HISTORIA APOLLONII REGIS TYRI
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DIE GESCHICHTE DES KÖNIGS APOLLONIUS VON TYRUS
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Apollonius bietet den Einwohnern von Tarsus in der Hungersnot
Hilfe und findet so Aufnahme und Schutz.
(9) Post haec Apollonius dum deambularet in eodem loco supra litore, occurrit ei alius homo nomine Stranguillio. Cui ait Apollonius: "Ave, mi carissime Stranguillio." Et ille dixit: "Ave, domine Apolloni. Quid itaque in his locis turbata mente versaris?" Apollonius ait: "Proscriptum vides." Stranguillio ait: "Et quis te proscripsit?" Apollonius ait: "Rex Antiochus." Stranguillio ait: "Qua ex causa?" Apollonius ait: "Quia filiam eius, sed ut verius dicam, coniugem in matrimonium petivi. Sed, si fieri potest, in civitate vestra volo latere."
9. Während noch Apollonius an der selben Stelle, nahe dem Gestade, einherging, begegnete ihm ein anderer Mann, namens Stranguillio. "Sei gegrüßt, mein lieber Stranguillio!": Mit solchen Worten sprach ihn Apollonius an. Jener erwiderte: "Sei gegrüßt, König Apollonius. Welcher Kummer doch lässt dich hier an dieser Stätte weilen?" "Du siehst einen Geächteten vor dir", gab ihm Apollonius zur Antwort. Da fragte Stranguillio: "Wer hat dich in Acht getan?" Apollonius entgegnete: "König Antiochus." "Weshalb denn?" fragte Stranguillio. Und Apollonius eröffnete ihm: "Weil ich seine Tochter oder, richtiger gesagt, seine Gattin zur Ehe verlangte. Aber, wofern es geschehen kann, möchte ich mich in eurer Stadt verborgen halten."
Stranguillio ait: "Domine Apolloni, civitas nostra pauper est et nobilitatem tuam ferre non potest: praeterea duram famem saevamque sterilitatem patimur annonae, nec est ulla spes salutis civibus nostris, sed crudelissima mors potius ante oculos nostros versatur."
"König Apollonius", antwortete Stranguillio, "unsere Gemeinde ist arm und kann deinem Stand und deinen Ehren nicht genügen: zudem leiden wir harten Hunger und schreckliche Getreidenot, und unserer Einwohnerschaft hat nicht die geringste Hoffnung au Rettung; vielmehr haben wir den grausamsten Tod vor Augen."
Apollonius autem ad Stranguillionem ait: "Age ergo deo gratias, quod me profugum finibus vestris applicuit. Dabo itaque civitati vestrae centum milia frumenti modiorum, si fugam meam celaveritis."
Da sprach Apollonius zu Stranguillio: "So danke Gott, dass er mich als Landflüchtigen an eure Küste geführt hat. Ich werde also euren Bürgern hunderttausend Scheffel Getreide geben, wenn ihr meine Flucht geheim haltet."
Stranguillio, ut audivit, prostravit se pedibus Apollonii dicens: "Domine rex Apolloni, si civitati esurienti subveneris, non solum fugam tuam celabunt, sed etiam, si necesse fuerit, pro salute tua dimicabunt."
Als Stranguillio dies hörte, warf er sich dem Apollonius zu Füßen und sprach: "Herr und König Apollonius, wenn du der hungernden Bürgerschaft aus der Bedrängnis hilfst, werden sie nicht nur deine Flucht geheim halten, sondern nötigenfalls sogar ihr Leben für das deine einsetzen."
Text nach der Ausgabe von Gareth Schmeling, Ãœbersetzung nach R.Peters. Bearbeitet v. E.Gottwein
Lat. zu "Historia Apollonii regis Tyrii"
Die Geschichte des Königs Apollonius von Tyrus, der Lieblingsroman des Mittelalters. Eingeleitet und nach der ältesten lateinischen Textform zum erstenmal übersetzt von Richard Peters
Berlin, Leipzig (J.Hegner) o.J. (ca. 1904)
Weymann, G.
in: Rh.Mus.64,1909, S. 156-157