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Grundpositionen epikureischer Philosophie

Physik

Die Materie und das Leere

Lucr.1,146-369

 
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1.) 146-158 Naturerkenntnis muss Unwissenheit und die damit verbundenen seelischen Ängste und Belastungen vertreiben. Der erste und wichtigste Grundsatz der Naturerkenntnis lautet aber, dass nichts (durch göttliches Wirken) aus nichts entstehen kann. 
    Übers.: K.L.v.Knebel

146

hunc igitur terrorem animi tenebrasque necessest
non radii solis neque lucida tela diei
discutiant, sed naturae species ratioque.
Principium cuius hinc nobis exordia sumet,
Durchaus müssen daher des Geistes Schrecken und Dunkel
Nicht durch die Strahlen der Sonne, des Tages leuchtende Pfeile,
Sondern sich durch der Natur Anschaun und Erkenntnis zerstreuen.
Diese gehet bei uns ursprünglich von folgendem Satz aus:
150

nullam rem e nihilo gigni divinitus umquam.
quippe ita formido mortalis continet omnis,
quod multa in terris fieri caeloque tuentur,
quorum operum causas nulla ratione videre
possunt ac fieri divino numine rentur.

Dass aus Nichts nichts wird, selbst nicht durch Willen der Götter.
Denn so enge beschränket die Furcht die Sterblichen alle, 
Da sie so viel der Erscheinungen sehn, am Himmel, auf Erden, 
Deren wirkenden Grund sie nicht zu erfassen vermögen,
Dass sie glauben, durch göttliche Macht sei dieses entstanden.
155 quas ob res ubi viderimus nil posse creari
de nihilo, tum quod sequimur iam rectius inde
perspiciemus, et unde queat res quaeque creari
et quo quaeque modo fiant opera sine divom.
Haben wir aber erkannt, dass aus Nichts nichts könne hervorgehn,
Werden wir richtiger sehn, wonach wir forschen; woraus denn,
Und wie, alles entsteh', auch ohne die Hülfe der Götter.
 
2.) 159-214 Beweisführung durch die Antinomie, zu der die entgegengesetzte Annahme führt: Es könnte alles aus allem entstehen. Aber in der belebten Natur herrscht keine Beliebigkeit, sondern Regelmäßigkeit.

 

