Platon, Phaidon
Inhalt, Gedankengang und Aufbau
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Eingangsgespräch:
Phaidon erzählt dem Echekrates aus Phleius zuerst die Vorgänge,
durch die sich die Hinrichtung des Sokrates verzögerte.
Am tag seines Todes versammelten sich seine Freunde bei ihm im Gefängnis.
Die Erzählung dessen, was Sokrates in ihrem Kreis noch tat und
sprach, beginnt mit einer Aufzählung der Anwesenden und einer
Beschreibung ihrer Stimmung. Sie treffen die Familie des Sokrates,
die dann entfernt wird (cap.1-3) |
- Entwicklung des Problems:
Die Lösung seiner Fesseln veranlasst Sokrates zu einer Betrachtung
über das Verhältnis der Lust und des Schmerzes, wie
beide einander entgegengesetzt sind und doch eines aus dem andern
entspringt.
Die Bemerkung, dass Aisopos eine Fabel daraus hätte machen
können, veranlasst Kebes im Namen des Euenos, Sokrates über
die poetischen Versuche zu fragen, denen er sich im Gefängnis
widmete. Sokrates erwidert, er habe den Aisopos in Verse gebracht,
weil ihn ein Traum wiederholt zum Dichten aufgefordert habe, dem
er als einem höheren Befehl gehorcht habe, um mit freiem
Gewissen sterben zu können. Euenos solle ihm bald folgen,
wenn er ein wahrer Philosoph sei.
Dies veranlasst ein Gespräch über den Selbstmord, in
dessen Verlauf Sokrates den Freitod zwar verurteilt, weil das
Leben Eigentum der Götter sei, zugleich aber den Satz aufstellt,
dass der Philosoph dennoch gern sterbe. Kebes findet darin einen
Widerspruch, den Simmias persönlich auf Sokrates bezieht,
indem er fragt, wie er wohl die Götter, seine guten Herren,
und auch sie selbst, seine Freunde, so leichten Mutes verlassen
könne (cap.3-7).
Sokrates verteidigt sich damit, dass er an die Fortdauer des Lebens
glaube und hoffe, zu anderen guten Göttern und Menschen zu
kommen.
Nachdem er die Warnung, sich durch Reden zu erhitzen, abgewiesen
hat, schickt er sich an, seine Überzeugung vom Fortleben
nach dem Tod zu rechtfertigen. Indem er den Tod als Trennung der
Seele vom Leib definiert, zeigt er, dass dies das Ziel der Philosophie
sei. Da der Leib der Erkenntnis der Wahrheit überall im Weg
stehe, suche der Philosoph sich seiner Einflüsse zu erwehren;
die völlige Lösung bringe aber erst der Tod (cap.8-12).
Auch die wahre Tugend, die nur der Philosoph übt, den nicht
wie andere Menschen die Abwägung der größeren
Lust oder Unlust zur Tugend treibt, ist eine Reinigung und Weihung
für das Leben nach dem Tod.
Kebes spendet dieser Lebensauffassung Beifall, aber nur unter
der Voraussetzung, dass bewiesen werde, dass die Seele fortlebe
(c.14).
- Philosophische Untersuchung:
Sokrates fasst das Problem in den Ausdruck: zu beweisen, dass
die Seelen nach dem Tod im Hades seien, d.h. ein Dasein haben.
- Physischer Beweis:
Die Seele wandert vom Leben zum Hades, von diesem wieder ins
Leben: also ist sie im Hades, sonst könnte sie nicht
wieder erstehen.
Dies beruht auf dem allgemeinen Gesetz vom Kreislauf der Dinge,
dem doppelten Werden, wonach immer Entgegengesetztes aus Entgegengesetztem
entstehe, also wie zwischen Schlafen und Wachen, so zwischen
Leben und Todsein ein steter Übergang von einem zum andern
stattfindet (cap.15-16).
Die Wahrheit dieses Gesetzes folgt aber daraus, dass, wenn
dieser Kreislauf nicht bestünde und alles in einer Richtung
fortginge, alle gegensätzlichen Zustände aufhören
müssten (cap.17).
Hieran schließt Kebes die Bemerkung an, dass ein Dasein
der Seele vor dem Leben auch aus dem Begriff des Lernens als
einer Wiedererinnerung folge, und Simmias veranlasst Sokrates,
dieses Argument näher zu entwickeln (cap.18).
- Psychologischer Beweis für die Präexistenz
der Seele:
- Der Begriff der Erinnerung ist Vorstellung eines abwesenden
Gegenstandes durch Vermittlung eines anwesenden (Assoziation)
(cap.18) und zugleich Vorstellung des Unterschiedes zwischen
beiden (cap.19).
