Die Athener Demokratie war der Versuch, Freiheit (ἐλευθερία)
Gleichheit (ὁμοιότης) und Unabhängigkeit (αὐτονομία
) für die Bürger einer Polis (πόλις) zu verwirklichen.
Die Bürger einer Polis betrachteten sich nicht einfach als eine territoriale
oder juristisch-politische Einheit, sondern auch als eine Einheit nach Abstammung,
genau wie die alten Geschlechter und Stämme (αἱ φυλαί). Dadurch
wird auch verständlich, dass für Sklaven (δοῦλοι), aber auch für
die freien Fremden (Metöken - μέτοικοι), Bürger- und politische
Rechte gar nicht in Frage .kamen. Darüber hinaus verfügten auch die Frauen
- obwohl sie die Hälfte der Athener Bürgerschaft ausmachten - über keine
politischen Rechte. Politische Rechte besaßen also nur die männlichen Bürger
über 20 Jahren, die sogenannten Politen (Vollbürger- πολῖται).
Alle politischen Institutionen bekamen ihren Wirkungsbereich
in der Art, wie er auf den folgenden Seiten beschrieben wird, im Jahre 508
v. Chr. nach einer Verfassungsreform des Kleisthenes. Kernstück war die Neugliederung
ganz Attikas. Attika wurde in 174 Demen (δῆμοι) eingeteilt, diese wurden
in zehn ungefähr gleich große Phylen zusammengefasst. Jede Phyle war noch
einmal in drei Trittyen unterteilt. Die drei Teile waren Stadt (Asty - ἄστυ
), Küste (Paralia - παραλία) und Binnenland (Mesogeion,
Mesogaia - μεσόγαια).
Zweck dieser kompliziert scheinenden Ordnung war eine möglichst gleichmäßige
Verteilung der Bürgerschaft in den politischen Ämtern, ohne landschaftliche
oder berufliche Gruppen zu benachteiligen. Die Phyle war nun ein Verband,
der im Rat der 500 (Boule - ἡ βουλή) und in der Volksversammlung (Ekklesia
- ἡ ἐκκλησία) jeweils ein Zehntel der verfügbaren Plätze beanspruchen
durfte, und zugleich eine militärische Einheit unter einem Strategen bildete.
Als Kultverband für den ihm zu-geteilten und namengebenden Heros führte
sie auch ein bescheidendes Eigenleben.
Boule und Ekklesia und auch das Volksgericht (Heliaia - ἡ
ἡλιαία ), die wesentlichen Institutionen der athenischen
Demokratie, befanden sich auf der Agora. Sie war der Mittelpunkt des öffentlichen
Lebens und religiöses, politisches und wirtschaftliches Zentrum Athens.
Nachdem die alte Agora (ἡ ἀγορά) des Theseus schon
im 7. Jh. v. Chr. nicht mehr genügte, gab Solon im 6.Jh. v. Chr. den
Auftrag, die Verwaltung an den Ort zu verlegen, der uns als die griechische
Agora bekannt ist und deren politischen Gebäude und Institutionen auf den
folgenden Seiten besprochen werden.
In mykenischer Zeit waren dort noch Begräbnisstätten.
Nachdem das Gelände von Solon erschlossen wurde, begannen Peisistratos
(um 600 527 v.Chr.) und seine Söhne, Altäre und Gebäude
für die Staatsverwaltung zu bauen. Kleisthenes (ausgehendes 6.Jh. v.Chr.) führte den Ausbau fort. Musische und dramatische Wettkämpfe
fanden auf einer Orchestra im Zentrum des Platzes statt. Ferner maßen
sich die Wettkämpfer und Athleten auf dem Stück des Panathenäenweges,
der die Agora durchzog. Nach den Perserkriegen war die Agora verwüstet,
aber Kimon (um 510 450 v. Chr.) förderte den Wiederaufbau. Jedoch
setzte unter Perikles (um
500 429 v. Chr.) eine Entlastung der Agora ein, weil er für die musischen und dramatischen Wettkämpfe das Dionysos-Theater errichten
ließ. Lykurg (Mitte des 4.Jh.v.Chr.) verlegte dann die Ekklesia auf
die Pnyx, die athletischen Wettkämpfe in das Stadion und die Pferderennen
nach Halipedon. Daneben ließ er die Agora in großem Umfang ausbauen.
Aber erst die Könige von Pergamon und Ägypten sorgten dafür,
dass das gesamte Marktleben unter Dach gebracht wurde. Sie ließen die
Buden der Händler abreißen und durch gewaltige Stoen ersetzen.
In hellenistischer und römischer Zeit entstanden noch weitere Neubauten.
Während 86 v. Chr. durch Sulla fast kein Schaden angerichtet wurde, wurde
die Agora durch die Brandschatzung der Heruler 267 n.Chr. zerstört.
Nun ein Zeitsprung ins Mittelalter: Zu dieser Zeit war die Agora völlig
überbaut. Im 19. Jh. n. Chr. erfolgten dann erste Freilegungen und Mitte des 2o. Jh. n.
