Zum Thema:
„Soll die Logik des Friedens der Logik des Krieges gehorchen?
Das ist die Frage, um die es geht, ihr Eleven der Diplomatie. Verträge sind sterblich, ihr wisst es, sind bloßes Papier. [...] Wägt also ab, entscheidet euch. Hier auf den Fragebogen Setzt eure Einsicht ins schwere Getriebe der Diplomatie.“ [Durs Grünbein, aus PAX AMERICANA, 1. Junge Diplomaten]
Kontext:
In Text I) behandelt Cicero im Rahmen der Frage, welche ethischen Forderungen an Ausmaß und Ausübung einer Strafe zu stellen sind (ulciscendi et puniendi modus), auch die Frage des gerechten Krieges. In diesem Argumentationszusammenhang bezieht er sich am Schluss auch auf das Fetialrecht (s. Anmerkung). In Text II) ist es ein christlicher Autor, der auf der Grundlage des Fetialrechts argumentiert.
Arbeitstexte:
Arbeitstext I
|
1 2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29 30
|
In re publica maxime conservanda sunt iura belli. Nam cum sint duo genera decertandi, unum per disceptationem, alterum per vim, cumque illud proprium sit hominis, hoc beluarum, confugiendum est ad posterius, si uti non licet superiore. Quare suscipienda quidem bella sunt ob eam causam, ut sine iniuria in pace vivatur, parta autem victoria conservandi ii, qui non crudeles in bello, non inmanes fuerunt, ut maiores nostri Tusculanos, Aequos, Volscos, Sabinos, Hernicos in civitatem etiam acceperunt, at Karthaginem et Numantiam funditus sustulerunt. Mea quidem sententia paci, quae nihil habitura sit insidiarum, semper est consulendum. In quo si mihi esset obtemperatum, si non optimam, at aliquam rem publicam, quae nunc nulla est, haberemus. Et cum iis, quos vi deviceris, consulendum est, tum ii, qui armis positis ad imperatorum fidem confugient, quamvis murum aries percusserit, recipiendi. In quo tantopere apud nostros iustitia culta est, ut ii, qui civitates aut nationes devictas bello in fidem recepissent, earum patroni essent more maiorum.
Ac belli quidem aequitas sanctissime fetiali populi Romani iure perscripta est. Ex quo intellegi potest nullum bellum esse iustum, nisi quod aut rebus repetitis geratur aut denuntiatum ante sit et indictum. |
Arbeitstext II (Lact.inst.div.6,9,3-4
= Cic.rep.3,20)
|
1 2
3
4
5
6
|
Quantum ab iustitia recedat utilitas, populus ipse Romanus docet, qui per fetiales bella indicendo et legitime iniurias faciendo possessionem sibi totius orbis comparavit. Verum hi iustos se putant, si contra leges suas nihil faciant. |
Angaben:
-
zur Ãœbersetzung s. Cic.off.1,34-36 2 decertare – einen Streit entscheiden | 3 disceptatio, onis, f – Verhandlung, Diplomatie | 9 conservandi <sunt> | 10 Tusculani – Tusculaner,... (Nachbarstämme der Römer) | 13 funditus (Adv.) – von Grund auf | 15 in quo – darin (in diesem Grundsatz) | si non... at <tamen> - wenn schon nicht... so doch wenigstens | 18f. Gliederung: cum... tum... | 21 aries, etis, m – Widder, Mauerbrecher (Kriegsmaschine, um eine feindliche Stadtmauer zu durchbrechen) | 26 ius fetiale – Den Fetialen (fetiales) oblag es, nach den stark formalisierten Regeln des Fetialrechts Kriege zu erklären und Bündnisse abzuschließen. So musste z.B. jeder Kriegserklärung das „res repetere“ vorausgehen |
-
3 nihil contra facere – nicht zuwider handeln
Aufgabenvorschläge:
- Zum Textverständis
- Welche Abwägung nimmt Cicero zwischen den beiden grundsätzlichen Möglichkeiten der politischen Konfliktlösung (decertandi) (in Z. 1-6) vor?
