Anaximander
(ca. 610-547 v.Chr.) (Ἀναξίμανδρος
Πραξιάδου Μιλήσιος).
Von ihm stammt die erste Prosaschrift (Περὶ
Φύσεως). Neben praktischen Leistungen
(Gründung der Schwarzmeer-Kolonie Apollonia, Einführung
der Sonnenuhr (ὁ γνώμων),
Erdkarte, Himmelsmodell, Vorhersage eines Erdbebens in Sparta)
spekulierte er über das Weltall und den Urgrund: Kein stofflich
bestimmtes, empirisch fassbares und in raum-zeitlicher Dimension
begrenztes Element, das durch Umwandlung zu anderen Stoffen
wird: sondern ein ἄπειρον,
aus dem die Dinge auf Grund der ewigen Bewegung in Gegensatzpaaren
durch Aussonderung hervorgehen. Die Sterne fahren nicht auf
dem Ozean zu ihrem Ausgangspunkt zurück: Wie die Sterne
am Nordpol kreisen sie alle unter der Erde hindurch. Sie muss
also (statt auf dem Wasser zu schwimmen) frei schweben, Die
Ordnung des Kosmos wird bildlich mit der Rechtsordnung der Polis
verglichen. |
VS
12 A 1 [DIOG.2,1-2]
Ἀναξίμανδρος
Πραξιάδου
Μιλήσιος [...]
εὗρεν δὲ καὶ
γνώμονα πρῶτος
[...] καὶ γῆς καὶ
θαλάσσης περίμετρον
πρῶτος ἔγραψεν,
ἀλλὰ καὶ σφαῖραν
κατεσκεύασε.
τῶν δὲ ἀρεσκόντων
αὐτῷ πεποίηται
κεφαλαιώδη
τὴν ἔκθεσιν,
ᾗ που περιέτυχεν
καὶ Ἀπολλόδωρος
ὁ Ἀθηναῖος·
ὃς καί φησιν
αὐτὸν ἐν τοῖς
Χρονικοῖς
τῷ δευτέρῳ
ἔτει τῆς πεντηκοστῆς
ὀγδόης ὀλυμπιάδος
[547/6 v.Chr.] ἐτῶν εἶναι
ἑξήκοντα τεττάρων
καὶ μετ ὀλίγον
τελευτῆσαι
[ἀκμάσαντά
πῃ μάλιστα
κατὰ Πολυκράτη
τὸν Σάμου τύραννον]. |
ὁ
γνώμων - (Zeiger an der)
Sonnenuhr | ἡ περίμετρος
- Umkreis, Umfang; h.: (Land-) Karte | ἡ σφαῖρα
- Himmelsglobus (Modell zur Darstellung der Planetenbahnen;
vielleicht ist aber auch nur der γνώμων
gemeint) | τὰ ἀρέσκοντα
- Lehrsätze | κεφαλαιώδης
- stichpunktartig | ἡ ἔκθεσις
- Darlegung | κεφαλαιώδη
τὴν ἔκθεσιν
ποιεῖσθαι
- einen zusammenfassenden Abriss anfertigen |
- "In Anaximanders Kosmologie wird zum ersten Mal von
einem wissenschaftlichen Modell Gebrauch gemacht, das zur
Beschreibung oder Erklärung von Naturerscheinungen diente."
[...] "Anaximanders mechanisches Modell, das er zur Verdeutlichung
der Ausmaße und Bewegungen der Himmelskörper benutzte,
war ein ungeheuerer Fortschritt gegenüber den Allegorien
und mythologischen Phantasien, die vor seiner Zeit ausschließlich
im Schwange waren." (Sambursky,
29 f.)
- Auffällig ist, dass es bei allen praktischen Leistungen,
die hier dem Denker des ἄπειρον
zugeschrieben werden, darum ging, ein πέρας
(peras) zu markieren: Begrenzung von Zeit (γνώμων),
von Lebensraum (καὶ γῆς καὶ
θαλάσσης περίμετρον
πρῶτος ἔγραψεν,
vgl A6: τὴν οἰκουμένην
ἐν πίνακι γράψαι)
und Kosmos (σφαῖρα). Sogar
seine Schrift fällt durch das Merkmal der Begrenzung
auf (πεποίηται
κεφαλαιώδη
τὴν ἔκθεσιν).