Chr. wurden die Ausgrabungsarbeiten beendet.
nach: J. Tavlos, Athen
Nummer |
Name des Gebäudes |
Funktion des Gebäudes |
(37) |
Stoa Basileios |
Amtssitz des
Archon
Basileus |
(32) |
Altar des Zeus Agoraios |
Altar, an dem die Archonten
ihren Amtseid leisteten |
(31) |
Denkmal der Eponymen Heroen |
Aushängungsort von Gesetzen
und Verordnungen |
(7 ) |
Metroon |
Staatsarchiv |
(8) |
Neues Bouleuterion |
Tagungsort der Boule |
(9) |
Tholos |
Amtssitz der Prytanen |
(10) |
Strategeion |
Amtssitz der Strategen |
(15) |
Theseus-Tempel |
Tagungsort der Heliaia |
(44) |
Basilika |
Tagungsort eines Gerichts |
(35) |
Zwölf-Götter-Altar |
Abstimmungsplatz des
Ostrakismos |
(29) |
Odeion des Agrippa |
Stelle, an der früher die Ekklesia
zusammenkam |
(22) |
Panathenäenweg |
|
|
Ausgangspunkt des Rundgangs |
|
|
Strecke des Rundgangs |
|
- Das erste Gebäude, welches uns interessiert, liegt gleich an der Nordwestecke
der Agora. Es handelt sich dabei um die Stoa
Basileios (37). Die Stoa war eine 18 Meter lange, dorische
Halle aus der Mitte des 6. Jh. v. Chr. Die beiden rechts und links vorne vorspringenden
Flügel wurden erst Ende des 5. Jh. v. Chr. angebaut. An den Wänden
waren die Solonischen und Drakonischen Gesetze eingemeißelt. Bei Pausanias
erfahren wir, dass sich auf dem Ziegeldach dieser Halle Terrakottafiguren
befanden. Es waren Theseus, der Skiron ins Meer stürzt, und Hermes mit
Kephalos, der sehr schön gewesen und von der in ihn verliebten Hemera
geraubt worden sein soll (Paus. 1, 3, 1). Wir erfahren auch, dass hier der
Archon Basileus seinen Amtssitz hatte. Er trug den Namen des einstigen Königs
(Basileus) weiter und erbte auch dessen sakrale Funktionen. Er brachte die
meisten altüberlieferten Opfer für die Bürgerschaft dar, führte
die Aufsicht über die sakralen Stätten, organisierte die Mysterien
- die wichtigsten darunter waren die Eleusinischen - und die Lenaia, ein Fest
zu Ehren des Dionysos, an dem Komödien, später auch Tragödien
aufgeführt wurden. Er bereitete auch die mit den Festen verbundenen,
ursprünglich kultischen Charakter tragenden Fackellaufe vor und bestimmte
die Gymnasiarchen, die Festleiter. Er entschied in Fragen, die den Stammeskult
betrafen, und in Streitfällen die Besetzung priesterlicher Ämter,
Klagen wegen Gottlosigkeit (ajsevbeia) mussten bei ihm eingereicht werden.
Auch sonstige Klagen, Gerichtsverhandlungen und Strafangelegenheiten, die
den Staatskult betrafen, gehörten in seinen Machtbereich. Ebenso die
Verbrechen Mord und Totschlag, bei denen er als öffentlicher Ankläger
auftrat. Der wohl bekannteste Prozess, der hier geführt wurde, war im
Jahre 399 v. Chr. gegen Sokrates,
der der Asebie angeklagt und zum Tode verurteilt wurde. Der Archon Basileus
erbte" sozusagen das Privileg des Königs, über Leben
und Tod zu entscheiden. Bei Verhandlungen von Verbrechen, die vor den Areopag
gelangten - der nach den Reformen des Kleisthenes nur noch die Blutgerichtsbarkeit
behandelte - führte er den Vorsitz (Ath. Pol. 57, 1, 2).
Die anderen Archonten sind der Archon Eponymos, nach dem in den Dokumenten jeweils das
Jahr seiner Amtszeit benannt wurde. Sein Tätigkeitsbereich war neben einigen Funktionen
sakraler Art die vermögensrechtliche und familienrechtliche Gerichtsbarkeit. Der nächste
ist der Archon Polemarchos. Sein ursprünglicher Tätigkeitsbereich war die Leitung des
Heerwesens. Diese wurde im 5. Jh. v. Chr. auf die Strategen übertragen. Sechs
Thesmotheten ergänzen die Zahl des Kollegiums der Archonten auf neun. Ihr Wirkungsbereich
erstreckte sich auf die Rechtssprechung und Gesetzgebung.
Auf die letztgenannten Archonten kommen wir später noch mal bei der Besprechung der
Heliaia zurück, nun aber noch einige Fakten, die für alle Archonten gelten.
So war das Kollegium der Archonten, die oberste Körperschaft des aristokratischen
Staates, von der Demokratie übernommen worden. Genau wie in den vorangegangenen
Jahrhunderten standen die neun Archonten an der Spitze der Polis, allerdings
nur noch der Form nach, denn ihre Zuständigkeit, ihre tatsächliche Macht,
schrumpfte mit Beginn der Perserkriege immer mehr zusammen. Die ursprünglich
lebenslänglichen Ämter wurden zunächst auf zehn Jahre, dann auf ein Jahr
begrenzt. Ab 487/86 v. Chr. wurden die Archonten nicht mehr gewählt, sondern
durch das Los bestimmt, vorerst allerdings nur aus den Reihen der beiden
obersten Vermögensklassen, den Großgrundbesitzern (πεντακοσιομέδιμνος)
und den Rittern (ἱππεῖς).Diese Veränderung verdeutlicht, dass das
Amt der Archonten immer weniger die tatsächliche Staatsführung verkörperte.