159 Nam si de nihilo fierent, ex omnibus rebus Könnten aber aus Nichts die Dinge werden, so könnt' auch
160 omne genus nasci posset, nil semine egeret.
e mare primum homines, e terra posset oriri
squamigerum genus et volucres erumpere caelo;
armenta atque aliae pecudes, genus omne ferarum,
incerto partu culta ac deserta tenerent.
Alles aus allem entstehn - nichts brauchte des zeugenden Samens.
Menschen könnte das Meer, die Erde die schuppigen Fische
Zeugen und Vögel der Luft; dem Himmel entstürzten die Herden.
Aller Tiere Geschlecht, die wilden sowohl als die zahmen, 
Würde, von ungewisser Geburt, bald Wüsten bewohnen,
165 nec fructus idem arboribus constare solerent,
sed mutarentur, ferre omnes omnia possent.
quippe ubi non essent genitalia corpora cuique,
qui posset mater rebus consistere certa?
at nunc seminibus quia certis quaeque creantur,
Bald das bebauete Land; nicht immer dieselbigen Früchte
Trüge der Baum; es könnt' ein jeglicher j egliches bringen.
Denn woferne die Dinge des eigenen zeugenden Grundstoffs 
Nicht bedürfen, wie rühmten sie sich doch sicherer Abkunft? 
Nun, da jegliches Ding aus eigenem Samen erzeugt wird, 
170 inde enascitur atque oras in luminis exit,
materies ubi inest cuiusque et corpora prima;
atque hac re nequeunt ex omnibus omnia gigni,
quod certis in rebus inest secreta facultas.
Praeterea cur vere rosam, frumenta calore,
Wird es nur ausgeboren und tritt hervor in den Lichtraum 
Da, wo der Grundstoff ihm, wo die ersten Körper vorhanden. 
Und so kann es nicht sein, dass alles aus allem entstehe, 
Weil inwohnt dem besondern Ding ein besondres Vermögen. 
Ferner, warum schafft Rosen der Lenz, die Ernten der Sommer,
175 vites autumno fundi suadente videmus,
si non, certa suo quia tempore semina rerum
cum confluxerunt, patefit quod cumque creatur,
dum tempestates adsunt et vivida tellus
tuto res teneras effert in luminis oras?
Und einladend der Herbst die süßen Früchte des Weinstocks? 
Warum anders, als weil, wenn zu richtiger Zeit die bestimmten
Stoffe zusammengeflossen, sich dann das Erschaffene kundtut: 
Unter der Witterung Gunst, und wann der belebete Boden
Sicher den zarten Keim zum Lichte der Sonne hervorbringt.
180 quod si de nihilo fierent, subito exorerentur
incerto spatio atque alienis partibus anni,
quippe ubi nulla forent primordia, quae genitali
concilio possent arceri tempore iniquo.
Nec porro augendis rebus spatio foret usus
Käme das alles aus Nichts, so würden sie plötzlich entstehen,
Ohne bestimmete Folg', und nicht zur gehörigen Jahrszeit.
Denn es wären die Stoffe nicht da, die an Zeugungsverbindung
Hindern könnte des Jahrs ungünstig sich zeigender Einfluss.
Auch zum Wachstum wäre die Zeit nicht nötig den Dingen
185 seminis ad coitum, si e nilo crescere possent;
nam fierent iuvenes subito ex infantibus parvis
e terraque exorta repente arbusta salirent.
quorum nil fieri manifestum est, omnia quando