|
VS
12 A 6 [Agathermos 1,1]
πρῶτος
ἐτόλμησε τὴν
οἰκουμένην
ἐν πίνακι γράψαι· |
ὁ
πίναξ - Brett, Tafel, Schreibtafel |
. |
VS
12 A 7 [THEMIST. or.36p.317]
ἐθάρρησε
πρῶτος, ὧν ἴσμεν
Ἑλλήνων, λόγον
ἐξενεγκεῖν
"περὶ φύσεως"
συγγεγραμμένον. |
λόγον
ἐκφέρειν - eine
Untersuchung (Prosaschrift) herausgeben | περὶ φύσεως - Titel, der sich in der Folgezeit häufig bei den "Natur"-Philosophen
findet |
. |
.VS
12 A 9 (VS 12 B 1) [SIMPLIC.Phys.24,13;
150,24]
τῶν
δὲ ἓν καὶ κινούμενον
καὶ ἄπειρον
λεγόντων Ἀναξίμανδρος
μὲν Πραξιάδου
Μιλήσιος Θαλοῦ
γενόμενος
διάδοχος καὶ
μαθητὴς <ἀρχήν>
τε καὶ στοιχεῖον εἴρηκε <τῶν
ὄντων τὸ ἄπειρον>,
πρῶτος τοῦτο
τοὔνομα κομίσας
τῆς ἀρχῆς.
λέγει δ αὐτὴν
μήτε ὕδωρ μήτε
ἄλλο τι τῶν
καλουμένων
εἶναι στοιχείων,
ἀλλ ἑτέραν
τινὰ φύσιν ἄπειρον, ἐξ
ἧς ἅπαντας
γίνεσθαι τοὺς
οὐρανοὺς καὶ
τοὺς ἐν αὐτοῖς
κόσμους· <ἐξ
ὧν δὲ ἡ γένεσίς
ἐστι τοῖς οὖσι,
καὶ τὴν φθορὰν
εἰς ταῦτα γίνεσθαι
κατὰ τὸ χρεών·
διδόναι γὰρ
αὐτὰ δίκην καὶ τίσιν ἀλλήλοις
τῆς ἀδικίας
κατὰ τὴν τοῦ
χρόνου τάξιν.>
[Β1], ποιητικωτέροις
οὕτως ὀνόμασιν
αὐτὰ λέγων.
[...] οὗτος δὲ οὐκ
ἀλλοιουμένου
τοῦ στοιχείου τὴν γένεσιν
ποιεῖ, ἀλλ
ἀποκρινομένων
τῶν ἐναντίων
διὰ τῆς ἀιδίου
κινήσεως. (150,
24) ἐναντιότητες
δέ εἰσι θερμόν,
ψυχρόν, ξηρόν,
ὑγρόν, καὶ
τὰ ἄλλα.
Vgl. Aristot.Phys.187a 0 ἐκ τοῦ
ἑνὸς ἐνούσας
τὰς ἐναντιότητας
ἐκκρίνεσθαι,
ὥσπερ Ἀναξίμανδρός
φησι. |
ὁ
διάδοχος - Nachfolger
| τὸ ἄπειρον
- das Grenzenlose, das grenzenlos Unbestimmbare (τὸ
πέρας οὐκ | φύσιν
τινὰ ἄπειρον
- eine unbestimmbare (gewisse unendliche) Substanz | κομίζω
- führe ein | τῶν καλουμένων
στοιχείων
- sc. Feuer, Wasser, Luft, Erde | οὐρανοὶ
καὶ κόσμοι
- im Sinne koexistierender Welten oder sukzessiver Weltperioden.
