8. Iphis (9,666-797) | ||
Fama novi centum Cretaeas
forsitan urbes implesset monstri, si non miracula nuper Iphide mutata Crete propiora tulisset. proxima Cnosiaco nam quondam Phaestia regno |
Leicht wohl hätte
der Ruf von der Wundergeschichte die hundert Kretischen Städte erfüllt, wenn nicht in der Iphis Verwandlung Kreta hätte gezeigt erst neulich ein näheres Wunder. Phaistos' Gebiet, das nah beim gnosischen Reiche gelegen, |
|
progenuit tellus ignotum
nomine Ligdum, ingenua de plebe virum, nec census in illo nobilitate sua maior, sed vita fidesque inculpata fuit. gravidae qui coniugis aures vocibus his monuit, cum iam prope partus adesset. |
Hatte den Ligdos gezeugt
vor Zeiten, der niederen Bürger Einen, von keinem gekannt. Auch war nicht größer der Reichtum, Als sein Adel es war; doch stand er im Leben und Wandel Rein von Tadel und Schuld. Der sprach zu der schwangeren Gattin Also das mahnende Wort, als nahte die Zeit der Entbindung: |
|
'quae voveam, duo sunt:
minimo ut relevere dolore, utque marem parias. onerosior altera sors est, et vires fortuna negat. quod abominor, ergo edita forte tuo fuerit si femina partu, - invitus mando; pietas, ignosce! - necetur.' |
"Zwiefach ist mein
Wunsch: dass wenig von Schmerzen du leidest Und mir ein Knäblein bringst. Das andre Geschlecht ist zur Bürde, Und es versagt uns Mittel das Glück. Wenn also - der Himmel Wahre davor! - du ein Mädchen gebierst - mit weigerndem Herzen Sag' ich es; Vatergesinnung, vergib -, so sei es getötet." |
|
dixerat, et lacrimis
vultum lavere profusis, tam qui mandabat, quam cui mandata dabantur. sed tamen usque suum vanis Telethusa maritum sollicitat precibus, ne spem sibi ponat in arto. certa sua est Ligdo sententia. iamque ferendo |
Also sagte der Mann,
und sie netzten mit Tränen das Antlitz, Er, der solches befahl, wie sie, der solcher Befehl ward. Eitle Bitten indes bei dem Gatten versucht Telethusa Unablässig, ihr nicht so eng zu beschränken die Hoffnung. Ligdos beharrt bei seinem Entschluss. Schon konnte die Mutter |
|
vix erat illa gravem
maturo pondere ventrem, cum medio noctis spatio sub imagine somni Inachis ante torum, pompa comitata sacrorum, aut stetit aut visa est. inerant lunaria fronti cornua cum spicis nitido flaventibus auro |
Kaum noch tragen den
Schoß, mit der zeitigen Bürde belastet, Als in der Mitte der Nacht im Gebilde des Traums vor dem Lager Inachos' Tochter ihr stand, vom Gefolge der Ihren begleitet, Oder zu stehn doch wenigstens schien. Mondähnliche Hörner Zierten die Stirn und gefügt zu Ähren von glänzendem Golde |
|
et regale decus; cum
qua latrator Anubis, sanctaque Bubastis, variusque coloribus Apis, quique premit vocem digitoque silentia suadet; sistraque erant, numquamque satis quaesitus Osiris, plenaque somniferis serpens peregrina venenis. |
Prangende Königszier.
