich, sondern vielmehr gegen mich – nicht von meinen Leistungen rede ich hier, sondern von denen des Redners – und gegen alle diejenigen, welche Regeln der Redekunst erteilen: recht lächerliche Menschen; denn sie wissen nur von den Arten der Streitsachen, von den Eingängen und Erzählungen zu schreiben.
Das Gebiet der Beredsamkeit aber hat einen so großen Umfang, dass sie den Ursprung, das Wesen und die Veränderungen aller Dinge, der Tugenden, der Pflichten und der ganzen Natur, soweit dieselbe die Sitten, die Gemütsarten und das Leben der Menschen angeht, umfasst sowie auch die Sitten, Gesetze und Rechte anordnet, den Staat lenkt und alles, worauf es sich auch beziehen mag, mit Geschmack und Fülle vorträgt.
In dieser Rücksicht leiste ich, soviel ich kann, soviel ich nach meinen Gaben, nach meiner mäßigen Gelehrsamkeit und meiner Erfahrung vermag; und doch glaube ich, den Männern, die in der Philosophie ausschließlich den Wohnsitz ihres Lebens aufgeschlagen haben, wenn es auf einen gelehrten Streit ankäme, nicht eben sehr nachzustehen.
[XXI] Denn was könnte mein Freund Gaius Velleius für die Behauptung anführen, dass die sinnliche Lust das höchste Gut sei, was ich nicht nach Belieben entweder verteidigen oder widerlegen könnte aus den Fundgruben, die Antonius angezeigt hat, mittelst der Redefertigkeit, in der Velleius unerfahren, ein jeder von uns dagegen wohl geübt ist? Was könnten Sextus Pompeius oder die beiden Balbus oder mein Freund, der mit Panaitios Umgang gehabt hat, Marcus Vigellius, lauter Stoiker, über die Tugend vortragen, so dass ich oder irgendeiner von euch in einer solchen Erörterung ihnen nachstehen müsste?
Mit der Philosophie nämlich verhält es sich anders als mit den übrigen Wissenschaften. Was würde zum Beispiel einer in der Geometrie anfangen, der sie nicht erlernt hätte? Was in der Musik? Entweder muss er schweigen, oder man wird ihn für einen unklugen Menschen halten. Der Stoff der Philosophie hingegen wird durch einen scharfsinnigen und durchdringenden Verstand, der überall das Wahrscheinliche hervorzusuchen versteht, ausfindig gemacht, und der geübte Vortrag ist es, der ihn in einer geschmackvollen Form darstellt. Unser gewöhnlicher Redner wird, wenn er auch nicht sehr gelehrt, aber im Reden wohl geübt ist, schon mit dieser gewöhnlichen Übung die Philosophen zu geißeln wissen und sich von ihnen nicht verachten und geringschätzen lassen.
Sollte aber dereinst einer auftreten, der nach des Aristoteles Weise über alle Gegenstände für und wider seine Ansicht vortragen und nach dessen Regeln bei jeder Sache zwei entgegengesetzte Vorträge halten oder nach des Arkesilaos und Karneades Weise gegen jeden vorgelegten Satz gründlich reden und mit dieser wissenschaftlichen Bildung auch die Übung der Rednerschule und die Fertigkeit im Reden vereinigen könnte, so würde ich sagen, der ist der wahre, der vollkommene, der einzige Redner. Denn so wie der Redner ohne die kernige Kraft der gerichtlichen Beredsamkeit nicht genug Feuer und Gewicht haben kann, so muss es ihm ohne vielseitige Gelehrsamkeit an feiner Bildung und Weisheit gebrechen.
Demnach wollen wir gern zulassen, dass euer Korax seine Jungen im Nest ausbrüte, auf dass sie als widrige und lästige Schreier ausfliegen, und dass jener vortreffliche Pamphilos einen so wichtigen Gegenstand wie ein Kinderspiel auf Bändern bildlich darstelle; und nehmen wir auch an, wir selbst könnten in dieser kurzen Erörterung am gestrigen und heutigen Tag den ganzen Beruf des Redners darlegen, so bleibt doch die Beredsamkeit eine Wissenschaft von so großem Umfang, dass sie in allen Schriften der Philosophen, die einer der gewöhnlichen Redner berührt hat, enthalten zu sein scheint."
[XXII] Hierauf sagte Catulus: "Wahrlich, man darf sich gar nicht wundern, Crassus, dass du eine so große Kraft, Anmut und Fülle der Beredsamkeit besitzest. Denn während ich vormals der Ansicht war, du habest es bloß deinen Naturgaben zu verdanken, dass du mir in deinen Reden nicht allein als der ausgezeichnetste Redner, sondern auch als der weiseste Mann erschienst, sehe ich jetzt, dass du zu jeder Zeit die Beschäftigung mit der Philosophie als Hauptsache betrachtet hast und dass dieser Quelle die Fülle deiner Beredsamkeit entströmt ist. Aber gleichwohl, wenn ich mir alle Stufen deines Alters vergegenwärtige und wenn ich dein Leben und deine Beschäftigungen betrachte, so begreife ich nicht, zu welcher Zeit du diese Kenntnisse gesammelt hast, und sehe auch nicht, dass du mit diesen Wissenschaften, Gelehrten und Büchern sehr eifrig verkehrst. Nicht jedoch kann ich entscheiden, ob ich mich mehr darüber wundern kann, dass du jene Kenntnisse, die ich, von dir überzeugt, für sehr wichtige Hilfsmittel halte, bei deinen so vielen Geschäften hast erlernen können, oder darüber, dass, wenn dir dies nicht möglich war, du dennoch so vortrefflich reden kannst."
Da erwiderte Crassus: "Vor allem wünschte ich dich davon zu überzeugen, mein Catulus, dass ich es nicht viel anders mache, wenn ich vom Redner handle, als ich es machen würde, wenn ich vom Schauspieler reden sollte. Ich würde behaupten, er könne im Gebärdenspiel nicht befriedigen, wenn er nicht die Ringschule durchgemacht und das Tanzen erlernt hätte. Wenn ich nun diese Behauptung aufstellte, so brauchte ich deshalb nicht selbst ein Schauspieler zu sein, sondern vielleicht nur ein nicht ungeschickter Beurteiler einer fremden Kunst.
Auf gleiche Weise rede ich jetzt auf euer Verlangen vom Redner – versteht sich, von dem vollkommensten. Denn sooft über eine Kunst oder Fertigkeit die Frage entsteht, bezieht sie sich immer auf die vollkommenste und in sich abgeschlossene. Soll ich also nach eurem Urteil ein Redner sein, auch ein ziemlich guter, ja, wohl gar ein guter Redner, so will ich mich nicht dagegen auflehnen; wozu soll ich mich jetzt zieren? Ich weiß ja, dass ihr mich dafür haltet. Ist dies nun auch so, so bin ich doch gewiss nicht der vollkommenste; denn es gibt auf der Welt keine Sache von größerer Schwierigkeit und Wichtigkeit, keine, die mehr Hilfsmittel der Gelehrsamkeit erforderte.
Aber gleichwohl muss ich, weil ich vom Redner handeln soll, notwendigerweise von dem vollkommensten reden. Denn das eigentliche Wesen einer Sache lässt sich dann erst recht begreifen, wenn sie in ihrer Vollkommenheit uns vor die Augen gestellt wird. Was mich aber anlangt, so muss ich, Catulus, gestehen, dass ich weder gegenwärtig mit philosophischen Büchern und mit Philosophen Umgang pflege noch auch, wie du recht wohl weißt, je irgendeine Zeit zu wissenschaftlichen Beschäftigungen ausgesetzt, sondern nur so viel Zeit der gelehrten Bildung gewidmet habe, wie das Knabenalter und die gerichtlichen Feiertage mir gestatteten.
XXIII. 86. Aber, lieber Catulus, willst du meine Ansicht über diese gelehrten Beschäftigungen wissen, so glaube ich, dass ein fähiger Kopf, der das Forum, die Kurie, die öffentlichen Verhandlungen, das Staatswesen zu seinem Beruf macht, nicht so viel Zeit dazu nötig hat, wie sich die nehmen, deren ganzes Leben in den wissenschaftlichen Bestrebungen aufgeht. Denn alle Künste werden anders von denen getrieben, die sie zur Ausübung im Leben anwenden, anders von denen, die sich von der Beschäftigung mit den Künsten selbst so angezogen fühlen, dass sie im Leben nichts anderes treiben wollen. Ein hiesiger Lehrmeister der Samniten gibt, obgleich schon hoch bejahrt, doch täglich Unterricht; denn er hat keine andere Beschäftigung. Hingegen Quintus Velocius hatte in seiner Jugend neben seinem anderen Unterricht auch das Fechten gelernt, und weil er dazu Geschick besaß und es gründlich erlernt hatte, war er, wie es bei Lucilius heißt,
ein tüchtiger Kämpfer
Wohl in der Schule geübt, mit dem Fechtstab gleichend dem Besten;
aber weit mehr Tätigkeit verwandte er auf das Forum, die Freunde und das Hauswesen.
Valerius sang täglich, denn er war vom Theater; hingegen unser Freund Numerius Furius singt, wenn es ihm bequem ist, denn er ist Familienvater, ist römischer Ritter; in seiner Jugend hat er gelernt, was zu lernen war. Ein gleiches Verhältnis findet bei den höheren Wissenschaften statt. Tag und Nacht sahen wir den hochverdienten und einsichtsvollen Quintus Tubero, unter Leitung eines Philosophen dieser Wissenschaft obliegen; hingegen an seinem Oheim Africanus konnte man kaum merken, dass er sich damit beschäftigte, und doch tat er es. Solche Wissenschaften lassen sich leicht lernen, wenn man nur so viel davon nimmt, wie man braucht, wenn man einen treuen Lehrer hat und wenn man selbst zu lernen versteht.
Will man aber im ganzen Leben nichts anderes treiben, so erzeugt die Behandlung und Untersuchung der Dinge aus sich selbst täglich Fragen, deren Lösung man in müßiger Behaglichkeit ergründen möchte. Hieraus folgt, dass die Erforschung der Dinge unendlich, die Erlernung hingegen leicht ist, wenn die Anwendung das Gelernte befestigt, mäßiger Fleiß darauf verwendet wird und Gedächtnis und Eifer ausdauern. Es macht aber Vergnügen, immer zu lernen, wie ich gern recht gut Würfel spielen oder mit besonderer Neigung das Ballspiel treiben möchte, vielleicht auch, wenn ich darin nichts leisten könnte.
Aber andere, weil sie dies vortrefflich verstehen, finden ein größeres Vergnügen daran, als gut ist, wie Titius am Ballspiel, Brulla am Knöcheln. Daher braucht niemand den großen Umfang der Wissenschaften aus dem Grunde zu fürchten, weil Greise noch daran lernen; denn entweder haben sie sich erst im Alter damit befasst oder lassen sich bis zum Alter in ihren Forschungen festhalten oder sind sehr langsame Köpfe. Nach meiner Meinung verhält sich die Sache so: Was einer nicht schnell lernt, das wird er überhaupt nie gründlich erlernen können."
[XXIV] "Ja, ja", sagte Catulus, "ich verstehe schon, mein Crassus, was du meinst, und wahrlich, ich stimme dir bei; ich sehe, dass du, ein Mann von so großem Lerneifer, Zeit genug gehabt hast, um das zu erlernen, was du in deinem Vortrag erwähnt hast." "Fährst du denn noch immer fort", erwiderte Crassus, "meinen Vortrag auf meine Person und nicht auf die Sache selbst zu beziehen? Doch, wenn es dir beliebt, las mich jetzt zu dem Vorhaben zurückkehren." "Sehr gern", sagte Catulus.
Hierauf fuhr Crassus fort: "Was ist nun der Zweck dieser so langen und so weit ausgeholten Rede? Die beiden Teile, die mir noch übrig sind, durch die der Rede Glanz verliehen und die ganze Beredsamkeit zur höchsten Vollendung erhoben wird, von denen der eine einen geschmückten, der andere einen angemessenen Vortrag verlangt, haben die Bedeutung, dass die Rede möglichst anziehend sei, dass sie sich soviel als möglich in die Empfindungen der Zuhörer ergieße und dass sie mit möglichst reicher Sachkenntnis ausgerüstet sei.
Der Stoff unserer gerichtlichen Beredsamkeit aber, der in Zänkereien und Leidenschaften besteht und in den Vorurteilen der großen Menge seine Quelle hat, ist wahrlich dürftig und bettelhaft. Andererseits ist aber auch der Stoff, den diejenigen lehren, die sich für Lehrer der Beredsamkeit ausgeben, nicht viel bedeutender als jener gewöhnliche vor den Gerichten. Einen Vorrat von Sachen haben wir nötig, den wir überall aufgesucht und von allen Seiten gesammelt, herbeigeholt und zusammengetragen haben, wie du, Caesar, übers Jahr tun musst und wie ich mich in meiner Ädilität angestrengt habe, weil ich durch alltägliche und gewöhnliche Dinge unser so verwöhntes Volk nicht befriedigen zu können glaubte.
Die Wahl und die Stellung der Worte sowie den Schluss der Rede lernt man leicht durch Regeln oder auch ohne Regeln durch die bloße Übung. Der Stoff der Sachen aber ist groß, und da diesen die Griechen nicht mehr besitzen und ihn aus diesem Grund unsere Jugend durch das Lernen beinahe verlernte, so sind, will's Gott, sogar auch Lateiner als Lehrmeister der Beredsamkeit in den beiden letzten Jahren aufgetreten, obwohl ich ihnen als Censor das Handwerk gelegt hatte, nicht, wie gewisse Leute mir Schuld gegeben haben sollen, als sähe ich es nicht gern, dass der Verstand der jungen Männer geschärft werde, sondern vielmehr, weil ich nicht wollte, dass ihr Verstand abgestumpft, ihre Unverschämtheit hingegen gestärkt werde.
Denn bei den Griechen, wie sie auch beschaffen sein mochten, sah ich doch außer der Zungenfertigkeit einige Gelehrsamkeit und eine der Wissenschaft entsprechende feine Bildung; von diesen neuen Lehrmeistern hingegen überzeugte ich mich, dass sie nichts anderes lehren konnten als dreist sein, was selbst mit guten Kenntnissen verbunden an und für sich sorgfältig vermieden werden muss. Da sie nun dieses eine nur lehrten und ihre Schule eine Schule der Unverschämtheit war, so hielt ich es als Censor für meine Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass das Übel nicht weiter um sich griffe.
Doch will ich hiermit meine Ansicht nicht so entschieden aussprechen, als ob ich alle Hoffnung aufgäbe, dass die Gegenstände, von denen wir gesprochen haben, in der lateinischen Sprache auf eine geschmackvolle Weise gelehrt werden könnten; denn sowohl unsere Sprache als auch die Beschaffenheit der Sachen gestatten es, jene alte herrliche Weisheit der Griechen für uns zu benutzen und unserer Weise anzupassen; aber dazu bedarf es kenntnisreicher Männer, wie sie sich bis jetzt, wenigstens in diesem Fach, noch nicht unter den Unsrigen gefunden haben; sollten aber dereinst solche aufstehen, so werden sie sogar vor den Griechen den Vorzug verdienen.