- An den gleichen und ungleichen Dingen kommt man zugleich
zur Vorstellung des an sich Gleichen, als eines nicht
minder reellen Dritten, das aber das, was es ist, vollkommen
ist, nicht unvollkommen, wie die Dinge, die ihm zustreben
(cap.19).
- Die Möglichkeit der Erkenntnis, dass die Dinge,
die man durch die Sinne auffasst, das an sich Gleiche,
wie anderes an sich Seiendes, in sich zu realisieren streben,
setzt voraus, dass die Seele, ehe sie die Dinge sinnlich
auffasst, eine Kenntnis des an sich Seienden hatte, die
sie also nur vor der Geburt (a priori) haben konnte, mit
dieser verlor und später wiederfindet, d.h. durch
Erinnerung wieder auffasst (cap.19-20).
- Diese Erkenntnis ist nicht erst mit der Geburt an den
Menschen gekommen, weil sie ja sonst allen Menschen immer
zu Gebot stünde, was nicht der Fall ist (cap.21).
- Also muss die Seele schon vor der Geburt sein (cap.22).
Simmias und Kebes geben zu, dass die Präexistenz der
Seele erwiesen sei, nicht aber sei damit auch ihr Fortleben
nach dem Tod erwiesen (cap.23).
Sokrates verweist hierfür zuerst auf den ersten Beweis
zurück, wonach die Seele, wie sie vorher lebte, als sie
aus dem Totsein ins Leben trat, so notwendig auch nach dem
Tod existiere, da sie ja wieder entstehen müsse (cap.23).
Doch wolle er dies noch besonders erweisen; zugleich ermahnt
er sie, keine Mühe bei der Klärung der Sache zu
sparen (cap.24).
- Ontologischer Beweis:
Auflösung kann nur das Zusammengesetzt erfahren, das
Einfache nicht; denn nur jenes ist veränderlich, dieses
bleibt sich immer gleich. Das Veränderliche ist zugleich
das Sichtbare, sinnlich Wahrnehmbare, das sich gleich bleibende
das Unsichtbare (cap.25).
Die Seele gehört der letzteren Gattung an, denn
- sie ist unsichtbar, der Leib sichtbar (cap.26)
- sie ist dem Unsichtbaren näher verwandt, weil sie
in der Gefangenschaft des Körpers unstet wirkt, wenn
sie sich aber auf jenes richtet, innere Ruhe und Stetigkeit
gewinnt (cap.27);
- sie ist dem Göttlichen verwandt, weil sie das Herrschende
ist, so wie der Leib das Dienende (cap.28);
Wenn daher schon der Körper nicht sogleich mit dem Tod
vergeht, so noch viel weniger die Seele (cap.29).
- Ethische Konsequenzen:
Hieran schließt sich unmittelbar die ethische Betrachtung
an:
Die Seele kommt, wenn sie rein abscheidet, zu dem ihr Ähnlichen,
zu den Göttern (cap.29); wenn sie aber durch die Begierden
des Körpers unrein geworden ist und das Wahre hasst,
irrt sie in Gräbern umher (cap.30), bis sie nach bestimmter
Zeit in einen ihrer sittlichen Beschaffenheit entsprechenden
Körper kommt (cap.31). Zu den Göttern kommt nur
die Seele, die wahre Tugend übt, dem wahren Wissen nachstrebt
und sich vom Leib löst (cap.32-34).
- Kritik der Thebaner Simmias und
Kebes:
Hierauf entsteht ein Schweigen, bis Sokrates die leise miteinander
redenden Thebaner ermuntert, ihre Zweifel ohne Rücksicht
auf sein jetziges Geschick darzulegen, weil ihm sein Ende,
wie dem singenden Schwan, nur ein Gegenstand der Freude sei
(cap.35).
Darauf:
- Simmias: Der gegebene Beweis könne
ebenso gut von der Harmonie einer Leier gelten, die doch
diese nicht überdauere; und vielleicht sei auch die
Seele nur eine solche Harmonie (cap.36).
- Kebes: Wenn die Seele auch schon früher
war, so folge daraus nur, dass sie stärker und dauerhafter
sei als der Körper; es sei aber doch denkbar, dass
sie, gerade wenn sie viele Körper überdauere,
durch diese vielen Einkörperungen entkräftet
werde und ihre Geburt demnach wie eine Krankheit der Anfang
ihres Untergangs sei (cap.37).
