Lateinische Übungstexte zu Senecas Briefen mit einer wörtlichen deutschen Übersetzung und Anmerkungen.

 

Besonders zur Vorbereitung auf das Latinum 

(Sen.epist.5)

 

Sen.epist.5
Das Philosophieren war seit dem 1. Jh. v.Chr. in manchen römischen Kreisen zu einer Art modischen Scheintreibens geworden. Vor diesem "philosophische Geckentum" warnt Seneca.

 

Seneca Lucilio suo salutem,

quod pertinaciter studes et omnibus omissis hoc unum agis, ut te meliorem cottidie facias, et probo et gaudeo; nec tantum hortor, ut perseveres, sed etiam rogo. Illud autem te admoneo, ne eorum more, qui non proficere, sed conspici cupiunt, facias aliqua, quae in habitu tuo aut genere vitae notabilia sunt. Asperum cultum et intonsum caput et neglegentiorem barbam et indictum argento odium et cubile humi positum et, quicquid aliud ambitione perversa vita sequitur, evita! Satis ipsum nomen philosophiae, etiamsi modeste tractetur, invidiosum est: quid si nos hominum consuetudini coeperimus excerpere? Intus omnia dissimilia sint, frons populo nostra conveniat! Non splendeat toga, ne sordeat quidem! Non habeamus argentum, in quod solidi auri caelatura descenderit, sed non putemus frugalitatis indicium auro argentoque caruisse! Id agamus, ut meliorem vitam sequamur quam vulgus, non ut contrariam! Alioquin quos emendari volumus, fugamus a nobis et avertimus. Illud quoque efficimus, ut nihil imitari velint nostri, dum timent, ne imitanda sint omnia. Hoc primum philosophia promittit: sensum communem, humanitatem et congregationem. A qua professione dissimilitudo nos separabit. Videamus, ne ista, per quae admirationem parare volumus, ridicula et odiosa sint!

Seneca grüßt seinen Lucilius,

dass Du Dich beharrlich bemühst und, nachdem Du alles (andere) aufgegeben hast, dies eine betreibst, dass Du Dich täglich (sittlich) besserst, billige ich sowohl und (darüber) freue ich mich auch; und ich ermahne Dich, nicht nur, (dabei) zu verharren, sondern bitte Dich auch (darum). Dazu aber ermahne ich Dich, dass Du nicht nach Art derjenigen, die nicht Fortschritte zu machen, sondern gesehen zu werden begehren, etwas tust, was in Deiner äußeren Haltung oder Lebensart auffallend ist. Eine unkultivierte Lebensweise, ein ungeschorenes Haupt, einen ziemlich nachlässigen Bart, ein dem Geld angesagter Hass, ein Lager, das sich auf der Erde befindet, und alles, wonach sonst das Leben mit verkehrtem Ehrgeiz nachjagt, meide! Das Wort "Philosophie" selbst (an sich) erregt genug Missfallen, auch wenn es besonnen verwendet wird: was soll erst geschehen, wenn wir beginnen, uns von der gewohnten Lebensweise der Menschen abzusondern? Mag auch alles sich im Innern (von den anderen) unterscheiden, unsere äußere Erscheinung soll mit dem (gemeinen) Volk übereinstimmen! Die Toga soll nicht glänzen, aber auch nicht ärmlich sein! Wir wollen kein Tafelgeschirr haben, in das Ornamente aus gediegenem Gold eingelassen sind, aber wir wollen auch nicht für ein Zeichen der Genügsamkeit halten, Gold und Silber nicht zu haben! Lass uns darauf ausgehen, dass wir nach einem (sittlich) besseren Leben streben als das gemeine Volk, nicht dass wir nach einem Leben streben, das (diesem) entgegengesetzt ist. Ansonsten jagen wir diejenigen, von denen wir wollen, dass sie sich bessern, von uns weg und vertreiben sie. Wir bewirken auch jenes, dass sie nichts von (an) uns nachahmen wollen, während sie fürchten, dass sie alles nachahmen müssen (w. dass alles nachgeahmt werden muss). Dies verspricht die Philosophie als erstes: Gemeinschaftsgefühl, Menschlichkeit und Geselligkeit. Von diesem Bekenntnis wird uns ein abweichendes Verhalten trennen. Sehen wir zu, dass nicht das, wodurch wir Bewunderung erzielen wollen, lächerlich und hassenswert ist!

 

quod: faktisch - hoc unum agere, ut ... : "dies eine betreiben, dass " - in habitu hier: "in der äußeren Haltung und Erscheinung" - cultus, us m.: "kultivierte Lebensart"; diese eigentliche Bedeutung ist hier durch das Attribut ins Gegenteil verkehrt. - neglegentiorem barbam: die Städter pflegten sich zu rasieren, der Bart kennzeichnete den Philosophen; dieses an sich schon typische Kennzeichen wird durch das Attribut noch gesteigert. -et, quicquid aliud ... sequitur: "und alles, wonach sonst ... nachjagt"; (sequi mit Akk.!) - satis: gehört zum Prädikatsnomen. - invidiosum est hier: "erregt Unwillen, Mißfallen" - tractare: "gebrauchen, verwenden"; - quid si ...?: "was soll erst geschehen, wenn ... ?" - se excerpere hier: "sich absondern" - consuetudo, inis f.: "gewohnte Lebensweise" - intus omnia ... sint: konzessiver Konjunktiv: "mag auch alles ..." - frons, frontis f.: "äußere Erscheinung" (w. die Stirne) - convenire: "übereinstimmen"; gemeint ist, man sollte sich äußerlich nicht von der Masse abheben. - ne ... quidem: "aber auch nicht"; (w. nicht einmal) - sordere hier: "ärmlich sein" - argentum, i n.: "Tafelsilber" - solidi auri caelatura: "Ornamente aus gediegenem Gold" - descenderit: "eingelassen ist"; (w. eingedrungen ist) - putare: mit doppeltem Akk.! - frugalitas, atis f.: "Genügsamkeit" - caruisse: übersetzen Sie den Inf.Perf.Akt. als Inf.Präs.Akt.; carere steht immer mit Abl.. - ut contrariam: erg. vitam sequamur. - quos: erg. davor: "eos" - nostri: Gen.totius abhängig von nihil - dissimilitudo, inis f.: "abweichendes Verhalten" (hier rein äußerlich gemeint).
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