Dreißig Jahre später, 457/56 v. Chr., wurde der Kreis der Auszulosenden
auf die dritte Vermögensklasse, die Jochbauern (ζευγίτης), erweitert.
In späterer Zeit erstreckte sich die Berechtigung, das Amt einzunehmen,
auf alle Politen, einschließlich der Arbeiter (θητικόν). Trotz
der Verringerung der tatsachlichen Macht galt es für jeden Politen als
große Ehre, wenn er durch das Los das Amt eines Archonten erlangte und
nach Ablauf des Amtsjahres Mitglied im Areopag werden konnte. Auch der Areopag
war ein Überbleibsel der Vergangenheit. Er hatte aber überhaupt keinen
Einfluss auf die politischen Geschäfte.
- Die Archonten mussten einen Amtseid leisten. Dies geschah vor dem Altar des
Zeus Agoraios (32). Zu ihm gelangen wir, wenn wir in
Richtung Süden weitergehen. Der Altar stand ursprünglich auf der Pnyx, die seit Lykurg
der Versammlungsplatz der Athener war, wurde später aber auf die Agora verlegt. Der Altar
stammt aus dem ausgehenden 4. Jh. v. Chr. Erhalten sind nur der Unterbau,
die Stufen und eine Altarwange. Aus diesen noch vorhandenen Teilen kann man schließen,
dass der Altar eine reiche Ornamentierung gehabt haben muss.
Bevor wir jetzt das Denkmal der Eponymen Heroen (31) betrachten, das direkt
vor dem Altar stand, erwähne ich noch einige Bestimmungen, die alle Beamten
betreffen, d.h. sie gelten nicht nur für die Archonten, sondern auch für
die später genannten Strategen. Bevor jemand ein Beamtenamt erhielt -ganz
gleich ob durch Wahl oder Losentscheidung - erfolgte eine Berechtigungsprüfung
(δοκιμασία). Sie bezog sich auf die Feststellung der bürgerlichen
Abstammung und war im allgemeinen Aufgabe der Heliaia, beziehungsweise im
Fall der Archonten der Boule und der Heliaia. In der Boule wurde offen und
bei der Heliaia durch geheime Abstimmung entschieden (Ath. Pol. 55, 1, 2,
4). Vor Amtsantritt hatten die Beamten einen Eid zu leisten, dass sie ihr
Amt redlich und unter Beachtung der Gesetze verwalten wollten. Niemand durfte
zu gleicher Zeit zwei Ämter innehaben und niemand durfte dasselbe Amt mehrmals
bekleiden. Ausgenommen waren die Befehlshaber der Streitmacht, die Strategen
(Ath. Pol. 62, 2). Die Beamten standen unter ständiger Kontrolle der Ekklesia.
Nach Ablauf der einjährigen Amtszeit waren sämtliche Beamten verpflicht,
einen Rechenschaftsbericht zu geben. Eine Besoldung erhielten die Beamten
nicht, aber eine nicht übermäßig hohe Vergütung stand ihnen für die
im öffentlichen Dienst verbrachte Zeit zu. Hierdurch wurde auch den Armen
die Möglichkeit gegeben, ihre Tagesarbeit liegen zu lassen und ihren staatsbürgerlichen
Verpflichtungen nachzukommen. So war auch keine fachliche Ausbildung nötig;
es waren alles Ehrenämter. Allenfalls waren im Staatsdienst tätige Sklaven
mit ihrer Sachkenntnis und Erfahrung vorhanden. Es gab keine Ämterlaufbahn,
keine Hierarchie und keine Bürokratie.
- Nach diesem Exkurs nun zur Betrachtung des Denkmals der Eponymen Heroen (31): Wie auf der Rekonstruktion auf der nächsten Seite zu sehen,
standen die Heroen nebeneinander auf einer Plattform aus Kalkstein. Die Plattform war von
einem Holzgitter mit steinernen Pfosten umgeben, die auf einem Steinfundament verankert
waren. Insgesamt war das Bauwerk etwa 21 Meter lang. Auf dieser Plattform standen, von
zwei Dreifüßen eingerahmt, die zehn attischen Heroen, die den zehn Phylen ihren Namen
gaben, daher auch der Name des Denkmals: Die Eponymen, die Namengebenden.
Die Heroen bzw. die Phylen hießen im einzelnen: Erechtheis, Aegeis, Pandionis,
Leontis, Akamantis, Oeneis, Kekropis, Hippothoontis, Aiantis und Antiochis, wie wir bei
Pausanias lesen können. Dort werden auch die Mythen der Heroen erzählt. Er schreibt
auch, dass in späteren Zeiten Phylen auch nach folgenden drei Männern benannt wurden:
- dem Myser Attalos, König von Pergamon, 269 197 v. Chr.,
- dem Ägypter Ptolemaios, 246 221 v. Chr. und
- dem Kaiser Hadrian 76 138 n. Chr. (Paus. 1, 5, 2 - 5).
Unter jedes Standbild konnte man weißgetünchte hölzerne Täfelchen mit Verordnungen
hängen, die die jeweilige Phyle betrafen. Aber auch allgemeingültige Gesetze wurden hier
für den Passanten lesbar ausgehängt.