Diese Bedenken erzielen eine starke Wirkung, die auch Echekrates
bekundet (cap.38).
Sokrates ermuntert nun in einer Zwischenrede mit Phaidon zum
Kampf gegen die Zweifel und warnt vor der Abneigung gegen
philosophische Untersuchungen, die (wie der Menschenhass)
ja nur auf der wiederholten Erfahrung von Täuschung beruhe
und mit sophistischem Unwesen zusammenhänge (cap.39-40).
- Gegen Simmias:
Die Behauptung, die Seele sei eine Harmonie, steht im
Widerspruch zu
- der auch von Simmias zugegebenen Lehre von der Präexistenz,
die von der Harmonie nicht gelten kann (cap.41);
- der Unterscheidung von Tugend und Laster, die sich
nicht begreifen ließe: denn da die Seele keine
Gradunterschiede wie die Harmonie kennt, könne
sie nur schlechthin Harmonie sein, so dass entweder
nur Gutes vorhanden oder das Schlechte, also Disharmonie
in der Harmonie wäre (cap.42);
- dem spezifischen Gegensatz zwischen der Natur der
Seele und der des Körpers, der bewirkt, dass
jene diesem zuwider handeln kann, während die
Harmonie ganz von dem Instrument abhängt (cap.43).
- Gegen Kebes:
Rekapitulation seines Einwandes (cap.44). Zu seiner Widerlegung
entwickelt Sokrates einen vierten Beweis dadurch, dass
er seinen spekulativen Entwicklungsgang schildert, wie
er einst mit allen philosophischen Systemen unzufrieden
war, auch mit dem des Anaxagoras, in dessen Nous-Prinzip
er den Schlüssel einer teleologischen Weltanschauung
zu finden hoffte, der dann aber doch statt einer Endursache
nur zufällige Mitursachen aufstellte. In seiner Enttäuschung
habe er versucht, unter Verwerfung der sinnlichen Erkenntnis
auf dem Weg des reinen Denkens ans Ziel zu gelangen.
- Der Beweis aus dem Begriff der Seele als
der Trägerin der Idee des Lebens:
- Jedes qualitativ Bestimmte ist das, was es ist,
durch Teilnahme an der Idee dieser Qualität,
z.B. des Schönen, Großen, Geraden;
nicht durch die zufälligen Ursachen, durch
die diese Qualität hervortritt (cap.49).
- Jede Idee schließt ihr Entgegengesetztes
aus, z.B. Größe die Kleinheit, Gerades
das Ungerade; sie nimmt ihr Gegenteil nie in sich
auf, sondern muss vor ihm entweichen oder untergehen
(cap.50-51).
- Nun gibt es auch gewisse konkrete Substanzen,
die zwar nicht in einem direkten Verhältnis
der Entgegensetzung stehen, doch aber eine in
einem solchen Verhältnis stehende Qualität
so untrennbar an sich tragen, dass sie den Gegensatz
dieser Qualität schlechthin ausschließen,
z.B. Feuer die Kälte, Schnee die Wärme,
drei das Gerade (cap.52-53).
- Eine solche Substanz ist die Seele: Sie ist
mit der Idee des Lebens so absolut verbunden,
dass sie, wenn sie auch nicht den direkten Gegensatz
zu dem Begriff des Todes bildet, so doch diesen
schlechthin ausschließt, d.h. unsterblich
ist (cap.54-55).
- Da aber das Unsterbliche zugleich seinem Wortsinn
nach unvergänglich ist, so ist es auch die
Seele (cap.56).
Hieran schließt sich die praktische Folgerung,
dass der Mensch der Ausbildung seiner unsterblichen
Seele die größte Aufmerksamkeit schenken
müsse; denn nach ihrem Stand entscheide ein künftiges
Gericht die Reihe der Geschicke, durch die die Wanderung
der Seele in bestimmten Perioden wieder hierher geht,
wobei die gute Seele ihrem Daimon willig in die Behausung
der Götter folgt, während die, die am Leib
haftet, besonders wenn sie mit Verbrechen befleckt
ist, nur widerstrebend an ihren Ort geführt wird
(cap.57).
- Exkurs über die Behausungen und Zustände
des künftigen Lebens:
- Die Erde ist ein runder, in der Mitte des Himmels durch
ihr eigenes Gleichgewicht getragener Körper und hat
verschiedene Räume und Behausungen, die an und in
ihr durch verschiedene Vertiefungen gebildet werden. In
einer solchen Vertiefung wohnen die Menschen. Von ihrem
Aufenthalt ist die obere Region, die wahre Oberfläche
der Erde, wohl zu unterscheiden, von der wir durch die
irdische Luft ebenso getrennt sind, wie die Fische von
uns durch die Wassermasse des Meeres. So unrein und zerrüttet
alles bei uns ist, so rein und ideal ist alles dort (cap.58).