paulatim crescunt, ut par est semine certo,
Nach dem geschwängerten Keim, wofern aus Nichts sie erwüchsen.
Plötzlich würde zum Jüngling das Kind, es schöss' aus der Erde,
Plötzlich entstanden, der Baum: dergleichen doch nimmer geschiehet,
Wie es am Tage liegt; denn alles erwächset allmählich,
Wie sich's gehört, aus eigenem Samen, erhält dann im Fortwuchs
190 crescentesque genus servant; ut noscere possis
quicque sua de materia grandescere alique.
Huc accedit uti sine certis imbribus anni
laetificos nequeat fetus submittere tellus
nec porro secreta cibo natura animantum
Art und Geschlecht; so, dass du hieraus gar deutlich erkennest,
Alles erwachs' und nähre sich nur aus eigenem Grundstoff.
Dazu kommt, dass ohne des Jahrs bestirnmete Regen
Nicht die erfreuliche Brut hervor kann treiben die Erde;
Dass, der Nahrung beraubt, kein Tier sein Leben erhalten, 
195 propagare genus possit vitamque tueri;
ut potius multis communia corpora rebus
multa putes esse, ut verbis elementa videmus,
quam sine principiis ullam rem existere posse.
Denique cur homines tantos natura parare
Oder auch sein Geschlecht fortpflanzen könnte: so, dass wir 
Müssen in mehreren Dingen vielmehr gemeinsamen Urstoff 
Anerkennen, wie oft den Worten die Lettern gemein sind,
Als dass wir könnten ein Ding annehmen ohne den Grundstoff.
Ferner, wie konnte Natur nicht Menschen erschaffen von solcher
200 non potuit, pedibus qui pontum per vada possent
transire et magnos manibus divellere montis
multaque vivendo vitalia vincere saecla,
si non, materies quia rebus reddita certast
gignundis, e qua constat quid possit oriri?
Größe, dass sie das Meer mit den Füßen könnten durchwaten,
Berge zerreißen mit Händen und ganze Säklen durchleben? 
Darum, weil den bestimmeten Stoff sie jeglichem Dinge 
Angewiesen, woraus sich erzeugt, was aus ihm entstehn kann. 
205 nil igitur fieri de nilo posse fatendumst,
semine quando opus est rebus, quo quaeque creatae
aeris in teneras possint proferrier auras.
Postremo quoniam incultis praestare videmus
culta loca et manibus melioris reddere fetus,
Sicher bleibt es sonach: aus Nichts wird nichts; denn die Dinge 
Haben zu ihrer Entstehung des Zeug ungssamen vonnöten, 
Aufzusprießen durch ihn zum Anhauch milderer Lüfte. 
Endlich, dieweil wir sehen die angebaueten Felder 
Fruchtbarer als die wüsten, den Keim durch Fleiß sich verbessern, 
210 esse videlicet in terris primordia rerum
quae nos fecundas vertentes vomere glebas
terraique solum subigentes cimus ad ortus;
quod si nulla forent, nostro sine quaeque labore
sponte sua multo fieri meliora videres.
Muss die Erde ja doch ursprüngliche Teile verbergen, 
Die wir, indem mit dem Pfluge die fruchtbaren Schollen wir wenden 
Und aufwühlen den Boden der Erd', erwecken zum Auftrieb. 
Wären solche nicht da, so würd' auch j egliche Pflanze 
Besser von selber gedeihn als unter der Pflege des Menschen.
 