XXV. 96. Was nun den Schmuck der Rede betrifft, so ist er zuerst ein auf das Ganze bezüglicher, der gleichsam auf der ihr eigenen Farbe und dem ihr eigenen Saft beruht. Denn soll sie gewichtvoll, lieblich, fein gebildet, edel, bewunderungswürdig, geglättet sein, soll sie Empfindungen und Rührung ausdrücken, soweit es nötig ist, so liegt das nicht in den einzelnen Gliedern; in dem ganzen Körper tritt dies hervor. Soll sie hingegen sozusagen mit den Blüten der Worte und Gedanken bestreut sein, so dürfen diese nicht gleichmäßig über die ganze Rede ausgeschüttet, sondern so verteilt sein, wie die bei einem Festprunk hier und da aufgestellten Prachtstücke und leuchtende Zierate.
Man muss also eine Redeweise wählen, die die Zuhörer sehr fesselt und die nicht allein ergötzt, sondern auch ohne Überdruss ergötzt – das werdet ihr ja, glaub' ich, nicht von mir erwarten, dass ich euch vor einem dürftigen, ungebildeten, gemeinen, veralteten Vortrag warne; an etwas Höheres mahnt mich euer Geist und euer Alter –.
Denn es ist schwer, den Grund anzugeben, warum wir gerade gegen diejenigen Dinge, die unsere Sinne am meisten entzücken und sie bei ihrer ersten Erscheinung am lebhaftesten in Bewegung setzen, durch Ekel und Überdruss am schnellsten eine Abneigung empfinden. Um wie viel hervorstechender durch die Schönheit und Mannigfaltigkeit der Farben ist das meiste auf den neuen Gemälden als auf den alten? Gleichwohl ergötzen uns jene, wenn sie uns auch beim ersten Anblick einnehmen, nicht auf die Länge, während wir uns bei den alten Gemälden selbst durch ihren rauhen und unserem Geschmack fremd gewordenen Charakter angezogen fühlen. Um wie viel weicher und zarter sind im Gesang die gefühlvollen Läufe und falschen Stimmen als die bestimmten und ernsten Töne? Und dennoch äußern nicht nur Männer von finsterem Ernst, sondern, wenn sie öfter wiederkehren, selbst die große Menge laut ihr Missfallen.
Man kann dies auch bei den übrigen Sinnen sehen. Salben, die mit sehr starken und durchdringenden Wohlgerüchen durchwürzt sind, ergötzen uns nicht so lange wie die mäßig duftenden, und mehr wird das gelobt, was nach Wachs, als das, was nach Safran zu riechen scheint. Selbst für den Sinn des Gefühls gibt es ein gewisses Maß von Weichheit und Glätte. Ja, sogar der Geschmack, der unter allen Sinnen der genusssüchtigste ist und der durch die Süßigkeit mehr als die übrigen Sinne gereizt wird, wie schnell verabscheut und verschmäht er das sehr Süße! Wer kann sehr lange süße Getränke oder Speisen genießen? Während wir derjenigen, welche nur in schwachem Grad den Sinn angenehm berühren, am wenigsten leicht überdrüssig werden.
So grenzt in allen Dingen an die größten Sinnengenüsse Überdruss. Um so weniger kann uns dies bei der Rede befremden, bei der wir sowohl aus Dichtern als auch aus Rednern beurteilen können, dass ein Vortrag in gebundener oder ungebundener Rede, der zwar wohlabgerundet, zierlich, geschmückt, schön aufgeputzt ist, aber der Ruhepunkte, der Abwechslung und Mannigfaltigkeit entbehrt, mag er auch in den hellsten Farben prangen, doch auf die Länge uns nicht ergötzen kann. Und um so schneller nimmt man an den Schnörkeleien und der Schminke eines Redners oder Dichters Anstoß, weil, während die Sinne bei einem Übermaß der Lust von Natur und nicht nach dem Urteil des Verstandes übersättigt werden, in Schriften und Reden, nicht bloß nach dem Urteil der Ohren, sondern nach dem des Verstandes die aufgetragene Schminke um so leichter erkannt wird.
XXVI. 101. Darum mag man uns, sooft man will, zurufen: Wie schön! und: Wie herrlich! Aber: Wie niedlich! und: Wie nett! mag ich nicht gar zu oft hören. Wiewohl ich wünschte, jener Ausruf: Unvergleichlich! möchte mir recht häufig zuteil werden, muss doch auch das höchste und bewunderungswürdigste Lob der Rede einen Schatten und eine Vertiefung haben, damit die Lichtseiten um so mehr abstechen und hervortreten. Niemals trägt Roscius folgenden Vers so nachdrücklich vor, wie er könnte:
Denn der Weise sucht für Tugend Ruhm zum Lohne, nicht Gewinn;
sondern er wirft ihn nur so hin, um sich auf den nächstfolgenden:
Ach, was seh' ich? Schwertumgürtet hält er der Götter Haus besetzt ...
mit um so größerer Wucht zu werfen, indem er seine Blicke spielen lässt und Verwunderung und Staunen ausdrückt.
102. Ferner der andere Schauspieler:
Welchen Schutz such' ich jetzt?
Wie sanft, wie gelassen, wie wenig leidenschaftlich trägt er diese Worte vor; denn es folgt gleich darauf:

O Vater und o Vaterland, o Priamus' Palast!
wobei der Vortrag nicht so erschütternd sein könnte, wenn er schon durch die frühere Bewegung verbraucht und erschöpft wäre. Dies haben jedoch die Schauspieler nicht eher eingesehen als die Dichter selbst und überhaupt die Tonsetzer, welche beide den Ton erst sinken lassen, dann wieder heben, dann schwächen und wieder anschwellen, dann wechseln und gegeneinander abstechen lassen.
So möge sich nun auch der Schmuck und die Lieblichkeit unseres Redners verhalten, wie es auch nicht anders bei ihm sein kann. Er soll eine herbe und kernhafte Lieblichkeit haben, nicht eine süßliche und kraftlose. Übrigens sind die Regeln selbst, die man über den Schmuck der Rede gibt, von der Art, dass sie selbst der schlechteste Redner beobachten kann. Darum muss man sich, wie ich zuvor bemerkte, vor allem einen Vorrat von Sachkenntnissen aneignen, worüber Antonius geredet hat; diesen muss man durch die Behandlung und Darstellungsweise künstlich ausbilden, durch Worte in das gehörige Licht stellen und durch Gedanken in mannigfaltiger Abwechslung hervortreten lassen.
Das höchste Lob der Beredsamkeit besteht aber darin, dass man einen Gegenstand durch die Ausschmückung vergrößert, was nicht bloß stattfindet, wenn man etwas verschönert und erhöht, sondern auch, wenn man etwas schmälert und herabdrückt.
[XXVII] Dieses Mittel ist an allen solchen Stellen erforderlich, welche man, wie Antonius sagte, anwendet, um die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen zu erwirken, entweder wenn wir etwas erörtern oder die Gemüter gewinnen oder aufregen wollen.
Aber in dem zuletzt erwähnten Fall hat die Vergrößerung die höchste Bedeutung und ist der höchste Ruhm des Redners und der ihm ganz besonders eigentümliche Vorzug. Recht förderlich für die Vergrößerung ist auch die Übung im Loben und Tadeln, für die Antonius am Ende seines Vortrags – anfänglich wollte er sie ganz von sich weisen – die nötigen Vorschriften erteilt hat. Denn nichts ist für die Vergrößerung und Erhöhung des Vortrages geeigneter, als beides vollkommen gut zu verstehen.
Hieran schließen sich auch jene Beweisquellen, die zwar den Rechtssachen angehören und dem innersten Wesen derselben innewohnen müssen, aber, weil sie, wenn von einer Sache im allgemeinen geredet wird, angewendet zu werden pflegen, Gemeinplätze von den Alten genannt worden sind. Sie bestehen teils in scharfen, mit Vergrößerung gemachten Anschuldigungen von Lastern und Vergehen oder in Beschwerden, gegen die man nichts zu sagen pflegt noch zu sagen vermag, wie über Unterschleif, Verrat, Mord; von diesen darf man jedoch nur Gebrauch machen, wenn die Verbrechen schon erwiesen sind, denn sonst sind sie nüchtern und kraftlos.
Andere hingegen bestehen in Fürbitten und bezwecken die Erregung des Mitleids; andere aber enthalten doppelseitige Erörterungen, nach denen man über einen allgemeinen Satz für und wider mit Fülle rede kann. Diese Übung wird jetzt als eine Eigentümlichkeit der beiden philosophischen Schulen, von denen ich vorher sprach, angesehen; bei den Alten hingegen gehörte sie denen an, welchen man alle Kunst und Fülle der Beredsamkeit für die gerichtlichen Verhandlungen entlehnte. Denn über Tugend, über Pflicht, über Recht und Billigkeit, über Würde, Nutzen, Ehre, Schande, Belohnung, Strafe und Ähnliches entgegensetzte Ansichten zu verteidigen, darf es uns an Mut, Kraft und Kunst nicht gebrechen.
Aber nachdem wir nun aus unserem Besitztum vertrieben und auf einem gar kleinen Gebiet, das auch noch mit Streit und Gezänk angefüllt ist, belassen sind und, Verteidiger anderer, unser Eigentum nicht haben behaupten und beschützen können, so lasst uns – freilich zu unserer großen Schmach – von denen, die in unser Erbgut eingebrochen sind, das, was wir nötig haben, entlehnen.
[XXVIII] Jene Philosophen nun, die jetzt nach einem kleinen Teil und Raum der Stadt Athen den Namen führen und Peripatetiker oder Akademiker heißen, vormals aber wegen ihrer vorzüglichen Kenntnisse in den wichtigsten Angelegenheiten mit dem Namen Politiker benannt wurden, der sich auf das gesamte Staatswesen bezieht, behaupten, die bürgerliche Rede zerfalle im allgemeinen in zwei Arten, von denen die eine sich mit Streitfragen beschäftigt, die nach Zeit und Personen bestimmt sind, zum Beispiel auf die Weise: ‘Sollen wir von den Karthagern unsere Gefangenen gegen Rückgabe der ihrigen annehmen?', die andere hingegen mit einer unbestimmten Frage über etwas Allgemeines, wie: ‘Was soll man überhaupt über einen Gefangenen beschließen und urteilen?' Die erstere Art nennen sie Rechtssache oder Streitsache und teilen sie in drei Teile: Rechtsklage, Beratschlagung und Belobung; die letztere, die unbestimmte und gleichsam nur aufgeworfene Frage, wird Untersuchungsfrage genannt. So lehren sie.
Dieser Einteilung bedienen sich auch die Lehrer der Beredsamkeit bei ihrem Unterricht, doch so, dass sie nicht nach Recht oder gerichtlichem Urteil oder sogar mit Gewalt den verlorenen Besitz wieder zu gewinnen, sondern nach Vorschrift des bürgerlichen Rechtes durch einen abgebrochenen Zweig ihre Ansprüche darauf geltend zu machen scheinen. Denn nur die eine Art, die nach Zeiten, Orten und Personen bestimmt ist, halten sie fest, und selbst diese nur beim Zipfel. In der Schule des Philon nämlich, der, wie ich höre, in der Akademie in dem höchsten Ansehen steht, wird jetzt auch über solche Verhandlungen fleißig Unterricht gegeben und häufige Übungen angestellt. Die andere Art aber nennen sie nur zu Anfang ihres Unterrichtes in der Redekunst und behaupten, sie sei ein Eigentum des Redners, aber sie geben weder ihre Bedeutung noch ihr Wesen noch ihre Arten und Gattungen an, so dass es besser wäre, sie übergingen dieselbe ganz, als dass sie sie nur eben berühren und dann gleich wieder aufgeben. Denn jetzt schweigen sie aus Unwissenheit, im anderen Fall würden sie es mit Überlegung zu tun scheinen.
[XXIX] Bei jedem Gegenstand nun, über den eine Untersuchung und Erörterung stattfinden kann, mag diese nun allgemeine Untersuchungsfragen oder solche Sachen betreffen, welche den Staat und gerichtliche Verhandlungen angehen, ist das Wesen des Streites das nämliche, und es gibt keinen, der sich nicht entweder auf das Erkennen oder auf das Handeln bezöge.
Denn entweder wird die Erkenntnis und Wissenschaft einer Sache selbst erforscht, wie zum Beispiel: ‘Soll man nach der Tugend wegen ihres inneren Wertes oder wegen äußerer Vorteile streben?' oder das Handeln wird zum Gegenstand der Beratung gemacht, zum Beispiel: ‘Soll der Weise sich dem Staatsdienst widmen?'
Von der Erkenntnis aber gibt es drei Arten: die Mutmaßung, die Erklärung und die Folgerung. Durch Mutmaßung nämlich wird erforscht, was in einer Sache liege, zum Beispiel: ‘Findet sich Weisheit im Menschengeschlecht?' Welche Bedeutung eine Sache habe, entwickelt die Erklärung, wie zum Beispiel, wenn gefragt wird: ‘Was ist Weisheit?' Die Folgerung aber wird angewendet, wenn man untersucht, was für Folgen aus einer Sache hervorgehen, wie zum Beispiel: ‘Darf ein rechtschaffener Mann zuweilen eine Lüge sagen?'
Sie kehren nun wieder zur Mutmaßung zurück und teilen sie in vier Arten. Entweder nämlich fragt man, was eine Sache sei, zum Beispiel auf die Weise: ‘Ist das Recht unter den Menschen auf die Natur oder auf Meinungen gegründet?', oder was für einen Ursprung eine Sache habe, zum Beispiel: ‘Woraus sind Gesetze oder Staaten hervorgegangen?', oder man fragt nach Grund und Ursache, wie zum Beispiel: ‘Warum sind die gelehrtesten Männer über die wichtigsten Angelegenheiten verschiedener Meinung?', oder nach einer Veränderung, wie wenn man untersucht, ob die Tugend in dem Menschen untergehen oder ob sie sich in das Laster umwandeln könne.
Zu der Erklärung gehören Erörterungen, entweder wenn man fragt, was für ein Begriff von einer Sache dem natürlichen Menschenverstand gleichsam eingeprägt sei, wie zum Beispiel wenn erörtert würde, ob das Recht sei, was der Mehrzahl nützlich ist, oder wenn untersucht wird, was einem Ding eigentümlich sei, zum Beispiel: ‘Ist ein schöner Vortrag dem Redner eigentümlich, oder kann ihn auch ein anderer haben?', oder wenn ein Gegenstand in seine Teile zerlegt wird, wie wenn man fragte: ‘Wie viel Arten wünschenswerter Dinge gibt es?' und: ‘Gibt es deren drei, Güter des Körpers, der Seele und der Außenwelt?', oder wenn man das Gepräge einer Sache und gleichsam ihre natürlichen Merkmale beschreibt, wie zum Beispiel wenn nach dem Charakter eines Habsüchtigen, eines Aufrührers, eines Prahlers gefragt würde.