Die Himmel sind (nach Schadewaldt,
240) vorgestellt als runde Kugeln, Sphären, die die
Sternenbahnen enthalten | ἡ φθορά
- Vergehen, Untergang | τὸ χρεών
- Notwendigkeit (H.Diels), Schuldigkeit (H.Fränkel,
W.Kranz); κατὰ τὸ χρεών:
"wie es in Ordnung ist" (H.Fränkel) | δίκην
διδόναι τινός
- Genugtuung leisten für etwas | δίκην
καὶ τίσιν διδόναι
ἀλλήλοις - einander
Strafe und Buße geben, einander Buße und Genugtuung
leisten | ἀλλήλοις
- sc. das Werdende dem Vergehenden (und umgekehrt) | ἡ
τάξις - Reihenfolge, Ordnung,
Verordnung, Gebührenfeststellung (durch Richterspruch);
zum zeitlichen Aspekt vgl. A10 die Aussage τὴν
φθορὰν γίνεσθαι
καὶ... τὴν γένεσιν
ἐξ ἀπείρου
αἰῶνος ἀνακυκλουμένων
πάντων αὐτῶν
<τῶν κόσμων>
| ἀλλοιοῦσθαι
- sich (qualitativ) verändern | ξηρός
- trocken; aus ξηρόν und
ὑγρόν lassen sich leicht die
Urmächte und späteren Elemente Erde und Meer (Wasser)
heraushören. Ähnlich deutet O. Gigon mit Bezug
auf Hesiod θερμόν und ψυχρόν
als Tag und Nacht. |
- Das Fragment B1 wird durch Simplikios ("ποιητικωτέροις
οὕτως ὀνόμασιν
αὐτὰ λέγων")
ausdrücklich als originaler Satz Anaximanders bestätigt.
Vorsichtigere Interpreten (Dirlmeier) lassen das Originalzitat
erst mit "κατὰ τὸ χρεών"
beginnen.
- "Das gedankliche Schema Anaximanders war der Kontrast
des Endlichen zum Ewigen. Die Endlichkeit sieht er dabei nicht
im Bild des Gleichgewichts der Gegensätze, sondern
unter dem Aspekt der Hybris: Übergriff des Endlichen
über Endliches. Der Anteil, der dem Endlichen
darum vom Schicksal gesetzt ist, ist seine "Zeit".
Das "Schickende" ist nicht χρόνος,
sondern τὸ χρεών"
(Hölscher,
31)
- "Anaximander [...] sah die zyklischen Wandlungen in
der Natur gewisse Qualitäten hervorbringen und andere,
ihnen entgegengesetzte zerstören. Mit dem Wechsel der
Jahreszeiten lösen auch die fundamentalen Gegensätzlichkeiten
- kalt und warm, feucht und trocken - einander ab. Es handelt
sich hier nicht um abstrakte Gegensätze, sondern um Qualitäten,
die an gewisse physikalische Zustände gebunden sind.
Das Übergewicht der einen führt zu "Ungerechtigkeit",
aber der Ablauf der Zeit bringt dies in Ordnung, und das Übergewicht
fällt der entgegengesetzten Qualität zu. Keine dieser
Gegensätzlichkeiten kann die absolute Herrschaft erringen
und die andere vernichten; in diesem Sinne sind alle begrenzt,
das heißt endlich in Raum und Zeit, aber sie sind auch
alle die Produkte des unbegrenzten Urstoffs, der ein unendliches
Reservoir aller dieser unaufhörlichen Mutationen ist."
(Sambursky,
22)
-
Zum "Satz des Anaximander":
- "Eine schlichte Deutung der Übersetzung ist
die, dass die aus dem Unendlichen hervorgegangenen "Dinge"
einander Abbruch und damit "Unrecht" tun (z.B. Das Meerwasser
der Küste, die Luft dem Wasser) und dass solche "Beraubung
Sühne fordert", die "geschieht, indem im Laufe der
Zeit mit Notwendigkeit das entstandene Ding wieder in
das Element oder, bei zusammengesetzten Dingen, in die
Elemente zurückgeht, woraus es entstanden ist" (Beispiel:
Die überflutete Küste trocknet wieder aus, der
Meerschlamm scheidet sich wieder in Wasser und Sand. [...]
Gerechtigkeit durchwaltet so den Kosmos, die 'Weltordnung
ist zugleich Rechtsordnung', das Recht ist 'kosmisches
Gesetz'" (Engisch,
S. 147f).
- E. Wolf: "Wo das Sein gedacht wird, ist δίκη schon gedacht." [...] "Mit der δίκη wird zugleich τίσις gegeben...τίσις
ist ein Rechtswort und meint die ausgleichende Schadloshaltung."