3.) 215-264. Der zweite Grundsatz: Nichts kann zu nichts zerfallen, stoffliche Auflösung erfolgt nur bis zu den letzten Teilchen. Auch hier führt die entgegengesetzte These zu einer Antinomie: Die Welt hätte sich längst in dieses Nichts verflüchtigt. 

 

215 Huc accedit uti quicque in sua corpora rursum
dissoluat natura neque ad nihilum interemat res.
nam siquid mortale e cunctis partibus esset,
ex oculis res quaeque repente erepta periret;
nulla vi foret usus enim, quae partibus eius
Diesem kommt noch hinzu, dass Natur in die eigenen Stoffe 
Alles wieder zerlegt, dass nichts sie gänzlich vernichtet. 
Wäre vergänglich ein Ding in jedem der Teile, so würd' es, 
Schnell den Augen entrückt, sogleich auch völlig zugrund gehn; 
Kraft nicht wäre vonnöten, die Teile desselben zu trennen 
220 discidium parere et nexus exsolvere posset.
quod nunc, aeterno quia constant semine quaeque,
donec vis obiit, quae res diverberet ictu
aut intus penetret per inania dissoluatque,
nullius exitium patitur natura videri.
Oder die innre Verbindung von ihm auflösen zu können. 
Nun, da ein unvergänglicher Stoff den Dingen zum Grund liegt, 
Lässet, wofern nicht äußerer Schlag dieselben zertrümmert 
Oder innere Kraft durchs Leere schleicht und sie auflöst, 
Ihren Untergang die Natur nicht sichtbar uns werden.
225 Praeterea quae cumque vetustate amovet aetas,
si penitus peremit consumens materiem omnem,
unde animale genus generatim in lumina vitae
redducit Venus, aut redductum daedala tellus
unde alit atque auget generatim pabula praebens?
Sollt' auch ferner die Zeit das, was allmählich sie wegnimmt, 
Gänzlich verzehren, sogar vernichten im eigenen Grundstoff: 
Woher brächte denn Venus die Arten lebendiger Wesen 
Immer wieder ans Licht? die buntgestaltete Erde, 
Woher nähme sie Stoff, das Hervorgebrachte zu nähren,
Wachstum ihm zu verleihn, zu bereiten jedem sein Futter? 
230 unde mare ingenuei fontes externaque longe
flumina suppeditant? unde aether sidera pascit?
omnia enim debet, mortali corpore quae sunt,
infinita aetas consumpse ante acta diesque.
quod si in eo spatio atque ante acta aetate fuere
Woher nähmen das Meer und die lauteren Quellen den Vorrat, 
Und die nie versiegenden Flüsse? Wie nährte der Aether 
Seine Gestirne? Was nur besteht aus sterblicher Masse, 
Hätten schon lange die Zeit und die vorigen Tage verzehret. 
Waren die Stoffe jedoch, woraus das Gesamte bestehet
235 e quibus haec rerum consistit summa refecta,
inmortali sunt natura praedita certe.
haud igitur possunt ad nilum quaeque reverti.
Denique res omnis eadem vis causaque volgo
conficeret, nisi materies aeterna teneret,
Und noch stets sich erneut, schon da im vergangenen Zeitraum, 
Nun, so sind sie gewiss begabt mit ewiger Dauer, 
Und es können zu Nichts nicht wiederkehren die Dinge. 
Endlich bedürft' es ja nur zu j egliches Dinges Vernichtung 
Ein und derselbigen Kraft, wofern nicht dauernder Grundstoff, 
240 inter se nexus minus aut magis indupedita;
tactus enim leti satis esset causa profecto,
quippe ubi nulla forent aeterno corpore, quorum
contextum vis deberet dissolvere quaeque.
at nunc, inter se quia nexus principiorum
Mehr oder minder verknüpft, in engeren Banden sich hielte: 
Schon die Berührung wäre des Tods hinlängliche Ursach. 
Denn woferne die Stoffe nicht ewig fester Natur sind, 
Könnte die mindste Gewalt in ihrer Verbindung sie lösen. 
Doch nun, da die Verflechtung der uranfänglichen Teile
245 dissimiles constant aeternaque materies est,
incolumi remanent res corpore, dum satis acris
vis obeat pro textura cuiusque reperta.
haud igitur redit ad nihilum res ulla, sed omnes
discidio redeunt in corpora materiai.
Selber verschieden ist und ewig die Dauer des Grundstoffs, 
Bleiben die Dinge so lang im eigenen Wesen gesichert, 
Bis zu heftige Kraft, nach Maß des Gewebes, sie anfällt. 
Kein Ding kehret daher in Nichts zurück; ja getrennet 
Kehren sie alle zurück in die ersten Körper des Urstoffs.  
250 postremo pereunt imbres, ubi eos pater aether
in gremium matris terrai praecipitavit;
at nitidae surgunt fruges ramique virescunt
arboribus, crescunt ipsae fetuque gravantur.
hinc alitur porro nostrum genus atque ferarum,
Zwar der Regen vergeht, wann Vater Aether von oben 
Niedergegossen ihn hat zum Mutterschoße der Erde: 
Aber die glänzende Saat steigt auf, mit grünenden Zweigen 
Schmückt sich der Baum und wächst und trägt die lastenden Früchte. 
Davon nährt sich der Menschen Geschlecht, die Geschlechter der Tiere;  
255 hinc laetas urbes pueris florere videmus
frondiferasque novis avibus canere undique silvas,
hinc fessae pecudes pinguis per pabula laeta
corpora deponunt et candens lacteus umor
uberibus manat distentis, hinc nova proles
Fröhliche Städte blühn von Scharen munterer Knaben, 
Und es ertönt überall von jungen Vögeln der Laubwald. 
Daher legt das gesättigte Vieh auf blumigen Auen 
Nieder den schweren Leib; aus seinem strotzenden Euter 
Quillt der glänzende milchige Saft. Das üppige Saugkalb 
260 artubus infirmis teneras lasciva per herbas
ludit lacte mero mentes perculsa novellas.
haud igitur penitus pereunt quaecumque videntur,
quando alit ex alio reficit natura nec ullam
rem gigni patitur nisi morte adiuta aliena.
Scherzet auf junger Flur mit noch unsicherem Schenkel, 
Von der lauteren Milch die zarten Sinne berauschet. 
Nichts geht unter demnach von allein, was wir erkennen; 
Eins stellt immer Natur aus dem andern her, und sie lässt nur 
Immer Neues entstehn aus anderer Dinge Verwesung. 
 