Von der Folgerung aber stellt man erstlich zwei Hauptarten der Fragen auf. Denn die Streitfrage ist entweder einfach, wie wenn erörtert würde, ob man nach Ruhm streben solle, oder sie beruht auf einer Vergleichung, zum Beispiel: ‘Verdient der Ruhm oder der Reichtum mehr erstrebt zu werden?' Die einfachen aber sind dreierlei: Sie beziehen sich nämlich entweder auf Dinge, die begehrt oder vermieden werden müssen, zum Beispiel: ‘Sind die Ehrenstellen begehrenswert?', ‘Soll man wohl die Armut fliehen?', oder auf Billigkeit oder Unbilligkeit, zum Beispiel: ‘Ist es billig, wegen Kränkungen selbst an Verwandten Rache zu nehmen?', oder auf Ehre oder Schande, zum Beispiel: ‘Ist es ehrenvoll, des Ruhmes wegen zu sterben?'
Von der Vergleichung aber gibt es zwei Arten: Erstens, wenn man fragt, ob Wörter dasselbe oder verschiedenes bedeuten, wie fürchten und scheuen, König und Herrscher, Schmeichler und Freund; zweitens, wenn man fragt, worin eine Sache besser sei als eine andere, wie: ‘Lassen sich die Weisen durch das Lob der Besten oder durch das der großen Menge leiten?' So etwa werden die Streitfragen, die sich auf die Erkenntnis beziehen, von den Gelehrten eingeteilt.
[XXX] Die Streitfragen aber, die sich auf das Handeln beziehen, beschäftigen sich entweder mit der Erörterung einer Pflicht, wobei gefragt wird, was recht ist und geschehen soll, und dieser Abteilung ist der ganze Stoff der Tugenden und Laster untergeordnet; oder mit Erzeugung oder Dämpfung und Aufhebung einer Leidenschaft: dieser Abteilung sind die Ermahnungen, Verweise, Tröstungen, das Bemitleiden untergeordnet und überhaupt alles, was zur Erregung und nach Umständen zur Besänftigung der Leidenschaften dient. Bei dieser Entwickelung der Gattungen und Arten sämtlicher Streitfragen ist es für die Sache nicht eben von Belang, wenn meine Einteilung von der des Antonius in irgendeinem Punkt abweicht.
Denn in beiden Auseinandersetzungen finden sich die nämlichen Glieder; nur habe ich sie etwas anders eingeteilt und angeordnet als er. Jetzt will ich zu dem übrigen fortgehen und mich auf die mir zugeteilte Aufgabe beschränken. Denn aus den Fundgruben, die Antonius nachgewiesen hat müssen alle Beweisgründe für jegliche Arten von Streitfragen entlehnt werden; doch sind für die einen Arten diese, für die anderen jene Fundgruben geeigneter. Hierüber zu reden ist unnötig, nicht so sehr, weil es zu weitläufig, als weil es einleuchtend ist.
Diejenigen Reden sind nun die schönsten, welche sich am weitesten ausbreiten und sich von der besonderen und einzelnen Streitfrage zu der Entwickelung des Wesens der ganzen Gattung wenden, damit die Zuhörer die Sache nach ihrer natürlichen Beschaffenheit, nach ihrer Gattung und ihrem ganzen Umfang erkennen und dadurch befähigt werden, über die einzelnen Beklagten, Verbrechen und Streitfragen zu entscheiden.
Zu dieser Übung hat euch, junge Männer, Antonius ermahnt, indem er euch von kleinlichen und engherzigen Zänkereien in das ganze so reiche und mannigfaltige Gebiet der wissenschaftlichen Streitlehre hinüberführen zu müssen glaubte. Eine solche Aufgabe kann also nicht durch einige kleine Lehrbücher gelöst werden, wie die meinen, die über die Redekunst geschrieben haben, sowie auch nicht durch ein tuskulanisches Gespräch und unseren vormittägigen Lustgang oder unsere nachmittägige Sitzung. Denn nicht bloß die Zunge müssen wir schärfen und zuspitzen; nein, die Brust muss mit der Anmut, der Fülle und Mannigfaltigkeit ungemein vieler und höchstwichtiger Sachkenntnisse versehen und angefüllt werden.
[XXXI] Unser Besitztum ist ja, wenn anders wir Redner sein wollen, wenn man uns in den Streitigkeiten der Bürger, in ihren Gefahren, in den öffentlichen Beratungen als Ratgeber und Stimmführer anwenden soll – unser Besitztum, sage ich, ist diese ganze Staatswissenschaft und Gelehrsamkeit. In dies sind aber, als ob es verfallen und herrenlos wäre, während wir mit Geschäften überhäuft waren, Menschen, die an Muße Überfluss hatten, eingefallen und treiben sogar, wie Sokrates im ‘Gorgias', mit dem Redner ihren Spott und Hohn oder geben einige Regeln über die Kunst des Redners in wenigen dürftigen Büchern, die sie Lehrbücher der Redekunst nennen, als ob nicht das ein Eigentum der Redekünstler wäre, was von ihnen über die Gerechtigkeit, über die Pflicht, über die Einrichtung und Verwaltung der Staaten, über die rechte Lebensweise, endlich über die Beschaffenheit der Natur vorgetragen wird.
Da wir diese Lehren jetzt anderswoher nicht mehr entlehnen können, so müssen wir sie gerade von denen entlehnen, die uns ausgeplündert haben, nur dass wir sie auf die Staatswissenschaft, worauf auch eigentlich ihr Zweck gerichtet ist, anwenden und nicht, wie ich zuvor bemerkte, unsere ganze Lebenszeit auf die Erlernung dieser Dinge verwenden, sondern uns nur mit den Quellen bekannt machen, die man entweder schnell oder überhaupt nie kennenlernt und dann, sooft es nötig ist, aus ihnen so viel schöpft, wie die Sache verlangt.
Denn so wie einerseits der Mensch nach seinen natürlichen Anlagen nicht einen so durchdringenden Scharfsinn besitzt, dass er so schwierige Gegenstände ohne alle Anweisung erkennen kann, so ist andererseits die Dunkelheit in ihnen nicht so groß, dass sie nicht ein Mann von durchdringendem Verstand gründlich durchschauen sollte, sobald er nur auf sie seinen Blick richtet. Da also der Redner in diesem so großen und unermesslichen Feld frei umherschweifen und, wohin er tritt, auf seinen Grund und Boden treten kann, so bietet sich ihm leicht der ganze Vorrat und Schmuck der Rede dar.
Denn Reichtum an Sachen erzeugt Reichtum an Worten, und wenn in den Sachen selbst, von denen man redet, Würde liegt, so entspringt aus der Natur der Sache selbst Glanz in den Worten. Wer reden oder schreiben will, der habe nur in seiner Jugend eine edle Erziehung und Bildung genossen, besitze brennenden Eifer, werde von der Natur unterstützt, habe sich in den allgemeinen und unbestimmten Streitfragen wohl geübt und sich die geschmackvollsten Schriftsteller und Redner zum Lesen und Nachahmen gewählt; und wahrlich, er wird nicht eben nötig haben, von jenen Lehrmeistern zu erlernen, wie er seine Worte setzen und in das gehörige Licht setzen soll; so leicht wird er bei dem Reichtum an Sachen zu den Mitteln zur Ausschmückung der Rede ohne Führer durch die Natur selbst, wenn sie nur geweckt worden ist, gelangen."
[XXXII] Da rief Catulus aus: "Unsterbliche Götter, welche Mannigfaltigkeit, welche Menge, welche Fülle von Sachen hast du, mein Crassus, in deinem Vortrag zusammengefasst, und aus welch engem Gebiet hast du den Redner herauszuführen und in das Reich seiner Vorfahren wiedereinzusetzen gewagt! Denn jene alten Lehrer und Erfinder der Beredsamkeit haben, wie wir vernehmen, keine Art wissenschaftlicher Erörterungen als ihnen fremd angesehen und sich in jeder Redeweise geübt.
So kam einer von ihnen, Hippias aus Elis, nach Olympia zu der berühmten Festlichkeit der fünfjährlichen Spiele und rühmte sich in Gegenwart von fast ganz Griechenland, es gebe in dem ganzen Bereich aller Künste und Wissenschaften nichts, was er nicht verstände, und zwar nicht bloß die, die man unter dem Namen der freien und edlen Wissenschaften begreift, Geometrie, Tonkunst, die Kenntnis der Literatur und der Dichter, und was von der Natur, von den Sitten der Menschen, von dem Staatswesen gelehrt werde, sondern auch den Ring, den er habe, den Mantel, mit dem er bekleidet sei, die Schuhe, die er trage, habe er mit eigener Hand verfertigt.
Offenbar ging er zu weit, aber gerade hieraus lässt sich leicht entnehmen, wie viel jene Redner aus den edelsten Wissenschaften sich anzueignen strebten, da sie nicht einmal die niedrigen Künste verschmähten. Was soll ich von Prodikos aus Keos sagen? Was von Thrasymachos aus Chalkedon, von Protagoras aus Abdera? Von diesen hat jeder in jenen Zeiten sehr viel auch über die Natur geredet und geschrieben.
Selbst der Leontiner Gorgias, der von Platon als Verteidiger des Redners eingeführt wird, doch so, dass der Redner dem Philosophen unterliegt – aber entweder ist er niemals von Sokrates besiegt worden, indem jenes Gespräch des Platon nicht wirklich gehalten wurde oder wenn er besiegt wurde, so war Sokrates natürlich beredter und im Vortrag geübter und, wie du sagst, ein reichhaltigerer und besserer Redner –, dieser Gorgias nun, wollte ich sagen, macht sich gerade in jener Platonischen Schrift anheischig, über alles, was Gegenstand eines Streites oder einer Untersuchung werde, auf das ausführlichste zu reden, wie er denn auch der erste war, der in einer Versammlung die Anwesenden zur Bestimmung eines beliebigen Gegenstandes aufzufordern wagte, worüber sie einen Vortrag von ihm hören wollten, und diesem Mann erwies Griechenland eine solche Ehre, dass man ihm unter allen allein zu Delphi nicht eine vergoldete, sondern eine goldene Bildsäule setzte.
Die genannten Männer sowie auch außerdem noch viele andere ausgezeichnete Lehrer der Beredsamkeit lebten alle zu einer Zeit; woraus man ersehen kann, dass sich die Sache so verhält, wie du sagst, Crassus, und dass des Redners Name bei den Alten in Griechenland sowohl durch eine umfassendere Fülle der Gelehrsamkeit als auch durch größeren Ruhm ausgezeichnet gewesen ist.
Um so zweifelhafter ist mir daher die Entscheidung, ob ich dich mehr loben oder die Griechen mehr tadeln soll, da du, in einer anderen Sprache und in anderen Sitten geboren, in einer höchst unruhigen Stadt teils durch fast unzählige Geschäfte für einzelne Bürger, teils durch die Verwaltung und Leitung der Weltherrschaft unseres Staates in Anspruch genommen, eine so große Menge von Sachkenntnissen umfasst und diese in ihrem ganzen Umfang mit der Wissenschaft und Geschäftstätigkeit eines Staatsmannes und Staatsredners vereinigt hast, während jene, in den Wissenschaften geboren und ihnen mit Begeisterung ergeben, durch die gemächliche Muße aber ganz erschlafft, nicht nur nichts dazu erworben, ja nicht einmal das hinterlassene, ererbte Eigentum erhalten haben."
[XXXIII] Hierauf sagte Crassus: "Nicht allein in dieser Wissenschaft, mein Catulus, sondern auch in mehreren anderen Zweigen ist durch die Zerstückelung und Sonderung der Teile der Umfang der Wissenschaften verringert worden. Meinst du etwa, dass es zur Zeit des Hippokrates aus Kos für die inneren Krankheiten, für die Wunden, für die Augenübel besondere Ärzte gegeben habe? Dass die Geometrie, als Eukleides oder Archimedes, die Musik, als Damon oder Aristoxenos, die Sprachwissenschaft selbst, als Aristophanes oder Kallimachos sich mit ihnen beschäftigten, so zerstückelt gewesen sind, dass keiner seine Wissenschaft in ihrem ganzen Umfang umfasst, sondern der eine diesen, der andere einen anderen Teil zur Bearbeitung für sich abgesondert hätte?
Ich habe oft von meinem Vater und Schwiegervater gehört, dass auch bei uns die Männer, die sich durch den Ruhm der Weisheit auszeichnen wollten, alle Kenntnisse, in deren Besitz unser Staat damals war, in sich zu vereinigen pflegten. Es gedachten jene des Sextus Aelius; den Manius Manlius aber habe ich selbst noch über den Markt wandeln sehen; was für ein Zeichen galt, dass der, der dies tat, allen Bürgern, die ihn um Rat fragen wollten, zugänglich sei. An diese Männer wandte man sich einst, sowohl wenn sie umherwandelten, als auch wenn sie zu Hause auf ihrem Sessel saßen, um sich bei ihnen nicht allein über bürgerliche Rechtsfälle, sondern auch über die Verheiratung einer Tochter, über den Ankauf eines Grundstückes, über die Bebauung von Feldland, kurz, über alle Verrichtungen und Geschäfte Rat zu holen.
So war die Weisheit jenes alten Crassus beschaffen, so die des Titius Coruncanius, so die des einsichtsvollen Scipio, des Ältervaters meines Schwiegersohnes, die alle Oberpriester waren, dass man sich bei ihnen über alle göttliche und menschliche Dinge Rat holte. Und dieselben Männer bewährten sich auch im Senat, in den Volksversammlungen, in den Rechtshändeln ihrer Freunde, im Krieg wie im Frieden als einsichtsvolle und treue Ratgeber.
Und was fehlte dem Marcus Cato außer der über das Meer zu uns gelangten feingeglätteten Gelehrsamkeit? Führte er etwa, weil er das bürgerliche Recht erlernt hatte, keine Rechtshändel? Oder versäumte er, weil er sie führen konnte, die Rechtswissenschaft? Nein, sondern in beiden Fächern arbeitete er und zeichnete sich aus. Wurde er etwa wegen der durch Privatdienste gewonnenen Gunst zu der Verwaltung der Staatsgeschäfte verdrossener? Niemand war in den Volksversammlungen tatkräftiger, niemand ein besserer Senator. Und derselbe Mann war zugleich auch unstreitig ein vortrefflicher Feldherr; kurz, man konnte zu jener Zeit in unserem Staat nichts wissen oder lernen, was er nicht erforscht, gewusst und schriftlich behandelt hätte.
Jetzt hingegen treten sehr viele zu den Ehrenämtern und zur Staatsverwaltung entblößt und wehrlos heran, mit keiner Sachkenntnis, mit keiner Wissenschaft ausgerüstet. Zeichnet sich aber einmal einer unter vielen aus, so brüstet er sich, wenn er einen einzigen Vorzug aufzuweisen hat, wie kriegerische Tapferkeit oder einige Kriegserfahrung, die freilich jetzt aus der Mode gekommen sind, oder Rechtswissenschaft, und diese nicht einmal in ihrem ganzen Umfang – denn das damit verbundene priesterliche Recht lernt niemand –, oder Beredsamkeit, die nach ihrer Ansicht in Geschrei und Wortgeläufigkeit besteht; die Gemeinschaft aber und die Verwandtschaft, in der alle edlen Wissenschaften, ja selbst die Tugenden untereinander stehen, ist ihnen unbekannt.