(zitiert nach Engisch,
S. 148)
- Heidegger gibt als Übersetzung des Spruchs: "...
entlang dem Brauch; gehören nämlich lassen sie
Fug somit auch Ruch eines dem anderen (im Verwinden )
des Un-Fugs." (zitiert nach Engisch,
S. 148)
- Sambursky,
S. 22: "Anaximander [...] sah, dass die zyklischen
Wandlungen in der Natur gewisse Qualitäten hervorbringen
und andere, ihnen entgegengesetzte zerstören. Mit
dem Wechsel der Jahreszeiten lösen sich die fundamentalen
Gegensätzlichkeiten - kalt und warm, feucht und trocken
- einander ab. Es handelt sich hier nicht um abstrakte
Gegensätze, sondern um Qualitäten, die an gewisse
physikalische Zustände gebunden sind. Das Übergewicht
der einen führt zu 'Ungerechtigkeit', aber der Ablauf
der Zeit bringt dies in Ordnung, und das Übergewicht
fällt dann der entgegengesetzten Qualität zu.
Keine dieser Gegensätzlichkeiten kann die absolute
Herrschaft erringen und die anderen vernichten; in diesem
Sinne sind sie alle begrenzt, das heißt endlich
in Raum und Zeit, aber sie sind auch alle die Produkte
des unbegrenzten Urstoffs, der ein unendliches Reservoir
aller dieser unaufhörlichen Mutationen ist."
|
VS
12 A 10 [PLUT.] Strom.2 [D.579]
ἀπεφήνατο
δὲ τὴν φθορὰν
γίνεσθαι καὶ
πολὺ πρότερον
τὴν γένεσιν
ἐξ ἀπείρου
αἰῶνος ἀνακυκλουμένων
πάντων αὐτῶν.
[...] φησὶ δὲ τὸ
ἐκ τοῦ ἀιδίου
γόνιμον θερμοῦ
τε καὶ ψυχροῦ
κατὰ τὴν γένεσιν
τοῦδε τοῦ κόσμου
ἀποκριθῆναι
καί τινα ἐκ
τούτου φλογὸς
σφαῖραν περιφυῆναι
τῷ περὶ τὴν
γῆν ἀέρι ὡς
τῷ δένδρῳ <φλοιόν>·
ἧστινος ἀπορραγείσης
καὶ εἴς τινας
ἀποκλεισθείσης
κύκλους ὑποστῆναι
τὸν ἥλιον καὶ
τὴν σελήνην
καὶ τοὺς ἀστέρας.
ἔτι φησίν, ὅτι
κατ ἀρχὰς ἐξ
ἀλλοειδῶν
ζῴων ὁ ἄνθρωπος
ἐγεννήθη, ἐκ
τοῦ τὰ μὲν ἄλλα
δι ἑαυτῶν ταχὺ
νέμεσθαι, μόνον
δὲ τὸν ἄνθρωπον
πολυχρονίου
δεῖσθαι τιθηνήσεως·
διὸ καὶ κατ
ἀρχὰς οὐκ ἄν
ποτε τοιοῦτον
ὄντα διασωθῆναι. |
ἀνακυκλοῦσθαι
- im Kreise (also periodisch) wiederkehren (vgl. auch κατὰ
τὴν τοῦ χρόνου
τάξιν, A9, B1) | πάντων
αὐτῶν <τῶν
κόσμων> | τὸ
γόνιμον - das Trächtige,
die Zeugungskraft; die Leibesfrucht; Hölscher (S.107) betont: "Was sich scheidet,
sind die Gegensätze, sondern das γόνιμον.
Diese Scheidung ist keine Spaltung, sondern eine Abtrennung."
(τὸ ἐκ τοῦ ἀιδίου
γόνιμον θερμοῦ
τε καὶ ψυχροῦ
- "die von Ewigkeit her zeugende Kraft des Kalten und
Warmen" ist sprachlich nicht möglich) | κατὰ
τὴν γένεσιν
τοῦδε τοῦ κόσμου
- es geht nicht um Welterklärung überhaupt, sondern
um die Erklärung "dieses unseres Kosmos",
wobei "Kosmos" nur den Sternenhimmel meint, der
so um die bereits vorhandene Erde und Luft wächst,
wie "Rinde um einen Baum" | ἐκ τούτου
- sc. <τοῦ γονίμου>
| φλογὸς σφαῖρα
- Feuerkugel | περιφυῆναι
- herumwachsen, sich herumlegen | ὁ φλοιός
- Rinde | ὑποστῆναι
- aushalten, bestehen bleiben | ἀλλοειδής
- andersartig | ἐκ τοῦ - deswegen,
weil..., infolge dessen, dass... | τὰ μὲν
ἄλλα <ζῷα>| νέμεσθαι
- sich ernähren, Nahrung finden | ἡ τιθηνήσις
- Pflege, Ernährung (durch eine Amme: τιθήνη)
