- Der Lösungsansatz (oder: "die Ausgangsposition"): Man kann sich der Frage von zwei Seiten nähern. Einmal vom Ende her, indem man vom "Schach" ausgeht und seine geschichtliche Entwicklung zurück verfolgt, zum anderen vom Anfang her, indem man die "Römer" befragt. Gibt es im römischen Kulturbereich zumindest etwas Schachähnliches? Wenn hier allein der zweite Weg eingeschlagen werden soll, ist das natürlich ein Mangel. Dieser Weg wird nicht zur vollgültigen Lösung der Frage führen. Aber immerhin lassen sich vielleicht nützliche Beiträge finden.
- Erste Orientierung (oder: "die römische Eröffnung"): Sehen wir zuerst in einem deutsch - lateinischen Wörterbuch nach. Zur Hand ist mir der "Georges" von 1870. Aha! Man sehe und staune:
Schachspiel Schach spielen Schach dem Könige! dem Könige Schach bieten |
lusus latrunculorum; lusus latruncularius latrunculis ludere (dicht. proelia latronum ludere) cave regi! monere, ut caveatur regi |
Schachbrett Schachfeld
schachmatt
jdn. schachmatt machen Schachstein
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tabula latruncularia *quadra tabulae latrunculariae victus. ad incitas redactus (eigtl.) - confectus (bildl. entkräftet) aliquem vincere, oder: aliquem ad incitas redigere latrunculus; latro |
- Welche Schlussfolgerungen legt der Wortbestand nahe? (oder: "Erstes
Kombinationsspiel"):
- "latro" und sein Deminutiv "latrunculus" sind allgemein in der abwertenden Bedeutung "(Straßen-)Räuber, Bandit" bekannt. Ursprünglich bedeutet das Wort aber "Söldner, Soldat".
- Eine "tabula" ist jede Art von (Holz-)Brett. Unser Wort "Tafel" leitet sich davon her.
- "ad incitas <calces> redigere. Wörtlich: "jemanden in einen Zustand versetzen, in dem seine Spielsteine unbeweglich geworden sind. Das schon bei Plautus für Spielstein gebrauchte Wort "calx" (Kalkstein) wäre also im Georges zu ergänzen.
Wir haben es bei dem "lusus latruncularius" also mit einem
Strategiespiel zu tun, bei dem Soldaten auf einem Brett mit dem Ziel bewegt werden, den
Gegner manövrierunfähig zu machen, d.h. wohl "schachmatt" zu setzen.
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Weil diese Beschreibung auch auf unser heutiges Schachspiel passt, könnte man die gestellte Ausgangsfrage schon hier mit "ja" beantworten: Ja, die Römer spielten Schach.
- Warum heißt das Schachspiel "Schachspiel"? (oder: "Sicherung von
Positionsvorteilen): Die sprachliche Brücke zum "Schach"-Spiel ist nicht ganz klar. Einmal geht man von einem arabischen oder persischen Wort "scach" aus, das die Bedeutung "König" habe: Von der wichtigsten Figur des Spiels habe sich der Name auf das ganze Spiel übertragen (Metonymie, Synekdoche, pars pro toto). Andere ordnen das Wort "scach" - mit der gleichen Bedeutung wie das lateinische "latro" - dem germanischen Sprachraum zu. Dann wäre das Wort "Schachspiel" nichts anderes als die Übersetzung von "
lusus latruncularius". So wäre wohl auch von der Sache her die Behauptung gerechtfertigt: Die Römer spielten "Schach".