[XXXIV] Doch um meine Rede auf die Griechen zurückzuführen, deren Unterredungen dieser Art wir nicht entraten können – denn so wie wir die Beispiele der Tugend von den unsrigen, so müssen wir die der Gelehrsamkeit von jenen entlehnen –, so sollen zu ein und derselben Zeit sieben Männer gelebt haben, die für Weise gehalten und so genannt wurden. Diese standen sämtlich mit Ausnahme des Milesiers Thales ihren Staaten vor. Wer war, wie uns berichtet wird, zu denselben Zeiten gelehrter oder wessen Beredsamkeit wissenschaftlich durchgebildeter als die des Peisistratos, der zuerst die homerischen Gesänge, die bis dahin noch nicht geordnet waren, in die Ordnung gebracht haben soll, in der wir sie jetzt noch haben? Gegen seine Mitbürger zeigte er freilich keine gute Gesinnung; aber so wie er sich durch Beredsamkeit auszeichnete, so ragte er noch mehr durch seine wissenschaftliche und gelehrte Bildung hervor.
Ferner Perikles, von dessen reichhaltiger Beredsamkeit wir hören, dass, wenn er auch gegen die Ansichten der Athener für die Wohlfahrt des Vaterlandes mit großer Strenge sprach, dennoch gerade seine Äußerungen gegen die volkstümlich Gesinnten allen volkstümlich und angenehm erschienen, von dem die alten Komödiendichter, auch wenn sie ihn schmähten, was damals zu Athen geschehen durfte, sagten, die Anmut wohne auf seinen Lippen und die Gewalt seiner Rede sei so mächtig gewesen, dass sie in den Gemütern der Zuhörer gleichsam Stacheln zurückgelassen habe. Aber diesen Mann hatte nicht ein Kunstredner nach der Wasseruhr belfern gelehrt, sondern, wie uns berichtet wird, jener Anaxagoras aus Klazomenai, ein in den erhabensten Wissenschaften so großer Mann. Und so wusste er, durch Gelehrsamkeit, Klugheit und Beredsamkeit ausgezeichnet, vierzig Jahre hindurch in Athen die oberste Leitung der städtischen und kriegerischen Angelegenheiten zu ein und derselben Zeit zu führen.
Ferner Kritias und Alkibiades, gegen ihre Staaten freilich nicht gut gesinnte, aber ohne Zweifel gelehrte und beredte Männer, verdankten sie nicht ihre gelehrte Bildung den Unterredungen mit Sokrates? Wer hat den Syrakusier Dion in allen Zweigen der Gelehrsamkeit ausgebildet? War es nicht Platon? Und dieser war es gleichfalls, der, ein Lehrmeister nicht allein der Zunge, sondern auch des Geistes und der Tugend, ihn zur Befreiung des Vaterlandes antrieb, rüstete, waffnete. Waren es nun andere Wissenschaften, in denen Platon diesen Dion, andere, in denen Isokrates den berühmten Timotheos, des hochverdienten Feldherrn Konon Sohn, der gleichfalls ein großer Feldherr und Gelehrter war, unterrichtete? Oder andere, die der Pythagoreer Lysis den Thebaner Epameinondas, vielleicht den größten Mann in ganz Griechenland, oder Xenophon den Agesilaos oder der Tarentiner Archytas den Philolaos oder Pythagoras, selbst jenes ganze alte Griechenland in Italien, das einst Großgriechenland genannt wurde, lehrte?
[XXXV] Ich bin nicht der Ansicht. Denn ich sehe, dass es für alle Wissenschaften, die eines Gelehrten und eines Mannes würdig waren, der sich im Staatsdienst auszeichnen wollte, nur eine Unterweisung gab und dass die, die diese empfingen, wenn sie zugleich gute Fähigkeiten zum Vortrag besaßen und sich der Redekunst auch nicht mit Widerstreben der natürlichen Anlagen gewidmet hatten, sich durch Beredsamkeit auszeichneten.
So geschah es, dass Aristoteles selbst, der in seinen Vorträgen die gerichtlichen und bürgerlichen Verhandlungen unberücksichtigt gelassen und nur die gehaltlose Zierlichkeit des Ausdrucks behandelt hatte, da er den Isokrates wegen seiner berühmten Schüler das höchste Ansehen genießen sah, plötzlich fast seine ganze Lehrweise änderte, indem er einen Vers des Philoktetes mit einer kleinen Veränderung anführte. Dieser sagt nämlich, es sei schimpflich für ihn, zu schweigen, wenn er Barbaren, er aber, wenn er den Isokrates reden lasse. Er schmückte und stattete daher seinen ganzen Unterricht dadurch herrlich aus, dass er Sachkenntnis mit Redeübung verband. Dies entging dem weisen Könige Philipp nicht, der ihn zum Lehrer für seinen Sohn Alexander berief, damit dieser von ihm die Regeln sowohl für das Leben als auch für die Rede lernen möchte.
Mag man nun, wenn man will, den Philosophen, der uns den Reichtum der Sachen und der Rede lehrt, meinetwegen einen Redner oder, zieht man es vor, den Redner, der, wie ich sage, Weisheit und Beredsamkeit verbindet, einen Philosophen nennen, so habe ich nichts dagegen; nur muss das feststehen, dass weder die Unmündigkeit dessen, der zwar Sachkenntnisse besitzt, die Sachen aber durch die Rede nicht zu entwickeln vermag, noch die Unwissenheit dessen, dem zwar die Worte nicht fehlen, die Sachkenntnis aber nicht zu Gebote steht, Lob verdiene. Darf man aber nur eines von beiden wählen, so möchte ich wenigstens die unberedte Klugheit der geschwätzigen Torheit vorziehen; fragen wir aber, was den Vorrang vor allem verdiene, so müssen wir dem kenntnisreichen Redner den Siegespreis reichen.
Lässt man diesen nun zugleich Philosoph sein, so ist der Streit aufgehoben; trennt man sie aber voneinander, so werden die Philosophen nachstehen, weil der vollkommene Redner auch die ganze Wissenschaft dieser besitzt, in der Kenntnis der Philosophen hingegen nicht notwendig auch die Beredsamkeit mitbegriffen ist, und wie sehr auch diese von den Philosophen verachtet werden mag, so muss man doch notwendig einsehen, dass sie den Wissenschaften dieser gleichsam die Krone aufsetzt."
Nachdem Crassus dies gesagt hatte, schwieg er eine Weile, wie auch die anderen stillschwiegen.
[XXXVI] Hierauf sagte Cotta: „Ich meinerseits kann mich nicht beklagen, Crassus, dass du mir etwas anderes und nicht das, was du übernommen hast, abgehandelt zu haben scheinst; denn du hast ungleich mehr gegeben, als dir von uns zuerteilt und übertragen war; indes war es doch deine Rolle, von der Ausschmückung der Rede zu sprechen, und du hattest ja auch schon den Weg dahin eingeschlagen, indem du das ganze Lob der Rede in vier Klassen brachtest und, nachdem du von den beiden ersten für uns zwar zur Genüge, wie du aber selbst sagtest, nur flüchtig und spärlich geredet hattest, noch die beiden letzten dir übrigließest, nämlich erstens, wie man schön, und zweitens, wie man angemessen reden müsse.
Als du nun schon den Weg dahin eingeschlagen hattest, führte dich plötzlich der Drang deines Geistes gleichsam fern vom Land weg auf das hohe Meer und entrückte dich den Augen fast aller. Denn die Gesamtheit alles Wissens umfassend, hast du uns zwar dieses nicht gelehrt, und es war ja auch in so kurzer Zeit nicht möglich; aber wenn ich auch nicht weiß, was du bei unseren anwesenden Freunden ausgerichtet hast, so muss ich doch von mir bekennen, dass du mich ganz und gar der Akademie zugewendet hast. Ich wünschte zwar, dass, wie du oft geäußert hast, es nicht nötig wäre, ihr seine Lebenszeit zu widmen, und dass man schon alles begriffe, wenn man nur seinen Blick darauf gerichtet hätte; aber wenn auch die Sache recht viel Arbeit erfordert, oder wenn ich einen etwas langsamen Kopf habe, so will ich doch fürwahr nicht ruhen noch müde werden, bis ich ihnen ihre Mittel und Wege abgelernt habe, auf zwiefache Weise sowohl für alles als auch gegen alles zu reden."
Hierauf sagte Caesar: "Eins hat auf mich in deinem Vortrag, Crassus, besonders Eindruck gemacht, ich meine die Behauptung, dass, wer nicht schnell etwas lerne, der könne es überhaupt nicht gründlich lernen. Daher dürfte es mir nicht schwerfallen, einen Versuch zu machen, und entweder werde ich jene von dir bis in den Himmel erhobene Wissenschaft sogleich begreifen oder, vermag ich das nicht, die Zeit nicht damit verderben, da ich mich doch mit dem begnügen kann, was mir die Unsrigen bieten."
Da sagte Sulpicius: "Wahrlich, Crassus, ich vermisse weder deinen Aristoteles noch den Karneades noch sonst einen Philosophen, magst du auch von mir denken, dass ich mich nicht getraue, diese Wissenschaften gründlich erlernen zu können, oder dass ich sie verachte, wie ich auch wirklich tue. Mir ist unsere gewöhnliche Kenntnis der gerichtlichen und öffentlichen Verhandlungen groß genug für die Beredsamkeit, die ich im Auge habe, und selbst hiervon ist mir sehr vieles unbekannt, was ich dann erst aufsuche, wenn es eine Sache, die ich verhandeln soll, verlangt. Darum, wenn du nicht etwa schon ermüdet bist und wir dir nicht lästig fallen, so kehre zur Erörterung dessen zurück, was zu einem schönen und geschmückten Vortrag gehört. Dieses wünschte ich von dir zu hören, nicht um die Hoffnung aufzugeben, mir Beredsamkeit aneignen zu können, sondern um noch etwas zu erlernen."
[XXXVII] Hierauf sagte Crassus: "Nach sehr gewöhnlichen und auch dir nicht unbekannten Dingen, Sulpicius, fragst du. Denn wer hat hierüber nicht Belehrungen und Anweisungen gegeben oder auch in Schriften niedergelegt? Aber ich will dir willfahren und das wenigstens, was mir bekannt ist, kurz auseinandersetzen, jedoch dir den Rat geben, dich lieber an die Urheber und Erfinder dieser Kleinigkeiten zu wenden.
Jede Rede also besteht aus Worten, die wir zuerst einzeln für sich, dann in ihrer Verbindung betrachten müssen. Denn es gibt einen Schmuck der Rede, der aus einzelnen Worten entspringt, und einen andern, der in der Aneinanderfügung und Verbindung der Worte besteht. Wir müssen also entweder solche Worte gebrauchen, die eigentliche und bestimmte Bezeichnung der Dinge sind, beinahe mit den Dingen selbst entstanden; oder solche, die übertragen und gleichsam an eine fremde Stelle gesetzt sind; oder solche, die wir selbst erfinden und neu bilden.
Bei den eigentlichen Worten nun besteht das Lob des Redners darin, dass er niedrige und verschollene meidet, auserlesene dagegen und lichtvolle anwendet, die etwas Volles und Tonreiches zu haben scheinen. Aber bei dieser Art der eigentlichen Worte muss man eine Auswahl vornehmen und diese nach dem Urteil der Ohren bestimmen, wobei auch die Gewohnheit, gut zu sprechen, eine sehr große Geltung hat.
Auch das Urteil, das man so oft von Laien über Redner aussprechen hört: ‘Dieser gebraucht schöne Worte!' oder: ‘Der gebraucht nicht schöne Worte!', gründet sich nicht auf eine Kunstregel, sondern auf ein natürliches Gefühl; hierbei ist es kein großes Lob, das Fehlerhafte zu vermeiden, wiewohl dieses von Wichtigkeit ist; gleichwohl bildet der Gebrauch und Vorrat guter Worte gleichsam den Grund und Boden des Redners.
Doch was der Redner selbst darauf bauen und an welcher Stelle er Kunst anwenden soll, das, glaub' ich, müssen wir untersuchen und entwickeln.
[XXXVIII] Drei Arten des einfachen Wortes also gibt es, die der Redner anwendet, um seiner Rede Glanz und Schmuck zu verleihen: das ungewöhnliche, das neugebildete und das übertragene Wort.
Ungewöhnlich sind meist altertümliche und durch das Alter aus der alltäglichen Sprache schon längst verschwundene Worte. Von diesen steht den Dichtern ein freierer Gebrauch zu als uns; aber zuweilen jedoch verleiht auch der Rede ein von einem alten Dichter entlehntes Wort ein würdevolles Ansehen. So würde ich mich zum Beispiel nicht scheuen, mit Caelius zu sagen: ‘In dem Zeitabschnitt, als der Punier nach Italien kam', oder Worte, wie ‘Sproß' oder ‘Nachwuchs' oder ‘kunden' oder ‘benamsen' oder die von dir, Catulus, oft gebrauchten: ‘ich vermeinte nicht', oder ‘ich war nicht vermutend' und vieles andere, was, an schicklicher Stelle gebraucht, der Rede einen großartigeren und altertümlichen Anstrich verleiht.
Neugebildete Worte aber sind solche, die von dem, der sie gebraucht, selbst erzeugt und gebildet werden entweder durch Zusammensetzung von Wörtern, wie zum Beispiel:
Traun, Bestürzung entherzt mir Entmutigtem alle Weisheit jetzt. Willst du, dass nicht seine Bosheit trugredend mich –
ihr seht, dass ‘trugredend' und ‘entherzt' durch Zusammensetzung gebildete und nicht natürliche Worte sind –, oder sie werden oft ohne Zusammensetzung neugebildet, wie: ‘jener Greisige', ‘zeugende Götter', ‘durch der Früchte Reichtum sich krümmen'.
Die dritte Art, die Übertragung des Wortes, hat einen weiten Umfang. Die Not erzeugte sie aus Mangel und Verlegenheit; später aber gebrauchte man sie häufig um der Ergötzlichkeit und Annehmlichkeit willen. Denn so wie die Kleidung, anfänglich zur Abwehr der Kälte erfunden, nachher angewendet wurde, um den Körper zu schmücken und ihm ein stattliches Ansehen zu geben, so wurde die Übertragung durch den Mangel hervorgerufen, aber um der Ergötzlichkeit willen häufig angewendet. So gebrauchen sogar die Landleute Ausdrücke wie: ‘Die Weinstöcke treiben Augen', ‘Die Saat steht in Üppigkeit', ‘fröhliche Saatfelder'. Wenn man nämlich etwas, das man durch ein eigentliches Wort schwer bezeichnen kann, durch ein übertragenes ausdrückt, so erläutert die Ähnlichkeit der Sache, die wir durch ein entlehntes Wort ausdrücken, den Begriff, den wir bezeichnen wollen.
Diese Übertragungen sind also gleichsam Entlehnungen, da man anderswoher nimmt, was man nicht hat. Jene sind aber etwas kühner, die keinen Mangel andeuten; sondern der Rede einigen Glanz verleihen. Soll ich euch nun den Weg angeben, wie man diese findet, und ihre Arten aufzählen?