Im Anschluss werden die Herrlichkeiten der Dinge und Bewohner
dort geschildert (cap.59).
Sodann folgt eine Beschreibung der übrigen Erde:
- wie sie viele solche Vertiefungen hat, die z.T.
noch tiefer liegen als unser Aufenthalt,
- wie diese durch durchgebrochene Gänge in einander
führen,
- wie der Zentralschlund, der Tartaros, das ununterbrochene
Ab- und Zuströmen der Gewässer und dadurch
die Stürme vermittelt,
- wie die Erde von Wasser-, Feuer- und Schlammflüssen
durchströmt ist (cap.60), von denen die vier
bedeutendsten sind
- der Okeanos,
- der Acheron mit dem acherusischen See,
- der die Vulkane speisende Periphlegethon und
- der die grausenhafte stygische Gegend und den
stygischen See durchströmende Kokytos (cap.61).
- Daran schließt sich eine nähere Beschreibung
des Gerichts. Die mittelguten Seelen kommen auf dem Acheron
in den acherusischen See, wo sie Vergeltung ihrer guten
und bösen Taten erfahren:
- die unheilbar schlechten werden für immer in
den Tartaros geworfen;
- die noch heilbar schlechten kommen auf einige Zeit
in den Tartaros, dann werden die Totschläger
in den Kokytos, die Elternmörder in den Periphlegethon
getrieben, die sie zu dem acherusischen See führen.
Gestatten es die von ihnen Verletzten, so dürfen
sie in den See steigen und sind ihre Qual los; andernfalls
müssen sie jedes Mal wieder in den Tartaros zurück,
bis jenes geschieht;
- die ganz guten aber kommen in die obere Region;
unter ihnen erreichen diejenigen, die durch die Philosophie
gereinigt sind, die höchste Stufe und leben fortan
selig und körperlos (cap.62). Deshalb muss man
sich durch Philosophie und echte Tugend auf den Gang
zum Hades vorbereiten (cap.63).
- Schlusshandlung:
Sokrates schickt sich zum Baden an, gibt seinen Schülern
seine letzte Willensmeinung, nimmt das Bad, erhält noch
einen Besuch seiner Familie, nimmt Abschied von dem Gerichtsdiener,
trinkt unter den Tränen seiner Jünger den Giftbecher
und verscheidet (cap.63-66), worauf Phaidon seine Erzählung
mit einem Lobspruch auf Sokrates schließt (cap.67).
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Sententiae excerptae: Griech. zu "Platon" und "Phaidon" Literatur: zu "Platon" und "Phaidon"3434
Ebert, Theo
Sokrates über seinen Umgang mit Hypotheseis ("Phaidon" 100a)
in: Herm. 129/2001, 467
3943
Gaumitz, H.
Präparation zu Platons Phaidon Kap. 1-34. 38-40. 57-67
Hannover, Norddeutsche Verlagsanstalt O. Goedel,, 1899
3370
Kloss, G.
Sokrates, ein Hahn fuer Asklepios und die Pflege der Seelen. Ein neuer Blick auf den Schluss von Platons Phaidon
in: Gymn.108/2001, S.223-240
2635
Platon
Platons Apologie Kriton und die Rahmenpartie des Phaidon : mit einer philosophisch-propaedeutischen Einführung in die Platonlektüre und in die vorsokratische Philosophie
Frankfurt am Main (Hirschgraben) 1952
2634
Platon / Guardini, Romano
Der Tod des Sokrates : eine Interpretation der platonischen Schriften Euthyphron, Apologie, Kriton und Phaidon
Godesberg 1947; Mainz,... ( Matthias-Grünewald-Verl. ) 1987
2633
Platon / Müller, A.
Apologie und Kriton, nebst Abschnitten aus Phaidon / Platon. Eingel. und komment. von Armin Müller
Teil: : Text
Münster (Aschendorff, ISBN: 3-402-02224-9)
2651
Platon / Rösiger
Apologie und Kriton. Platons Apologie und Kriton,nebst Abschnitten aus dem Phaidon und Symposion, hrsg. von Ferdinand Rösiger
Leipzig, u.a.: Teubner
- /Grie/plat/phaid_komp01.php - Letzte Aktualisierung: 17.07.2024 - 15:54 |