- Vom Denkmal der Eponymen Heroen (31) führt der Weg zum Neuen Bouleuterion (8), dem Rathaus der Athener, durch ein
kleines Propylon seitlich am Metroon (7), dem Tempel der Göttermutter, vorbei. Die drei
südlichen Räume des Metroons (7) stehen an der Stelle des Alten Bouleuterions aus dem
Anfang des 5. Jh. v. Chr., welches nun als Staatsarchiv diente, in dem wichtige politische
Dokumente, Normalgewichte und Normalmaße aufbewahrt wurden. Das Neue Bouleuterion (8)
liegt direkt hinter dem Metroon (7) und wurde im Jahre 4o3 v. Chr. erbaut. Es war ein
rechteckiger Bau, der im Süden eine Säulenhalle hatte. Der Innenraum bestand aus einem
orchestraförmigen Bau, ähnlich dem Theater. Die Orchestra hatte einen Radius von 2,64
Meter und war von zwölf Sitzstufen umgeben.
Im Gegensatz zum Theater war aber das ganze Gebäude überdacht. Die Sitze
waren zuerst aus Holz, später dann aus Stein. Die Boule bildete mit der
Ekklesia das Herzstück der griechische Demokratie und löste das höchste
Regierungsorgan in der Aristokratie, den Areopag ab. Sie wurde von Solon
mit 400 Mitgliedern geschaffen, bestand aber seit der Verfassungsreform
des Kleisthenes aus 500 Mitgliedern. Aus jeder Phyle wurden für ein Jahr
lang 50 Ratsherrn gelost. Jeder Ratsherr erhielt nach jedem im Amt verbrachten
Tag ein Tagegeld, um den Verdienstausfall auszugleichen. Jeder Polite konnte
zweimal in seinem Leben Ratsherr werden. Auf den meisten Gebieten, bei denen
ein geregelter Arbeitsablauf erforderlich war, konnte die Boule Vorkehrungen
treffen, wenn das letzte Entscheidungsrecht der Ekklesia gewahrt blieb.
Außerdem bereitete die Boule die Ekklesia vor, indem sie die Probleme vordiskutierte
und Lösungsmöglichkeiten ausarbeitete (προβούλευμα), über
die die Ekklesia zu entscheiden hatte. Damit hatte die Arbeit der Boule
ordnende Auswirkung auf die Ekklesia. Die Boule musste mit Hilfe der Beamten
die Beschlüsse der Ekklesia durchführen. In einzelnen Fällen, die nicht
das Allgemeinwohl betrafen, bzw. von geringer Gewichtigkeit waren, gestattete
die Ekklesia der Boule eine gewisse Selbständigkeit und gewährte ihr sogar
einige Vollmachten. Die Boule kümmerte sich insbesondere um die Finanzverwaltung.
So verfügte sie über alles, was in die Staatskasse gelangte. Sie gab öffentliche
Bauten in Auftrag und übte die Aufsicht über die Häfen, die Reiterei
und die Flotte aus. Ferner unterhielt sie zu fremden Staaten diplomatische
Beziehungen, empfing die Gesandten und schloss Verträge mit ihnen. Aber
auch sie sorgte für sakrale Angelegenheiten und die Veranstaltung von Feierlichkeiten.
Die Beamten legten der Boule ihren Rechenschaftsbericht vor und bekamen
Anweisungen. Um aber die täglich anfallenden politischen Angelegenheiten
erledigen zu können, war die Boule nicht flexibel genug. Daher gab es noch
die sogenannten Prytanen; sie führten die Geschäfte des Staates. Die Prytanen
waren 50 Mann, also genau die Zahl der Abgeordneten einer Phyle. Nun existierten
10 Phylen und so führte jede Phyle die Geschäfte des Staates genau ein
Zehntel des Jahres, d.h. eine Prytanie lang. Für die Zeit einer Prytanie
wurde aus der Mitte der Boule ein Ratsschreiber gewählt (γραμματεὺς
τῆς βουλῆς). Seine Aufgabe war es, den anfallenden Schriftverkehr
zu erledigen, die Protokolle zu führen, die Volksbeschlüsse zu formulieren,
zu veröffentlichen und für ihre Aufbewahrung zu sorgen. Seit etwa Mitte
des 4. Jh. v. Chr. war der Schriftverkehr so umfangreich, dass zwei Schreiber
eingesetzt wurden, einer war der Schreiber des Rats", der andere
Schreiber für die Prytanie". Sie wurden auch nicht mehr gewählt,
sondern ausgelost (Ath. Pol. 54, 3 5).