Mit kamen der Beller Anubis, Apis gefleckt am Leib und die heilig verehrte Bubastis, Auch, der bannet den Laut und Schweigen gebeut mit dem Finger, Klappern dazu und der nie zur Genüge gesuchte Osiris Und mit dem Schlaf einflößenden Gift die ägyptische Schlange. |
|
tum velut excussam somno
et manifesta videntem sic adfata dea est: 'pars o Telethusa mearum, pone graves curas, mandataque falle mariti. nec dubita, cum te partu Lucina levarit, tollere quicquid erit. dea sum auxiliaris opemque |
Da hob an die Göttin
zu ihr, die wie aus dem Schlummer Plötzlich erwacht klar sah: "Telethusa, du eine der Meinen, Lass die befangende Furcht und umgehe des Gatten Befehle. Hebe getrost nur auf, sobald dich entbindet Lucina, Was es auch sei! Ich bin die helfende Macht und gebeten |
|
exorata fero; nec te
coluisse quereris ingratum numen.' monuit, thalamoque recessit. laeta toro surgit, purasque ad sidera supplex Cressa manus tollens, rata sint sua visa, precatur. Ut dolor increvit, seque ipsum pondus in auras |
Bin ich zum Beistand
nah, und des Undanks sollst du die Gottheit, Die du verehrst, nicht zeihn." So mahnend verließ sie die Kammer. Froh aufstehend erhebt die Kreterin saubere Hände Demutsvoll zu den Sternen und fleht um des Traumes Erfüllung. Wie sich die Schmerzen gemehrt und die Bürde sich selber zum Lichte |
|
expulit, et nata est
ignaro femina patre, iussit ali mater puerum mentita. fidemque res habuit, neque erat ficti nisi conscia nutrix. vota pater solvit, nomenque inponit avitum: Iphis avus fuerat. gavisa est nomine mater, |
Drängt und ein Mädchen
erscheint, darum nicht wusste der Vater, Heißt es die Mutter erziehn als erlogenen Knaben, und Glauben Fand der Betrug, und der Amme allein war kund das Geheimnis. Ligdos erfüllt sein Gelübde und nennt das Kind nach dem Ahne: Iphis war er genannt. Lieb war der Name der Mutter, |
|
quod commune foret,
nec quemquam falleret illo. inde incepta pia mendacia fraude latebant. cultus erat pueri; facies, quam sive puellae, sive dares puero, fuerat formosus uterque. Tertius interea decimo successerat annus: |
Weil im Zweifel er ließ,
und keinen mit diesem sie täuschte. So blieb undurchschaut durch frommen Betrug die Verhehlung. Knaben gemäß war die Tracht; das Antlitz, sei es dem Mädchen Oder dem Knaben verliehen, schön musste ein jedes erscheinen. Als drei Jahre bereits nun waren gefolgt auf das zehnte, |
|
cum pater, Iphi, tibi
flavam despondet Ianthen, inter Phaestiadas quae laudatissima formae dote fuit virgo, Dictaeo nata Teleste. par aetas, par forma fuit, primasque magistris accepere artes, elementa aetatis, ab isdem. |
Wird dir, Iphis, verlobt
von dem Vater die blonde Ianthe, Die, von Telestes gezeugt dem Diktaier, an Gabe der Schönheit Weit die gepriesenste war von den Jungfraun allen in Phaistos. Gleich war Alter dem Paar und Gestalt, und die früheste Bildung Lernten sie auch und des Wissens Beginn bei den nämlichen Lehrern. |
|
hinc amor ambarum tetigit
rude pectus, et aequum vulnus utrique dedit, sed erat fiducia dispar: coniugium pactaeque exspectat tempora taedae, quamque virum putat esse, virum fore credit Ianthe; Iphis amat, qua posse frui desperat, et auget |
So schlich Liebe sich
ein in die jungen Gemüter, und beide Litten sie gleich vom Drang, doch ungleich war die Erwartung. Froher Vereinigung harrt und bedungener Fackeln Ianthe, Und den vermeintlichen Mann hofft bald sie den ihren zu nennen. Iphis ersehnt, was sie niemals hofft zu genießen, und steigert |
|
hoc ipsum flammas,
ardetque in virgine virgo, vixque tenens lacrimas 'quis me manet exitus,' inquit 'cognita quam nulli, quam prodigiosa novaeque cura tenet Veneris? si di mihi parcere vellent, parcere debuerant; si non, et perdere vellent, |
Dadurch eben die Glut,
und die Jungfrau brennt für die Jungfrau. Kaum jetzt hält sie die Tränen und spricht: "Was harrt für ein Ausgang Mein, die denket an neuen Verein mit nimmer erhörtem Unnatürlichem Wunsch? Ach, wollten die Götter mich schonen, Hätten sie töten mich müssen; und wollten sie nicht mich töten, |
|
naturale malum saltem
et de more dedissent. nec vaccam vaccae, nec equas amor urit equarum: urit oves aries, sequitur sua femina cervum. sic et aves coeunt, interque animalia cuncta femina femineo conrepta cupidine nulla est. |
Mussten sie schicken
ein Leid, das Natur gut heißet und Sitte. Nie treibt Liebe die Kuh zur Kuh, zur Stute die Stute; Wollvieh brennt für den Widder; nachgeht dem Hirsche die Hindin; Vögel begatten sich so, und unter den sämtlichen Tieren Ist kein Weibchen von Brunst nach anderem Weibchen ergriffen. |
|
vellem nulla forem!