XXXIX. 157. Die Übertragung beruht auf einer Ähnlichkeit, die in einem einzigen Wort kurz zusammengefasst wird. Wird ein solches Wort an der fremden Stelle wie an seiner eigenen stehend anerkannt, so gefällt es; hat es aber keine Ähnlichkeit, so erweckt es Missfallen. Man muss aber solche Übertragungen gebrauchen, die entweder die Sache mehr veranschaulichen, wie in folgender Stelle:
Empor tost das Meer,
Finsternis verdoppelt sich, und schrecklich starrt die schwarze Nacht;
Flammen zucken zwischen Wolken, und vom Donner bebt die Luft;
Hagel, gemischt mit Regengüssen, stürzt mit Heftigkeit herab;
Alle Winde brausen hervor und erzeugen Sturmeswut,
Und des Meeres Brandung siedet –
hier ist fast alles, um es mehr zu veranschaulichen, durch übertragene Worte nach der Ähnlichkeit ausgedrückt –,
oder man bedient sich der Übertragungen, um eine ganze Sache, mag sie nun in einer Tat oder in einem Plan bestehen, deutlicher zu bezeichnen, wie dies zum Beispiel bei jenem der Fall ist, der einen, der seine Absicht sorgfältig verbirgt, damit sie von niemand durchschaut werde, in zwei übertragenen Worten durch die bloße Ähnlichkeit bezeichnet:
Weil er sich mit Worten sorgfältig ‘bemäntelt' und ‘umzäunt'.
Zuweilen wird auch Kürze durch die Übertragung bewirkt, wie in den Worten: ‘Wenn das Geschoss der Hand ›entflieht‹.' Die Unvorsichtigkeit bei der Entsendung des Geschosses konnte durch eigentliche Worte nicht kürzer ausgedrückt werden, als sie durch ein einziges übertragenes angedeutet wurde.
Und hierin erscheint es mir sehr oft auffallend, dass alle an übertragenen und uneigentlichen Ausdrücken größeres Wohlgefallen finden als an den eigentlichen und natürlichen.
[XL] Denn wenn ein Ding keinen eigenen Namen, kein eigentliches Wort hat, wie der ‘Fuß' auf dem Schiff, das ‘Nexum', das mit der Waage geschieht, die ‘Scheidung' bei einer Frau, so zwingt die Not anderswoher zu nehmen, was man nicht hat. Aber auch bei dem größten Reichtum an eigentlichen Ausdrücken finden doch die Menschen an den uneigentlichen, wenn sie mit Verstand gewählt sind, ungleich größeren Gefalle
Dies kommt, glaub' ich, daher, teils weil es von Scharfsinn zeugt, wenn man das vor den Füßen Liegende überspringt und anderes aus der Ferne herbeiholt, teils weil der Zuhörer dadurch mit seinen Gedanken zu anderen Vorstellungen geführt wird, ohne jedoch vom Ziel abzuirren, und darin liegt eine große Ergötzlichkeit, teils weil durch ein einzelnes Wort ein Gedanke, ein vollständiges Gleichnis ausgedrückt wird, teils weil jede mit Verstand gemachte Übertragung den Sinnen selbst nahetritt, vorzüglich dem Gesicht, das der schärfste Sinn ist.
Ausdrücke, wie: der ‘Geruch' feiner Bildung, die ‘Weichheit' der Menschenfreundlichkeit, das ‘Gemurmel' des Meeres, die ‘Süßigkeit' der Rede, sind von den anderen Sinnen hergenommen, aber die von dem Gesichtssinn entlehnten sind ungleich lebhafter, indem sie Gegenstände, die wir nicht wahrnehmen und sehen können, vor die Anschauung des Geistes hinstellen. Es gibt nämlich keinen Gegenstand in der Natur, dessen Wort und Benennung wir nicht bei anderen Gegenständen anwenden könnten. Denn woher man ein Gleichnis ableiten kann – und das kann man von allen Dingen –, ebendaher lässt sich auch ein Gleichnis mit übertragener Bedeutung ableiten, das die Rede versinnlicht.
Hierbei müssen wir aber vor allem Unähnlichkeiten vermeiden, wie in dem Ausdruck: ‘Des Himmels gewaltige »Schwibbogen«.' Wenn auch Ennius, wie man erzählt, eine Himmelskugel auf die Bühne hatte bringen lassen, so kann doch eine Kugel keine Ähnlichkeit mit einem Schwibbogen haben.
Leb, Ulixes, noch ist dir's vergönnt!
Mit dem Aug' ‘erhasche' noch das letzte Strahlenlicht!
Er sagte nicht ‘genieße', nicht ‘suche'; denn diese Ausdrücke würden eine Zeitdauer bezeichnen, wie von einem, von dem man hofft, er werde noch länger leben; sondern ‘erhasche'. Dieses Wort ist dem vorhergehenden Ausdruck ‘noch ist dir's vergönnt' angepasst.
[XLI] Zweitens muss man darauf sehen, dass die Ähnlichkeit nicht zu weit hergeholt sei. Statt ‘Syrte' des väterlichen Vermögens möchte ich lieber sagen: dessen ‘Klippe', statt ‘Charybdis' der Güter lieber: deren ‘Schlund'; denn das Auge des Geistes richtet sich leichter auf Gesehenes als auf Gehörtes. Und weil bei der Übertragung der Worte vielleicht der größte Vorzug darin besteht, dass das übertragene Wort auf die Sinne einwirkt, so muss man alles Unanständige in den Dingen vermeiden, wohin die Ähnlichkeit die Gemüter der Zuhörer hinziehen kann.
So will ich nicht, dass man sage, der Staat sei durch des Africanus Tod ‘entmannt' worden nicht, dass Glaucia der ‘Auswurf' der Curie genannt werde; groß auch die Ähnlichkeit sein mag, so erregt sie doch in beiden Fällen eine widrige Vorstellung. Ich will nicht, dass der übertragene Ausdruck entweder stärker sei, als es die Sache verlangt, wie ‘der Sturm des Krawalls' oder schwächer, wie: ‘der Krawall des Sturmes'. Ich will nicht, dass das übertragene Wort einen engeren Be griff habe, als das eigentliche und natürliche gehabt haben würde:
Was gibt's? Sag an, mein Freund, was ‘winkst du ab' mein Nah'n?
Besser wäre: ‘verbietest du', ‘wehrst du ab', ‘schreckst du zurück', weil der andere gesagt hatte:
Schnell fort von mir weg!
Dass nicht meine Näh', nicht mein Schatten schade.
Auch muss man, wenn man befürchtet, die Übertragung möchte zu hart erscheinen, sie oft durch ein vorgesetztes Wort mildern. Zum Beispiel, wenn einst bei dem Tod des Marcus Cato einer gesagt hätte, der Senat sei als eine ‘Waise' hinterlassen worden, so würde dies etwas hart sein; aber ungleich milder: ‘sozusagen als eine Waise'. Denn die Übertragung muss mit Bescheidenheit auftreten, so dass sie an den fremden Ort eingeführt, nicht eingedrungen, bittweise, nicht gewaltsam gekommen zu sein scheint.
Übrigens gibt es, was die einzelnen Worte anlangt, keine Ausdrucksweise, die der Rede ein frischeres Ansehen und mehr Lichtglanz verleihen könnte. Denn die andere Art, die aus dieser Übertragung hervorgeht, beruht nicht auf einem übertragenen Wort, sondern auf der Verknüpfung mehrerer aneinandergereihter Worte, indem etwas anderes gesagt wird, als man verstanden wissen will, zum Beispiel:
Nicht duld' ich's, dass zum zweitenmal
An ‘einen' Fels und Speer anlaufe der Achaier Flott'.
Und folgendes:
Traun, du irrst; dein Selbstvertrauen wird der Gesetze starker Zaum Zügel und den stolzen Nacken beugen strenger Herrschaft Joch
Man nimmt hierbei eine ähnliche Sache, und die dieser Sache eigentümlichen Worte überträgt man dann, wie ich bemerkte, auf eine andere Sache.
[XLII] Es ist dies ein wichtiges Verschönerungsmittel der Rede, wobei man jedoch Dunkelheit vermeiden muss; denn sonst entstehen hieraus die sogenannten Rätsel. Es liegt aber diese Redeweise nicht in einem Wort, sondern in der Rede, das heißt in der Verbindung von Worten. Auch bei der Verwechslung und Vertauschung eines Wortes findet nicht in dem Wort, sondern in dem Zusammenhang der Rede eine künstliche Veränderung statt, zum Beispiel:
‘Afrika' zittert und bebt vor den Greueln des schrecklichen Aufruhrs.
Statt ‘Afrikaner' ist ‘Afrika' gewählt; aber nicht ist hier ein Wort neugebildet, wie: ‘Wie das Meer mit seinen »felsbrechenden« Wogen' noch übertragen, wie: ‘Das Meer »besänftigt sich«', sondern um des Schmuckes willen ist ein eigentliches Wort mit einem uneigentlichen vertauscht. Ferner:
Hör auf, ‘Roma', deine Feinde usw.
und:
Zeugnis geben die weiten ‘Gefilde' usw.
Von kräftiger Wirkung für den Schmuck der Rede ist diese Ausdrucksweise und muss oft gewählt werden. Hierher gehört auch folgendes: ‘Mars' ist im Krieg gemeinsam, und wenn man ‘Ceres' für Feldfrüchte sagt, ‘Liber' für Wein, ‘Neptunus' für das Meer, ‘Curie' für den Senat, ‘Marsfeld' für Wahlversammlungen, ‘Toga' für Frieden, ‘Schwert und Speer' für Krieg;
desgleichen, wenn man die Tugenden und Laster für die, die sie haben, nennt, wie: ‘In welches Haus die »Schwelgerei« einbrach' und: ‘Wohin die »Habsucht« drang', oder: ‘Die »Treue« siegte ob, die »Gerechtigkeit« vollendete es.' Ihr seht offenbar, dass das ganze Wesen dieser Redeform darauf beruht, dass man durch Umänderung oder Vertauschung eines Wortes die nämliche Sache mit größerem Schmuck bezeichnet. Hiermit verwandt ist eine andere Redeweise, die zwar weniger zum Schmuck beiträgt, aber doch nicht unbekannt bleiben darf, nach der wir entweder unter einem Teil das Ganze verstanden wissen wollen, wie wenn wir für Gebäude ‘Wände' oder ‘Dächer' sagen oder unter dem Ganzen einen Teil, wie wenn wir ein Geschwader die ‘Reiterei' des römischen Volkes nennen, oder unter ‘einem' mehrere, wie:
Aber der ‘römische Krieger', obschon er sehr mutig gekämpfet,
Zittert im Herzen jedoch.
oder wenn man unter mehreren nur ‘einen' versteht, wie:
Zeugnis geben die weiten ‘Gefilde' usw.
Römer genannt ‘sind wir, die wir' vormals ‘waren Rudiner,
oder auf welche Weise man auch sonst in dieser Redeform etwas nicht nach dem Wort, sondern nach dem Sinn verstehen mag.
[XLIII] Oft bedient man sich auch des Wortmissbrauches, zwar nicht mit gleicher Feinheit wie der Übertragung, aber, wenn auch mit einer gewissen Kühnheit, doch zuweilen nicht ungeziemend, wie wenn wir eine ‘reichliche' Rede statt einer großen, einen ‘ärmlichen' Mut für Kleinmut sagen. Aber in betreff jener Redeweise seht ihr wohl, dass sie nicht in einem Wort, sondern in der Rede liegt; denn sie besteht, wie ich gezeigt habe, aus einer Zusammensetzung mehrerer Übertragungen. Die Redeweisen aber, die, wie ich bemerkte, entweder auf der Verwechslung eines Wortes beruhen oder darauf, dass man ein Wort anders verstanden wissen will, als seine eigentliche Bedeutung ist, sind gleichsam Arten der Übertragung.
Auf diese Weise also geht der ganze Vorzug und das ganze Lob der einzelnen Worte aus drei Dingen hervor, indem das Wort entweder ein altes ist, das jedoch der Sprachgebrauch noch dulden kann, oder ein gemachtes, teils neuzusammengesetztes, teils neugebildetes, wobei man gleichfalls Wohlklang und Sprachgebrauch berücksichtigen muss, oder ein übertragenes, wodurch die Rede am meisten gleichsam mit Sternen geschmückt und beleuchtet wird.
Es folgt nun die Wortverbindung, wobei es besonders auf zweierlei ankommt: erstens auf die Stellung der Worte und zweitens auf eine nach gewissen Tonverhältnissen abgemessene Bewegung der Worte. Die Stellung verlangt, dass man die Worte so verbindet und ordnet, dass sie weder rauh noch klaffend zusammenstoßen, sondern sich bequem und glatt zusammenfügen. Hierüber macht unter der Person meines Schwiegervaters der so geschmackvolle Spötter Lucilius ein niedliches Wortspiel:
O wie wonnig die Worte gefügt sind, gleichend den Steinchen
Im musivischen Estrich und künstlich gewürfelten Bildwerk!
Mit diesen Worten verspottet er den Albucius, aber auch mich verschonte er nicht:
Crassus hab' ich zum Eidam; drum denk nicht, du seiest beredter!
Wie nun? Was tut denn dieser Crassus, mit dessen Namen du Scherz treibst? Offenbar das nämliche, was Albucius will, nur um etwas besser, wünschte ich, als Albucius; doch er scherzte über mich, wie er zu tun pflegt.
Aber man muss gleichwohl die Wortstellung, von der ich rede, beobachten; denn sie bewirkt, dass die Rede wohl verbunden und zusammenhängend ist und sanft und gleichmäßig dahinfließt. Dies werdet ihr erreichen, wenn ihr die Schlusssilben der vorhergehenden Worte mit den Anfangssilben der folgenden so verbindet, dass sie nicht rauh zusammenstoßen und nicht zu sehr auseinanderklaffen.
[XLIV] An die sorgfältige Beobachtung der Wortstellung schließt sich zweitens die nach gewissen Tonverhältnissen abgemessene Bewegung der Rede. Doch dies, fürchte ich, dürfte unserem Catulus knabenhaft erscheinen. Die Alten nämlich waren der Ansicht, wir müssten auch in unserer ungebundenen Rede beinahe Verse anwenden, d. h. gewisse Zeitmaße. Denn sie verlangten, dass die Schlusspunkte einer Periode in den Reden nach Absätzen unseres Atemholens bestimmt, nicht aber durch unsere Ermüdung bewirkt, auch nicht nach den Unterscheidungszeichen der Abschreiber, sondern nach dem Maß der Worte und Gedanken abgeteilt würden. Isokrates soll, wie sein Schüler Naukrates schreibt, der erste gewesen sein, der es unternahm, die ungeregelte Redeweise der Alten zur Ergötzung der Ohren an gewisse Zeitmaße zu binden.
Denn beides, Vers und Gesang, haben die Tonkünstler, die einst zugleich Dichter waren, zum Vergnügen erdacht, um durch das Ebenmaß der Worte und die Folge der Töne auf anmutige Weise dem Überdruss der Ohren vorzubeugen. Beides nun, die regelmäßige Abmessung der Stimme und die ebenmäßige Abrundung der Worte, hat man, soweit es der Ernst der Rede zulassen kann, aus der Dichtkunst in die Beredsamkeit übertragen.
Hierbei ist es aber ein Hauptfehler, wenn in der Prosa durch die Verbindung der Worte ein Vers entsteht; und gleichwohl verlangen wir eine solche Verbindung, welche nach Art eines Verses eine wohlklingende Senkung hat und in abgerundeter und vollendeter Form hervortritt. Unter vielen Eigenschaften gibt es keine einzige, die den Redner mehr von dem unwissenden und unerfahrenen Schwätzer unterscheidet, als dass dieser roh und ungeregelt heraussprudelt, soviel er vermag, und das, was er sagt, nach der Ausdauer seines Atems und nicht nach den Regeln der Kunst bestimmt, der Redner hingegen den Gedanken so an die Worte bindet, dass er ihn in ein gewisses Zeitmaß einschließt, das zugleich gebunden und frei ist.