- Da von den 50 Prytanen mindestens ein Drittel täglich auf der Agora anwesend sein
musste, um die Aufgaben erledigen zu können, besaßen sie ein spezielles Arbeitsgebäude,
den Tholos (9) oder das Prytanikon. Der
Tholos (9) befindet sich nahe beim Rathaus der 500 (Pausanias). Ursprünglich stand dort
als Prytanikon ein rechteckiges Gebäude. Das wurde aber im Jahre 465 v. Chr. durch einen
Rundbau von 18,32 Meter Durchmesser, den Tholos (9), abgelöst. Der propylonartige Eingang
wurde erst im 1. Jh. v. Chr. angebaut. Der Tholos (9) hatte einen Fußboden aus
Marmorplatten, unten Porosquader-, oben Lehmziegelmauerwerk und war innen von sechs
Säulen gestützt. Die Säulen trugen ein konisches Dach, das mit eigens angefertigten,
rautenförmigen, reichbemalten Tonziegeln bedeckt war. Der Tholos (9) hatte neben einer
eigenen Wasserversorgung auch Aufenthalts-, Speise- und Küchenräume in der Nähe. Die
Küche war ein kleiner nördlicher Anbau. Sie war notwendig, da die Prytanen, weil
sie, wie gesagt, ständig anwesend sein mussten, auf Staatskosten während ihrer Amtszeit
verpflegt wurden. Die Prytanen opferten der Artemis Boulaia. Ihr Altar soll entweder in
der Mitte des Tholos (9) gestanden oder etwas weiter südöstlich davon gelegen haben. Die
Prytanen empfingen hier auch Gesandte aus anderen Städten, die, ebenso wie durch
Volksentscheid ausgezeichnete Bürger, hier bewirtet wurden. Die Boule einzuberufen, die
Tagesordnung aufzustellen und sich um außenpolitische Belange zu kümmern, lag in ihrem
Aufgabenbereich .Außerdem bestimmten sie täglich durch das Los ihren Vorsitzenden, den
Epistates, der zugleich Vorsitzender der Boule war, wenn die Boule an seinem Wahltag
tagte. Genauso verhielt es sich mit dem Vorsitz bei der Ekklesia, die durch ihn einberufen
wurde. Der Epistates war das Staatsoberhaupt. Von Amts wegen bewahrte er das Staatssiegel
und die Schlüssel jener Heiligtümer auf, in denen sich die Schatzkammer und das Archiv
befanden (Ath. Pol. 44, 1, 2).
- Wenn wir jetzt noch weiter in Richtung Süden auf dem Weg zur Pnyx und zum Areopag
gehen, treffen wir - fast außerhalb der Agora - auf den Platz, an dem man das Strategeion (10), das Amtshaus der Strategen, der
obersten Feldherren, annimmt. In den Rekonstruktionen wird es als Peristylon dargestellt.
Der Innenhof eines Peristylons war ein Garten oder ein gepflasterter Hof, der auf drei
Seiten von einer Säulenhalle umgeben war. An der vierten Seite befand sich ein Haupthaus.
Ursprünglich waren die Strategen nach der Reform des Kleisthenes nur
Befehlshaber der Armee; aufgrund der Perserkriege wuchs ihre Macht jedoch
ständig, und ihr Betätigungsfeld weitete sich von der militärischen
Leitung zur Finanz- und Außenpolitik aus. Somit gab es keine Trennung
mehr zwischen militärischen und zivilen Ämtern. Die Strategen konnten
an den Sitzungen der Boule teilnehmen und ihre Vorschläge der Ekklesia
unterbreiten. Entgegen der sonst üblichen Auslosung der Ämter wurden
sie namentlich gewählt, denn die Erfüllung ihrer Aufgabe setzte
außergewöhnliche persönliche Fähigkeiten voraus, und
das Vertrauen des ganzen Volkes war erforderlich. Deshalb war beim Strategenamt
auch eine Wiederwahl möglich. Im Prinzip war die Stellung der zehn Strategen
gleich, und sie genossen alle die gleichen Rechte. In der Praxis aber tat
sich einer hervor, der dann eine Sonderstellung einnahm und der politische
Führer wurde. Er konnte den Staat mit einer kontinuierlichen Politik
prägen, wie das z.B. Perikles 15 Jahre lang tat. Im Kriegsfall entschied die Ekklesia über die Verteilung
der Aufgaben an die einzelnen Strategen und speziell darüber, welcher
von diesen den bevorstehenden Feldzug anführen sollte. Denn war anfangs
ihr Wirkungsbereich einheitlich, so erfolgte schon früh eine Spezialisierung.
So gab es z.B. einen, der die Schwerbewaffneten beim Angriff führte,
einen, der über das Land wachte und, wenn Krieg auf das Land übergriff,
die Kriegsführung in der Hand hatte, einige, die für die Sicherung
der Häfen sorgten, und einen, der für die Kriegsschiffe zuständig
war (Ath. Pol. 61, 1) .Die Ekklesia stattete auch einen oder mehrere Strategen
mit außergewöhnlichen Rechten aus, die sogenannten Strategoi
Autokratores". Sie hatten das Recht, Angelegenheiten ihres Machtbereichs
unabhängig von Boule und Ekklesia zu lösen.
Unser Rundgang führt uns nun in Richtung Osten zur Heliaia, dem
Geschworenengericht. Es war das Bedeuternste, aber es gab ca. noch zehn weitere
Räumlichkeiten, in denen Gerichte tagen konnten, z.B. die Basilica (44). So ist
bekannt, dass an der Stelle der Basilica schon 425 v. Chr. eine Gerichtsstätte stand. Die
Heliaia entstand schon um 550 v. Chr. Der Ausdruck Heliaia kommt vom Sonnengott Helios,
denn das Gericht tagte von Sonnenaufgang bis -untergang.
- Aber nun zur Heliaia selbst, deren Identifikation noch nicht 100-prozentig
gelungen ist. Sie wird deshalb auf dem Plan als Theseus-Tempel (44) bezeichnet. Wir gehen aber davon aus, dass es sich um die Heliaia
handelt. Wie beim Strategeion (10) soll es sich auch hier um ein Peristylon
handeln, jedoch mit zehn Eingängen, für jede Phyle einer. Die Heliaia
bestand aus 6ooo Mitgliedern, die das 30. Lebensjahr vollendet haben mussten.