4.) 265-328: Die Unsichtbarkeit der Atome liefert keinen Beweis gegen ihre Existenz. Manches, was unsichtbar ist, lässt sich an seiner Wirkung erkennen. 

 

265 Nunc age, res quoniam docui non posse creari
de nihilo neque item genitas ad nil revocari,
ne qua forte tamen coeptes diffidere dictis,
quod nequeunt oculis rerum primordia cerni,
accipe praeterea quae corpora tute necessest
Auf denn! und da ich gelehrt, dass aus Nichts nichts könne hervorgehn, 
Noch auch wieder in Nichts das Geborene könne zurückgehn: 
Dass kein Zweifel dich fasst an dieses Satzes Gewissheit, 
Höre von Körpern anjetzt, die ganz unleugbar in Dingen 
270 confiteare esse in rebus nec posse videri.
Principio venti vis verberat incita corpus
ingentisque ruit navis et nubila differt,
inter dum rapido percurrens turbine campos
arboribus magnis sternit montisque supremos
Anerkennen du musst, obgleich nicht sichtbar dem Auge.Erst: die erregte Gewalt des Windes peitschet das 
Mächtige Schiffe stürzt er dahin und jaget die Wolken. 
Unterweilen durchläuft sein reißender Wirbel die Felder,
Strecket die hohen Bäume zu Boden und braust um den Bergwald, 
275 silvifragis vexat flabris: ita perfurit acri
cum fremitu saevitque minaci murmure pontus.
sunt igitur venti ni mirum corpora caeca,
quae mare, quae terras, quae denique nubila caeli
verrunt ac subito vexantia turbine raptant,
Krachend zersplittert er ihn; so rast mit scharfem Geräusche 
Schäumend empor und tobt mit drohendem Donner die Meerflut. 
Winde demnach sind Körper, obgleich unsichtbar dein Auge: 
Diese durchstreichen Länder und Meer und Wolken des Himmels, 
Reißen im plötzlichen Wirbel mit sich, was ihnen entgegnet. 
280 nec ratione fluunt alia stragemque propagant
et cum mollis aquae fertur natura repente
flumine abundanti, quam largis imbribus auget
montibus ex altis magnus decursus aquai
fragmina coniciens silvarum arbustaque tota,
Nicht auf andere Art auch fluten sie, alles verwüstend, 
Als wann der vollere Strom im eilenden Zuge dahinschießt, 
Den von den Bergen herab die häufigen Güsse der Regen 
Angeschwellet; er reißt die Trümmer des Waldes und Bäum'
und Büsche mit sich hinfort; die Joche der Brücken vermögen 
285 nec validi possunt pontes venientis aquai
vim subitam tolerare: ita magno turbidus imbri
molibus incurrit validis cum viribus amnis,
dat sonitu magno stragem volvitque sub undis
grandia saxa, ruit qua quidquid fluctibus obstat.
Nicht entgegenzuhalten dem Stoß der drängenden Wogen.
Und so setzt er zuletzt, von trübenden Wassern geschwollen, 
Gegen den Steindamm an, und unter gewalt'gem Geräusche 
Stürzt er diesen in Schutt: dann wälzet die brausende Woge 
Unter sich Felsen und Stein, nichts widerstehet dem Flutschwall.
290 sic igitur debent venti quoque flamina ferri,
quae vel uti validum cum flumen procubuere
quam libet in partem, trudunt res ante ruuntque
impetibus crebris, inter dum vertice torto
corripiunt rapidique rotanti turbine portant.
Ebenso müssen sich auch forttreiben die Stöße des Windes, 
Der wie ein mächtiger Strom nach allen Seiten sich hinwirft, 
Vor sich die Dinge drängt, durch häufige Stöße sie umstürzt, 
Bald im Kreise sie dreht und sie mit sich reißet im Wirbel. 
Ganz unleugbar daher sind Wind' unsichtbare Körper, 