Denn wenn er ihn einerseits an gewisse Maße und eine bestimmte Form fesselt, so nimmt er ihm andererseits durch die Veränderung der Reihenfolge den Zwang und macht ihn freier, so dass die Worte zwar nicht wie durch ein bestimmtes Gesetz des Verses gebunden sind, aber auch nicht ungefesselt umherschweifen dürfen.
[XLV] Wie werden wir nun ein so wichtiges Geschäft angreifen müssen, dass wir glauben dürfen, uns die Geschicklichkeit anzueignen, in unserer Rede bestimmte Tonverhältnisse zu beobachten? Die Sache ist weniger schwierig als notwendig; denn nichts ist so zart, so biegsam und jeder Leitung folgsam wie die Sprache.
Aus ihr lassen sich Verse bilden, aus ihr die ungleichen Zeitmaße, aus ihr auch unsere jetzige Redeweise, die sich frei in mannigfaltigen Weisen bewegt und aus vielen Arten besteht. Denn nicht gibt es andere Worte für die Sprache des Umganges, andere für die Sprache der Leidenschaft, und nicht aus einer anderen Quelle schöpft man die Worte für den täglichen Gebrauch, aus einer anderen für die Bühne und das Gepränge; sondern wie ein Gemeingut liegen sie vor uns ausgebreitet, und hieraus nehmen wir sie und bilden und gestalten sie wie das weichste Wachs nach unserem Belieben. Sowie wir nun bald einen erhabenen, bald einen niedrigen, bald einen mittleren Gegenstand behandeln, so richtet sich die Redeweise nach dem Gedanken, den wir gefasst haben, und verändert und verwandelt sich auf jede Weise, wie es das Vergnügen der Ohren und die Stimmung der Gemüter erheischt.
Aber so wie in den meisten Dingen, so hat auch in der Rede die Natur selbst die bewunderungswürdige Einrichtung getroffen, dass die Dinge, die den größten Nutzen in sich schließen, zugleich auch die meiste Würde, ja oft auch die meiste Anmut haben. Zur allgemeinen Erhaltung und Wohlfahrt, sehen wir, ist das Weltall und die Natur so eingerichtet, dass der Himmel rund ist, dass die Erde in der Mitte schwebt und durch ihre eigene Schwerkraft gehalten wird, dass die Sonne sich herumschwingt, in das Sternbild des Steinbockes tritt und von da wieder allmählich nach der entgegengesetzten Seite aufsteigt, dass der Mond durch seine Annäherung und Entfernung das Licht der Sonne empfängt, dass die fünf Planeten in ungleicher Bewegung und ungleichem Umlauf dieselben Bahnen vollenden.
Diese Anordnung ist von solcher Wichtigkeit, dass das Ganze bei der kleinsten Veränderung nicht mehr zusammenhängen könnte, und von solcher Schönheit, dass sich ein schönerer Anblick nicht einmal denken lässt. Richtet jetzt eure Gedanken auf die Gestalt und Bildung der Menschen oder auch der übrigen Geschöpfe, und ihr werdet finden, dass kein Teil des Körpers ihnen ohne Not gegeben und dass die ganze Gestalt auf künstliche Weise und nicht durch Zufall vollendet ist.
[XLVI] Wie? An den Bäumen, an denen der Stamm, die Äste, die Blätter endlich nur die Bestimmung haben, ihren natürlichen Zustand zu erhalten und zu bewahren, ist doch nirgends ein Teil, der nicht schön wäre. Verlassen wir die Natur und betrachten wir die Künste!
Was ist an einem Schiff so notwendig wie der Bord, der hohle Schiffsraum, das Vorderteil, das Hinterteil, die Segelstangen, die Segel, die Mastbäume? Und doch haben diese Dinge auch für das äußere Ansehen eine solche Schönheit, dass sie nicht bloß zur Sicherheit, sondern auch zum Vergnügen erfunden zu sein scheinen. Säulen tragen Tempel und Hallen; und doch ist ihr Nutzen nicht größer als ihr erhabener Anblick. Jenen herrlichen Giebel des Kapitols und der anderen Tempel hat nicht Schönheit, sondern die Not selbst gebaut. Denn man war nur darauf bedacht gewesen, wie das Wasser von beiden Seiten des Daches abfließen könnte; aber von der für den Tempel nützlichen Einrichtung war die Schönheit des Giebels die Folge, ohne den, wie es scheint, das Kapitol, auch wenn es im Himmel aufgestellt würde, wo kein Regen fällt, kein würdiges Ansehen haben würde.
Auf gleiche Weise ist es bei allen Teilen der Rede der Fall, dass mit dem Nutzen und, ich möchte beinahe sagen, mit der Notwendigkeit die Lieblichkeit und Anmut in unmittelbarer Verbindung steht. Denn die Schlusspunkte und Satzteilzeichen sind durch die Beschränkung des Atems und durch die Beengung des Atemholens veranlasst worden; aber diese Erfindung ist so angenehm, dass, wenn auch einem ein unendlich langer Atem gegeben wäre, wir dennoch nicht wünschen würden, dass er die Worte in ununterbrochener Folge fortlaufen ließe. Denn auch unseren Ohren gefällt das, was zu dem Zweck erfunden ist, dass das Reden der Lunge des Menschen nicht allein erträglich, sondern auch leicht sein könnte.
[XLVII] Der längste Redesatz ist nun der, der sich in einem Atemzug abrollen lässt; aber dies ist das Maß der Natur, ein anderes setzt die Kunst. Was nun die Versfüße in der Rede betrifft, deren es mehrere gibt, so verbietet euer Aristoteles, mein Catulus, den zu häufigen Gebrauch des Jambus und Trochäus, die sich doch natürlicherweise ganz von selbst in unsere Reden und Gespräche einmischen; aber die Taktschläge dieser Versfüße sind zu auffallend und die Füße zu klein. Darum empfiehlt er uns vor allem den heroischen Versfuß, den man jedoch ohne Tadel nur zweimal oder etwas mehr aufeinander folgen lassen darf; sonst würde man ganz in einen Vers oder etwas Versähnliches hineingeraten, zum Beispiel: ‘Zwei Altäre erhoben sich.' Solche drei heroischen Füße bilden im Anfang eines Redesatzes einen recht schönen Tonfall.
Am meisten aber billigt derselbe Aristoteles den Päon, der doppelt ist; denn entweder hebt er mit einer langen Silbe an, auf die drei kurze folgen, wie: herrlichere, artigere, stärkendere, oder mit drei kurzen, auf die eine gedehnte oder lange folgt, wie: Geometrie, Philosophie. Und nach der Ansicht dieses Philosophen soll man mit dem ersteren Päon anfangen, mit dem letzteren schließen. Es ist aber dieser letztere Päon zwar nicht an Zahl der Silben, aber nach dem Maß des Gehörs, dessen Urteil schärfer und sicherer ist, dem Creticus fast gleich, der aus einer langen, kurzen und langen Silbe besteht, wie:
Welchen Schutz such' ich jetzt? Was zu tun? Jetzt wohin?
Mit diesem Versfuß begann Fannius: ‘Bürger Roms, uns bedroh'n.' Diesen Fuß hält Aristoteles geeigneter für den Schluss des Redesatzes, der nach seiner Meinung im allgemeinen auf eine lange Silbe ausgehen soll,
[XLVIII] Die Sprache der Redner erfordert aber nicht eine so scharfe Sorgfalt und Genauigkeit wie die der Dichter, die der Zwang des Versmaßes und der Tonverhältnisse die Worte so in den Vers einzuschließen nötigt, dass nichts auch nicht um den geringsten Hauch kürzer oder länger ist, als die Notwendigkeit verlangt. Freier ist die Rede, und wie sie ungebunden heißt, so ist sie es auch in Wirklichkeit, jedoch nicht dergestalt, dass sie flüchtig umherirrt, sondern ohne Fesseln sich selbst in Schranken zu halten weiß. Denn ich stimme der Ansicht des Theophrastos bei, dass die Rede, wenn sie geglättet und einigermaßen kunstgerecht sein soll, sich zwar nicht auf gezwungene, wohl aber freiere Weise rhythmisch bewegen müsse.
Und ferner ist nach seiner Vermutung aus den Rhythmen, aus denen unser gewöhnlicher Vers besteht, in der Folge der Anapäst, ein schlanker Rhythmus, hervorgegangen, und aus diesem ist jener freiere und reichere Dithyrambus geflossen, dessen Glieder und Füße, wie derselbe sagt, in jeder reichhaltigen Rede zerstreut sind. Und wenn bei allen Tönen und Lauten das rhythmisch ist, was gewisse Taktschläge hat und was wir nach gleichen Zwischenzeiten messen können, so wird man mit Recht diese Art der Rhythmen, wenn sie nur nicht ununterbrochen fortgeht, als einen Vorzug der Rede ansehen. Denn wenn man die ohne Tonverhältnisse unaufhörlich fortströmende Geschwätzigkeit für roh und ungeschliffen halten muss, was anderes ist der Grund des Missfallens, als weil die Natur selbst für das Gehör des Menschen Hebungen und Senkungen bestimmt? Dies ist jedoch unmöglich, wenn nicht in den Tönen ein Rhythmus enthalten ist.
Der Rhythmus aber findet in einer ununterbrochenen Verbindung nicht statt; die Unterscheidung und der Taktschlag nach gleichen und oft auch nach wechselnden Zwischenzeiten bewirkt den Rhythmus, den wir bei fallenden Wassertropfen, weil sie sich nach Zwischenzeiten unterscheiden lassen, bemerken können, nicht aber bei einem herabstürzenden Strom. Ist nun eine Wortverbindung der ungebundenen Rede weit angemessener und wohlgefälliger, wenn sie sich in Gelenke und Glieder abteilt, als wenn sie in ununterbrochener Folge fortläuft, so müssen diese Glieder gegeneinander richtig abgemessen sein; denn wenn sie am Ende zu kurz sind, so wird die Kraft des Rundsatzes geschwächt, wie die Griechen einen Gliedersatz nennen. Daher müssen die folgenden Glieder den vorhergehenden, die letzten den ersten entweder gleich oder, was noch besser und angenehmer ist, länger als sie sein.
[XLIX] Das sind nun die Lehren der Philosophen, die du, mein Catulus, so hochschätzest; was ich um so öfter bezeuge, um durch Anführung meiner Gewährsmänner den Vorwurf abzulehnen, den man mir wegen dieser kleinlichen Schulweisheit machen könnte." "Was willst du damit sagen?" entgegnete Catulus. "Kann wohl etwas Geschmackvolleres vorgetragen oder überhaupt Scharfsinnigeres gesagt werden, als was du uns erörtert hast?"
"Freilich muss ich befürchten", erwiderte Crassus, "dass entweder diese Dinge unseren jungen Zuhörern zu schwierig in der Ausübung erscheinen oder, weil sie in den gewöhnlichen Anweisungen nicht gelehrt werden, sie glauben möchten, ich stelle sie absichtlich zu wichtig und schwierig vor." Hierauf sagte Catulus: "Du irrst dich, mein Crassus, wenn du meinst, ich oder einer der Anwesenden erwarte von dir diese alltäglichen und ganz gewöhnlichen Leistungen. Das, was du vorträgst, wünschen wir von dir zu hören, und zwar gerade auf diese Weise vorgetragen; dies kann ich dir nicht für mich allein, sondern für alle Anwesenden unbedenklich versichern."
"Ja wahrlich", sagte Antonius, "endlich habe ich den Redner gefunden, den ich in meiner kleinen Schrift noch nicht gefunden zu haben behauptet hatte; aber absichtlich wollte ich dich mit meinem Lob nicht unterbrechen, um die so kurze Zeit deines Vortrages auch nicht durch ein einziges Wort zu verkürzen."
"Nach diesen Regeln also", fuhr Crassus fort, "müsst ihr durch Übung teils im Reden, teils im Schreiben, welches letztere euren Vortrag sowohl in anderen Beziehungen als ganz vorzüglich in dieser zu schmücken und zu feilen geeignet ist, eure Rede bilden. Nicht jedoch erfordert dies so viel Arbeit, wie es den Anschein hat; auch ist es nicht nötig, hierbei die scharfe Richtschnur der Rhythmiker und Musiker anzulegen, sondern ihr müsst nur danach streben, dass die Rede nicht auseinanderfließe, nicht unstet umherschweife, nicht in zu kleinen Absätzen innehalte und nicht zu weit ausschreite, dass sie wohlgegliedert sei und in sich vollendete, schön abgerundete Perioden habe. Aber nicht immer darf sich die Rede in einem ununterbrochenen Kreislauf von Perioden bewegen, sondern oft muss sie mit kurzen Sätzen abwechseln, die jedoch gleichfalls an Rhythmen gebunden sein müssen.
Auch braucht ihr nicht wegen des Päon oder des heroischen Rhythmus, von denen ich sprach, besorgt zu sein. Von selbst finden sie sich in der Rede ein; von selbst, sage ich, bieten sie sich dar und stellen sich ungerufen ein; nur mag man sich so zu schreiben und zu reden gewöhnen, dass die Gedanken mit den Worten geschlossen werden und dass die Periode mit langen und freien Rhythmen, vorzüglich dem heroischen oder dem ersten Päon oder dem Creticus, anhebe, aber am Schluss sich mit mannigfaltiger Abwechslung senke; denn am meisten wird die Ähnlichkeit am Schluss bemerkt, wo die Stimme einen Ruhepunkt macht. Und wenn die ersten und letzten Füße auf diese Weise beobachtet sind, so können die mittleren sich verborgen halten, nur mag der Rundsatz selbst weder kürzer sein, als das Ohr erwartet, noch länger, als die Länge und der Atem es zulässt.
[L] Auf den Schluss eines Gliedersatzes muss nach meinem Dafürhalten noch größere Sorgfalt verwendet werden als auf die vorhergehenden Teile, weil nach ihm vorzüglich die Vollkommenheit und Vollendung des Gliedersatzes beurteilt wird. Denn bei einem Vers werden auf gleiche Weise Anfang, Mitte und Ende beachtet, und er ist lahm, an welchem Teil auch ein Fehler gemacht sein mag; beim Redesatz hingegen sehen nur wenige auf den Anfang, die meisten aber auf den Schluss. Weil nun dieser stark hervortritt und bemerkt wird, so muss man bei ihm Abwechslung anwenden, damit er weder nach dem Urteil des Verstandes, noch weil er dem Ohr Überdruss erregt, verworfen werde.
Auf die zwei oder drei letzten Wortfüße nämlich muss man im allgemeinen sehen und achten, wenn anders das Vorhergehende nicht zu kurz und zu gebrochen ist, und diese müssen entweder choreisch oder heroisch sei oder beide müssen miteinander oder mit dem letzten Päon, den Aristoteles empfiehlt, oder mit dem ihm gleichen Creticus abwechseln. Die Abwechslung dieser Füße wird zur Folge haben, dass weder die Zuhörer wegen der Einförmigkeit Überdruss empfinden, noch unserer Rede die darauf verwendete Mühe angesehen wird.