Sie wurden jährlich ausgelost, nachdem sie sich freiwillig gemeldet hatten,
und erhielten seit der Zeit des Perikles Diäten, deren Höhe dem Existenzminimum angepasst war. Dieses Gericht
verhandelte natürlich nicht in der Vollversammlung, sondern aus den 6ooo
Mitgliedern wurden zehn Abteilungen von ca. 500 Mitgliedern, manchmal weniger
in Ausnahmefällen mehr, je nach Wichtigkeit des Falles, ausgelost. Mit
den verbleibenden 1000 Mitgliedern wurden die Abteilungen ergänzt, wenn
die ordentlichen Mitglieder aus irgendeinem Grund fernblieben. Die zehn Abteilungen
wurden auf die einzelnen Gerichte verteilt. Die Verteilung erfolgte durch
das Lose. Das häufige Losen lässt sich damit begründen, dass
man alle Bürger, die an dem Gerichtsverfahren teilnahmen, von Einflüssen
und Bestechungen freizuhalten versuchte. Deshalb entwickelte man auch ein
ausgeklügeltes Losverfahren, das bei Aristoteles (Ath. Pol. 63
66) ausführlich beschrieben wird.
Den Vorsitz führten die Nomotheten. Ihre Aufgabe war es, die Verhandlungen
vorzubereiten, d.h. Übernahme der Klage, Zeugenvernehmung und Zusammentragen des
Beweismaterials; in einzelnen Fällen waren Archonten dafür zuständig: Der Archon
Eponymos verhandelte in Fällen des Vermögens- und Familienrechts. Dazu gehörten
unwürdiges Verhalten der Kinder gegenüber den Eltern, Benachteiligung der Waisen.
Veruntreuung deren Vermögens, im allgemeinen Sorge um Waisen und Witwen,
Vermögensverschwendung infolge Geistesgestörtheit, die Bestellung eines Vormundes oder
Verwalters, die Abwicklung von Erbteilung über Amtspersonen (Ath. Pol. 56, 6, 7).
Der Archon Basileus war zuständig in Fällen, die den Staatskult betrafen,
bei Asebie und bei Mord und Totschlag. Der Archon Polemarchos behandelte
die Fälle, die die Metöken oder die freigelassen Sklaven betrafen. Die
sechs Thesmotheten wurden hauptsächlich in Fällen von Gesetzwidrigkeit
(γραφὴ παρανόμων) feindlicher Tätigkeit (εἰσαγγελία
), Prüfung der Amtstauglichkeit der Beamten (δοκιμασία)
und bei der Prüfung der Rechenschaft der Strategen (εὔθυνα) tätig.
(Ath. Pol. 59, 2, 3).
Man unterschied zwei typen von Klagen: 1. Öffentliche Klagen (γραφαίv)
2. Zivilklagen. (ἴδιαι δίκαι). Der Hauptunterschied war, dass
bei einer öffentlichen Klage, wenn gegen das Interesse der Allgemeinheit
verstoßen worden war, irgendein Bürger die Klage einreichen konnte. Bei
der Zivilklage konnte nur der Geschädigte die Klage erheben, und in erster
Instanz entschied ein ausgeloster Schiedsrichter (διαιτητής).
Nur bei Einspruch kam die Angelegenheit vor die Heliaia. Öffentliche Klagen
waren z.B. Hochverrat, Volksbetrug (ἀπάτη τοῦ δήμου), Graphe
Paranomon, Asebie, Hybris, Dokimasia, aber auch schwerer Diebstahl, Schädigung
der Eltern, Waisen und Erbtöchter, Ehebruch und Kuppelei. Zivilklagen waren
Mord und Totschlag und auch ein Teil des Familienrechts. Bei einer öffentlichen
Klage fiel die Geldbuße oder der strittige Besitz im Falle, dass der Angeklagte
den Prozess verlor, der Staatskasse zu, wobei auch der Kläger am konfiszierten
Gut beteiligt wurde. Die Vollstreckung des Urteils besorgten die zuständigen
Beamten. Bei einer Zivilklage stand dem Prozessgewinner die verhängte Geldbuße
des Gerichts bzw. das Gut, um das geklagt worden war, zu. Er hatte auch
für die Vollstreckung des Urteils zu sorgen. Der Bürger erhielt sozusagen
eine Prämie, wenn er einen Prozess gewann. Dadurch wurde er angespornt,
Gesetzwidrigkeiten vor Gericht zu bringen. Allerdings musste der Ankläger
ein Gerichtsgeld hinterlegen, das er bei Verurteilung des Angeklagten zurück
erstattet erhielt. Damit war eine Sicherung gegen unangebrachte Klagen eingebaut.
Außerdem wurde der Ankläger sogar bestraft, wenn nicht mindestens ein
Fünftel der Richter für Bestrafung stimmte. Eine eingereichte Klage konnte
nicht mehr zurückgezogen werden. Vor dem Gericht musste jeder Bürger persönlich
erscheinen, unabhängig davon, ob er Kläger oder Angeklagter war. Die meisten
Bürger nahmen sich vor Gericht einen Beistand (κύριος προστάτης),
da sie sich nicht genügend in den Vorschriften auskannten und nicht rednerisch
geschult waren. Frauen und Metöken mussten sich einen Beistand nehmen.
Beide Parteien versuchten mit allen Mitteln, das Gericht zu beeinflussen,
z.B. durch das Mitbringen der Familie.