295 quare etiam atque etiam sunt venti corpora caeca,
quandoquidem factis et moribus aemula magnis
amnibus inveniuntur, aperto corpore qui sunt.
Tum porro varios rerum sentimus odores
nec tamen ad naris venientis cernimus umquam
Da sie an Eigenschaften und Kraft so ähnlich sich zeigen 
Strömen mächtiger Flut, die jeder für Körper erkennet. 
Ferner empfinden wir auch der Dinge verschiedne Gerüche, 
Sehen indessen nicht, dass solche die Nase berühren. 
300 nec calidos aestus tuimur nec frigora quimus
usurpare oculis nec voces cernere suemus;
quae tamen omnia corporea constare necessest
natura, quoniam sensus inpellere possunt;
tangere enim et tangi, nisi corpus, nulla potest res.
Auch die Hitze sehen wir nicht, noch können die Kälte 
Wir mit dem Aug' erfassen, so wenig als Stimmen und Töne. 
Alles dieses jedoch muss körperlicher Natur sein; 
Denn wie könnten sie sonst den Sinn anstoßen und rühren? 
Nur der Körper berührt und lässet sich wieder berühren.
305 Denique fluctifrago suspensae in litore vestis
uvescunt, eaedem dispansae in sole serescunt.
at neque quo pacto persederit umor aquai
visumst nec rursum quo pacto fugerit aestu.
in parvas igitur partis dispergitur umor,
Aufgehängte Gewänder am wellenbrechenden Ufer 
Feuchten sich an; sie trocknen der Sonn' entgegengespreitet: 
Dennoch sehen wir nicht, wie solche die Nässe des Wassers 
Einziehn, oder wie dieses am Strahl der Sonne verdünstet. 
Also löst sich das Nass in mindere flüchtige Teil' auf, 
310 quas oculi nulla possunt ratione videre.
quin etiam multis solis redeuntibus annis
anulus in digito subter tenuatur habendo,
stilicidi casus lapidem cavat, uncus aratri
ferreus occulte decrescit vomer in arvis,
Die nicht fähig man ist mit der Schärfe des Auges zu fassen.
Ring' am Finger verdünnt das Tragen mehrerer Jahre; 
Wasser, das niederfällt von der Traufe, höhlet den Stein aus; 
In der Furche zerreibt das Eisen sich endlich am Pfluge. 
315 strataque iam volgi pedibus detrita viarum
saxea conspicimus; tum portas propter aena
signa manus dextras ostendunt adtenuari
saepe salutantum tactu praeterque meantum.
haec igitur minui, cum sint detrita, videmus.
Tritt nicht der Fuß der Menge zuletzt den steinernen Pfad aus?
Siehet man nicht die Hände von ehernen Bildern der Götter, 
Nächst den Toren der Stadt, vom Berühren der Wandrer geschmälert?
Augenscheinlich daher ist's, dass sich dieselben vermindern: 
320 sed quae corpora decedant in tempore quoque,
invida praeclusit speciem natura videndi.
Postremo quae cumque dies naturaque rebus
paulatim tribuit moderatim crescere cogens,
nulla potest oculorum acies contenta tueri,
Aber wie dieses geschieht, und welche Teilchen von ihnen 
Jegliche Zeit ablöst, das hat die Natur uns verhehlet.
Wiederum, was die Natur und Zeit den Dingen hinzusetzt, 
Ihren mächtigen Wuchs befördernd, erspüret das Auge 
325 nec porro quae cumque aevo macieque senescunt,
nec, mare quae impendent, vesco sale saxa peresa
quid quoque amittant in tempore cernere possis.
corporibus caecis igitur natura gerit res.
Ebensowenig als das, was Alter und Krankheit hinwegnimmt. 
Was die Felsen des Meeres vom fressenden Salze verlieren, 
Wird in keinem Punkte der Zeit dem Auge bemerkbar:
Und so führt die Natur durch verborgene Körper ihr Werk aus.
 