Wenn nun jener Antipater aus Sidon, dessen du dich, mein Catulus, wohl erinnerst, Hexameter und andere Verse in mannigfaltigen Tonweisen und Rhythmen aus dem Stegreif zu dichten pflegte und die Übung dieses geistreichen und mit einem glücklichen Gedächtnis begabten Mannes so viel vermochte, dass, sobald er seinen Sinn und seine Gedanken auf eine Versart richtete, die Worte von selbst folgten, um wie viel leichter werden wir dies in der Rede durch Übung und Gewohnheit erreichen?
Übrigens wundere sich niemand, wie der große Haufe unwissender Zuhörer solche Dinge bemerkt; denn überall, aber ganz besonders gerade hierin zeigt sich die Kraft der Natur unglaublich stark. Alle beurteilen ja nach einem innerlichen Gefühl ohne alle Kunst oder Kunstregeln, was in den Künsten und nach den Kunstregeln richtig und verkehrt ist. Und dies tun sie bei Gemälden, bei Bildsäulen und anderen Kunstwerken, zu deren einsichtsvoller Beurteilung sie von Natur mit weniger Mitteln ausgerüstet sind; aber ungleich mehr zeigen sie es bei der Beurteilung der Worte, Rhythmen und Töne, weil diese Dinge tief in den allgemeinen Empfindungen gegründet liegen und niemand derselben nach der Bestimmung der Natur gänzlich unteilhaftig ist.
Daher kommt es, dass nicht bloß die künstliche Wortstellung, sondern auch die Rhythmen und Töne auf alle Menschen einen Eindruck machen. Denn wie wenige verstehen die Kunst der Rhythmen und Tonweisen! Und doch, wird auch nur der geringste Verstoß dagegen gemacht, indem etwas entweder durch Zusammenziehung zu kurz oder durch Dehnung zu lang ausgesprochen wird, geben ganze Theater ihr Missfallen laut zu erkennen. Wie? Geschieht es nicht gleichfalls bei den Stimmen, dass von der Volksmenge nicht bloß ganze Sängerchöre, sondern auch einzelne Sänger, wenn sie gegen die Gesangweise verstoßen, ausgezischt werden?
[LI] Es ist wunderbar, wie gering zwischen dem Gebildeten und dem Unwissenden der Unterschied im Urteil ist, da er doch im Schaffen so sehr groß ist. Aber wahrlich, die Kunst würde, da sie von der Natur ausgegangen ist, wohl schwerlich irgend etwas ausgerichtet haben, wenn sie nicht wieder auf die Natur einwirkte und sie ergötzte. Nichts aber ist unserem Geist so nahe verwandt wie die Rhythmen und die Töne, durch die wir bald erregt, bald angefeuert, bald besänftigt, bald entkräftet, bald zur Heiterkeit, bald zur Trauer oft gestimmt werden. Aber ihre höchste Kraft zeigt sich noch wirksamer in der Dichtung und im Gesang; was, wie es mir scheint, dem hochgebildeten König Numa und unseren Altvordern nicht entging, wie das Saiten- und Flötenspiel bei den feierlichen Gastmählern und die Verse der Salier beweisen; am meisten aber wurde diese Kunst von dem alten Griechenland gepflegt.
Ach, hättet ihr doch lieber über diese und ähnliche Gegenstände einen Vortrag von mir gewünscht als über diese schülerhaften Wortübertragungen! Doch so wie beim Vers die große Menge es einsieht, wenn ein Versehen gemacht wird, ebenso bemerkt sie es, wenn in unserer Rede etwas hinkt; aber dem Dichter verzeiht sie nicht, gegen uns ist sie nachsichtiger; im stillen jedoch erkennen alle, dass das, was wir gesagt haben, nicht passend und vollkommen ist. Daher pflegten jene Alten, wie wir noch heutzutage manche tun sehen, da sie einen Rundsatz, gleichsam einen Wortkreis noch nicht bilden konnten – dazu haben wir ja erst neuerdings das Geschick oder den Mut erlangt –, drei oder zwei, zuweilen auch nur ein Satzglied zu setzen; aber ungeachtet ihrer natürlichen Unmündigkeit wussten sie doch das, was das Ohr der Menschen verlangt, nämlich dass die Satzglieder gleich abgemessen und durch gleich lange Ruhepunkte unterschieden wären.
[LII] So habe ich denn euch nach Kräften das etwa auseinandergesetzt, was nach meiner Ansicht am meisten zum Schmuck der Rede beiträgt; denn ich habe von den lobenswerten Eigenschaften der einzelnen Worte, von ihrer Verbindung, von ihren Rhythmen und Tonverhältnissen gesprochen: Fragt ihr aber auch nach der äußeren Gestalt und der Farbe der Rede, so ist sie teils voll, aber doch schlank, teils schmächtig, aber nicht ohne Nerven und Kräfte, teils eine solche, deren Vorzug darin besteht, dass sie, aus beiden gemischt, zwischen beiden die Mitte hält. Auf diesen drei Redeformen muss eine nicht wie Schminke aufgetragene, sondern durch das Blut verbreitete Farbe anmutiger Schönheit ruhen.
Kurz, wir müssen unsern Redner sowohl hinsichtlich der Worte als auch der Gedanken so bilden, dass, so wie die Fechter oder Ringer nicht bloß Streiche zu meiden oder zu versetzen bedacht sind, sondern auch darauf, dass sie Wohlanständigkeit in ihren Bewegungen zeigen, so auch er die Worte zu einem wohlgegliederten und schönen Redebau, die Gedanken aber zu erhabener Würde der Rede gebrauche.
Die Worte und die Gedanken lassen sich aber auf fast unzählige Weise bearbeiten; aber zwischen der Form der Worte und Gedanken ist insofern ein Unterschied, als die der Worte verlorengeht, wenn man die Worte verändert, die der Gedanken hingegen bleibt, welcher Worte man sich auch bedienen mag. Und obwohl ihr es schon ohnehin tut, so glaube ich doch euch auch noch daran erinnern zu müssen, dass ihr in betreff der einzelnen Worte den Vorzug und die Bewunderung des Redners lediglich in der Kenntnis der früher erwähnten drei Dinge finden möget, nämlich dass wir häufig übertragene, zuweilen auch neugebildete, selten aber sehr alte Ausdrücke gebrauchen; was aber die zusammenhängende Rede betrifft, so müssen wir zuerst auf eine sanfte Verbindung und auf das von mir erwähnte rhythmische Verhältnis achten, alsdann aber durch den häufigen Gebrauch der Redefiguren, den ganzen Vortrag gleichsam mit Lichtpunkten der Gedanken und Worte ausschmücken und beleben.
[LIII] So zum Beispiel sind folgende Figuren von sehr großer Wirkung: das Verweilen bei einem Gegenstand, die lichtvolle Erläuterung und Veranschaulichung, durch die die Dinge gleichsam vor das Auge gestellt werden, als ob sie vor uns geschähen. Diese Figuren haben ein sehr großes Gewicht teils in der Entwicklung einer Sache, teils um das, was auseinandergesetzt wird, zu beleuchten und zu erhöhen, so dass den Zuhörern das, was wir hervorheben wollen, so groß erscheint, wie es die Rede darzustellen vermag. Das Gegenteil davon sind oft das flüchtige Hinwegeilen über einen Gegenstand, die Andeutung, die mehr erraten lässt, als man sagt, die gedrängte, aber doch deutliche Kürze, die Verkleinerung und die sich daranschließende Verspottung, die zu den Vorschriften Caesars passt.
Ferner sind zu erwähnen die Abschweifung von der Sache, von der man, wenn sie uns Unterhaltung gewährt hat, mit einer geschickten und angemessenen Wendung zum Hauptsatz zurückkehren muss; die Angabe des zu behandelnden Gegenstandes und der Übergang vom Gesagten zu einem neuen Gegenstand, die Rückkehr zum Hauptsatz, die Wiederholung, der passende Schluss einer Beweisführung; ferner die Übertreibung und Überschreitung der Wahrheit zur Vergrößerung oder Verkleinerung; die Frage und die damit verwandte Ausforschung und die Beantwortung dieser nach eigener Ansicht; ferner die Verstellung, wenn man etwas anderes sagt als meint, die sich besonders in die Gemüter der Menschen einzuschleichen versteht und die sehr angenehm ist, wenn sie in der Rede nicht mit Heftigkeit, sondern in gelassener Sprache angebracht wird; dann der Zweifel, die Zergliederung, die Verbesserung, entweder ehe oder nachdem man etwas gesagt hat oder wenn man etwas von sich ablehnt;
alsdann die Verwahrung in Beziehung auf das, was man angreifen will, die Zurückschiebung einer Sache auf einen andern, die Mitteilung, die gleichsam in einer Beratung mit denen, von denen man redet, besteht, die Nachahmung der Sitten anderer und ihrer Lebensart entweder mit Angabe der Person oder ohne diese, die ein wichtiges Verschönerungsmittel der Rede ist und ganz besonders geeignet, die Gemüter zu gewinnen, oft auch, sie zu rühren;
die erdichtete Einführung von Personen, die ein sehr wirksames Mittel zur Hebung einer Sache ist; die Beschreibung, die Verleitung zum Irrtum, die Erregung der Heiterkeit, die Vorwegnahme des Einwurfs; ferner zwei Figuren, die besonders zur Rührung dienen, das Gleichnis und das Beispiel; dann die Anordnung, die Unterbrechung, die Zusammenstellung der Gegensätze, die Verschweigung, die Empfehlung, die freimütige, ja wohl auch zügellose Äußerung zur Hebung der Sache; das Zürnen, der Verweis, das Versprechen, die Fürbitte, die Beteuerung, die kurze Abweichung von der Hauptsache, die von der vorhin erwähnten Abschweifung verschieden ist; die Entschuldigung, die Bitte um geneigtes Wohlwollen, die Verletzung des Gegners, der Wunsch und die Verwünschung. Das etwa sind die Gedankenfiguren, die der Rede Lichtglanz verleihen.
[LIV] Was nun aber die Worte selbst betrifft, so bedient man sich ihrer, wie der Waffen, entweder zum Nutzen, indem man mit ihnen droht und angreift, oder man wendet sie lediglich zur Zierde an. Zum Beispiel die Verdoppelung der Wörter gibt der Rede bald Nachdruck, bald Anmut; ebenso auch eine kleine Abänderung und Umbeugung eines Wortes, dann die häufige Wiederholung desselben Wortes zu Anfang des Satzes und die Wiederkehr desselben am Ende des Satzes, das heftige Zusammenstoßen derselben Worte aufeinander, die Hinzufügung, der Fortschritt, die Wiederholung desselben Wortes in verschiedener Bedeutung, die Widerrufung eines Wortes, der Schluss der Sätze mit Wörtern von ähnlicher Endung oder ähnlicher Beugung, die Gegenüberstellung gleicher oder ähnlicher Glieder gegeneinander.
Auch gehören hierher die Steigerung, die Umkehrung der Worte, die geschickte Versetzung der Worte, die Entgegenstellung, die Weglassung der Bindewörter, die Beugung, der Tadel des gebrauchten Ausdruckes, der Ausruf, die Verkleinerung, der Wechsel der Kasus, die wechselseitige Beziehung einzelner Worte aufeinander, die Hinzufügung des Grundes zu einer aufgestellten Behauptung und ebenso die Hinzufügung des Grundes zu den geteilten Gliedern, die Überlassung der Sache, eine andere Art des Zweifels; ferner das Unerwartete, die Aufzählung, eine andere Art der Verbesserung, die Verteilung, die ununterbrochene Folge, das Unterbrochene, das Bild, die Selbstbeantwortung einer Frage, die Vertauschung der Worte, die Absonderung, die Ordnung, die Wiederholung, die Abschweifung, die Begriffsbestimmung. Das etwa sind die Figuren, und ähnliche lassen sich noch mehr denken, die der Rede hinsichtlich der Gedanken und der Wortformen Lichtglanz verleihen."
[LV] "So hast du nun, lieber Crassus", versetzte Cotta, "diese Dinge ohne Erklärungen und Beispiele vor uns ausgeschüttet, ohne Zweifel, weil du voraussetzest, sie seien uns bekannt." "Auch von dem, was ich zuvor vorgetragen habe", erwiderte Crassus, "glaubte ich keineswegs, dass es euch neu sei; nur euer aller Wünschen habe ich nachgegeben.
Über die letzten Gegenstände aber mich kurz zu fassen, mahnte mich die Sonne, die, schon dem Untergang zueilend, auch mich dieses in aller Eile zu entwickeln nötigte. Übrigens ist ja die Lehre und der Unterricht in diesen Dingen etwas Gewöhnliches; aber die Anwendung davon ist höchst wichtig und in der ganzen Beredsamkeit sehr schwierig.
Nachdem ich nun über den gesamten Schmuck der Rede alle Quellen, wenn auch nicht eröffnet, so doch wenigstens angezeigt habe, lasst uns jetzt sehen, was in der Rede passend, d. h. das Schicklichste ist, wiewohl es einleuchtend ist, dass sich nicht für jede Sache, für jeden Zuhörer, für jede Person und Zeit ein und dieselbe Art des Vortrags eignet.
Denn einen andern Ton der Worte verlangen die peinlichen Fälle, einen andern die Verhandlungen über Privat- und unbedeutende Angelegenheiten; eine andere Art des Vortrages erfordern die Beratschlagungen, eine andere die Lobreden, eine andere die Gerichte, eine andere die Gespräche, eine andere die Tröstung, eine andere der Verweis, eine andere die wissenschaftliche Erörterung, eine andere die Geschichtsschreibung. Auch kommt es darauf an, wer die Zuhörer sind, ob der Senat oder das Volk oder die Richter, ob viele oder wenige oder einer und was für Leute; und in betreff der Redner selbst muss auf ihr Alter, ihre Ehrenstelle und ihr Ansehen Rücksicht genommen werden, hinsichtlich der Zeit aber, ob Friede oder Krieg ist, ob Eile oder Muße stattfindet.
Auf diese Weise scheint man hier nicht leicht eine andere Vorschrift erteilen zu können, als dass wir die höhere, die niedrigere und die mittlere Redeweise auf eine dem Wesen des zu behandelnden Gegenstandes angemessene Weise auswählen. Die Verschönerungsmittel der Rede, deren man sich bei diesen drei Ausdrucksweisen bedienen kann, bleiben sich bei allen so ziemlich gleich, nur dass man sie bald stärker, bald schwächer anwendet. Überhaupt verdanken wir in jeder Sache die Fähigkeit, das Geziemende zu tun, der Kunst und Natur, die Einsicht aber davon, was und wann etwas sich gezieme, der Klugheit.