Bei Zivilklagen konnten für einen Tag vier Fälle vorgesehen werden, bei
öffentlichen Klagen stand der ganze Tag zur Verfügung, weil nur ein Fall
auf der Tagesordnung stand. Zu Beginn der Verhandlungen wurden die Parteien
aufgerufen, um bei der Verhandlung überflüssige Weitschweifigkeiten beider
Parteien zu vermeiden, wurde ein Eid geschworen, dass nur zur Sache geredet
würde. Außerdem wurde die Redezeit begrenzt, und mit einer Wasseruhr (ἡ
κλεψύδρα) kontrolliert. Die Länge der Redezeit wurde durch die
Wichtigkeit des Falls bestimmt und die Wichtigkeit bestimmte im allgemeinen
der Wert, um den der Prozess geführt wurde. Bei öffentlichen Klagen gab
es keine Redezeitbegrenzung, denn es war ja der ganze Tag vorgesehen. So
gehörte einfach ein Drittel der Zeit der Anklage, ein Drittel der Verteidigung
und ein Drittel dem Urteilsspruch und der Festlegung der Strafe (Ath. Pol.
67, 1, 2). Die Richte (δικαστής, ἡλιαστής) fällten nach
der Verhandlung in geheimer Abstimmung ihren Urteilsspruch. Bei der Abstimmung
waren die Vorsitzenden nicht stimmberechtigt. Besonders interessant war
auch die Abstimmungsmethode: Jeder Richter erhielt zwei Stimmsteinchen (ψῆφοι)
aus Bronze und zwar ein massives und ein durchbohrtes. Dies geschah vor
den Augen der streitenden Parteien, und so war eine Kontrolle gewährleistet.
Kurz vor der Abstimmung machte ein Ausrufer die im Streit liegenden Parteien
darauf aufmerksam, dass jetzt noch Einspruch möglich wäre, sobald die
Abstimmung begonnen habe, nicht mehr. Dann teilte er den Richtern mit, dass
die durchbohrten Abstimmungssteinchen der Klage, die massive der Verteidigung
gehörten. Nun warfen die Richter der Reihe nach in eine Bronzeamphore das
Steinchen der Partei, die ihrer Meinung nach im Recht war, und in eine Holzamphore
das andere, ohne die Steinchen den Prozessierenden noch einmal gezeigt zu
haben. Bei einer Anzahl von 500 Richtern muss das eine geräumige Zeit gedauert
haben. Nachdem jeder Richter seine Stimme abgegeben hatte , nahmen Gerichtsdiener
die Bronzeamphore, die die gültigen Stimmen enthielt, und schütteten den
Inhalt auf ein Zählbrett. Die Auszählung wurde vor den Augen der streitenden
Parteien vorgenommen, damit sie den Vorgang kontrollieren konnten. Nach
der Auszählung wurde zuerst die Zahl der durchbohrten Steinchen genannt,
mit denen für den Kläger gestimmt wurde, dann wurde die Zahl der massiven
genannte. Wer die meisten Stimmen hatte, war Gewinner des Prozesses. Bei
Stimmengleichheit wurde der Angeklagte freigesprochen. Der Verlierer konnte
nicht in die Revision gehen. Da das Gesetz die Strafe nicht immer vorschrieb,
folgte der Feststellung der Schuld häufig eine Abstimmung über die Höhe
der Strafe. Bei den Strafen handelte es sich meistens um Geldstrafen, aber
auch Verbannung oder Entzug des Bürgerrechts waren als Strafe möglich.
Gefängnisstrafe gab es nicht. Zur Entscheidung über das Strafmaß durfte
sowohl der Kläger, als auch der Angeklagte einen Vorschlag machen. Über
das Strafmaß wurde erneut abgestimmt. Dies war notwendig, da keine geordnete
Gesetzessammlung, in der alle Gesetze zusammengefasst waren, existierte
(Ath. Pol. 68, 69).
- Nachdem wir jetzt die Heliaia ausführlich besprochen haben, interessiert uns als
nächstes der Zwölf-Götter-Altar (35). Zu
ihm gelangen wir, wenn wir fast bis zu unserem Ausgangspunkt zurückgehen.
Wie
man sehen kann, war der Altar von einer Umfassungsmauer umgeben und lag im Zentrum.
 |
Die zwölf Götter waren die homerische Götterfamilie: Zeus
und Hera, Poseidon und Demeter, Apollon und Artemis, Ares und Aphrodite,
Hermes und Athene, Hephaistos und Hestia. Nach Thukydides ist er eine Weihung
der Peisistratiden (um 522/521 v. Chr.). Im Jahre 425 v. Chr. wurde er durch
die Perser zerstört, jedoch vom Demos Athen neu errichtet. Um diese
Zeit kam ein Altar für Eleos, die Gottheit des
Mitleids, hinzu, und der Altarbezirk gewährte von nun an Flüchtlingen
Asylrecht. Politisch lag seine Bedeutung darin, dass hier der Abstimmungsplatz
lag, auf dem das Scherbengericht (ὀστρακισμός) stattfand. Der Ostrakismos
wurde durch ein Gesetz des Kleisthenes zum Schutze der Verfassung eingeführt.
Er sollte verhindern, dass ein einzelner Bürger zuviel Macht auf sich
vereinigte oder die Tyrannis erstrebte. Der Ostrakismos wurde auf einer Hauptversammlung der Ekklesia
in der Mitte des Jahres beantragt. Die Abstimmung über den Antrag erfolgte
ohne vorherige Diskussion; wurde er angenommen, fand der Ostrakismos statt.