| διασῴζεσθαι
- sich erhalten | |
Eingehende Interpretation bei Sambursky,
S. 319 ff. und Hölscher,
S. 106 ff.
- "Ein typisches Beispiel dafür, wie Ordnung aus
Chaos entsteht, ist der Prozess der Scheidung der Gegensätze,
die in dem undifferenzierten Ganzen enthalten sind. So heißt
es im ersten Kapitel der Genesis; 'Und Gott schied das Licht
von der Finsternis.' 'Und Gott schied die Wasser unter dem
Firmament von den Wassern über dem Firmament.' Diese
Scheidung, die im Grunde eine Differenzierung der ungeformten
Materie bedeutet, ist auch das Grundprinzip der ersten wissenschaftlichen
Kosmogonie [...]. In der Terminologie der modernen Physik
bedeutet (diese Scheidung) zunächst, dass alle physikalischen
Vorgänge im Kosmos nur dann möglich sind, wenn Potentialdifferenzen
existieren, welche Übergänge von einem Niveau zum
anderen ermöglichen, also zum Beispiel Temperaturunterschiede,
Differenzen im Gravitationspotential, elektrischen Potential
usw. Es ist daher die Aufgabe einer jeden Kosmogonie, von
Anaximander bis heute, das Entstehen solcher Potentialgefälle
in einem ursprünglich homogenen Medium zu erklären
(Sambursky,
319f)
|
VS
12 A 11 [HIPPOL.Ref. I 6,1-7 (D.559W.10)]
[1] Β
2], ἣν καὶ πάντας
περιέχειν
τοὺς κόσμους.
λέγει δὲ χρόνον
ὡς ὡρισμένης
τῆς γενέσεως
καὶ τῆς οὐσίας
καὶ τῆς φθορᾶς.
[3] τὴν δὲ γῆν
εἶναι μετέωρον
ὑπὸ μηδενὸς
κρατουμένην,
μένουσαν δὲ
διὰ τὴν ὁμοίαν
πάντων ἀπόστασιν.
τὸ δὲ σχῆμα
αὐτῆς γυρόν,
στρογγύλον,
κίονι λίθῳ
παραπλήσιον
[Β 5]· τῶν δὲ ἐπιπέδων,
ᾧ μὲν ἐπιβεβήκαμεν
, ὃ δὲ ἀντίθετον
ὑπάρχει.[6] τὰ
δὲ ζῷα γίνεσθαι
[ἐξ ὑγροῦ] ἐξατμιζομένου
ὑπὸ τοῦ ἡλίου.
τὸν δὲ ἄνθρωπον
ἑτέρῳ ζῴῳ
γεγονέναι,
τουτέστι ἰχθύι,
παραπλήσιον
κατ' ἀρχάς. |
[1]
ἡ φύσις - Natur, Wesen,
Substanz | fæsin tinŒ toè ŽpeÛrou
- ein gewisses Wesen des Unendlichen | τοῦ
ἀπείρου - Gen. explic.
| ἀίδιος - zu ἀεί,
nicht zu εἶδον (ἀ-ιδής)
| ἀγήρως - worin unterscheiden
sich beide Begriffe? | [3] μετέωρος
- frei schwebend, in der Schwebe | πὸ μηδενὸς
κρατουμένη
- von nichts gehalten werden | ἡ ἀπόστασις
- Abstand | τὸ σχῆμα
- Gestalt | γυρός - rund | στρογγύλος
- gewölbt, abgerundet | ἡ κίων
- Säule | κίονι λίθῳ
παραπλήσιον
- einer Säulentrommel ähnlich | τὸ
ἐπίπεδον - Ebene,
Fläche | τῶν δὲ ἐπιπέδων
- auf der einen der beiden Flächen | ἀντίθετος
- entgegengesetzt | ὑπάρχει
= ἐστίν | [6] ἐξατμίζω
- verdunsten lassen | γεγονέναι
= fuisse |
- Die Auffassung, dass die Erde wegen ihrer Indifferenz an
ihrem Platz verharre, referiert Aristoteles, um sie zu kritisieren.