[LVI] Doch dies alles tut seine Wirkung in der Weise, wie der äußere Vortrag beschaffen ist. Der äußere Vortrag, sage ich, hat in der Beredsamkeit die größte Macht. Ohne ihn kann der größte Redner in keinen Betracht kommen, mit ihm ausgerüstet der mittelmäßige oft über die größten siegen. Ihm soll Demosthenes, als er gefragt wurde, was das Erste in der Beredsamkeit sei, die erste Rolle zuerkannt haben, ihm die zweite, ihm die dritte. Um so vortrefflicher pflegt mir auch jene Äußerung des Aischines zu erscheinen. Als sich dieser nämlich wegen eines ihn beschimpfenden Richterspruches aus Athen entfernt und nach Rhodos begeben hatte, las er, wie man erzählt, den Rhodiern auf ihre Bitten jene herrliche Rede vor, die er als Widersacher des Demosthenes gegen Ktesiphon gehalten hatte. Nach beendigter Vorlesung baten sie ihn am folgenden Tag, er möchte ihnen auch die dagegen von Demosthenes für den Ktesiphon herausgegebene Rede vorlesen. Als er diese mit der lieblichsten und lautesten Stimme vorgelesen hatte und alle sie bewunderten, rief er aus: ‘Um wie viel mehr würdet ihr ihn bewundert haben, wenn ihr ihn selbst gehört hättet!' Hierdurch hat er hinlänglich zu verstehen gegeben, was für einen großen Wert der äußere Vortrag habe, da er meinte, dieselbe Rede würde eine andere sein, wenn sie von einem anderen vorgetragen würde.
Was war es an Gracchus, dessen du dich, Catulus, besser erinnerst, was in meinem Knabenalter so außerordentlich gepriesen wurde? ‘Wohin soll ich Unglücklicher mich begeben? Wohin soll ich mich wenden? Auf das Kapitol? Aber ach, da fließt noch das Blut des Bruders! Oder nach Hause? Etwa, um die unglückliche Mutter wehklagend und trostlos zu sehen?' Diese Worte trug er bekanntlich mit solchen Blicken, mit solcher Stimme und solchen Gebärden vor, dass seine Feinde sich der Tränen nicht erwehren konnten. Ich rede hierüber deshalb ausführlicher, weil diese ganze Kunst von den Rednern, die doch Darsteller des wirklichen Lebens sind, aufgegeben und von den Nachahmern des wirklichen Lebens, den Schauspielern, in Besitz genommen worden ist.
[LVII] Allerdings ist in jeder Sache ohne Zweifel die Wirklichkeit mächtiger als die Nachahmung; aber wenn sie allein für sich bei dem Vortrag hinlänglich wirksam wäre, so könnten wir in der Tat der Kunstregeln entbehren. Doch weil die Gemütsbewegung, die besonders durch den Vortrag dargestellt oder nachgeahmt werden soll, oft etwas so Verworrenes hat, dass sie verdunkelt und, ich möchte sagen, verschüttet wird, so muss man bei ihrer Darstellung das sie Verdunkelnde entfernen und nur das Hervorstechende und in die Augen Fallende annehmen.
Denn jede Gemütsbewegung hat von Natur ihre eigentümlichen Mienen, Töne und Gebärden, und der ganze Körper des Menschen und alle seine Mienen und Stimmen ertönen, gleich den Saiten der Lyra, so, wie sie jedes Mal von der Gemütsstimmung berührt werden. Denn die Töne sind, wie die Saiten, gespannt, so dass sie jeder Berührung entsprechen: hohe und tiefe, schnelle und langsame, starke und schwache; zwischen allen diesen liegt in jeder Art noch ein Mittelton. Und noch mehrere Unterarten sind aus diesen entstanden: der sanfte und der rauhe Ton, der gepresste und der gedehnte, der mit gehaltenem und der mit abgestoßenem Atem hervorgestoßene, der stumpfe und der kreischende, der durch Beugung der Stimme entweder verdünnte oder angeschwellte. Denn unter diesen und ähnlichen Tonarten gibt es keine, die sich nicht durch künstliche Behandlung bearbeiten ließe, und sie stehen dem Redner, wie die Farben dem Maler, zu Gebote, um abwechselnde Mannigfaltigkeit hervorzubringen.
LVIII. 217. Denn einen eigenen Ton muss der Zorn annehmen, einen hohen, beschleunigten, häufig abgebrochenen, wie in der Stelle:
Mein verruchter Bruder fordert mich auf, zu verzehren – ach
Welches Elend! – meine Kinder mit meinen Zähnen –
Und in den eben von dir, Antonius, angeführten Worten:
Ihn verlassend, wagst du usw.
Und in der Stelle:
Straft nicht einer dies Vergehen? Bindet ihn!
und fast in dem ganzen ‘Atreus'. Einen andern das Wehklagen und die Trauer, einen geschleiften, vollen, unterbrochenen mit weinerlicher Stimme, wie in der Stelle:
Wohin mich wenden? Welchen Weg betret' ich jetzt?
Ins Vaterhaus? Zu Pelias' Töchtern soll ich gehn?
und in dieser:
O Vater und o Vaterland, o Priamus' Palast!
und in der darauffolgenden Stelle:
Dies sah ich alles durch Flammen verzehrt,
Mit gewaltiger Hand Priamus' Leben zerstört.
Einen andern die Furcht, einen schwachen, stotternden, gedrückten, wie in der Stelle:
Vielfach Leid umfängt mich, Krankheit, Mangel und der Verbannung Los;
Und Bestürzung entherzt mir Entmutigtem alle Weisheit jetzt;
Schreckliche Qualen droht er meinem Leben und gewaltsamen Tod.
Niemand ist so festen Sinnes, so voll Zuversicht, dass nicht
Darob ihm das Blut erstarre und das Antlitz werde blaß.
Einen andern die Gewalt, einen angestrengten, heftigen, mit hastigem Nachdruck drohenden, wie in der Stelle:
Scheu wieder kommt Thyest, mir nachzustellen jetzt,
Schon wieder naht er sich und störet meinen Schlaf.
Erregen muss ich größ're Last des Ungemachs,
Dass ich sein bitt'res Herz zerstoße und zermalm'.
Einen andern die Lust, einen sich frei ergießenden, sanften, zärtlichen, freudigen und lustigen, wie in der Stelle:
Als sie mir den Ehrenkranz zur Hochzeitsfeier reichte dar,
Reichte sie ihn dir; ihn mir zu reichen gab sie listig vor;
Denn gar fein und zierlich scherzend überreichte sie ihn dir.
Einen andern der Verdruss, einen tiefen, einförmigen und dumpfen, wie in der Stelle:
Zu jener Zeit, als Paris knüpft' unselgen Bund mit Helena,
Da war ich schwanger, und zu Ende ging schon meiner Monde Lauf,
Und Hekuba gebar zu gleicher Zeit zuletzt den Polydor.
[LIX] Alle diese Gemütsbewegungen muss aber das Gebärdenspiel begleiten, nicht ein bühnenmäßiges, das die einzelnen Worte ausdrückt, sondern ein solches, welches die Sache und den Gedanken nur im allgemeinen nicht durch Veranschaulichung, sondern durch bloße Andeutung zu erkennen gibt, durch eine kräftige und männliche Körperbewegung, die nicht von der Bühne und den Schauspielern, sondern von den Waffen oder auch von der Ringschule entlehnt ist. Die Hand aber soll kein künstliches Fingerspiel treiben, sondern mit den Fingern die Worte nur begleiten, aber nicht ausdrücken; der Arm werde frei vorgestreckt, gleichsam als Trutzwaffe des Redners; das Stampfen mit dem Fuß finde beim Beginn oder am Schluss leidenschaftlicher Stellen statt.
Aber auf dem Gesicht beruht alles, und in dem Gesicht besitzen die ganze Herrschaft die Augen. Um so richtiger urteilten daher unsere Alten, wenn sie selbst einen Roscius unter der Larve nicht sehr loben wollten. Denn der ganze äußere Vortrag soll die Seele ausdrücken, und das Abbild der Seele ist das Gesicht und ihre Verräter die Augen. Denn dies ist der einzige Teil des Körpers, der alle Gemütsbewegungen durch ebenso viele Andeutungen und Veränderungen ausdrücken kann, und niemand vermag dies zu tun, wenn er die Augen schließt. So berichtet Theophrastos von einem gewissen Tauriskos, er habe zu sagen gepflegt, ein Redner, der bei seinem Vortrag immer auf einen Punkt hinsehe, gleiche einem Redner, der seinen Zuhörern den Rücken zuwende.
Man muss daher seine Augen wohl zu leiten wissen. Denn die Züge des Gesichtes dürfen nicht zu sehr verändert werden, damit wir nicht in Geschmacklosigkeiten oder Verzerrungen verfallen; die Augen sind es, durch deren Gespanntheit, Nachlassung, treffenden Blick und Heiterkeit wir die Gemütsbewegungen auf eine der Art unseres Vortrages entsprechende Weise andeuten müssen. Denn der äußere Vortrag ist gleichsam die Sprache des Körpers, um so mehr muss er mit dem Geist in Einklang stehen. Die Augen hat uns aber die Natur, wie dem Ros und dem Löwen die Mähne, den Schweif, die Ohren, gegeben, um die Regungen der Seele auszudrücken.
Nächst der Stimme hat daher bei unserem Vortrag das Gesicht die größte Bedeutung; dieses wird aber durch die Augen geleitet. Und in allem, was zum äußeren Vortrag gehört, liegt eine gewisse natürliche Kraft. Durch ihn werden daher auch Unwissende, durch ihn der große Haufe, durch ihn endlich die unserer Sprache Unkundigen ergriffen. Worte wirken nur auf den ein, der mit uns durch die Gemeinschaft derselben Sprache verbunden ist, und scharfsinnige Gedanken fliegen oft an dem Verstand der nicht-scharfsinnigen Menschen vorüber; der äußere Vortrag aber, der die Stimmung der Seele deutlich an den Tag legt, macht auf alle Eindruck; denn die Gemüter aller werden von denselben Empfindungen erregt, und es sind dieselben Merkmale, durch welche sie die Empfindungen anderer erkennen und ihre eigenen anderen zu erkennen geben.
[LX] Für den Gebrauch und das Lob des äußeren Vortrags aber ist ohne Zweifel die Stimme von der größten Wichtigkeit. Dass uns eine gute Stimme zuteil werde, muss zuerst unser Wunsch sein; dann aber müssen wir für sie, wie sie auch beschaffen sein mag, Sorge tragen. Die Mittel anzugeben, wodurch man für die Bildung der Stimme sorgen könne, ist hier nicht der Ort, obwohl nach meiner Ansicht dies durchaus geschehen muss; aber die Bemerkung, die ich kurz zuvor äußerte, scheint mir der Bestimmung unseres Gespräches nicht zuwiderzulaufen, dass nämlich in den meisten Fällen das Nützlichste – ich kann nicht sagen, wie das zugeht – auch das Geziemendste ist. Denn für die Erhaltung der Stimme ist nichts nützlicher als häufige Veränderung, nichts verderblicher, als eine unmäßige ununterbrochene Anstrengung.
Wie? Was ist für unsere Ohren und für die Anmut des Vortrags passender als Abwechslung, Mannigfaltigkeit und Veränderung? Aus diesem Grund hatte der vorhin erwähnte Gracchus, wie du, Catulus, von deinem Schutzbefohlenen Licinius, einem wissenschaftlich gebildeten Mann, der damals als Sklave sein Schreiber war, hören kannst, gewöhnlich, sooft er eine Rede vor dem Volke hielt, einen kunstverständigen Mann mit einer elfenbeinernen Flöte im verborgenen hinter sich stehen, der ihm schnell den Ton anblasen musste, durch welchen er ihn, wenn er zu schlaff redete, anregte oder, wenn er in zu große Heftigkeit geriet, zurückrief." "Ja wahrlich, ich habe davon gehört", erwiderte Catulus, "und oft des Mannes Sorgsamkeit sowie Gelehrsamkeit und Wissenschaft bewundert."
"Auch ich", fuhr Crassus fort, "und ich bedaure nur, dass solche Männer sich in solche Vergehen gegen den Staat verirren konnten. Freilich wird jetzt in unserem Staat ein solches Gewebe angezettelt und eine solche Lebensweise rasch in Bewegung gesetzt und der Nachwelt vorgehalten, dass wir schon solche Bürger zu haben wünschen, wie sie unsere Väter nicht geduldet haben." "Las dies Gespräch ruhen, ich bitte dich, Crassus", erwiderte Iulius, "und kehre zu des Gracchus Pfeife zurück, deren Beschaffenheit ich noch nicht recht begreifen kann."
[LXI] "Bei allen Stimmen", antwortete Crassus, "findet ein Mittelton statt; aber jede Stimme hat ihren eigentümlichen. Dass von hier aus die Stimme stufenweise aufsteige, ist nützlich und angenehm – denn gleich zu Anfang zu schreien verrät Mangel an Bildung –, und zugleich ist es auch zur Kräftigung der Stimme heilsam. Dann gibt es auch in der Hebung der Stimme ein Äußerstes, das sich jedoch unter dem höchsten Schreiton hält. Bis zu diesem lässt dich die Pfeife nicht aufsteigen, sondern ruft dich sofort von der zu großen Anstrengung zurück. Desgleichen gibt es auch im Gegenteil in der Senkung der Stimme einen tiefsten Ton, zu dem man auf der Tonleiter hinabsteigt. Dieser Wechsel und dieser Lauf der Stimme durch alle Töne wird einerseits zu ihrer eigenen Erhaltung beitragen, andererseits dem äußeren Vortrag Lieblichkeit verleihen. Doch den Pfeifer lasst zu Hause; nur das durch diese Übung gewonnene Gefühl bringt mit euch auf das Forum.
So habe ich euch nun, soviel in meinen Kräften lag, mitgeteilt, nicht wie ich es wollte, sondern wie ich wegen Beschränkung der Zeit musste. Es ist ja klug, sich in die Zeit zu schicken, wenn es beim besten Willen nicht möglich ist, mehr zu sagen." "Ei, du hast ja wahrlich", entgegnete Catulus, "soweit ich darüber urteilen kann, alles so unvergleichlich zusammengefasst, dass es scheint, als ob du dieses nicht von den Griechen entlehnt hättest, sondern es diese selbst lehren könntest. Es freut mich, an dieser Unterredung teilgenommen zu haben, und ich wünschte, dass mein Schwiegersohn Hortensius, dein Freund, zugegen gewesen wäre, von dem ich zuversichtlich hoffe, dass er sich durch alle Vorzüge, die du in deinem Vortrag umfasst hast, auszeichnen werde."
"Sich auszeichnen werde?" fiel Crassus ein. "Ich urteile, dass er es schon jetzt tut, und so urteilte ich auch damals, als er unter meinem Konsulat im Senat die Sache Afrikas verteidigte, und jüngst noch mehr, als er für den König von Bithynien redete. Du hast also ganz recht, Catulus; denn ich weiß, diesem jungen Mann gebricht es weder an Naturgaben noch an gelehrter Bildung.
Um so mehr müsst ihr, du, Cotta, und du, Sulpicius, wachen und arbeiten! Denn in ihm wächst kein mittelmäßiger Redner eurem Alter nach, sondern ein Redner von durchdringendem Geist, brennendem Eifer, ausgezeichneter Gelehrsamkeit und seltenem Gedächtnis. Wiewohl ich diesem gewogen bin, so wünsche ich doch, dass er nur die Redner seines Alters übertreffe; für euch aber würde es nicht eben ehrenvoll sein, wenn der so viel jüngere euch überflügelte. Doch lasst uns jetzt aufstehen", setzte er hinzu, "wir wollen der Gesundheit pflegen und endlich einmal nach der Anstrengung und Bemühung, die mit dieser Unterredung verbunden war, unseren Gemütern Erholung gönnen!"
 
   
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