Bei der Volksabstimmung wurde dann auf Tonscherben (ὄστρακον) der Name eines
verdächtigten Bürgers geritzt und die Tonscherbe abgegeben. Bei
einer Abstimmung mussten 6ooo Stimmen auf den verdächtigten Bürger
fallen, damit sie gültig war. Sollten zwei Bürger mehr als 6ooo
Stimmen bekommen haben, musste der mit den meisten Stimmen für zehn
Jahre in die Verbannung, fielen auf keinen 6ooo Stimmen musste auch keiner
in die Verbannung. Der Verbannte verlor weder das Bürgerrecht noch
sein Vermögen. Die einzige gravierende Konsequenz war die politische
Kaltstellung für die Dauer von zehn Jahren. Danach konnte er wieder
nach Athen zurückkehren und politisch aktiv werden. Mit der Verbannung
des Hyperbolos, statt eines der beiden völlig zerstrittenen Staatsmänner
Nikias und Alkibiades,
im Jahre 417 v. Chr. war der Ostrakismos zur Farce geworden und wurde nicht
mehr angewandt.
- Der Rundgang über die Agora wäre nun beendet, nicht aber die Beschreibung
der politischen Institutionen. Denn auf der Agora tagte unter freien Himmel
- wahrscheinlich auf Holzbänken - die Ekklesia,
die Volksversammlung, bevor sie auf die Pnyx verlegt wurde. Sie wurde an
der Stelle, an der auf dem Plan das Odeion des Agrippa (29) abgebildet ist, abgehalten. Der Name Ekklesia bedeutet die Herausgerufenen,
denn früher gingen Herolde durch die Stadt und riefen die Politen zur Volksversammlung
zusammen. Ab 400 v. Chr. bekamen die Politen für ihre Anwesenheit bei der
Ekklesia eine Aufwandsentschädigung. Die Ekklesia umfasste die Gesamtheit
der Politen. Sie trat regelmäßig von Zeit zu Zeit zusammen, um die laufenden
Angelegenheiten zu erörtern und Entscheidungen zu treffen. Von außerordentlichen
Sitzungen (σύγκλητοι) abgesehen, kam die Ekklesia in jeder Prytanie
des Amtsjahres viermal zusammen; die erste einer jeden Prytanie war die
bedeutendste und ihr Ablauf gesetzlich geregelt. Sie diente dazu, darüber
abzustimmen, ob die Beamten ihr Amt entsprechend ausübten, ob über die
Getreideversorgung und Verteidigung des Landes beraten werden sollte und
ob Anzeigen über schwerwiegende staatsfeindliche Verbrechen (εἰσαγγελία)
zu untersuchen und zu entscheide seien. Wer wollte, konnte in das Verzeichnis
der Konfiskationsgüter einsehen, wie auch in die Zuteilungslisten der Erbschaften
und der Erbtöchter (Ath. Pol. 43, 4). Innerhalb der einzelnen Prytanien
wurden auf der zweiten, dritten und vierten Versammlung über verschiedene
Gesuche der Bürger, über religiöse Angelegenheiten und über Probleme
der äußeren und inneren Lage des Staates entscheiden. Bei jeder Ekklesia
besaßen die religiösen Angelegenheiten Priorität und wurden als erstes
behandelt. Fünf Tage vorher wurden Sitzungsort, Sitzungstag und die Tagesordnung
bekannt gegeben. Die Behandlungen der Angelegenheiten begannen mit der Bekanntgabe
der vorausgegangen Stellungnahme (προβούλευμα) der Boule. Stimmte
die Ekklesia mit ihr überein, war die Frage entsprechend der Empfehlung
der Boule bereits entschieden. Andernfalls eröffnete der Epistates die
Debatte. Jedermann war berechtigt, sich zur Sache zu äußern (Redefreiheit:
ἰσηγορία, παρρησία). Aber in der Praxis ergriffen nur
die zur Zeit bekannten Persönlichkeiten das Wort, denn diese waren rednerisch
geschult. In späterer Zeit ergriffen allerdings immer häufiger Demagogen
das Wort und die Entscheidungen wurden emotionalisiert. Nachdem sich die
Versammelten die Stellungnahme der Boule und die Ausführungen der Redner
angehört hatten, stimmte das Volk über den jeweiligen Vorschlag ab. Die
Abstimmung geschah durch das Heben der Hand (χειροτονία), bei
Entscheidungen über einzelne Personen jedoch in geheimer Abstimmung, nämlich
durch das Einwerfen von Abstimmungssteinen in eine Urne; die einfache Mehrheit
entschied. Jedoch gab es bei wichtigen Angelegenheiten für die Beschlussfähigkeit
Mindestzahlen von abgegebenen Stimmen. Grundlage der Entscheidungen der
Ekklesia waren Gesetze (νόμοι) oder Beschlüsse (ψηφίσματα).
Auf der 1. Ekklesia des Jahres konnte der Erlass neuer Gesetze beantragt
werden. Wenn das neue Gesetz nicht gegen gültiges Recht verstieß, wurde
über den entsprechenden Antrag in offener Abstimmung entschieden. Wurde
der Entwurf von der Ekklesia angenommen, kam er vor die Heliaia, die unter
Leitung der Gesetzgeber (Nomotheten) in Form einer Gerichtsverhandlung ihre
Entscheidung fällte. Ein Antrag, der auch von der Heliaia angenommen wurde,
erlangte Gesetzeskraft.
Damit wäre unser Rundgang über die Agora und die Beschreibung der
politischen Gebäude und Institutionen beendet.