"Aristoteles lehnt Anaximanders Theorie ab, weil sie
seiner eigenen Lehre von der Bewegung der Körper zu ihrem
natürlichen Ort widersprach" (Sambursky,
27). "Das der Theorie des Anaximander zugrunde liegende
Prinzip [..] (trat) in der modernen Wissenschaft als Satz
vom Mangel eines zureichenden Grundes auf. Finden wir nämlich
keinen ausreichenden Grund für eine Abweichung von einer
gegebenen Situation, so erscheint uns gerade dies als hinreichender
Grund für die Stabilität dieses Zustandes."
(Sambursky,
28)
|
VS
12 A 15 [Aristot.Phys.203b 6]
ἅπαντα
γὰρ ἢ ἀρχὴ ἢ
ἐξ ἀρχῆς, τοῦ
δὲ ἀπείρου
οὐκ ἔστιν ἀρχή·
εἴη γὰρ ἂν αὐτοῦ
πέρας. ἔτι δὲ
καὶ ἀγένητον
καὶ ἄφθαρτον
ὡς ἀρχή τις
οὖσα· τό τε
γὰρ γενόμενον
ἀνάγκη τέλος
λαβεῖν, καὶ
τελευτὴ πάσης
ἐστὶ φθορ?ς.
διὸ καθάπερ
λέγομεν, οὐ
ταύτης ἀρχή,
ἀλλ' αὕτη τῶν
ἄλλων εἶναι
δοκεῖ καὶ περιέχειν
ἅπαντα καὶ
πάντα κυβερνᾶν,
ὥς φασιν ὅσοι
μὴ ποιοῦσι
παρὰ τὸ ἄπειρον
ἄλλας αἰτίας
οἶον νοῦν ἢ
φιλίαν. καὶ
τοῦτ' εἶναι
τὸ θεῖον· <ἀθάνατον>
γὰρ καὶ <ἀνώλεθρον>
[Β 3], ὥς φησιν
ὁ Ἀναξίμανδρος
καὶ οἱ πλεῖστοι
τῶν φυσιολόγων. |
ἢ
ἀρχὴ ἢ ἐξ ἀρχῆς
- in moderner Fachterminologie: entweder Prinzip oder Prinzipat
| πέρας - Grenze | ἀγένητος
- unentstanden, ungeworden | ἄφθαρτος-
unverbrauchbar, unvergänglich | τέλος
λαβεῖν - ein Ende nehmen
| καθάπερ - wie | περιέχειν
- umfassen, umschließen | κυβερνᾶν
- steuern, lenken, leiten | παρὰ τὸ
ἄπειρον - neben (außer)
dem Grenzenlosen | νοῦν - vgl. Anaxagoras
| φιλίαν - vgl. Empedokles | ἀνώλεθρος
- unvergänglich | ὁ φυσιολόγος
- Naturphilosoph |
- Über das "Verhältnis von Prinzip und Prinzipat"
liest man bei B. Kälin:
Lehrbuch der Philosophie, Sarnen 1950, folgenden Abschnitt
(S.136f):
Sie (Prinzip und Prinzipat) müssen
- real voneinander verschieden sein;
- in realer Beziehung zueinander stehen (äußerlich
oder innerlich);
- das Prinzip (Ursache) muss irgendwie früher sein
als das Prinzipat (Wirkung) Das Frühersein kann sein:
- logisch, d.h. in der Denkordnung (z.B. Vordersätze
- Schlussfolgerung);
- örtlich (Punkt - Linie);
- zeitlich (Morgen - Mittag);
- dem Ursprung nach (Eins - Zahlen);
- der Natur oder dem Sein nach; gemeint ist
jenes Verhältnis, wonach das Prinzip unabhängig
vom Hervorgehen ein Sein besitzt, während das
Hervorgehende das Sein nur abhängig vom Prinzip
hat.