5.) 329-369: Es ist notwendig, neben dem Körperlichen auch die Existenz des Leeren anzunehmen.

 

329 Nec tamen undique corporea stipata tenentur Doch nicht alles ist dicht zusammengedränget im Ganzen 
330 omnia natura; namque est in rebus inane.
quod tibi cognosse in multis erit utile rebus
nec sinet errantem dubitare et quaerere semper
de summa rerum et nostris diffidere dictis.
qua propter locus est intactus inane vacansque.
Unberührbar, ein lediger Ort ist aber das Leere.
Durch der Körper Natur; denn es ist in den Dingen ein Leeres. 
Das zu erkennen wird nützlich dir sein in mancherlei Rücksicht;
Wird dich den schwankenden Zweifeln entziehn, der steten Verwirrung
Über des Ganzen Natur, dem Misstraun unserer Worte. 
335 quod si non esset, nulla ratione moveri
res possent; namque officium quod corporis exstat,
officere atque obstare, id in omni tempore adesset
omnibus; haud igitur quicquam procedere posset,
principium quoniam cedendi nulla daret res.
Wäre nicht solch ein Raum, wie könnten sich Dinge bewegen?
Immer wäre das Eigne der Körper, zu hemmen, zu hindern, 
Jedem im Wege, zu jeglicher Zeit; nichts rückte von dannen, 
Weil in der Dinge keinem der Grund zu weichen vorhanden. 
340 at nunc per maria ac terras sublimaque caeli
multa modis multis varia ratione moveri
cernimus ante oculos, quae, si non esset inane,
non tam sollicito motu privata carerent
quam genita omnino nulla ratione fuissent,
Aber nun sehen im Meer, am Himmel, auf Erden wir manches 
Sieh auf mancherlei Art, nach mancherlei Richtung bewegen; 
Welche Dinge jedoch, wofern kein Leeres vorhanden,
Nicht der steten Bewegungen nur beraubet sich fänden,
Sondern auch ganz und gar selbst nicht zur Entstehung gelangten,
345 undique materies quoniam stipata quiesset.
Praeterea quamvis solidae res esse putentur,
hinc tamen esse licet raro cum corpore cernas.
in saxis ac speluncis permanat aquarum
liquidus umor et uberibus flent omnia guttis.
Weil von allen Seiten gedrängt, still stünde die Masse.
Ferner, obgleich die Dinge für dicht wir pflegen zu halten,
Magst du hieraus doch ersehn, dass dieselben lockrer Natur sind.
Seihet in Höhlen sich nicht des Wassers lauteres Nass durch
Und umtränet den Fels mit dickgeschwollenen Tropfen?
350 dissipat in corpus sese cibus omne animantum;
crescunt arbusta et fetus in tempore fundunt,
quod cibus in totas usque ab radicibus imis
per truncos ac per ramos diffunditur omnis.
inter saepta meant voces et clausa domorum
Teilet die Speise sich nicht in den ganzen Körper des Tiers aus?
Bäume wachsen und schütten die Frucht zur schicklichen Jahrszeit, 
Weil der nährende Saft, durch Wurzeln und Fasern gesauget,
Sich in dem ganzen Stamm durch Äst' und Zweige verbreitet.
Wände durchdringet der Schall und fliegt durch verschlossene Türen,
355 transvolitant, rigidum permanat frigus ad ossa.
quod nisi inania sint, qua possent corpora quaeque
transire, haud ulla fieri ratione videres.
Denique cur alias aliis praestare videmus
pondere res rebus nihilo maiore figura?
Und der erstarrende Frost durchschleichet das Mark der Gebeine.
Wäre der Raum nicht da, wodurch sich die Körperchen drängen,
Wahrlich es würden sich nie dergleichen Erscheinungen zeigen.
Endlich bemerken wir noch in Körpern ähnlicher Größe 
Ganz verschiednes Gewicht. Wär' ebendieselbige Masse 
360 nam si tantundemst in lanae glomere quantum
corporis in plumbo est, tantundem pendere par est,
corporis officiumst quoniam premere omnia deorsum,
contra autem natura manet sine pondere inanis.
ergo quod magnumst aeque leviusque videtur,
Körper im Wollenknäul als im Blei, so müsste die Schwere 
Beiden die nämliche sein: denn eigentümlich den Körpern 
Ist es, niederzudrücken; dagegen es aber dem Leeren 
Ganz am Gewichte fehlt. Was gleich ist also an Größe,
365 ni mirum plus esse sibi declarat inanis;
at contra gravius plus in se corporis esse
dedicat et multo vacui minus intus habere.
est igitur ni mirum id quod ratione sagaci
quaerimus, admixtum rebus, quod inane vocamus.
Minder schwer an Gewicht, scheint mehr von dem Leeren zu haben;
Dahingegen, was schwer, notwendig Teile des Festen
Mehr besitzet und minder in sich des Leeren verschließet.
Klar ist also, dass das, was mit dem Verstand wir erforschen,
Sei mit den Dingen gemischt, und dieses benennen wir Leeres.
     

Aufgabenvorschläge:

 
 
 

 

Sententiae excerptae:
Lat. zu "Epikur"
2037
Contemno magnitudinem doloris, a qua me brevitas temporis vindicabit ante paene, quam venerit (Epikur).
Ich verachte die Heftigkeit des Schmerzes, von der mich die Kürze der Zeit erretten wird, beinahe noch bevor er gekommen ist.
Cic.Tusc.2,44,3

1352
Ante circumspiciendum est, cum quibus edas et bibas, quam quid edas et bibas.
Man muss sich früher umschauen, mit wem man isst und trinkt, als was man isst und trinkt.
Sen.epist.19,10 (Epikur)

1122
Honesta res est laeta paupertas.
Es ist etwas Ehrenvolles um die vergnügte Armut.
Sen.epist.2,5 (nach Epikur)

1202
Ridiculum est currere ad mortem taedio vitae, cum genere vitae, ut currendum ad mortem esset, effeceris.
Es ist lächerlich, aus Lebensüberdruss in den Tod zu eilen, wenn man es durch die Art seines Lebens dahin gebracht hat, dass man in den Tod eilen muss.
Sen.epist.24,22 (nach Epikur)