Die beiden Möglichkeiten
der Konfliklösung (duo genera decertandi) beruhen auf 1.) Diplomatie (per disceptationem)
und zweitens auf physischer Gewaltanwendung
(per vim). Die zweite Lösung
ist dem Menschen nicht angemessen
(„proprium... beluarum“) und daher nur als ultima
ratio (si uti non licet superiore)
vertretbar.
- Welche Schlussfolgerungen („quare“) zieht er daraus im Folgetext für die Rechtfertigung eines Krieges?
Nur der Frieden kann das einzig legitime Ziel der
Politik sein (paci... semper est
consulendum). Der Krieg kann nur
letztes Mittel zu dem Zweck sein,
einen gerechten Frieden zu garantieren
(ut sine iniuria in pace vivatur).
Allen, die die Grenzen des Menschlichen
achten (qui non crudeles in bello,
non inmanes fuerunt), steht
auch der Anspruch auf Leben und
Unversehrtheit der Person (conservandi)
zu.
- Untersuchen Sie allgemein das Begriffsfeld von „fides“ (Wörterbuch) und speziell die Bedeutung(en), die es bei seiner zweimaligen Verwendung im Textzusammenhang (Z.20; 24) haben muss!
Fides bezeichnet
die Verlässlichkeit in allen privaten und staatlichen Bereichen zwischen den einzelnen Mitgliedern
dieser jeweiligen Gemeinschaft:
Wenn ich jemandes Wort Glauben schenke,
erweise ich fides. Ich besitze fides,
wenn ich mir Glaubwürdigkeit
und den Ruf der Ehrlichkeit erworben
habe. Diese fides (Vertrauenswürdigkeit)
ist die Voraussetzung, dass meine
Versprechen und Zusagen ernst genommen
werden. Somit ist fides auch die
moralische Grundlage des Geschäfts-
und Finanzwesens (z.B. Kredit),
die ihre juristische Entsprechung
in einem Vertrag findet. Ihre soziale
Ausprägung findet sie bei den
Römern im Verhältnis des
patronus zu seinen clientes, das
allein auf gegenseitigem Vertrauen
beruht. Hier kommt die Bedeutung
ins Spiel, die der Text meint: Der patronus bietet seinen
clientes sozialen und juristischen
Schutz und sichert sich so ihre
politische Loyalität. Dieses
Klientelverhältnis lässt
sich auf das Verhältnis fremder
Völker zur res publica Romana
übertragen (civitates aut nationes
... in fidem recipere). Es handelt
sich um die spezifisch römische
Form der gewaltfreien (armis depositis)
Wahrung des Friedens nach innen
und außen.
- Wie argumentiert Cicero mit dem Fetialrecht (T.ext I, Z. 22ff.)? Wie unterscheidet sich die Argumentation des christlichen Autors in Text II?
Für Cicero ist die strenge Anwendung des
Fetialrechts Voraussetzung und Beweis
für die Rechtmäßigkeit
(aequitas) eines Krieges: Es muss
die Forderung nach einem friedlichen
Schadensausgleich (rebus repetitis)
vorausgehen und eine strenge Form
der Kriegserklärung (denuntiatum
ante et indictum) eingehalten werden. Der Gerechtigkeitsbegriff
(iustitia) des christlichen Autors
ist weniger formalistisch (bloße
Einhaltung von Gesetzen). Er verurteilt
den römischen Imperialismus
prinzipiell als Unrecht und hält
das Fetialrecht nur für ein
Feigenblatt (legitime iniurias faciendo).
- Z.4ff. formuliert Cicero einen Grundsatz politischen Handelns („Quare suscipienda quidem bella ... conservandi <autem> ii...“), der an die Wesensbestimmung erinnern kann, die in Vergils Aeneis dem Römer zugewiesen wird. („Excudent alii..“ und dann besonders: “Tu regere...“)
- In welchem Buch und in welchem Sachzusammenhang finden sich die angesprochenen Verse bei Vergil?
Im 6. Buch der Aeneis (Unterweltsbuch), Römerschau
- Vervollständigen Sie das Zitat nach Möglichkeit aus dem Gedächtnis (zumindest deutsch, zumindest sinngemäß)!
Wie Vergil rechtfertigt
Cicero die Anwendung militärischer
Macht zur Herstellung eines gerechten
und sicheren Friedens (sine iniuria
pax, und später: pax, quae nihil habitura sit insidiarum).