|
VS
12 A 29 [Aet.4,3,2 (D.387 not.)]
Ἀναξιμένης
δὲ καὶ Ἀναξίμανδρος
καὶ Ἀναξαγόρας
καὶ Ἀρχέλαος
ἀερώδη τῆς
ψυχῆς τὴν φύσιν
εἰρήκασιν. |
ἀερώδης
- luftartig |
Die Zuweisung des Fragments ist fraglich, weil Anaximander
nur unter anderen Naturphilosophen genannt wird und die Aussage
besser zu Anaximenes passt. |
VS
12 A 30 [Aet.5,19,4 (D.430)]
Ἀναξίμανδρος
ἐν ὑγρῷ γεννηθῆναι
τὰ πρῶτα ζῷα
<φλοιοῖς> περιεχόμενα
ἀκανθώδεσι,
προβαινούσης
δὲ τῆς ἡλικίας
ἀποβαίνειν
ἐπὶ τὸ ξηρότερον
καὶ περιρρηγνυμένου
τοῦ <φλοιοῦ>
ἐπ' ὀλίγον
χρόνον μεταβιῶναι. |
ὁ
φλοιός - Rinde, Borke, Schale
| ἀκανθώδης
- stachelig, dornig | ἡ ἡλικία
- Alter, Entwicklung, Evolution | τὸ ξηρόν
- das Trockene, trockene Land | περιρρήγνυσθαι
- ringsum zerreißen, aufbrechen | ἐπ' ὀλίγον
χρόνον - auf kurze Zeit |
μεταβιῶναι
- seine Lebensweise ändern, eine andere Lebensform
annehmen |
. |
12 A30 [Aet.5,19,4]
ἐν
ἰχθύσιν ἐγγενέσθαι
τὸ πρῶτον ἀνθρώπους
ἀποφαίνεται
καὶ τραφέντας,
ὥσπερ οἱ γαλεοί,
καὶ γενομένους
ἱκανοὺς ἑαυτοῖς
βοηθεῖν ἐκβῆναι
τηνικαῦτα
καὶ γῆς λαβέσθαι. |
ἀποφαίνεται
- er zeigt, lehrt | ὁ γαλεός
- Haifisch | τηνικαῦτα
- dann (erst) |
. |
Sententiae excerptae: Griech. zu "Anaximander" Literatur: zu "Anaximander"1445
Capelle, W.
Die Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte , übersetzt und eingeleitet von...
Stuttgart (Kröner, TB 119) 7/1968
2358
Classen, C.J.
Anaximander
in: Herm.90,1962 S.159-172
1447
Diels, H. / Kranz, W.
Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und deutsch, I-III [maßgebliche Ausgabe der Vorsokratiker]
Belin (Weidmann) 1960
1473
Dirlmeier, F.
Der Satz des Anaximandros von Milet (VS12B1)
in: Gadamer (Hg.), Begriffswelt, S. 88-94
2383
Fraenkel, H.
Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. Eine Geschichte der griechischen Epik, Lyrik, Prosa bis zur Mitte des fünften Jahrhunders
New York 1951; München (Beck) 1962
1449
Fränkel, H.
Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. Eine Geschichte der griechischen Epik, Lyrik und Prosa bis zur Mitte des 5. Jhs.
München (Beck) 2/1962
1475
Fritz, K.v.
Das APEIPON bei Aristoteles
in: Grundprobleme der Geschichte der antiken Wissenschaft, Berlin / New York (de Gruyter) 1971, S. 677-700
1448
Gadamer, H.G.
Um die Begriffswelt der Vorsokratiker
Darmstadt (WBG, WdF 9) 1968
1476
Heidegger, M.
Der Spruch des Anaximander
in: Holzwege, Frankfurt/M. 1972, S. 296-343
1443
Hölscher, U.
Anfängliches Fragen. Studien zur frühen griechischen Philosophie
Göttingen (V&R) 1968
312
Meyerhöfer, H.
Homer. Lyrik. Vorsokratiker (Thales. Anaximander. Pythagoras. Xenophanes. Parmenides. Heraklit
in: Erwachen.., Donauwörth 1976
1437
Schadewaldt, W.
Die Anfänge der Philosophie bei den Griechen. Die Vorsokratiker und ihre Voraussetzungen. Tübinger Vorlesungen Bd. I
Frankfurt/M (Suhrkamp) 1/1978
1441
Schirnding, A.v.
Am Anfang war das Staunen. Ãœber den Ursprung der Philosophie bei den Griechen
München (Kösel) 1978
1436
Wolf, E.
Vorsokratiker und frühe Dichter [Griechisches Rechtsdenken I],
Frankfurt/M (Klostermann) 1950
- Letzte Aktualisierung: 17.07.2024 - 15:54 |