1203
Quid tam ridiculum quam adpetere mortem, cum vitam inquietam tibi feceris metu mortis?
Was ist so lächerlich, als nach dem Tod zu verlangen, nachdem man sich durch die Furcht vor dem Tod ein unruhiges Leben gemacht hat?
Sen.epist.24,23 (nach Epikur)

1214
Meditare mortem!
Bereite Dich auf den Tod vor! (Lebe im Bewusstsein des Todes!)
Sen.epist.26,8 (nach Epikur)

1215
Egregia res est mortem condiscere.
Es ist eine herrliche Sache sterben zu lernen.
Sen.epist.26,8 (nach Epikur)

1159
Satis magnum alter alteri theatrum sumus.
Ich und du, wir sind einer dem anderen Publikum genug.
Sen.epist.7,11 (nach Epikur)


Literatur:
zu "Epikur"
1192
Alpers, K.
Epikurs Geburtstag
in: Mus.Helv.25/1968,48-51
booklooker
zvab

4594
Baltes, M.
Die Todesproblematik in der griechischen Philosophie.
in: Gymnasium 95, 2/1988, 97-128
booklooker
zvab

2190
Büchner, K.
Epikur bei Menander. Die Atticus-Vita des Cornelius Nepos
in: Stud.I: Lukrez, Wiesbaden 1964
booklooker
zvab

4592
Eckstein, Friedrich
Abriss der griechischen Philosophie
Franfurt (Main), Hirschgraben, 3/1969
booklooker
zvab

2932
Epikur / Nickel, Rainer
Epikur. Wege zum Glück. Griechisch, Lateinisch und deutsch. Hg. und übers. von Rainer Nickel
Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2/2006
booklooker
zvab

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Fauth, W.
Divus Epicurus: Zur Problemgeschichte philosophischer Religiosität bei Lukrez
in: ANRW I.4 (1974) 205-225
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1752
Gigante, M.
Das zehnte Buch des Diogenes Laertios: Epikur und der Epikureismus
in: ANRW II.36.6 (1992) 4302-4307
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3953
Gruben, Gottfried
Die Tempel der Griechen. Aufnamen von Max Hirmer
München, Hirmer-Verlag, 3,1980
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Hermann, C.
Affektbeherrschung als Weg zum Glück. Cicero, Tusculanae disputationes V 15/16.
in: AU 37, 6/1994, 64-70.
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3397
Hommel, H.
Horaz. Der Mensch und das Werk
Heidelberg (Kerle) 1950
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Hross, K.
Unsterblichkeit der Seele, Lukr.3 – Cic. Tusc.1
in: Anr. 13/1967, 389
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4590
Ioannes ab Arnim (Hg.)
Stoicorum veterum fragmenta, collegit Ioannes ab Arnim. Volumen III: Chrysippi fragmenta moralia, fragmenta succcessorum Chrysippi
Stuttgart, Teubner1979
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J. Flügge / M. Kross
Schmerz
in: Hist. Wörterbuch der Philosophie, VIII 1992 (s.v.)
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Long, A.A. / Sedley, D.N.
Die hellenistischen Philosophen, Texte und Kommentare (nur deutsch), übers. v. Karlheinz Hülser
Stuttgart, Weimar (J.B.Metzler) 2000 (Cambridge 1987)
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2325
Oelmüller / Dölle / Piepmeier (Hgg.)
Philosophische Arbeitsbücher 1. Diskurs Politik
Paderborn, Schöningh (UTB 723) 2/1980
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2324
Oelmüller / Dölle / Piepmeier (Hgg.)
Philosophische Arbeitsbücher 2. Diskurs Sittliche Lebensformen
Paderborn, Schöningh (UTB 778) 2/1980
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Pohlenz, M.
M. Ciceronis Tusculanarum disputationum libti quinque (Heft I/II)
Amsterdam (Hakkert) 1965/1957
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4031
Raith, O.
Petronius, ein Epikureer
Nürnberg 1963
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4597
Schmid, W.
Ein Tag und der Aion... Zu Ciceros Doxologie der Philos. (Tusc.5,5)
in: Maurach. Philos., Darmstadt (WBG, WdF 193) 1976
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2316
Schwegler, Albert
Geschichte der Philosophie im Umriss. Ein Leitfaden zur Ãœbersicht
Stuttgart, Conradi 9/1876
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