Allerdings argumentiert Cicero mit
dem Recht, das für ihn letztlich
in der Natur begründet ist.
Für Vergil liegt der Grund
noch tiefer im Willen der Götter
(fatum) beschlossen.
- Inwiefern könnte Durs Grünbein mit seinem Titel PAX AMERICANA auf die Friedensvorstellungen bei Cicero und Vergil anspielen?
Der Titel ist
eine bewusste Anleihe an dem Römerprogramm
der „PAX ROMANA“. Er kann deswegen
auch ambivalent interpretiert werden:
im Sinne des christlichen Autors
als der Versuch, den militärischen
und politischen Einfluss Amerikas
global zu etablieren, im Sinne Vergils
das Bemühen, Recht, Frieden
und die Werte einer humanen Lebensgemeinschaft weltweit zu verteidigen.
- Z. 15f gebraucht Cicero zum einen den Begriff der „optima res publica“, zum anderen glaubt er, verdiene der gegenwärtige Zustand Roms nicht einmal die Bezeichnung „res publica“. Beantworten Sie aus Ihrer Kenntnis von Ciceros Staatsschrift „de re publica“:
- welche Definitionsmerkmale erfüllt sein müssten, dass man überhaupt von einer „res publica“ sprechen kann; bzw. welche er in der Gegenwart nicht erfüllt glaubt, so dass man von einer „res publica amissa“ sprechen müsse?
Nach Cic.rep.1,39
ist nicht jeder beliebige Zusammenschluss
von Menschen (omnis hominum coetus)
bereits eine res publica, vielmehr
müsse sie eine Rechtsgemeinschaft
und eine Zweckgemeinschaft (iuris
consensu et utilitatis communione
sociatus) sein. Beides ist in der
Zeit der Bürgerkriege, die
Cicero vor Augen hat, auseinander
gebrochen. An die Stelle des gemeinsamen
Rechts und gemeinsamer Interessen
(Ciceros politisches Programm der
concordia ordinum) ist die Machtgier
der großen Männer gerückt,
die den Staat als private Beute ansehen.
- welches Bild einer „optima res publica“ Cicero dort entwickelt!
Jede Einzelverfassung,
die die grundlegenden Merkmale eines
Staates erfüllt, ist für
Cicero als „aliqua res publica“
hinnehmbar, sie ist „non optimum
quidem, sed tolerabile tamen“ (Cic.rep.1,42).
Jede einzelne Staatsform hat ihre
Vorzüge, aber auch eine negative
Kehrseite. Daher ist die gemischte
Verfassung, die die positiven Vorzüge
der einzelnen Verfassungen verbindet,
die beste (genus..., quod erit aequatum
et temperatum ex tribus optimis
rerum publicarum modis“ Cic.rep.1,69).
- Lässt sich erkennen, in welchem Sinn Cicero, obwohl er gewiss kein „Eleve der Diplomatie“ ist, (in Text I) in der von Durs Grünbein aufgeworfenen Frage: „Soll die Logik des Friedens der Logik des Krieges gehorchen?“ die geforderte Abwägung vornimmt?
Cicero entscheidet
sich für die Umkehrung des Satzes:
Obwohl das Verhältnis von Krieg
und Frieden reziprok ist, hat die Logik
des Friedens (Rechtsgemeinschaft, Interessengemeinschaft,
Partizipation aller an den politischen
Entscheidungen bei gleichzeitiger Achtung
der „dignitatis gradus“, fides als grundlegender Wert
menschlischer Gemeinschaft) den absoluten
Vorrang. Um den Frieden muss man sich
immer, d.h. prinzipiell bemühen
(Z.13ff.: paci, quae nihil habitura sit
insidiarum, semper est consulendum),
Krieg aber ist der Ausnahmefall. Ihn darf man nur aus gegebenem Grund
führen (Z.5f.: ob eam causam, ut...).
Dass Verträge “sterblich“ sind,
d.h., dass der auf fides beruhende Frieden
brüchig ist, ist kein hinreichender
Grund, die Priorität von Krieg
und Frieden auf den Kopf zu stellen.
|
|
|
|