- "Strategisches Verwirrspiel" oder: Über die Namen der Schachfiguren
und ihre verschiedenartigen Züge geben uns einige spätere Verse Auskunft [Acta S. Quirini Mart. lib. 1. num. 5. Pseudo-Ovidius lib. 1 de Vetula (Angabe nach: Du Cange: Glossarium mediae et infimae Latinitatis, 1883-1887, Ndr.: Graz 1954, s.v. "1. SCACCI")]
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Sex species saltus exercent, sex quoque Scaci,
Miles et Alphinus, Roccus, Rex, Virgo, Pedesque, In Campum primum de sex istis saliunt tres, Rex, pedes et Virgo: Pedes in rectum salit, atque Virgo per obliquum. Rex saltu gaudet utroque. Ante retroque tamen tam Rex quam Virgo moventur Ante pedes solum; capiens obliquus in ante. Cum tamen ad metam stadii percurrerit, extunc Sicut virgo salit, in rectum Roccus, eique Soli concessum est ultra citraque salire, Oblique salit Alphinus, sed Miles utrinque Saltum componit. |
Sechs verschiedene Figuren führen auch sechs verschiedene Arten von Zügen aus: Soldat, Reiter, Turm, König, Dame, Fußsoldat. Eröffnen können drei von ihnen, König, Fußsoldat und Dame. Der Fußsoldat zieht gerade, die Dame seitlich. Der König erfreut sich beider Richtungen. Vor und zurück ziehen König wie Dame, der Fußsoldat nur nach vorn, schlägt er, dann seitlich nach vorn. Sobald er seine Bahn durchlaufen hat, zieht er anschließend wie die Dame. Gerade zieht der Turm. Er allein darf nach links und rechts ziehen. Seitlich zieht der Reiter, aber der Soldat zieht in beide Richtungen. |
- Zu den "unlateinischen" Namen im einzelnen (oder "Spielen auf Zeit,
um den Gegner zu zermürben"): Auskunft erteilt auch hier Du Cange. In Kürze:
- roccus, nomen scaci, quem alii Turrim vocant, Itali Rocco Die vermutete Verwandtschaft mit frz. le
roc, la roche (lat. raucus ?) muss ich noch in etymologischen Wörterbüchern überprüfen.
- alphinus, in ludo scacorum, persona,
quam nostri le Fol vocant, Itali Alfino. [
] Cuius
vocis originem Sponius [
] recte prorsus arcessit a nomine « Al-Phil »,
id est «elephas», quo hanc personam appellabant Orientales; unde nostri tandem «fil»
et «fol»
- pedo, Campio, pugil, qui pedes
pugnat.
- pedones, Pedites milites [
]
- fercia, apud poetam Latinum XII.
saeculi, Secunda scaccorum persona, quae alias Virgo, ninc Domina
vel Regina appellatur, ut scribit D. Freret [in
], ubi hanc vocem
accessendam docet a Persarum lingua, quibus Ferz vel Ferzin
primarium aulae praefectum sonat, seu secundum a rege: Unde poetis nostratibus
Fierce, Fierche, et Fierge.
- Der archäologische Befund (oder: "Eintritt ins Endspiel"): Wie nun bei den Römern das Spielbrett aussah, könnten wir dahingestellt sein lassen, wenn es nicht in Zürich in der Nefer-Galerie ein wunderschönes Exemplar aus dem 3.- 4. nachchristlichen Jahrhundert zu bestaunen gäbe: ein quadratisches Spielfeld mit insgesamt 64 Feldern, also acht Feldern in der Breite und acht Feldern in der Höhe. Aus urheberrechtlichen Gründen müssen wir hier auf eine Abbildung verzichten, aber sehen Sie doch selbst einmal nach bei
Marco Fitta: Spiele und Spielzeug in der Antike, Stuttgart (Theiss)
1998, S. 170
(auch: Darmstadt (WBG) 1998.
Dort findet man weiteres Material und erfährt noch viele Einzelheiten; auch über die spezielle Spielweise, über geschichtliche Vorstufen bei den Griechen und im Orient und und über die Widerspiegelungen in der römischen Literatur.
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Summa summarum (oder: "Der Gegner gibt zermürbt auf"): Wer wollte es noch ernsthaft bezweifeln?
Die Römer spielten Schach
Romani latrunculis ludebant
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