ne non tamen omnia Crete monstra ferat, taurum dilexit filia Solis, femina nempe marem. meus est furiosior illo, si verum profitemur, amor. tamen illa secuta est spem Veneris; tamen illa dolis et imagine vaccae |
Wär' ich nicht
auf der Welt! Und doch, dass Kreta erzeuge Jegliche Unnatur, Sols Tochter begehrte des Stieres, Freilich des Mannes das Weib. Mich treibt, zu gestehen die Wahrheit, Mehr denn sie sinnraubende Glut: sie durfte doch hoffen Auf den Genuss; sie paarte sich doch in dem Bilde der Färse |
|
passa bovem est, et
erat, qui deciperetur, adulter. huc licet ex toto sollertia confluat orbe, ipse licet revolet ceratis Daedalus alis, quid faciet? num me puerum de virgine doctis artibus efficiet? num te mutabit, Ianthe? |
Schlau mit dem Stier,
und es war ihr vergönnt, zu verführen den Buhlen. Fände der Scharfsinn hier sich zusammen von allen den Landen, Flöge zurück auch Daidalos selbst mit den wächsernen Schwingen: Was kann Daidalos tun? Kann mich vom Mädchen zum Knaben Wandeln die schaffende Kunst? Kann dich sie verwandeln, Ianthe? |
|
'Quin animum firmas,
teque ipsa recolligis, Iphi, consiliique inopes et stultos excutis ignes? quid sis nata, vide, nisi te quoque decipis ipsam, et pete quod fas est, et ama quod femina debes! spes est, quae faciat, spes est, quae pascat amorem. |
Warum stählest
du nicht dein Herz und ermannest dich selber, Iphis, und drängst aus dem Herzen die Glut so töricht und ratlos? Sieh, wie Natur dich schuf, wenn nicht auch selbst du dich täuschest; Trachte nach Möglichem nur und dem Weibe Geziemendes liebe. Hoffnung allein ruft Liebe hervor, nur Hoffnung erhält sie. |
|
hanc tibi res adimit.
non te custodia caro arcet ab amplexu, nec cauti cura mariti, non patris asperitas, non se negat ipsa roganti, nec tamen est potiunda tibi, nec, ut omnia fiant, esse potes felix, ut dique hominesque laborent. |
Diese benimmt das Geschlecht.
Dich hält nicht wachende Aufsicht, Noch auch die Hut des besorgten Gemahls, noch die Härte des Vaters Ab von dem süßen Umfangen; nicht weigert sich selbst die Begehrte. Dennoch bleibt dir versagt ihr Besitz; ob alles geschähe, Dein wird nimmer das Glück, und mühten sich Götter und Menschen. |
|
nunc quoque votorum
nulla est pars vana meorum, dique mihi faciles, quicquid valuere, dederunt; quodque ego, vult genitor, vult ipsa, socerque futurus. at non vult natura, potentior omnibus istis, quae mihi sola nocet. venit ecce optabile tempus, |
Zwar ist mir zur Zeit
nicht einer der Wünsche vereitelt: Gnädig gewährten mir, was nur sie vermochten, die Götter; Was ich will, will sie, der Erzeuger, der künftige Schwäher. Doch die Natur will's nicht, die mächtiger ist als sie alle; Sie nur steht mir im Weg. Es erscheint die erwartete Stunde; |
|
luxque iugalis adest,
et iam mea fiet Ianthe - nec mihi continget: mediis sitiemus in undis. pronuba quid Iuno, quid ad haec, Hymenaee, venitis sacra, quibus qui ducat abest, ubi nubimus ambae?' pressit ab his vocem. nec lenius altera virgo |
Da ist der Hochzeitstag;
mein wird nun werden Ianthe; Doch eins werden wir nicht. Wir dürsten inmitten der Wellen. Ach, was naht ihr dem Fest, Hymenaios und ehliche Iuno, Wo kein Bräutigam ist und wo zwei Bräute sich freien?" Damit schwieg ihr Mund. Glut wallt in der anderen Jungfrau |
|
aestuat, utque celer
venias, Hymenaee, precatur. quae petit, haec Telethusa timens modo tempora differt, nunc ficto languore moram trahit, omina saepe visaque causatur. sed iam consumpserat omnem materiam ficti, dilataque tempora taedae |
Ebenso heiß, und
sie wünscht, dass bald du erscheinst, Hymenaios. Fürchtend, was diese ersehnt, stellt weitere Frist Telethusa, Sucht durch erdichtete Krankheit Verzug; nimmt dann sich zum Vorwand Träume und Vorzeichen oft. Nun hatte sie aber den Vorrat Schlauer Erfindung erschöpft; die verschobene Zeit der Vermählung |
|
institerant, unusque
dies restabat. at illa crinalem capiti vittam nataeque sibique detrahit, et passis aram complexa capillis 'Isi, Paraetonium Mareoticaque arva Pharonque quae colis, et septem digestum in cornua Nilum: |
Rückte heran, und
es blieb ein Tag noch. Da von dem Haupte Zieht sie die Binde des Haars sich selber herab und der Tochter, Und sie beginnt, den Altar mit entfesselten Haaren umfassend: "Isis, die du bewohnst mareotische Fluren und Pharos Und Paraitonion liebst und den siebengemündeten Nilstrom, |
|
fer, precor,' inquit
'opem, nostroque medere timori! te, dea, te quondam tuaque haec insignia vidi cunctaque cognovi, sonitum comitantiaque aera sistrorum, memorique animo tua iussa notavi. quod videt haec lucem, quod non ego punior, ecce |
Hilf, so fleh' ich zu
dir, und lass von der Furcht uns genesen! Vormals sah ich dich schon, o Göttin, und dies dein Geräte; Alles, der Klappern Getön und die Fackeln des folgenden Zuges, Nahm ich wahr und behielt dein Geheiß im gedenkenden Herzen. Dass sie schaut das Licht, dass mich nicht Strafe getroffen, |
|
consilium munusque
tuum est. miserere duarum, auxilioque iuva!' lacrimae sunt verba secutae. visa dea est movisse suas (et moverat) aras, et templi tremuere fores, imitataque lunam cornua fulserunt, crepuitque sonabile sistrum. |
Ist dein Rat, ist Gabe
von dir. Erbarme dich beider, Stehe mit Hilfe uns bei!" Und es folgten Tränen den Worten. Da schien ihren Altar zu bewegen die Göttin - und wirklich War's auch so -, und das Tor am Tempel erbebt, und die Hörner Ähnlich dem Mond sind licht, und es rasselt die tönende Klapper. |
|
non secura quidem,
fausto tamen omine laeta mater abit templo. sequitur comes Iphis euntem, quam solita est, maiore gradu, nec candor in ore permanet, et vires augentur, et acrior ipse est vultus, et incomptis brevior mensura capillis, |
Ruhig noch nicht, doch
froh des glücklichen Zeichens begibt sich Jene vom Tempel hinweg. Ihr folgt als Begleiterin Iphis, Aber mit größerem Schritt als sonst; auch bleibet die Weiße Nicht im Gesicht, und es mehrt sich die Kraft, und die Mienen erhalten Schärferen Zug und kürzeres Maß die entbundenen Haare. |
|
plusque vigoris adest,
habuit quam femina. nam quae femina nuper eras, puer es! date munera templis, nec timida gaudete fide! dant munera templis, addunt et titulum: titulus breve carmen habebat: dona puer solvit, quae femina voverat Iphis. |
Mut auch, wie er im
Weib nicht war, drängt jetzt; denn ein Jüngling Bist du, die du ein Weib jüngst warst. Bringt Gaben zum Tempel, Freut euch vollen Vertrauens! Sie kommen mit Gaben zum Tempel; Inschrift setzen sie auch. Die fasste den kurzen Gedenkspruch: "Was er als Mädchen gelobt, hier widmet es Iphis als Jüngling." |
|
postera lux radiis
latum patefecerat orbem, cum Venus et Iuno sociosque Hymenaeus ad ignes conveniunt, potiturque sua puer Iphis Ianthe. |
Wiederum hatte das Licht
mit den Strahlen erschlossen den Erdkreis, Als zum Vermählungsfest Hymenaios und Venus und Iuno Kommen und Iphis als Mann sich vereinigt mit seiner Ianthe. |
|